Zustände der ersten Zeit
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Zustände der ersten Zeit. Es ist oft gesagt und eine bekannte Tatsache, dass kein Stand am Ausgang des Mittelalters so korrumpiert war als der geistliche. Darüber spotten so manche Bilder dieses Buches. Das beweisen nicht nur die Anklagen, die der gemeine Mann in seinen Spottliedern über die Mönche und Pfaffen erhebt, und die die Gebildeten mit unerbittlicher Schärfe, bald im Tone des beißenden Spottes, wie in den Dunkelmännerbriefen, laut werden lassen, das beweisen auch die Klagen, die die Guten unter der schlechten Masse selbst erheben. „Siehe, die Welt ist voll von Priestern,“ heißt es z. B. in einer solchen Schrift, „und doch ist unter hundert kaum einer ein guter Priester. Es gibt in der Welt keine so rohe Bestie als einen schlechten und leichtfertigen Priester; denn er will sich nicht bessern lassen und die Wahrheit nicht hören.“ Und in einer anderen heißt es: „Die Übel des geistlichen Standes sind so zahllos, dass der allmächtige Gott mit Fug und Recht die katholische Kirche allerorten zerstören könnte.“ Unbildung und Rohheit, Habgier und grobe Sinnlichkeit, Genusssucht und brutales Wesen charakterisierten den geistlichen Stand. Kein Wunder, dass er auch der gehassteste und verachtetste war. Die Reformation fand gerade deshalb so vielfach Boden, weil sie verhieß, die Gesellschaft von dieser Menschengruppe zu befreien. Und doch musste sie zunächst mit diesen Priestern weiter arbeiten, soweit sie sich der neuen Lehre angeschlossen hatten. Mochten immerhin die ernstesten , die besten unter den Priestern sich der neuen Lehre zuwenden, es lässt sich doch nicht leugnen, dass viele zweifelhafte Elemente den Umschwung mitmachten: sie „begaben sich“, wie es einmal heißt, „um des Bauches willen zum Evangelium.“ So können wir uns nicht wundern, wenn wir zunächst den jungen evangelischen Pfarrstand auf einer sehr niedrigen sittlichen und kulturellen Stufe finden. Aber das ist eben das Bezeichnende, dass sofort ein Prozess der Reinigung und Erneuerung einsetzt, deren deutliche Folge bald eine Aufwärtsbewegung des ganzen Standes war. Zunächst galt es, die ganz Unbrauchbaren auszumerzen, sodann die Behaltenen zu erziehen und endlich für einen tüchtigen Nachwuchs zu sorgen.
Eine Sichtung des Pfarrstandes vorzunehmen, das war eine der Hauptaufgaben der seit 1526, zuerst im Kurfürstentum Sachsen, durchgeführten Visitationen. Die Visitatoren unterwarfen zunächst jeden Geistlichen einer ersten Prüfung auf seine religiöse Überzeugung, sein religiöses Wissen und seine sittliche Würdigkeit hin. Was sie fanden, war zum Teil sehr wenig erfreulich. Um was es sich eigentlich bei Luthers Lehre handelte, war vielen ganz unklar; daher fehlte es ihnen überhaupt an einer festen Überzeugung. Es kam nicht selten vor, dass ein und derselbe Pfarrer an demselben Altar das Abendmahl jetzt unter einer Gestalt, zu anderer Zeit unter beiden Gestalten reichte, oder dass er katholisch und lutherisch zugleich war: um nicht von der Stelle gejagt zu werden, hielt er, vielleicht einem konservativen Patron zu Liebe, in der einen Kirche die römische Messe, in der anderen, der Gemeinde zu Liebe, lutherischen Gottesdienst und Predigt. „Gar manche erkannten das ganze Wesen des Protestantismus nur darin, dass das Abendmahl sub utraque specie ausgeteilt und die Priesterehe (statt des Konkubinats) eingeführt wurde, während sie ruhig bezahlte Seelenmessen hielten und ihre Schäfchen an Wallfahrtsorte führten und auch das anstößige Leben, das sie von früher her gewohnt waren, in ihrer neuen Stellung fortzusetzen sich nicht scheuten.“ Eine haarsträubende Unwissenheit wurde bei so manchem entdeckt, der im Pfarrstand alt und grau geworden war. „Zu Elsnig, einem thüringischen Dorf, konnte der Pfarrer Vaterunser und Glauben nur mit gebrochenen Worten beten; dagegen verstand er Teufel zu bannen, und er genoss darin einen so großen Ruf, dass er nach Leipzig geholt wurde. Ein anderer kannte die zehn Gebote nicht, andere wussten nichts vom Symbol. Es wird geklagt, dass sie zu keinem Artikel der Lehre auch nur den geringsten Spruch aus der Schrift wissen, ja dass sie „die ganze Woche müßig gehen und der Nahrung warten.“ Melanchthon erzählte einst im Kolleg, dass er im ersten Visitationsexamen einen Pfarrer, der früher Mönch gewesen war, gefragt habe, ob er auch den Dekalog*) lehre. Da habe er nur zur Antwort gegeben: „Ich habe das Buch noch nicht.“
*) Die Zehn Gebote, auch Zehn Worte oder Dekalog genannt, sind eine Reihe von Geboten und Verboten des Gottes Israels, JHWH, im Tanach, der Hebräischen Bibel. Im Tanach existieren an zwei Textstellen zwei leicht unterschiedliche Fassungen. Wikipedia
„Die Zahl derer, die in wilder Ehe, in Trunksucht und Hader ihre Tage dahin brachten, bürgerliche Gewerbe, namentlich die Schankwirtschaft betrieben, war groß genug, um die Visitatoren zu den strengsten Maßregeln, zu Absetzungen zu veranlassen.“ Justus Jonas, der 1639 im albertinischen Sachsen mit visitierte, klagte in einem umfangreichen Briefe aus diesem Jahre an Herzog Heinrich, dass noch viele Pfarrer papistisch seien, und etliche alte Gesellen hätten es offen erklärt, sie könnten es über ihr Gewissen nicht bringen, die neue Lehre anzunehmen. „Also ist vermutlich,“ fährt Jonas fort, „dass viele unter ihnen sein, die dermaßen wider das Evangelium gesinnt und doch nur um der Zinse und Rente willen anders reden. Wo sie nun dem armen Volk diese Lehre sich unterstehen aus menschlicher Furcht vorzutragen, und doch ihr herz nit darbei ist, so hat man leicht abzunehmen, was daraus für Frucht erfolgen möge.“ Im gleichen Jahre klagt Justus Menius über „die ungelahrten und groben Gesellen, ja verzweifelt arge Buben, die sich zum Evangelium getan haben und sich zum Ehestand begeben, was sie darnach gereuet: haben die Eheweiber von sich getan, damit sie frei Pfaffenleben führen mögen.“ Hätten die Visitatoren vorgehen können, wie sie sich eigentlich verpflichtet fühlten, so hätten sie sehr viele Pfarrer einfach entlassen müssen. Aber aus mehr als einem Grunde war das unmöglich. Einmal war es Grundsatz, für den Lebensunterhalt der entlassenen Geistlichen Sorge zu tragen. Dazu fehlten aber oft die nötigen Mittel. Ferner mangelte es noch gänzlich an brauchbarem Ersatz. Endlich fürchtete man, zu schroff vorzugehen, und ließ der Hoffnung auf Besserung gerne Raum. So musste sich fürs Erste die junge Kirche mit einer höchst mangelhaften Pastorenschaft behelfen. Aber diese Elemente starben allmählich ab. In Mitteldeutschland finden sich noch in den 50er Jahren einige „Papistische“ Prediger unter den evangelischen Pfarrern, anderwärts noch in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts.
Abb. 008 Der Papstesel. Kupferstich von Wenzel von Olmütz. 16. Jahrhundert. Dresden, Kupferstichkabinett. Lehrs 66.
Abb. 009 Spottbild auf das Papsttum. Holschnitt, irrig dem H. S. Beham (1500-1550) zugeschrieben. Nürnberg, Germanisches Museum. Pauli 1432
Abb. 010 Spottbild auf die katholischen Theologen Murner, Emser, Eck, Lempp und auf Leo X. ca. 1520. Nürnberg, Germanisches Museum.
Abb. 011 Spottbild auf den Papst, der auf einem Schweine reitet. Holzschnitt von L. Cranach 1545. Sammlung Schreiber, Potsdam. Schuch 106
Eine Sichtung des Pfarrstandes vorzunehmen, das war eine der Hauptaufgaben der seit 1526, zuerst im Kurfürstentum Sachsen, durchgeführten Visitationen. Die Visitatoren unterwarfen zunächst jeden Geistlichen einer ersten Prüfung auf seine religiöse Überzeugung, sein religiöses Wissen und seine sittliche Würdigkeit hin. Was sie fanden, war zum Teil sehr wenig erfreulich. Um was es sich eigentlich bei Luthers Lehre handelte, war vielen ganz unklar; daher fehlte es ihnen überhaupt an einer festen Überzeugung. Es kam nicht selten vor, dass ein und derselbe Pfarrer an demselben Altar das Abendmahl jetzt unter einer Gestalt, zu anderer Zeit unter beiden Gestalten reichte, oder dass er katholisch und lutherisch zugleich war: um nicht von der Stelle gejagt zu werden, hielt er, vielleicht einem konservativen Patron zu Liebe, in der einen Kirche die römische Messe, in der anderen, der Gemeinde zu Liebe, lutherischen Gottesdienst und Predigt. „Gar manche erkannten das ganze Wesen des Protestantismus nur darin, dass das Abendmahl sub utraque specie ausgeteilt und die Priesterehe (statt des Konkubinats) eingeführt wurde, während sie ruhig bezahlte Seelenmessen hielten und ihre Schäfchen an Wallfahrtsorte führten und auch das anstößige Leben, das sie von früher her gewohnt waren, in ihrer neuen Stellung fortzusetzen sich nicht scheuten.“ Eine haarsträubende Unwissenheit wurde bei so manchem entdeckt, der im Pfarrstand alt und grau geworden war. „Zu Elsnig, einem thüringischen Dorf, konnte der Pfarrer Vaterunser und Glauben nur mit gebrochenen Worten beten; dagegen verstand er Teufel zu bannen, und er genoss darin einen so großen Ruf, dass er nach Leipzig geholt wurde. Ein anderer kannte die zehn Gebote nicht, andere wussten nichts vom Symbol. Es wird geklagt, dass sie zu keinem Artikel der Lehre auch nur den geringsten Spruch aus der Schrift wissen, ja dass sie „die ganze Woche müßig gehen und der Nahrung warten.“ Melanchthon erzählte einst im Kolleg, dass er im ersten Visitationsexamen einen Pfarrer, der früher Mönch gewesen war, gefragt habe, ob er auch den Dekalog*) lehre. Da habe er nur zur Antwort gegeben: „Ich habe das Buch noch nicht.“
*) Die Zehn Gebote, auch Zehn Worte oder Dekalog genannt, sind eine Reihe von Geboten und Verboten des Gottes Israels, JHWH, im Tanach, der Hebräischen Bibel. Im Tanach existieren an zwei Textstellen zwei leicht unterschiedliche Fassungen. Wikipedia
„Die Zahl derer, die in wilder Ehe, in Trunksucht und Hader ihre Tage dahin brachten, bürgerliche Gewerbe, namentlich die Schankwirtschaft betrieben, war groß genug, um die Visitatoren zu den strengsten Maßregeln, zu Absetzungen zu veranlassen.“ Justus Jonas, der 1639 im albertinischen Sachsen mit visitierte, klagte in einem umfangreichen Briefe aus diesem Jahre an Herzog Heinrich, dass noch viele Pfarrer papistisch seien, und etliche alte Gesellen hätten es offen erklärt, sie könnten es über ihr Gewissen nicht bringen, die neue Lehre anzunehmen. „Also ist vermutlich,“ fährt Jonas fort, „dass viele unter ihnen sein, die dermaßen wider das Evangelium gesinnt und doch nur um der Zinse und Rente willen anders reden. Wo sie nun dem armen Volk diese Lehre sich unterstehen aus menschlicher Furcht vorzutragen, und doch ihr herz nit darbei ist, so hat man leicht abzunehmen, was daraus für Frucht erfolgen möge.“ Im gleichen Jahre klagt Justus Menius über „die ungelahrten und groben Gesellen, ja verzweifelt arge Buben, die sich zum Evangelium getan haben und sich zum Ehestand begeben, was sie darnach gereuet: haben die Eheweiber von sich getan, damit sie frei Pfaffenleben führen mögen.“ Hätten die Visitatoren vorgehen können, wie sie sich eigentlich verpflichtet fühlten, so hätten sie sehr viele Pfarrer einfach entlassen müssen. Aber aus mehr als einem Grunde war das unmöglich. Einmal war es Grundsatz, für den Lebensunterhalt der entlassenen Geistlichen Sorge zu tragen. Dazu fehlten aber oft die nötigen Mittel. Ferner mangelte es noch gänzlich an brauchbarem Ersatz. Endlich fürchtete man, zu schroff vorzugehen, und ließ der Hoffnung auf Besserung gerne Raum. So musste sich fürs Erste die junge Kirche mit einer höchst mangelhaften Pastorenschaft behelfen. Aber diese Elemente starben allmählich ab. In Mitteldeutschland finden sich noch in den 50er Jahren einige „Papistische“ Prediger unter den evangelischen Pfarrern, anderwärts noch in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts.
Abb. 008 Der Papstesel. Kupferstich von Wenzel von Olmütz. 16. Jahrhundert. Dresden, Kupferstichkabinett. Lehrs 66.
Abb. 009 Spottbild auf das Papsttum. Holschnitt, irrig dem H. S. Beham (1500-1550) zugeschrieben. Nürnberg, Germanisches Museum. Pauli 1432
Abb. 010 Spottbild auf die katholischen Theologen Murner, Emser, Eck, Lempp und auf Leo X. ca. 1520. Nürnberg, Germanisches Museum.
Abb. 011 Spottbild auf den Papst, der auf einem Schweine reitet. Holzschnitt von L. Cranach 1545. Sammlung Schreiber, Potsdam. Schuch 106
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der evangelische Geistliche in der deutschen Vergangenheit
008 Der Papstesel. Kupferstich von Wenzel von Olmütz. 16. Jahrhundert. Dresden, Kupferstichkabinett. Lehrs 66.
009 Spottbild auf das Papsttum. Holzschnitt, irrig dem H. S. Beham (1500-1550) zugeschrieben. Nürnberg, Germanisches Museum. Pauli 1432
010 Spottbild auf die katholischen Theologen Murner, Emser, Eck, Lempp und auf Lio X. ca. 1520. Nürnber, Germanisches Museum
011 Spottbild auf den Papst, der auf einem Schweine reitet. Holzschnitt von L. Cranach 1545. Sammlung Schreiber, Potsdam. Schuch 106
Luther, die Bibel
Luther, Die Hochzeit
Luther, die Schule
RA 024 Melanchthon Philipp
RA 074 Cranach Lukas
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