Reformatorische Auffassung vom geistlichen Stand

Wie aber das Wesen des Christentums nach evangelischer Auffassung nicht in einer Summe von Kräften und Gnaden besteht, über die die Kirche durch ihre geweihten Priester waltet, sondern in der persönlichen Stellung und Gesinnung gegen Gott, so bewegt sich auch die Tätigkeit des evangelischen Geistlichen nicht in der Vollziehung bestimmter Riten, die ex opere operato wirken, sondern in der auf persönlicher Überzeugung beruhenden Predigt und in der eine innerlich gereifte Persönlichkeit voraussetzenden Seelsorge. Was der Amtsträger vollzieht, kann an sich jeder rechte, getaufte Christ vollziehen. Jener herrscht nicht über unter ihm Stehende, sondern er dient ihm gleichstehenden Brüdern. Und weiter: Die Reformation hat jeden einzelnen Pfarrer selbständig gemacht. Nach katholischer Anschauung steht eigentlich dem Bischof, zuletzt dem Paste alle Kirchengewalt zu. Der einzelne Pfarrer ist nur der für den Umfang einer Parochie bestellte Vertreter des Bischofs: von ihm ist er in allen Stücken abhängig; er trägt keine Selbstverantwortung. Anders nach evangelischer Anschauung. Wie hier im Prinzip jede Gemeinde eine selbständige Größe ist, so ist auch der Pfarrer selbständig: es gibt keine hierarchische Gliederung. Nach Luther sind Papst und Bischöfe nichts anderes als Pfarrer und die Pfarrherren sind Bischöfe, Indem so die Hierarchie beseitigt und dazu der Kirche der Charakter der weltlichen, politischen Macht genommen und sie zu ihrer eigentlichen geistlichen Bestimmung zurückgeführt wurde, hat die Reformation zugleich dem geistlichen Stand insofern ein anderes Gepräge gegeben. Als die zahlreichen Adligen, die in der katholischen Kirche ihr Verlangen sowohl nach äußerer Macht wie nach üppiger Lebensführung befriedigen konnten, aus dem evangelischen Pfarrstand schwanden. Die Reformation hat den geistlichen Stand zu einem bürgerlichen Stand gemacht. Und nehmen wir hinzu, dass sie den Zölibat aufhob und die Ehe freigab, ja unter Umständen gebot, so hat sie in der Tat einen ganz neuen Stand in der Gesellschaft eingefügt, während sie für breite Gebiete unseres Vaterlandes dafür einen anderen verschwinden, untergehen lies. Die Glieder dieses neuen Standes aber konnten sich au keine ererbten Privilegien, auf keine priesterliche Sonderstellung berufen, sie konnten sich nur behaupten durch ihre innere Tüchtigkeit, wie jeder andere freie Stand auch. In der Tat, an den evangelischen Pfarrer stellte die neue Zeit auch ganz andere sittliche und intellektuelle Forderungen, als die katholische zeit an den Priester zu stellen gewohnt war. Die zahlreichen Schriften, die jetzt über den Pfarrstand erscheinen, richten alle ein sehr hohes Ideal auf. Die junge Kirche der Reformation konnte nur bestehen durch einen tüchtigen Pfarrstand. Hohe Ansprüche stellte sie an ihn, und rastlos hat sie gearbeitet, um sich in ihren Pfarren brauchbare Offiziere zu erziehen in dem heiligen Krieg, den sie zu führen hatte. Den neuen evangelischen Pfarrstand haben im Wesentlichen drei Faktoren geschaffen: die theologische Fakultäten, die evangelischen Obrigkeiten und die Besten im Pfarramt selbst. Sie haben gemeinsam die religiösen und sittlichen, die intellektuellen und materiellen Kräfte dem jungen Stande dargeboten, so dass er heranwachsen und seiner Aufgabe genügen konnte. Allerdings nur allmählich ist es unmöglich gewesen, dem Pfarrstand eine sichere Grundlage innen und außen zu geben. So eigenartig er in jeder Beziehung ist, und so stark er sich abhebt von dem katholischen Priesterstand, zunächst hat er sich doch aus diesem herausentwickelt, und es hat geraume Zeit gekostet, bis er auf eine leidliche Höhe gekommen ist. Die Entstehung der Landeskirchen hat zum größten Teil in der Notwendigkeit ihren Grund, einen tauglichen Pfarrstand zu bilden.

Abb. 004 Verspottung der Mönche als „Löffelkrämer“. Holzschnitt ca. 1520. Berlin Kupferstichkabinett


Abb. 005 Allegorie auf die Laster der Mönche. Holzschnitt des H. S. Baham ca. 1539. Leipzig, Deutsche Gesellschaft. Pauli 1117

Abb. 006 Der Papst wird dem Höllenrachen zugeführt. Holzschnitt um 1525. Berlin, Kupferstichkabinett

Abb. 007 Christus und Papst. Holzschnitt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin, Kupferstichkabinett



004 Verspottung der Mönche als -Löffelkrämer-. Holzschnitt ca. 1520. Berlin, Kupferstichkabinett

004 Verspottung der Mönche als -Löffelkrämer-. Holzschnitt ca. 1520. Berlin, Kupferstichkabinett

005 Allegorie auf die Laster der Mönche. Holzschnitt des H. S. Beham ca. 1530. Leipzig, Deutsche Gesellschaft. Pauli 1117

005 Allegorie auf die Laster der Mönche. Holzschnitt des H. S. Beham ca. 1530. Leipzig, Deutsche Gesellschaft. Pauli 1117

006 Der Papst wird dem Höllenrachen zugeführt. Holzschnitt um 1525. Berlin, Kupferstichkabinett

006 Der Papst wird dem Höllenrachen zugeführt. Holzschnitt um 1525. Berlin, Kupferstichkabinett

007 Christus und Papst. Holzschnitt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin, Kupferstichkabinett

007 Christus und Papst. Holzschnitt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin, Kupferstichkabinett

alle Kapitel sehen