Auch die Nowgoroder waren Seefahrer

Auch die Nowgoroder waren Seefahrer. Sie kamen zumeist nach Gotland, wo sie daher eine ständige Niederlassung und eine eigene Kirche hatten 14), aber sie fuhren auch weiter, wie z. B. nach Schleswig und Lübeck. Sie ließen also den Handel nicht an sich herankommen, sondern kamen ihm entgegen. Kein Wunder, denn sie mussten einsehen, welchen Vorteil ihnen der Absatz ihrer einheimischen Erzeugnisse brachte, auch waren sie in betreff verschiedener Dinge (z. B. Tuch) auf das Ausland angewiesen. In Wisby auf Gotland mögen deutsche und russische Kaufleute zusammengetroffen, hier die ersten Verbindungen angeknüpft worden sein. — Die russische Kauffahrtei ist zwar nicht sehr bedeutend gewesen. Wenn allerdings die Kolonie in Wisby das Gegenteil zu bezeugen scheint, so spricht doch der Umstand deutlich dafür, dass es den Deutschen gelang, die russischen Schiffe gänzlich oder doch fast ganz vom Meere zu verdrängen und die Schifffahrt in ihre Hände zu bringen 15). Lange Zeit gab es keine oder nur wenige russische Schiffe auf der Ostsee, erst später, zu Ende des XIV. Jahrhunderts, tauchten sie wieder auf, aber auch nur um bald wieder zu verschwinden. 16) Es ist der neueren Zeit vorbehalten geblieben in diesen Gewässern die russische Flagge dauernd zu sehen.

Der Anfang der deutschen Handelsfahrten nach Nowgorod lässt sich chronologisch nicht mit wünschenswerter Genauigkeit fixieren. Es steht fest, dass derselbe im XII. Jahrhundert liegt; während aber die bisherigen Darstellungen in der überwiegenden Mehrheit ihn in die zweite Hälfte des XII. Jahrhunderts setzen, so möchte ich ihn an den Anfang dieses Jahrhunderts verlegen. Folgende Momente begründen diese Annahme.


In den russischen Annalen ist eine Verordnung des Großfürsten Jaroslaw (1019-1054) überliefert, welche den Bewohnern Nowgorods ihre Straßen anweist und hierbei bereits Deutsche (Nemzy) und Goten erwähnt 17). — Mit Recht sagt Winckler bezüglich dieser Verordnung, dass unter Nemzy nicht Deutsche im eigentlichen Sinne des Wortes verstanden zu werden brauchen, sondern überhaupt Ausländer gemeint sein können 18). Immerhin ist uns diese Nachricht wertvoll, weil wir aus ihr ersehen, dass schon damals im Anfang des XI. Jahrhunderts sich Ausländer und darunter Goten in Nowgorod aufhielten.

14) s. Schiemann I. c. S. 189.
Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ursprungs der deutschen Hanse, Hamburg 1830, Bd. I, S. III.
Karamsin 1. c. II, 198 und III, 207 f. Anm. zu Bd. III. S. 148 N. 248.

15) s. Schiemann I. c. S. 141.

16) A. Winckler, Die deutsche Hansa in Russland, Berlin 1886, S. 40.

17) s. Karamsin I. c. II, Anm. S. 59, 60.

18) I. c. S. 6.