Der Weg nach Nowgorod

Adam v. Bremen berichtet in seiner Hamburger Kirchengeschichte um das Jahr 1070, dass man den Weg nach Nowgorod aus Dänemark in einem Monat und von der Odermündung in 14 Tagen zurücklege 19). Aus dieser Mitteilung kann man, wie Sartorius schon bemerkt 20), natürlich nicht folgern, dass zur des Autors schon deutsche Kaufleute nach Nowgorod gefahren seien, und er seine Nachrichten etwa von ihnen empfangen habe. Wenn aber ein in Bremen lebender Mönch solche Nachrichten hat und verbreitet, so ist es doch wohl sehr wahrscheinlich, dass Kaufleute, die ein viel praktischeres Interesse daran hatten, sie sich auch zu verschaffen und dann zu verwerten wussten.

Im Jahre 1152 brannte in Nowgorod die warägische Kirche ab 21). — Über ein Jahrhundert standen die Goten also nun in Verbindung mit Nowgorod: ist es wahrscheinlich, dass die deutschen Kaufleute ihnen nicht gefolgt sind, da sie vermutlich schon im XI. .Jahrhundert nach Wisby gekommen waren 22)?


Im Jahre 1165 erneuerte Rainald Erzbischof von Köln die Rechte der westfälischen Stadt Medebach und regelte dabei das Verfahren bei Vorschüssen zu einem Geschäfts-Betriebe, wobei des Handels nach Dänemark und Russland besonders gedacht ist 23).

19) M. G. II. SS. VII. pag. 312 et 372.

20) Sartorius-Lappenberg. I.c. 1. S. 111. Anm.

21) Vollständige Sammlung russischer Annalen Bd. III, S. 11 s. a. 6660 und 6664.

22) vergl. Bereshkow I. c. S. 56.

23) Hansisches Urkundenbuch hrsg. v. K. Höhlbaum Bd. I, S. 10 No. 17 ut inde negocietur in Datia vel Rucia. — Sartorius-Lappenberg Bd. II, S. 7 sowie die Anm. 4 zu Kap. 1 bei Winckler I. c. S. 133 vergl. auch L. Giesebrecht, Wendische Geschichten, Berlin 1843, I. S. 22. Anm. C. Hans. Urkdbuch. III. S. 393.


Nachdem Heinrich der Löwe Lübeck dem Grafen von Holstein abgenommen hatte, nahm diese Stadt einen großen Aufschwung. Heinrich stattete sie mit Privilegien aus, welche vorzugsweise den Handel heben sollten und Kaiser Friedrich I. gewährte 1188 den Normannen, Goten und Russen Zollfreiheit beim Handel in Lübeck 24)

Aus den letzten Jahren des XII. Jahrhunderts stammt die erste Urkunde über einen Vertrag, die wir besitzen und welche bereits verschiedene Stipulationen für den Verkehr der Deutschen mit den Russen enthält 25). In dieser Urkunde wird ausdrücklich gesagt, dass sie die Bestätigung „des alten Friedens“ bedeute und ebenso erwähnt sie bereits den deutschen Hof.

Ganz abgesehen davon, dass der Ausdruck „der alte Friede“ unzweideutig darauf hinweist, dass schon eine Zeit lang vor diesem Vertrage russisch deutscher Verkehr in Nowgorod bestanden habe, dürften wir schon aus dem Abschluss des Vertrages dasselbe schließen. Denn der Vertrag wurde erst geschlossen, als man seiner bedürftig war. Dass diese Periode des Verkehrs, welche dem Abschluss des Vertrages voraufgeht, nicht ganz kurz gewesen, geht aus der Erwähnung des Hofes hervor. Es ist nicht denkbar, dass die Deutschen ihren Hof gebaut haben, ohne sich vorher zu überzeugen, dass sich die Verbindung mit Nowgorod lohne, dass sie mit den Russen auskommen würden. Dies alles aber konnte, wie man zugeben wird, nicht plötzlich nicht innerhalb weniger Jahre geschehen, sondern bedurfte eines längeren Zeitraums. Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass an verschiedenen Stellen im heutigen Russland, besonders aber in Livland, dem Petersburger Gouvernement und Finnland große Massen deutscher und anderer westeuropäischer Münzen gefunden worden sind; so wurden u. a. bei Oranienbaum, also ganz in der Nähe von St. Petersburg, am Ufer des finnischen Meerbusens 1846 beinahe 4.000 Münzen ausgegraben 26). Die deutschen Münzen rühren aus dem X. Jahrhundert, also aus der Zeit der Ottonen her. Wenn wir aus diesen Funden nun auch nicht schließen dürfen, dass schon im X. Jahrhundert deutsche Kaufleute in Russland erschienen sind, zumal sich deutsche Münzen auch in solchen Gegenden gefunden haben, wohin die Kaufleute auch in viel späterer Zeit nicht gekommen sind, so erlauben uns diese Ausgrabungen doch den Schluss zu ziehen, dass ein gewisser Verkehr schon damals bestand. Lässt sich aber der allgemeine Handelsverkehr auf der Ostsee und nach Russland auch von Westen aus soweit hinauf verfolgen, so gewinnt unsere Annahme erheblich an Wahrscheinlichkeit.

Hiernach glauben wir unsere oben aufgestellte Vermutung, dass der Verkehr deutscher Kaufleute in Nowgorod in den ersten Jahrzehnten des XII. Jahrhunderts seinen Anfang genommen, hinlänglich begründet und wahrscheinlich gemacht zu haben. Mehr lässt sich nach dem Stande unserer Quellen leider nicht erreichen.

Aber nicht gleich, nachdem die deutschen Kaufleute nach Nowgorod gelangt waren, gründeten sie dort eine Niederlassung. Diese ist erst in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts entstanden, was sich daraus ergibt, dass die Deutschen sich im Jahre 1184 eine Kirche in Nowgorod erbaut haben 27). Es ist dies ohne Zweifel die Küche des hl. Petrus, welche den Mittelpunkt des deutschen Hofes bildete und nach welcher auch der letztere St. Petershof genannt wurde. — Unter der deutschen Niederlassung dürfen wir uns freilich nicht eine in der Stadt unter den Russen zerstreut lebende Kolonie denken, etwa in der Art, wie sie gleichzeitig in Polozk sich gestaltete, oder gegenwärtig in St. Petersburg, Moskau und anderen russischen Städten besteht, sondern sie war eine eng zusammengeschlossene Gesellschaft deutscher Kaufleute, die in einem befestigten Hofe bei einander lebte.

24) Hansisches Urkundenbuch I, S. 19.

25) Hans. Urkdenbuch I, No. 50, Übersetzung des russischen Originals, das bei K. E. Napiersky, Russisch-livländische Urkunden, St. Ptbg. 1868, S. 1 No. 1 abgedruckt ist.

26) 8. Bereshkow I. c. S. 12.

27) Vollständige Sammlung russischer Annalen Bd. III, S. 216. Vergl. dazu die Legende von der Erbauung der deutschen Kirche, bei Bereshkow I. c. S. 69 und Karamsin I. c. Bd. III. Anm. S. 154.