Der deutsche Kaufmann in Nowgorod bis zur Mitte des XIV. Jahrhunderts

Autor: Buck, Woldemar (1869-, Erscheinungsjahr: 1891
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hansa, Hanse, Lübeck, Kaufmann, Kaufleute, Russland, Nowgorod,
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde von der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

Das Vorliegende ist nur ein Teil der ganzen Arbeit, welche der philosophischen Fakultät eingereicht worden ist und die erst später veröffentlicht werden kann.

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Der Wolchow tritt in zwei Armen, die dicht bei einander ihren Anfang nehmen und sich nach einem selbständigen Lauf von etwa 10 Werst vereinigen, aus dem Ilmensee. Unmittelbar nach der Trennung liegt zu beiden Seilen des westlichen Arms Nowgorod, eine der ältesten Städte Russlands. Jetzt eine Gouvernementsstadt mit etwa 20.000 Einwohnern, besitzt sie eine große Vergangenheit, in welcher sie die größte, reichste und schönste Stadt Russlands mit 400.000 Einwohnern war und sich durch selbständige munizipale Entwicklung von anderen russischen Städten unterschied. Demgemäß sagt Schiemann *) Nowgorod sei die einzige Stadt Russlands, die im eigentlichen Sinne des Wortes eine Geschichte habe und zwar insofern, als eben kein anderes städtisches Gemeinwesen sich so seinen Charakter gewahrt, sich so an der Spitze und als Vertreter des Territoriums entwickelt hat. Anderswo in Russland besaß die Stadt zwar auch eine gewisse Macht, aber wir sehen gleichwohl, wie sie sich unter diejenige des Fürsten beugt und je länger, desto mehr ihre eigene neben der fürstlichen einbüßt. Hier in Nowgorod hingegen gelangte der Fürst nie so weit, dass er ganz selbständig hätte schalten, können, vielmehr ist er stets beschränkt und oft, der Stadt untergeordnet gewesen. Sehr deutlich zeigt sich dieses darin, dass er seit dem Anfang des XIII. Jahrhunderts nicht mehr kraft eigenen Rechtes regierte, sondern in der Regel von der Bürgerschaft berufen wurde und daher auch nur so lange bleiben konnte, als er ihr genehm war. Indem Nowgorod sich so eigenartig, und in anderer Weise entwickelt hat, als die übrigen Teile des russischen Reiches, bietet es für den Forscher an sich ein großes Interesse dar**). Ein Umstand liegt uns indes noch näher und ist nicht weniger merkwürdig: das ist die Handelsverbindung, in welcher es mit den deutschen Kaufleuten stand.

Auf den ersten Blick erscheint es unverständlich, dass grade Nowgorod in eine solche Verbindung treten konnte, denn es liegt nicht nur nicht am Meer, sondern an einem Flusse, der in einen Binnensee mündet. Gleichwohl findet man hierfür eine genügende Erklärung.

Die zahlreichen alten Handelstraßen***), auf denen Phönizier, Etrusker, Griechen und Römer nach Norden gezogen waren, hauptsächlich um des Bernsteins willen, und die teils durch das heutige Deutschland, teils durch Polen und Südrussland führten, waren durch die Völkerwanderung verwischt und vergessen. Aber der durch sie eingeleitete Verkehr ward nicht eingestellt, sondern von anderen Völkerschaften zum Teil auch auf anderen Wegen fortgesetzt. Es gab nun eigentlich nur zwei Wege, welche die Verbindung zwischen Norden und Süden herstellten. — Der eine führte um Europa herum durch die Straße von Gibraltar und den Kanal****); der andere durch das heutige Russland auf dessen wasserreichen Strömen 5). Der letztere ist für uns von Bedeutung. Dank den Mitteilungen der alten russischen Annalen kennen wir ihn genauer. Es steht danach fest, dass dieser Weg, welchen die Russen „die große Wasserstraße“ nannten, aus folgenden Gliedern bestand: Finnische Meerbusen — Newa — Ladogasee — Wolchow — Ilmensee — Lowatj — Dnjepr — schwarzes Meer. Die Verbindung zwischen Lowatj und Dnjepr wurde dadurch hergestellt, dass die Schiffe, auf Rollen gesetzt, von dem einen Flusse zum anderen gerollt wurden 6). — Neben dieser Straße gab es noch diejenige durch die Düna 7), welche sich aber weiterhin mit der ersteren vereinigte, und da sie weniger benutzt worden zu sein scheint, auch geringere Bedeutung, zumal für uns, besitzt. War nun aber die erst genannte eine häufig befahrene und ist sie bereits in jenen Zeiten d. h. im IX. Jahrhundert benutzt worden, so leuchtet es ein, dass die Reisenden auf derselben mit Nowgorod am Wolchow in Berührung kommen, in Verbindung treten konnten.

*) Schiemann, Russland, Polen, Livland, Berlin, 1885. Bd. I, S 181. Wegen der einstigen Einwohnerzahl vergl. Belocha Lehrbuch der Geographie des russischen Reichs (russisch) S. 102.

**) Vergl. den Vortrag S. Kostomarows, Über die Bedeutung Groß-Nowgorods, in seinen historischen Monographien Bd. I, S. 326 ff. K. erblickt die Eigentümlichkeit Nowgorods darin, dass es besser als ein anderes, den Charakter des russischen sog. Teilstaates ausgebildet habe.

****) Vergl. v. Sadowsky, Die Handelsstraßen der Griechen und Römer. Aus dem Polnischen v. A. Kohn. Jena 1877. Waldmann, Felliner Gymnasialprogramm 1885.

4) Dieser Weg war schon von den Phöniziern benutzt worden.

5) Sadowsky erwähnt diesen Weg nicht; er war den Griechen und Römern also noch unbekannt. Wahrscheinlich ist er erst nach der Völkerwanderung und zwar durch die Araber in Aufnahme gekommen. Dass sie diesen Weg gekannt und befahren haben, geht aus den Funden arabischer Münzen hervor, die an verschiedenen Stellen gemacht sind. Ob sie aber als erste ihn befahren haben, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.

6) Vollständige Sammlung russischer Annalen. Bd. I. St. Ptbg. 1846. S. 3.

7) s. Herrmann, Beiträge zur Geschichte des russischen Reiches. Leipzig 1843. S. 10. V. S. R. A. 1. c.

Nowgorod in der Mitte des 17. Jahrhunderts

Nowgorod in der Mitte des 17. Jahrhunderts

Russicher Bauer in Wintertracht

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An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

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Brennholztransport auf dem Ladoga-See. Im Hintergrund die Festung Schlüsselburg.

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Eine Großrussin

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