Abschnitt 1

Friedericke Krüger - Teil 2


Als der große Völkerbeglücker im Tilsiter Frieden dem Könige von Preußen vorschrieb, ein stehendes Heer von nicht mehr als 40,000 Mann zu halten, wußte er nicht, welch einen unermeßlichen Dienst er den Preußen, welchen Schaden er sich selbst that. Er lehrte sie damit, daß die Kriegskraft eines Volkes nicht auf der Größe eines das Land unerträglich wie der Feind belastenden und bedrohenden Friedensheeres beruhe, Sondern aus der Wehrhaftigkeit und Kriegsbereitschaft der ganzen waffenfähigen Mannschaft, und in ihren Krümpern, Reserven, Landwehren, sowie im Landsturm haben sie ihrem Lehrmeister gezeigt, „ que ces bêtes ont appris quelque chose“, wie dieser bekannte, als der listige Blücher ihn, „den klügsten aller Sterblichen“, einst in der Lausitz arg foppte und bei der Nase herumführte. Aus den tüchtigsten Bestandtheilen der alten Regimenter, deren Zahl Legion war, schuf Scharnhorst, der unsterbliche Gründer des neuen, volksthümlichen Heeres, ein Rathgeber der Könige, wie selten einer, zwölf Regimenter Linien-Fußvolk, die nach den fünf, dem Könige gebliebenen Provinzen genannt und größtentheils aus Landeskindern derselben genommen wurden. Das Werbesystem hatte aufgehört. – Aus den sieben Bataillonen der Colberger Besatzung. welche die Bluttaufe am Wolfsberge, in der Maikuhle, an der Münde und rings im weiten Kreise um die Persante, (denn


Bei Colberg gab es flinken Tanz
Um Wall und Graben. Mau'r und Schanz“,)

gegen einen vielfach überlegenen Feind glorreich bestanden hatte, so heldenherrlich, wie Leonidas und seine Spartaner bei Thermopylä – nur daß die Schulen nichts davon wissen und der deutschen Jugend lieber griechische und römische, als deutsche Heldenthaten erzählen – wurden zwei Regimenter gebildet, das „Leibregiment“ (hernach Nr. 8), das jetzt bei Düppel seines Namens würdig gefochten und bewiesen hat. daß der Väter Krast und Ehre noch in ihm lebt. und das „Regiment Colberg“, das „zweite pommersche“ (hernach Nr. 9). Von diesem letzteren mußte das erste Bataillon den Feldzug in Rußland mitmachen, die übrigen beiden nebst den Grenadieren blieben unter dem Befehl des Generals von Borstell in Pommern, von wo sie, mit jenem wieder vereinigt, nach Berlin zogen, um am 17. März, dem Tage der Errichtung der Landwehr, unter unbeschreiblichem Jubel der Einwohner ihren Einzug in die befreite Hauptstadt zu halten. Nachdem das Regiment an allen Kämpfen im April und Mai Antheil gehabt hatte, wurde zu Anfang des Waffenstillstandes das erste Bataillon von ihm genommen, um einen Theil des neu errichteten zweiten Garde-Regimentes zu bilden, und die Lücke wurde durch ein schon im Februar 1813 zu Wollin errichtetes Reserve-Bataillon ausgefüllt. Nach dieser Neubildung hat das Regiment bis zu Ende des Feldzuges von 1815 keine wesentliche Veränderung mehr erfahren, nur daß 1814 die Benennung nach der Provinz in den Hintergrund trat und dasselbe, als die sämmtlichen alten und neugebildeten Regimenter von 1–30 gezählt wurden, die Zahl 9 erhielt. In das eben genannte Reserve-Bataillon nun ist, wie schon erwähnt, Friederike Krüger – etwa im Anfang März – eingetreten; schon bald hernach wird ihrer Erwähnung gethan. Ihr Bataillon wurde nämlich sofort nach der Kriegserklärung zur Einschließung der von den Franzosen besetzten Festung Stettin verwendet, wo es am rechten Oderufer in mehreren hartnäckigen Gefechten sein pommersches Blut bewährte, indem es die Feinde in die Festung hineintrieb. Da heißt es denn in der „Geschichte des 9. Regiments vom Major von Bagenski“ (Colberg bei Post 1842) auf S. 133: „Bei dem Angriffe auf den Kespersteig trat Auguste Krüger, deren später ausführlicher erwähnt werden wird, zuerst als Freiwillige auf den Kampfplatz.“ In diesem Gefechte hat, nach dem Zeugnisse ihrer Kameraden, ihr Hauptmann zur Vertreibung eines feindlichen, ihm sehr lästigen Postens aus einer festen Stellung Freiwillige vorgerufen, unter welchen denn auch sofort Friederike Krüger aufgetreten ist; die übrigen haben über den kleinen unbärtigen Rekruten mit der Knabenstimme gelächelt und gespottet, sie aber hat mehr Entschlossenheit und Besonnenheit entwickelt, als jene, hat, als mehrere von ihnen von feindlichen Kugeln getroffen sind und die übrigen gestutzt haben, diese durch ihren Zuruf ermuntert und beschämt, ist kühn vorangegangen, hat mit ihnen die Feinde überwältigt, sie theils getödtet, theils gefangen genommen. Beim Vorgehen hat sie den dem weiblichen Geschlechte bei heftigen Gemüthsbewegungen eigenthümlichen jauchzenden Ruf oder Schrei ausgestoßen, wodurch aufmerksame Kameraden über das Geschlecht des jugendlichen Helden Verdacht zu schöpfen angefangen haben. Jedoch blieb dasselbe bis zur Schlacht von Dennewitz, wo sie es wegen mehrerer dort erhaltener Wunden nicht länger verheimlichen konnte, dem Regimente verborgen. Gewiß ist dagegen, daß die höhern Offiziere gleich zu Anfange darum wußten, denn der General von Borstell sagt in einem ihr unter dem 1. Dezember 1815 zu Magdeburg ausgestellten Zeugnisse ausdrücklich, daß er ihr anfangs die Aufnahme verweigert und nur auf ihr dringendes Bitten gestattet habe und gegen die Verpflichtung, sich stets ehrenhaft und sittsam zu betragen. Es ist sehr zu beklagen, daß die Bataillons- und Regimentsberichte aus jener Zeit, die man gewiß noch jetzt aufbewahrt, wie denn Bagensky ohne Zweifel auch aus ihnen geschöpft hat, meistens so trocken und mager sind und die einzelnen Züge von Muth und Geistesgegenwart, welche einem solchen Bilde erst rechtes Leben geben, gewöhnlich übergehen. Das ist aber die nothwendige Folge der mangelhaften geschichtlichen Bildung der Verfasser, die in der Regel besser mit dem Schwerte als mit der Feder zu schreiben verstehen, und die Homere sind seltner als die Söhne der Thetis, des Tydeus und des Telamon.

Von den besondern Erlebnissen unsrer Heldin in der Schlacht bei Groß-Beeren am 23. August kann ich aus diesen Gründen auch weiter nichts berichten; gewiß aber ist, daß sie im dichtesten Getümmel dieser Kolben- und Bajonnetschlacht, in der wegen des unaufhörlichen Regens nichts von Karls XII. „Feldmusik“, zu welcher er das Gezische der Flintenkugeln bei seiner Landung auf Seeland ernannte, sondern nur Kanonendonner und Männerstimmen gehört wurden, mitgefochten hat, denn ihr Regiment hatte den wesentlichsten Antheil am Siege, und sie war, seit ihm das Reserve-Bataillon einverleibt war, der ersten Compagnie (diese zählen von 1 bis 12, je vier zu einem Bataillon), der des Hauptmanns von Roell zugetheilt. Das Regiment stand in der vordersten Linie der Brigade von Krafft, 300 Schritte hinter der Linie des Geschützes, welches schon vor fünfzig Jahren, noch ehe der in den Preußen lebende Geist des Fortschrittes und der Vervollkommnung diese Waffe zur ersten der ganzen Erde gemacht hat, dem Feinde weit überlegen war. Als ihre vierundsechzig Kanonen mit Erfolg gedonnert hatten, eilten die Colberger, wetteifernd mit den übrigen Regimentern der Brigade, wie die beiden Ajaxe unter einander vor Troja, des Feindes starkes Kartätschenfeuer nicht achtend, vorwärts, trieben die Sachsen, welche ein düsteres Verhängniß, der Fluch der Zerrissenheit unseres von Gott durch Stammverwandtschaft und Sprache zur Einheit berufenen deutschen Vaterlandes, zwang, hier gegen ihre deutschen Brüder für den Erbfeind zu kämpfen, durch das brennende Dorf, dessen Gluth kaum zu ertragen war, dessen Rauch die Kämpfenden zu ersticken drohte. Jenseits des Dorfes hielten die Sachsen und einige französische Schlachthaufen tapfer Stand, aber die pommerschen Bajonnete und Kolben wütheten so furchtbar, daß ganze Massen ihnen erlagen, und nur wenige Trümmer entkamen unter dem Schutze der Dunkelheit in einen nahen Wald, der ihren ferneren Rückzug deckte. Nach der Eroberung des Dorfes sah der mit der ersten Compagnie zur Deckung der Flanke rechts aufgestellte Hauptmann von Roell 200 Schritte vor sich eine feindliche Batterie. Mit Blitzesschnelle gings drauf ein Hurrah, und zwei Kanonen waren genommen; die übrigen retteten sich durch die Flucht. Darauf wandte sich Roell gegen eine feindliche Colonne, welche zum Schutze der Batterie herbeigeeilt war, griff sie von andern Abtheilungen unterstützt, an, warf sie und machte mehrere hundert Gefangene. Es leidet keinen Zweifel, daß unsere Friederike, die nach dem Zeugnisse ihrer Kameraden überall durch ihren kecken Muth hervorleuchtete und sich durch ihre Gewandtheit, Raschheit und Umsicht besonders zum Tirailleurdienst eignete, an allen diesen Thaten Theilnehmerin gewesen ist, und wir bedauern nur, daß sie kein Tagebuch geführt hat; aber sie hatte nicht so viel gelernt, wie Eleonore Prochaska, und hat nicht das Glück gehabt, in den nachfolgenden Friedensjahren, wo wegen der noch frischen Erinnerung der rechte Zeitpunkt gewesen wäre, einen Geschichtschreiber ihrer Erlebnisse zu finden, wie Nettelbek am Superintendenten Haken fand.