Abschnitt 3

Friedericke Krüger - Teil 1


Ihr Vater, ein hiesiger Ackerbürger, d. h. ein Bürger, der sich im Besitz eines eignen Häuschens mit engem Hofe und Stallraume ausschließlich von der Bebauung eines Stückchens, gewöhnlich von der Kirche oder dem Hospitale gepachteten Ackers, womit eine geringe. wenig einträgliche Viehzucht verbunden ist, trotz der geringen Pacht mühsam und dürftig – weil bis auf diesen Tag in den Fesseln einer drückenden, verderblichen, den Fleiß und Schweiß des Ackerers verspottenden und darum allen Aufschwung hemmenden Commune-Dreifelder-Wirthschaft – ernährt, konnte seiner Tochter nur eine, den beschränkten Verhältnissen und Begriffen dieser Leute angemessene Bildung geben, d. h. sie besuchte (gleichzeitig mit ihrem Altersgenossen Adolf Brunn) eine Leseschule und hat hernach, in reiferen Jahren durch eigenen Eifer und rastlose Ausdauer in arbeitsfreien Abendstunden schreiben gelernt. „Wie? wurde denn das nicht gleich in der Elementarschule gelehrt?“ Ja wohl, aber nur nach Belieben der Kinder oder deren Eltern, denn wer sich diese Kunst aneignen wollte, mußte außer dem wöchentlichen Groschen für das Lesenlernen noch einen zweiten für die Schreibstunde zahlen, und der war Vielen unerschwinglich, schien auch ganz überflüssig. denn was sollte eine künftige Bürger- oder Arbeitsfrau mit dem Schreiben? Genügte doch bei Vollziehung eines Kontraktes oder einer Ouittung die Unterzeichnung durch drei Kreuze! Von andern Bildungsmitteln, als Erdkunde, Weltgeschichte, Naturkunde u. s . w. war begreiflich in diesen Schulen gar nicht die Rede. Mußte man doch schon zufrieden sein, wenn die Lehrer nur selbst fertig lesen konnten, was nicht immer der Fall war, wie denn Küster Oldenburg seligen Andenkens zu Schönberg im Fürstenthum Ratzeburg zu den Kindern, wenn ein schwerer zu buchstabirendes Wort kam, jedesmal sagte: „hüpp öwer“ (hüpfe drüber weg)! – Nach ihrer Konfirmation, zu der man die Kinder durch das nothdürftige Auswendiglernen des kleinen Lutherschen Katechismus für genügend vorbereitet erachtete, ist sie im elterlichen Hause zu einer stattlichen Jungfrau von vollem, kräftigem Körperbau herangereist; ihre Gesichtsbildung war zwar nicht schön, aber doch nach Brunns und Anderer Mittheilung regelmäßig und angenehm; aus den dunkelblauen Augen blitzten Klugheit und Muth. Ihre Größe war unbeträchtlich; neben Eleonore Prochaska, deren Platz nahe am rechten Flügel der ersten Lützowschen Jäger-Compagnie war, hätte sie nicht stehen können; kaum war sie im zweiten Gliede zum Hintermann derselben groß genug. Vom l8. Lebensjahre an hat sie in angesehenen Häusern der Stadt gedient und als Zweiundzwanzigjährige nach dem Tode ihrer Mutter ein Jahr hindurch der Wirthschaft im väterlichen Hause vorgestanden, worauf sie im Spätherbste 18l2 vom Vater nach Anklam geschickt wurde, um das Verfertigen weiblicher Kleidungsstücke zu erlernen. Auf diesen Umstand spielt Rückert an, wo es in seinem Gedichte heißt:


,,Weils die Schneiderei verstand,
Macht' es sich ein Mannsgewand,
Zog als Mann zu Felde.“

Als nun die Zertrümmerung des französtschen Heeres in Rußland das Zeichen der Erhebung Deutschlands wurde, und eine weder je vorher, noch – bis heute – nachher gesehene Begeisterung, ein heiliger Wille, die Dränger zu verdrängen, das ganze Volk ergriff; als in unserem Ländchen (Meklenburg-Strelitz) allein über tausend Jünglinge im Drange ihres Gefühls – die wenigsten konnten ihren Namen schreiben – sich zu freiwilligem Kriegsdienste meldeten, viele andere Meklenburger von den Hochschulen Berlin, Jena, Halle, Göttingen und Heidelberg (,,die Heldenschauen des Alterthums sollen nicht vergeblich an uns vorübergegangen sein, die Wissenschaft gedeiht nur in der Freiheit!“ mit solchen Worten ermunterten sie einander) sich zum preußischen Heere nach Breslau begaben: da gerieth auch über unsere Friederike Krüger der Geist des Herrn, sie faßte den kühnen Entschluß, in den Reihen der Männer für die Befreiung des Vaterlandes mitzukämpfen. Sie hatte die Zeit der tiefsten Erniedrigung und Schmach, als das siegreiche Heer des Völkerbeglückers nach Zertrümmerung der preußischen Macht raubend und plündernd Norddeutschland durchzog, schon mit Bewußtsein erlebt, war Zeuge von dem Uebermuthe und der Gewaltthätigkeit gewesen, womit diese Räuberbanden wie überall, so auch in ihrer Vaterstadt den wehrlosen Bürger mißhandelten, als sie auf der Verfolgung Blüchers auch durch das am Kriege unbetheiligte Meklenburg zogen, und ein tiefer Ingrimm gegen die Fremden hatte in ihrem Herzen Wurzel gefaßt. Wohl mußte sie sich sagen, welch ein Opfer sie brächte, wenn sie, ein schwaches Mädchen, in den Reihen des stärkeren Geschlechts sich allen Mühen, Anstrengungen und Entbehrungen des Kriegslebens, allen Unbilden der Witterung auf dem Marsche und im Bivouac, allen Wechselfällen des Kampfes aussetzte, und alles das bei steter Gefahr, daß ihr Geschlecht verrathen und sie ein Gegenstand des rohen Spottes werden könnte. Dennoch wankte sie nicht in ihrem Entschlusse. Ueber die Ausführung desselben erzählt sie selbst Folgendes:

„Mein Vater hatte mich in die Familie des Polizei- Commissairs Lemcke zu Anklam gegeben, um mich in der Schneiderei ausbilden zu lassen. Eines Tages kam Herr Lemcke zu Hause mit der Nachricht, daß Rekrutirung angeordnet und ein Aufruf vom Könige (3. Februar 1813) erlassen sei. Mein Entschluß war schon längst reif, mitzuwirken, wenn der Tag käme, an dem die Fremdlinge vertrieben werden sollten. So wurde er denn zur That. Ich überlegte, wie ich es anzufangen hätte, ohne Aufsehen das Haus zu verlassen und zu den einberufenen Beurlaubten und den Rekruten, die sich Schaarenweise sammelten, zu kommen. Als die Frau Lemcke mich zufällig bei dem Anfertigen männlicher Kleidungsstücke traf, gab ich vor, daß ich diese meinem jüngern Bruder, der meine Größe habe schenken wolle. Als ich alles vorbereitet hatte, schnitt ich mir mein langes Haar ab, verließ in männlicher Kleidung unter Zurücklassung meiner übrigen Habseligkeiten in der Dunkelheit der Nacht das Lemckesche Haus und ging nach Jasenitz, einem großen Dorfe an der Mündung der Oder in das Haff, wo sich die Einberufenen sammelten. Hier gab ich mich für einen Schneider aus, wurde angenommen und zum Reserve-Bataillon des Colbergschen Regimentes nach Wollin geschickt, wo ich einexercirt wurde.“

– Bagenski (S. 203) ergänzt, daß sie unter dem angenommenen Namen Lübek eingetreten sei, den sie aber bald hernach mit ihrem rechten Namen vertauscht haben muß. Ob sie mit oder ohne Vorwissen ihres Vaters, der längst todt ist, fortgegangen, kann ich nicht ermitteln; jedoch hat das Letztere mehr Wahrscheinlichkeit. Weshalb sie aber gerade das Colbergsche Regiment, jetzt Nr. 9, wählte, ob sie vielleicht in Anklam Mitglieder desselben hat kennen gelernt, durch die sie von der ausgezeichneten Tüchtigkeit und den tapfern Thaten desselben „auf Colbergs grüner Au“ unterrichtet worden ist, oder ob ihr guter Stern sie zu dieser Heldenschaar geführt hat, auch darüber liegt mir nichts Urkundliches vor. Es war aber diese Wahl für ihre dreijährige Kriegerlaufbahn von der größten Bedeutung, denn grade dieses Regiment hatte das Glück, fast an allen großen Tagen jener Feldzüge Theil zu nehmen, und hat seinem Namen überall Ehre gemacht. Der Heldenjungfrau aber war damit Gelegenheit gegeben, die in ihr wohnende Thatkraft zu entwickeln. Wie anders wäre es gekommen, wäre sie einem der vielen Bataillone zugetheilt worden, die zur Einschließung der von den Feinden besetzten Festungen oder zur Beobachtung des Feindes benutzt wurden und von denen manche nicht einmal einen Schuß gethan haben!