Mainz

Ich kann es wohl als ausgemacht voraussetzen, dass die katholischen Universitäten Deutschlands im ganzen in Ansehung ihrer Einrichtung und ihres Geistes weit hinter den Protestantischen stehen. Indessen hat man in neueren Zeiten auf mehreren katholischen Universitäten das Zurückbleiben selbst gefühlt, und daher mit Ernst an Verbesserungen gedacht. Bei keiner katholischen Universität hat man neuerlich mit mehr Eifer und glücklicherem Erfolg an eine solche Verbesserung gedacht, als in Mainz. 1) Da mich meine Reise auf die protestantischen Universitäten ohnehin in die Nähe von Mainz führte, so hielt ich es allerdings der Mühe sehr wert, diese durch den gegenwärtigen Kurfürsten gewissermaßen neu gestiftete Universität in der Nähe kennen zu lernen, und obgleich das Resultat meiner Beobachtungen dahin ausfiel, dass man in öffentlichen Schriften vielleicht etwas zu geräuschvoll und enthusiastisch von der gegenwärtigen Einrichtung dieser Universität geredet, so muss ich doch auch auf der andern Seite gestehen, dass die Verfassung dieser Universität viel vortreffliches und selbst für protestantische Universitäten nachahmungswürdiges enthält, und dass sie sich vor allen andern katholischen Universitäten ungemein vortheilhaft auszeichnet. Der finstre, mönchische Geist, der auf andern katholischen Universitäten herrscht, zeigt sich hier ungleich seltener. Selbst die theologische Fakultät hat mehrere Mitglieder, die nicht nur durch gelehrte Kenntnisse, sondern auch durch helle Einsichten und freimütigen Untersuchungsgeist der Universität und der Regierung Ehre machen. Besonders aber hat die philosophische Fakultät mehrere vortreffliche Dozenten, die das Joch der scholastischen Mönchsphilosophie mutig abgeschüttelt und im hellen, deutlichen, freimütigen Vortrag der philosophischen Wahrheiten mit jedem Protestantischen Professor wetteifern. Die Aufhebung einiger Klöster hat zur Verbesserung der Universität einen sehr beträchtlichen Fonds verschafft. Man klagt nur, dass man bei Verwendung desselben zu rasch und einseitig verfahren, so dass es jetzt zur Bewirkung mancher zweckmäßigen Verbesserung an Fonds fehlt.

1) K. G. Bockenheimer. Die Restauration der Mainzer Hochschule im Jahre 1784. Mainz 1884. Da Gedike von Mainz bis Mannheim zwei Reisetage brauchte (s. S 49 A. 2.), wird er von Gießen nach Mainz nicht rascher gereist sein, so dass er etwa am 2. Juli abends in Mainz ankam, um am 4. Juli nach Darmstadt weiterzureisen.


Besonders fehlt es noch an einer recht zweckmäßigen Bibliothek. Die alte Universitätsbibliothek ist reich an alten katholischen Werken, desto ärmer aber an neuern Schriften. Es ist zwar damit die Jesuiterbibliothek und die Bibliothek des zum Besten der Universität aufgehobenen Karthäuserklosters vereinigt, aber auch diese beiden Bibliotheken sind in Rücksicht der neueren Fortschritte in den Wissenschaften zu arm. Überdies aber ist noch jede dieser Bibliotheken getrennt, und jede steht an einem andern Ort, ohne Ordnung, so dass der öffentliche Gebrauch sehr erschwert wird.

Nach der gegenwärtigen Einrichtung hat die Universität eine sehr große, und wirklich zu große Anzahl von Professoren. Sie sind in sechs Fakultäten verteilt, und jeder Professor ist auf irgend ein besonderes Fach vorzüglich angewiesen und zu gewissen Kollegien namentlich verpflichtet, obwohl es ihm freisteht, auch außer diesen pflichtmäßigen Kollegien zu lesen, wozu er sonst noch Talent und Neigung hat.

Die sechs Fakultäten sind folgende:

1) die theologische Fakultät besteht aus 12 Professoren, unter denen mehrere Ordensgeistliche.
2) die juristische Fakultät hat 13 Lehrer.
3) die medizinische Fakultät hat 7 Professoren.
4) die philosophischmathematische Fakultät hat 10 Dozenten.
5) die historisch-statistische Fakultät hat 4 Lehrer.
6) die kameralistische Fakultät hat 6 Dozenten.

Die Professores rangieren übrigens nicht nach den Fakultäten, sondern nach der Anciennelät, ohne Rücksicht auf die Fakultät.

Es würde unzweckmäßig sein, mich in eine detaillierte Beurteilung einzelner Professoren einzulassen. Die meisten sind natürlich katholisch. Aber es macht der Denkungsart der Mainzer Regierung viel Ehre, dass man seit dem Anfang der Restauration der Universität kein Bedenken getragen, auch protestantische Professoren anzustellen, jetzt ist, soviel ich erfahren konnte, der Hofrath Soemmering 1) der einzige Protestantische Professor, seitdem die Professoren Diez 2) und Pfeifer 3) gestorben.

1) Samuel Thomas Sömmering 1755-1830, berühmter Anatom, ging 1797 als praktischer Arzt nach Frankfurt, wo er starb, nachdem er 1805-1820 in München als Akademiemitglied gewirkt hatte.

2) Johann Andreas Dietze 1729-1785, seit 1784 Oberbibliothekar, las über Geschichte der Universalliteratur; seine Nachfolger an der Bibliothek wurden J. v. Müller und G. Forster.

3) Johann Friedrich von Pfeiffer 1718-1787, Kameralist.


Den Hofrath Soemmering, der als einer der vorzüglichsten Anatomen bekannt ist, hätte ich sehr gern gehört. Aber er las gerade nicht Indessen schließe ich aus seiner Konversation, dass er einen sehr lebhaften Vortrag haben muss. Nur spricht er zu schnell. Es mag übrigens wenig Anatomen geben, die mit einem so unermüdeten Fleiß an der Erweiterung und Berichtigung ihrer Wissenschaft arbeiten. Es ist zum Erstaunen, was für eine große Menge von Kadavern er jährlich bearbeitet. Er hat einen sehr großen Vorrat von anatomischen Präparaten, die er alle selbst mit unglaublichem Fleiß gearbeitet, und die alle in ihrer Art sehr instruktiv sind. Er erklärte mir mehrere derselben sehr deutlich und fasslich, woraus ich ebenfalls für seinen Vortrag ein gutes Vorurteil fasste.

Mehrere katholische Professoren verdienen als Dozenten sehr gerühmt zu werden, z. B. der Prof. Vogt, 1) der Prof. Dorsch 2) und mehrere andre.

Die Professoren lesen alle in öffentlichen Auditorien. Jeder ist verpflichtet, fünfmal in der Woche täglich 2 Stunden zu lesen.

Alle philosophische und theologische Kollegia werden gratis gelesen. Für die juristischen, medizinischen und kameralistischen wird ein Dukaten bezahlt. Adlige bezahlen das Doppelte. Der Anfang der Kollegien ist genau festgesetzt auf den Anfang des November und des Mai.

Die Wahl und Ordnung der Kollegien hängt nicht von den Studenten ab, sondern sie müssen sich nach dem vorgeschriebenen Kursus richten. Alle müssen zuerst den philosophischen Kursus machen, der auf drei Jahre verteilt ist. Alsdann erst fängt der Kursus bei den höhern Fakultäten an, der bei jeder auf vier Jahre verteilt ist, so dass also ein Mainzischer Student eigentlich 7 Jahre studieren muss. Es versteht sich jedoch, dass nur die Landeskinder an diese vorgeschriebenen Kurse gebunden sind. Und auch bei diesen fallen öfter Dispensationen vor.

Die abwesenden Studiosi werden bei jedem Kollegium aufgezeichnet, und daraus monatliche Tabellen formiert, um den Fleiß der Studenten zu kontrollieren. Alle Vierteljahr muss jeder Professor von allen seinen Zuhörern eine beurteilende Klassifikation machen, woraus nachher eine allgemeine Tabelle angefertigt wird. Auf die Examinatoria wird mehr als auf andern Universitäten gehalten. Überdies werden die Studenten am Ende jedes Kurses examiniert.

1) Johann Heinrich Vogt 1749—1789 (†23. Nov.), Professor der praktischen Philosophie. Bockenheimer a. a. O. 37.

2) Anton Joseph Dorsch 1758-1819, Professor der Logik und Metaphysik, ging 1790 nach Straßburg an die katholische Akademie, spielte in der Mainzer Revolution eine Rolle. Über seine späteren Schicksale in französischen Diensten vgl. Allg. deutsche Biographie V, 362 und Bockenheimer 37.


Wenn ein Professor dreißig Jahr als Professor gedient hat, kann er seine Stelle mit Beibehaltung seines ganzen Gehalts niederlegen, und wird ihm alsdann eine Stelle in irgend einem der Kurfürstl. Dikasterien angewiesen.

Es werden von Zeit zu Zeit mehrere Professoren auf Reisen geschickt, um fremde Universitäten und Anstalten kennen zu lernen, und sich mit den auswärtigen Erweiterungen ihrer Wissenschaft bekannt zu machen. Die Reisekosten werden aus dem Universitätsfonds vergütet.

Das Rektorat ist hier nicht beständig alternirend, obwohl es auch nicht immerwährend ist. Der jedesmalige Rektor behält sein Rektorat auf vier Jahre. Alsdann schlägt die Universität einige andere vor, aus denen der Kurfürst entweder einen ernennt, oder auch den bisherigen Rektor aufs neue bestätigt. Bisher hat die Universität seit ihrer Restauration nur erst einen Rektor gehabt.

Das Corpus der Universität zerteilt sich zu mancherlei Zwecken und Geschäften in mehrere kleinere Corpora, obwohl sich auch von Zeit zu Zeit das ganze Concilium versammelt.

Der Rektor mit den Dekanen und Senioren jeder Fakultät machen einen beständigen politischen Senat aus, um die dringenden Geschäfte, die das Ganze der Universität betreffen, abzutun. Die Justizversammlung besteht aus dem Dekan und den zwei jüngsten Mitgliedern der Juristenfakultät.

Das Dekanat altemirt nicht wie auf den Protestantischen Universitäten. Es wird auf drei Jahr verliehen, nach deren Ablauf der Kurfürst entweder den bisherigen Dekan aufs neue bestätigt oder aus den zwei andern ihm von der jedesmaligen Fakultät präsentierten Professoren einen dazu ernennt. Mit dem Dekanat ist eine besondere Besoldung von 100 Gulden verknüpft.

Ich habe indessen nicht nötig, mich in eine ausführliche Beschreibung der gesammten Verfassung dieser Universität einzulassen, da dieselbe am zuverlässigsten und genauesten aus der von der Regierung im Druck herausgegebenen: Neuen Verfassung der verbesserten hohen Schule zu Mainz 1) erhellt, welches Buch ich daher beilege. Man sieht daraus, dass diese Universität in der Tat viele gute Einrichtungen hat, von denen manche mit den nöthigen Modifikationen gewiss auch auf Protestantischen Universitäten nicht ohne Nutzen würden nachgeahmt werden können. Noch lege ich den Lektionskatalogus bei. Die Zahl der Studenten in Mainz geht nicht über dreihundert. Ihr Betragen ist zuweilen etwas roh.

1) Erschienen 1784, verfasst von dem neuen Kurator von Mainz und Erfurt Freiherrn Anselm Franz von Benzel († 1786).



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser