Gießen

Diese Universität zeichnet sich von keiner Seite aus und gehört zu den weniger bedeutenden Universitäten. Sie hat einen sichern, aber schwachen Fonds. Daher sind die Besoldungen größtenteils sehr gering. Selbst der Kanzler Koch hat höchstens 1.200 Gulden. Der Geheime Regierungsrat Hezel hat trotz seines Titels nicht mehr als 500 Gulden. Der Regierungsrat Crome hat 800 Gulden, und dis wird hier als ein sehr großes Gehalt angesehen. Denn viele Professoren haben nur 300 Gulden und weniger. Der Hof hat bis jetzt den alten Fonds wenig oder gar nicht vermehrt. Die Hauptermunterung, die er den Professoren erteilt, sind Titel. Die Titel Geheimer Rath und Regierungsrat sind hier unter den Professoren sehr gewöhnlich, und leicht zu erhalten.

1) Gedikes Aufenthalt in Gießen fällt vermutlich auf den 30. Juni.


Die Kollegia tragen bei der nur kleinen Zahl der Studenten und dem geringen Honorarium nur wenig ein. Gewöhnlich werden für das Kollegium soviel Gulden bezahlt, als es Stunden wöchentlich gelesen wird, also 4 bis 6 Gulden. Die philosophische Fakultät liest fast ganz umsonst, um nur Zuhörer zu bekommen. Doch hat die juristische Fakultät eine gute Revenue von ihren praktischen Arbeiten. Denn es werden hier sehr viele Akten von den vielen Reichsständen des Oberrheinischen und Kurrheinischen Kreises hergesandt.

Die Zahl der Studenten beläuft sich auf 150-160. Darunter sind zwischen 70 und 80 Theologen, ungefähr eben so viel Juristen, und gewiss nicht 1 Mediziner. Überhaupt ist die medizinische Fakultät am schlechtesten besetzt und versorgt. Auch tut ihr das nahe Marburg durch Baldingers großen Ruf viel Abbruch.

Die Professoren sagen selbst, dass ein Student hier nicht gut ausstudieren könne. Die gebornen Darmstädter sind zwar verpflichtet, einige Zeit in Gießen zu studieren; wer aber nur einiges Vermögen hat; besucht noch irgend eine andre Universität Die Bibliothek ist höchst unbedeutend und hat fast gar keinen Fonds.

Öffentliche Institute hat diese Universität gar nicht, aber schöne öffentliche Auditoria. Jede Fakultät hat ihr eignes. In jedem hängen die Bildnisse aller Professoren jeder Fakultät von der Stiftung an.

Das Fach der Philologie liegt hier ganz. Auch für die Philosophie hat die Universität keinen Lehrer von Bedeutung.

Bei der theologischen Fakultät ist der Prof. Schulz 1) der einzige, an dem eine andere Universität eine gute Akquisition machen könnte. Sein Vortrag ist munter und lebhaft. Auch als Prediger wird er gerühmt. Er ist zugleich Superintendent. Als Professor hat er nur 500 Gulden Besoldung, aber von seinen andern Bedienungen noch an tausend Gulden.

Bei der Juristen Fakultät kommen bloß der Kanzler Koch 2) und der Professor Jaup 3) in Betrachtung. Der erstere ist als Kriminalist berühmt. Ich hörte ihn in diesem seinem Hauptfach. Obgleich er schon ziemlich alt ist, so ist sein Vortrag doch noch sehr lebhaft und munter, doch eben nicht fein. Seine Exempel (er hatte gerade das Kapitel de injuriis) waren selten recht passend und belehrend.

Besser gefiel mir der Professor Jaup, der als Schriftsteller nicht eben bekannt ist, im jure germanico. Er liest auch das jus publicum mit Beifall. Auf das römische Recht lässt er sich bis jetzt nicht ein, um die Kollision mit dem Kanzler Koch zu vermeiden. Sein Vortrag ist zwar nicht sehr lebhaft, aber nicht unangenehm, vielmehr sehr fließend, deutlich und gründlich. Professoren und Studenten vereinigen sich in seinem Lobe.

Von der medizinischen Fakultät hörte ich keinen Dozenten, weil mir mehrere der Professoren versicherten, dass kein einziger von denselben etwas vorzügliches habe.

Die philosophische Fakultät hat vor kurzem eine gute Akquisition an dem Regierungsrat Crome 4) gemacht, der als statistischer und geographischer Schriftsteller bekannt ist. Er soll hier aber vorzüglich kameralistische Kollegia lesen, in welches Fach er sich hier erst hineinstudieren mußte. Ich hörte ihn in der allgemeinen Geographie. Sein Vortrag ist ziemlich lebhaft, aber fast zu ausgearbeitet, daher er sein Heft etwas zu sehr gebraucht Auch fällt sein Vortrag zuweilen ins rednerische und hat nicht Ruhepunkte genug für den Zuhörer.

1) Johann Christof Friedrich Schulz 1747-1806.

2) Johann Christof Koch 1732-1808.

3) Helwig Bernhard Jaup 1750-1806.

4) August Friedrich Wilhelm Crome 1753-1833. Selbstbiographie. Stuttgart 1833.


Ferner hörte ich den Geheimen Rat Hezel, 1) der als Prof. linguarum orientalium angestellt ist. Er las über die Genesis. Sein Vortrag ist nicht schlecht, aber etwas ängstlich, wie er denn überhaupt hypochondrisch ist. Hinter Eichhorns geist- und geschmackvollen Vortrag bleibt er freilich weit zurück und kann weder in Ansehung des Materiellen noch Formellen mit diesem verglichen werden. Auch überging er manche Schwierigkeiten, die wohl einer Erörterung bedurft hätten. Das Kollegium war indessen für die hiesige Frequenz ziemlich zahlreich. Denn es waren gegen 50 Zuhörer zugegen.

Der Professor Böhm 2) und der Prof. Köster 3) sind schon ziemlich bei Jahren. Der erstere, der vornehmlich mathematische Kollegia liest, wird doch gerühmt

Der Prof. und Regierungsrat Schmid 4) soll nur geringen Beifall haben. Aus seiner Konversation schloss ich, dass sein Vortrag schwerlich sehr lebhaft und geistvoll sein könne.

Die Studenten sind hier größtenteils ziemlich ordentlich. Doch ward über die Ordensverbindungen geklagt. Ich lege in den Beilagen einen Lektionskatalog und die akademischen Gesetze bei.

1) Johann Wilhelm Friedrich Hezel 1754-1824, wurde 1801 nach Dorpat berufen.

2) Andreas Böhm 1720-1790, Professor der Philosophie und Mathematik.

3) Heinrich Martin Gottfried Köster 1734-1802.

4) Christian Heinrich Schmid 1746-1800, „der Gießener Schmid“, Professor der Beredsamkeit und Dichtkunst. 1785 hatte er in einer Vorlesung über Horaz angeblich 130 Hörer.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Universitäts-Bereiser