Karl der Große zerstört auch das Bildnis der Venus Myrthia

Sachsenchronik S, 33.

An der Elbe zu Magdeburg stand ein Bildnis der Göttin Venus also gestaltet. Man sah ein nackendes Weib mit klaren lieblichen Augen, ihr gekämmtes Haar hing ihr bis auf die Knie, auf dem Haupte trug sie einen Kranz von Myrthe mit roten Rosen umflochten, in ihrem lachenden Munde hielt sie eine geschlossene Rose, auf dem Herzen hatte sie eine brennende Fackel und einen Wetterstrahl, in ihrer linken Hand die ganze Welt, geteilt durch den Himmel, Meer und Erdreich, in der rechten aber hielt sie drei güldene Äpfel und stand auf einem güldenen Wagen, den zogen zwei Schwäne und zwei weiße Tauben. Neben sich hatte sie ihre drei herrlichen Töchter, so mit den Armen in einander geschränkt waren, eine jegliche hatte der andern den Rücken zugekehrt, die vorderste reichte den hintersten beiden einen güldenen Apfel zu, und dieselben sahen auf die vorderste und überreichten ihr wiederum einen güldenen Apfel. Diese Venus war die Myrthen-Venus geheißen, weil der Myrthus ein Zeichen des Friedens und der Einigkeit ist; dass sie nackend und bloß stand, bedeutet, dass die, so sich der Buhlschaft gebrauchen, dadurch zuletzt von allem Vermögen nackt und bloß werden, die roten Rosen im Kranze aber, dass, wie die Rosen rotfarbig wären und wegen der dornigen Stacheln der Rosenbaum schwerlich ohne Beschädigung und Verletzung abgebrochen werde, also auch die fleischlichen Lüste manchen schamrot machen und einen Stachel im Gewissen derer, die sich ihnen hingeben, hinterlassen. Die geschlossene Rose im Munde war ein Symbolum der Verschwiegenheit, die Weltkugel in der linken Hand bedeutet, dass die Venus mit ihren Lüsten in aller Welt regiere, die brennende Fackel und Strahl oder Pfeil des Herzens bezeigt die innerliche Brunst, damit die Kinder der Venus entzündet und eingenommen werden, die güldenen Äpfel aber, dass man mit Gold und Gaben Liebe und Gunst kaufen und erlangen könne. Der Venus waren die Grazien, d. i. die Göttinnen der Leutseligkeit, Holdseligkeit und Dankbarkeit als ihre Gehilfen und Dienerinnen zugeordnet, weil man dafür gehalten, dass von diesen Göttinnen Alles, was zur Holdseligkeit, Freundlichkeit und Lieblichkeit erfordert werde, herkomme. Wie aber die eine den andern beiden, die andern beiden aber derselben wiederum einen güldenen Apfel mit abgewandtem Angesichte darreichen, also solle man gegen einfältig empfangene Wohltat doppelt dankbar sein und nicht auf die Gabe, auch nicht auf Wiedervergeltung sehen. Dass ihrer drei waren, das bezeichnet die Art der Wohltätigkeit, als da ist, Wohltat erzeigen, das Erzeigte in Freundschaft annehmen und sich hinwiederum wohltätig und dankbar verhalten. Dass die Göttinnen nackende Jungfrauen, fröhlicher und lachender Geberde waren, zeigt an, dass Freundschaft und Wohltat ohne Betrug und Falschheit und aus freiem, fröhlichem und lustigem Gemüte gehen und geschehen solle. Dass sie mit den Armen in einander geschränkt und gleich an einander verbunden waren, bedeutet, dass durch Liebe, Freundschaft und Guttat die Leute mit einander verknüpft werden. Die Tauben sind fruchtbarer Art, und werden sonderlich die Turteltauben für ein Zeichen der ehelichen Liebe und Treue gehalten, daher man sie der Venus geheiligt und an ihren Wagen gespannt hat, die weißen Schwäne aber, welche neben den weißen Tauben am Wagen der Venus zogen, bedeuten Zierlichkeit, Reinlichkeit und unbeflecktes Leben, welche Eheleuten, wie allen Menschen gebühren. Das ist die Venus, welche die alten Sachsen im Heidentum, sonderlich im Holzkreis zwischen der Elbe, Bode und Saale, Aler und Orha für eine Göttin angebetet haben. Diese zerstörte Karl der Große, zerbrach ihren Tempel und baute dahin eine Kirche zu Ehren St. Stephani, und ließ es heißen Magdeburg.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen