Der Aufruf an das bulgarische Volk.

Die Ereignisse nach dem Scheitern des ersten Balkanbundes und der jetzige europäische Krieg haben zur Genüge die verbrecherische Politik Russlands bloßgestellt. In erster Linie hat das bulgarische Volk die Folgen seiner „slawischen“ Politik am eigenen Leib gespürt. Diese echtrussische Politik hat es dahin gebracht, dass die Serben Mazedonien den Bulgaren geraubt haben.

Angesichts dieser Umstände wird sich das bulgarische Volk in diesem großen Moment der Umgestaltung der Karte Europas und der herannahenden Freiheit der Völker nicht weigern, mit Aufgebot aller Kräfte gegen die panslawistische Lüge Russlands aufzutreten. Es ist sonnenklar, dass der nördliche Despot unter dem Vorwand der slawischen Einheit und Brüderlichkeit nach neuen territorialen Eroberungen strebt und alle slawischen Völker unter sein Joch zu bringen sucht, um ihnen dasselbe Schicksal zu bereiten, das jenen Völkern, die das Unglück gehabt haben, unter die russische Herrschaft zu kommen, zuteilgeworden ist.


Dreißig Millionen Ukrainer Russlands, eines der größten slawischen Völker, haben diese „slawische“ Politik Russlands besonders bitter gekostet. Nachdem sie sich unter dem Hetman Bohdan Chmelnyzkyj die Unabhängigkeit errungen haben, wurden sie durch die Verhältnisse gezwungen, in ein Bündnis mit dem moskowitischen Reich zu treten.

Heilig hat man damals auf Rechte und Unabhängigkeit des ukrainischen Volkes geschworen. Aber schon am zweiten Tag fingen die „brüderlichen“ Bestrebungen des Moskowitertums an, das ukrainische Volk seiner Freiheiten und seiner Unabhängigkeit zu berauben und es zu russifizieren. Es beginnt ein langwieriger Kampf und in diesen Kämpfen zieht das ukrainische Volk sogar vor, unter die türkische Herrschaft zu kommen, als moskowitische Foltern zu leiden. Der Sieg hei Poltawa (1709) war ein folgenschwerer Wendepunkt, der aus dem schwachen und asiatischen Moskowitertum das imperialistische Russland gemacht hat. Dieser Sieg gab ihm die Möglichkeit, die Ukraine endgültig zu erdrücken, das Polenreich zu zerstampfen und die russische Barbarei auf andere Länder zu werfen. Dieser Sieg war ein Fluch nicht nur für das ukrainische Volk, sondern auch für das russische, denn die endgültige Erdrückung der freiheitlichen Ukraine hat den moskowitischen Absolutismus noch mehr gestärkt, hat ihm die Möglichkeit gegeben, sich bis zum heutigen Tag zu behaupten und sogar den revolutionären Anprall aller Völker Russlands der Jahre 1905 und 1906 aufzuhalten.

Das russische Imperium war und ist ein Massengrab der Völker, ein Todfeind der Kultur und des Fortschrittes. Ein Sieg Russlands im gegenwärtigen Kriege würde auf Jahre hinaus eine furchtbare Reaktion, würde den Sieg eines wilden Absolutismus über die Demokratie und europäische Kultur besiegeln, verschiedene slawische Völker müssten auch weiter im russischen Joch stöhnen.

Wir, Ukrainer und ihr Bulgaren, müssen in diesem wichtigen Moment auftreten! Es ist unsere historische Pflicht, die freche Lüge des moskowitischen Panslawismus schon endgültig bloßzustellen! Es entscheidet sich unser Schicksal — unser „Sein oder Nichtsein“. Russland hat nicht nur durch seine lügenvolle Propaganda in Serbien das bulgarische Volk in Mazedonien ins Verderben gestürzt, es wollte sogar diesen Teil des ukrainischen Volkes in Galizien, dem das Glück vergönnt war, unter den Schutz der österreichischen Konstitution zu kommen, an sich reißen. Dadurch wollte es ein für alle Mal die freiheitlichen Bestrebungen des ukrainischen Volkes erdrücken. Über Galizien und Wien führt der Weg nach Konstantinopel und nach den Dardanellen. Eine solche Idee hat die russische Regierung ausgebrütet. Russland hat Serbien gegen Bulgarien unterstützt, um Österreich zu schwächen; zu diesem Zwecke hat es auch immense Geldsummen für die russophile Agitation unter dem ukrainischen Volke Galiziens ausgegeben. Die Gefahr war nahe und Lob sei Deutschland und Österreich-Ungarn, dass sie gerade zur rechten Zeit ihre Waffen gegen unseren Todfeind ergriffen haben. Für das ukrainische Volk wird der Tag der Kriegserklärung an Russland der größte Festtag in seiner Geschichte sein.

Bulgaren! In diesem heiligen Feldzug gegen den russischen barbarischen Despotismus werden auch wir mit euch und mit den Völkern Österreich-Ungarns und Deutschlands in einer Reihe stehen!

Der Bund zur Befreiung der Ukraine verfolgt atemlos eure Vorbereitungen zur Waffenabrechnung mit Russland und mit seinen wahnsinnigen Verbündeten sowie eure Bestrebungen, sich mit der Türkei und Rumänien zu verbünden. Wir glauben, dass eure vor kurzem mit Ruhm bedeckte Armee wiederum ihren Namen und den Namen des bulgarischen Volkes auf den ruhmreichsten Seiten der Geschichte aufschreiben wird. Und in diesem Moment übersendet euch das ukrainische Volk nicht die slawischen, sondern die allgemein menschlichen brüderlichen Grüße!

Der Bund zur Befreiung der Ukraine.

Wien, am 25. August 1914.