Ukrainer und Rumänen.

Es ist nicht leicht festzustellen, wann und wo die Ukrainer, welche jetzt von den Quellen der Theiss im Westen bis zum Ufer des Schwarzen Meeres in der Nachbarschaft von Rumänen leben, zum ersten Mal mit den Vorfahren der Rumänen zusammentrafen. Im zehnten Jahrhundert haben die ukrainischen Fürsten von Kyjiw (Kijew) vorübergehend sogar Bulgarien in ihrem Besitz gehabt. Ob das ukrainische Eroberungsgebiet damals an das rumänische Territorium angrenzte, ist nicht bekannt. Aus dem zwölften Jahrhundert kommt uns die Nachricht zu, dass einer von den ukrainischen Fürsten, der von seinen Brüdern vertrieben wurde, ein Fürstentum „an der Donau“ („na Dunaju“) mit der Hauptstadt Berlad erobert habe. Er führt daher den Namen des Iwan (Johann) Berladnyk. Ist das ein ukrainisches oder etwa ein rumänisches Fürstentum gewesen, ist gleichfalls unbekannt. Vom Ende desselben Jahrhunderts kommt uns die ganz sichere Meldung zu, dass das Reich der ukrainischen Fürsten von Halytsch bis zur Mündung der Donau erweitert wurde, wo sich auch ihr Hafen „Klein-Halytsch“ (jetzt Galatz) befand. Von einem jener Fürsten, dem Jaroslaw Osmomysl, wird im ukrainischen Volksepos des zwölften Jahrhunderts gesungen, er habe mit seinen Regimentern „das Donautor geschlossen“. Manche vermuten sogar, dass unter dem „Donautor“ das „Eiserne Tor“ bei Orsowa bezeichnet wird, andere behaupten, dass hier die Rede von der Besetzung des Donaudeltas ist. Vom dreizehnten Jahrhundert haben wir keine Nachrichten von der ukrainischen Expansion bis zur Donau. Zu dieser Zeit wurden die Ufer des Schwarzen Meeres und das heutige Rumänien von der mongolischen Invasion überflutet. Die Ukrainer haben damals in die Wälder von Bukowina, Galizien, Wolhynien, Kyjiw und Tchernyhiw Zuflucht genommen, die Rumänen in dem Siebenbürgengebirge.

In der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts geht die Ukraine allmählich unter die polnisch-litauische Herrschaft über. Gleichzeitig beginnen auch ihre Beziehungen zu dem bereits kristallisierten Moldaufürstentum aufs Neue. Die Moldau gelangt vorübergehend unter die Obergewalt der polnischen Königin Jadwiga und ihres Gemahls, des litauischen Fürsten Jahajlo. Die Herrschaft über die ukrainischen Länder Galizien und Podolien hat diesen als eine Brücke nach der Moldau gedient. Zu der Zeit treten vermutlich die galizischen Ukrainer („Ruthenen“) zum ersten Mal in engere Beziehungen zu den Rumänen als einer Nation, wobei beide Völker durch die gemeinsame Gefahr seitens der Polen einerseits und seitens der Tataren anderseits einander nähergebracht werden. Sicher hat dabei auch der gemeinsame Glaube seine Rolle gespielt. Nachdem die Moldau erstarkte, befreite sie sich bald von der polnischen Oberherrschaft und wurde sogar ein Zufluchtsort für die ukrainische Irredenta gegen Polen.


Schon im fünfzehnten Jahrhundert suchte der hervorragende Verteidiger der ukrainischen Unabhängigkeit, Fürst Swytryhajlo (ein leiblicher Bruder des polonisierten Jahajlo), der unermüdlich für die Unabhängigkeit der Ukraine gegen Polen gekämpft hatte, für einige Zeit in der Moldau Zuflucht, um dann aufs Neue den Krieg mit den Polen zu beginnen, der bis an sein Lebensende dauerte (er ist im Jahre 1452 gestorben). Nachdem die Moldau unter der Regierung Stephan des Großen sich konsolidierte (die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts), fangen die von den Polen unterdrückten galizischen Ukrainer an, bei ihr Hilfe zu suchen. Es hat sich sogar ein ukrainisches Volkslied aus jener Zeit von dem „walachischen Wojwoden Stephan“ bis in unsere Zeit erhalten. Daraus ersieht man, dass er bei den Ukrainern als ihr Freund gegen die Polen populär war. Stephan der Große unternahm mehrere Feldzüge nach Pokutje und unterstützte die Anführer der ukrainischen Aufstände gegen die Polen. Im Jahre 1490 stand an der Spitze eines solchen Aufstandes ein gewisser „Mucha aus der Walachei“, der es verstanden hatte, das ganze südöstliche Galizien beinahe bis Lemberg zu erheben. Hierauf erfolgte ein zweiter ukrainischer Aufstand, der von Stephan dem Großen unterstützt wurde und an dessen Spitze ein dem Namen nach unbekannter Prätendent auf die galizische Krone stand. Als im Jahre 1509 der Wojwode Bohdan nach Galizien einrückte, vereinigten sich die Ukrainer mit ihm. Es kam wiederum zu einem Aufstand gegen Polen, nach dessen Erfolglosigkeit viele ukrainische Bojaren nach der Moldau übersiedelten, wo sie, da ihre Güter in Galizien konfisziert wurden, mit Grund und Boden beteiligt wurden. Unter denen befanden sich auch mehrere rumänische Bojaren mit ukrainischen Familiennamen (Mohvlas, Wassilkos und andere).

Damit finden auch jene ersten politischen Beziehungen zwischen der Moldau und den Ukrainern, welche ihre Unabhängigkeit gegen Polen zu wehren, respektive die vor kurzem eingebüßte Unabhängigkeit zurückzugewinnen versuchen, ihren Abschluss. Die Moldau gelangt unter die türkische Suprematie und die moldauische Politik hört auf, eine nationale zu sein — sie wird zum Werkzeug der türkischen Politik. Der moldauische Thron übergeht von einer Hand in die andere, unter den Prätendenten zum Hospodarenthron wird ewiger Kampf geführt. In diesen Kampf mischen sich des Öfteren auch die Ukrainer ein, und zwar die sogenannten Saporoger, die militärische Republik der Ukrainer am unteren Lauf des Dniproflusses. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts berief eine der Moldauer Parteien den Anführer der Saporoger Dmytro (Demetrius) Fürsten Wyschnewezkvj, vom Volk „Bajda“ genannt, auf den Thron. Dieser vertrieb die Türken und eroberte die Stadt Jassy, allein er wurde durch Verrat von den Türken gefangengenommen und soll von ihnen an einer Rippe auf dem Haken einer Bastei in Stambul aufgehängt worden sein. Ein Volkslied, welches dieses Ereignis besingt, ist bis heute unter dem ukrainischen Volk lebendig.

Der zweite Anführer der Saporoger, der es versuchte, den Thron von Moldau zu erobern, war Iwan Pidkowa. Er soll ein Sohn eines vertriebenen Moldauer Hospodaren gewesen sein (Pidkowa [= Hufeisen] ist bloß sein populärer Name [Spitzname], sein Familienname ist verschollen) und er war einer der Prätendenten auf den Moldauer Thron. Pidkowa hatte gleichfalls Jassy erobert, allein die Polen, welche die Stärkung seiner Macht befürchteten, erwischten ihn durch Verrat und er wurde von ihnen im Jahre 1583 in Lemberg geköpft. Derartige Tatsachen der Einmischung der ukrainischen Saporoger in die inneren Moldauer (und walachischen) Streitigkeiten hat es mehrere gegeben. Sie wären ein Beweis für die innigen Beziehungen zwischen den Donaufürstentümern und den Ukrainern, welche von den Moldauern und Walachen, mindestens von manchen ihrer Parteien, zu Hilfe gegen die türkische Willkürherrschaft berufen wurden.

Nebstdem bestanden auch manche kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Sie begannen gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Die altslawische Sprache und die cyrillische Schrift, welche ebenso in der walachischen wie auch in der ukrainischen Kirche gebraucht wurden, haben diese Beziehungen gefördert. So war zum Beispiel der Bulgare Hryhorij (Gregor) Zamwlak oder Ssamwlak noch gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts Diakon des bulgarischen Patriarchen, dann Presbyter der Kirche in Suczawa in der Bukowina, hierauf Ihumen (Prior) des Münsters in Detschy in Serbien und wurde zuletzt ein ukrainischer Metropolit-Exarch in Kyjiw (gestorben 1416). Die durch die Mongolen zugrunde gerichtete ukrainische Kirche, und Kultur fanden in ihm ihren Wiederhersteller. Zamwlak, der in vier Ländern gewirkt hatte, unter anderen in der Moldau und in der Ukraine, war ein klassisches Beispiel der Gemeinsamkeit der kirchlichen Kultur jener Länder in der damaligen Zeit.

Jene kulturell-religiösen Beziehungen zwischen der Moldau und der Ukraine wurden noch reger und noch viel inniger, nachdem in der Ukraine der erbitterte Kampf der ukrainischen Orthodoxie gegen den polnischen Katholizismus hervorgebrochen war. Die Moldau und insbesondere die Moldauer Hospodaren und Klöster haben die Ukrainer in diesem Kampf moralisch und materiell unterstützt. Die Moldauer Hospodaren sind Wohltäter und Stifter ukrainischer Institutionen geworden. So führt zum Beispiel die sogenannte „Walachische Kirche“ in Lemberg, die gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts von den Ukrainern erbaut wurde (das schönste Denkmal der Renaissance in Lemberg), ihren Namen daher, dass die Moldauer Wojewoden eine ansehnliche Summe für die Beendigung ihres Baues geopfert haben.

Das wichtigste Band aber, welches jeden Ukrainer zwingt, mit Sympathie an die Moldau zu denken, bildet Peter Mohyla, der Kyjiwer Metropolit-Exarch aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, der Gründer der berühmten latein-slawischen ,,Mohylanischen Akademie“ in Kyjiw, der Wiederhersteller der ukrainischen Kirche, der den Grundstein zu einer neuen kulturellen Entwicklung der Ukraine, einer ganzen, bedeutungsvollen Epoche der ukrainischen Kultur, gelegt hat. Peter Mohyla war der Sohn eines Moldauer Hospodaren, der infolge der inneren Wirren, seinen Thron verloren hatte. Die Mohylas selbst waren ukrainischer Abstammung und mit den damaligen ukrainischen Magnaten eng verschwägert. Peter Mohyla hat viele Jahre in Westeuropa auf Studien zugebracht und nachdem er in die Ukraine zurückkehrte, wurde er, wie erwähnt, zum Führer der Ukrainer. Sein Name ist mit goldenen Buchstaben in der ukrainischen Geschichte eingeschrieben.

Die politischen Beziehungen zwischen der Ukraine und der Moldau wurden bald erneuert, als der ukrainische Hetman Bohdan Chmelnyzkyj seinen Sohn Tymosch mit der Domna Rosanda, der einzigen Lochte r des Hospodaren Lupu1, in der Absicht verband, sich auf diese Weise die Hilfe Lupuls gegen Polen zu sichern. Diese Beziehungen nahmen ein baldiges Ende, da Tymosch Chmelnvzkyj ein paar Monaten nach der Hochzeit auf den Gräben von Suczawa im Kampfe mit den Polen fiel und Domna Rosanda nach einem kurzen Aufenthalt in der Ukraine nach Jassy zurückkehrte.

Zum letzten Mal haben die Ukrainer von der Gastfreundschaft der Moldau Gebrauch gemacht, als Hetman der Ukraine Iwan Masepa nach der Niederlage bei Poltawa (1709) sich mit den Überresten der ukrainischen Armee (gemeinsam mit dem schwedischen König Karl XII.) nach Bessarabien geflüchtet hatte. Masepa ist in demselben Jahre in Bendery gestorben und in einer Kirche zu Galaz begraben worden. Auf dem rumänischen Territorium liegt also das Grab eines der größten Kämpfer für die Freiheit der Ukraine.

Zwischen der Ukraine und der Moldau haben also, wie wir sehen, enge Beziehungen in der Vergangenheit, bestanden und jene Beziehungen sind stets freundlicher, nie feindlicher Natur gewesen. Und es hat wirklich zwischen den beiden Nationen keinen Anlass zu Streitigkeiten gegeben, dagegen war ihnen das Streben nach der nationalen Freiheit gemein und gemeinsam waren die Feinde jener Freiheit. Dieses Streben nach der nationalen Freiheit, nach der Befreiung, besteht bei den beiden Völkern auch bis auf den heutigen Tag. Wir glauben daher, dass dies die gemeinsame Basis ist, auf der die historischen Sympathien auch heute wiederaufleben können.

In jedem Fall würde der selbständige ukrainische Staat Rumänien vor dem nördlichen Koloss schützen, er wäre ein Schutzwall für Rumänien gegen Russland; und da die Ukraine vieles, sehr vieles bei sich zu Hause zum Nachholen hätte, wäre sie ganz zuverlässig ein friedlicher Nachbar des Donaukönigtums.