Dritte Fortsetzung

Als die Märchen vom Gebrauche des Christenblutes am jüdischen Osterfeste, Brunnenvergiftungen, Hostienschändung u. dgl. nicht mehr recht ziehen wollten obschon man es bis heute noch nicht ganz aufgegeben, besonders die erste Beschuldigung von Zeit zu Zeit aufzuwärmen suchte man Bauern, Handwerker und Kaufleute aufzustacheln, vorgebend, die Juden nähren sich vom Schweiße und Blute der Christen, sie leben vom Betruge, daher bei ihnen oft größerer Wohlstand anzutreffen sei. Dass aber der Jude von Hause aus gebildeter, in seinem Geschäft fleißiger, in seinem Haushalt mäßiger und sparsamer als es sein christlicher Konkurrent oft war, davon ward wohlweislich geschwiegen. Es ist wohl wahr, dass viele vom Betruge lebten und noch leben und sich große Reichtümer gesammelt, derlei Fälle kommen aber bei der christlichen Bevölkerung ebenfalls vor. Übrigens sind nicht alle Juden Krösusse, der größte Teil derselben gehört dem Mittel- und Bettelstande an, auf einen Ringstraßen-Millionär können 10.000 jüdische Bettler gerechnet werden!

Die Judenfeinde waren aber auch seit jeher bemüht die verwundbare Achillesverse im jüdischem Schrifttum, namentlich in Talmud und in der rabbinischen Literatur zu finden; trotz aller Gegenbeweise wurde stets – vom Eisenmenger bis zum Ritter von Pawlikowski - neue Waffen aus dem jüdischen Schrifttum gegen Juden und Judentum hervorgesucht. Ein solcher würdige Kämpe war auch in den 30er Jahren Dr. Hartmann, Professor der Theologie zu Rostock, der aus einigen Stellen der rabbinischen Schriften nachweisen wollte, wie gefährlich die Emanzipation der Juden sei. Der damalige, nun in Gott ruhende Hamburger Prediger Dr. H. Salomon nahm den Kampf gegen den Rostocker Professor auf; in seinen Briefen an Dr. Hartmann widerlegte er mit großem Scharfsinne dessen Angriffe, und können wir es uns nicht versagen wenigsten den Schluss seiner polemischen Briefe hier anzuführen; dieser lautet: Leben Sie wohl, und wenn Sie in der Folge wieder an dergleichen Arbeiten gehen, so bringen Sie den Geist der Liebe mit, der ja nach der Lehre Ihres Erlösers in Allem wehen soll, was seine Bekenner denken und tun. Wir wollen vergessen, was uns die unparteiische Geschichte von den grauenhaften und schaudererregenden Handlungen erzählt, die sich christliche Regenten und christliche Bischöfe gegen Juden erlaubt; wir wollen alle diese Scheiterhaufen und Blutbäder vergessen, die Christen für Juden Jahrhunderte immerwährend in Bereitschaft hielten; wir wollen vergessen wie Ihr uns verkauft und verpfändet, ausgesogen und ausgezogen und nackt und bloß in die Fremde wieder unter anderen Barbaren ausstießet; wir wollen es vergessen, dass sehr viele Kapitel in Eurer Kirchengeschichte mit unserem und unserer Väter Blut geschrieben sind; vergesset ihr aber, dass in alten bestäubten Büchern, die unter Tausenden kaum fünf verstehen, einige unzarte und gehässige Redensarten sich befinden, gegen die gerichtet, die lächelnd die empörendsten Taten verrichtet, Taten, deren Folgen wir und unsere Kinder heute noch empfinden. Was in den christlichen Kirchen so oft gepredigt und außerhalb der Kirchen so oft auf den Lippen geführt wird, das übet mit Wort und Tat, mit der Feder und mit dem Herrscherstab, ich meine, die Liebe, von der der Apostel der Heiden sagt, dass man mit Engelzungen reden könnte und ohne sie jedoch nichts weiter als ein tönend Erz oder eine klingende Schelle, dass man, wenn man auch weissagen könnte und alle Geheimnisse und Erkenntnisse und allen Glauben besäße, also, dass man Berge versetzen könnte, ohne diese Liebe nichts, nichts wäre; diese Liebe sei langmütig und freundlich; diese Liebe eifere nicht, diese Liebe treibe nicht Mutwillen und blähe sich nicht.


Das ist der Geist und das Wesen ihrer Religion, und das ist auch der Geist und das Wesen der meinigen; der unsrigen. Seien Sie Christ, wie ich in diesem Sinne Jude bin und wir werden nicht nötig haben, von Büchern unsere diesseitige Wohlfahrt und unsere jenseitige Seligkeit abhängig zu machen, denn der Buchstabe tötet Christ und Jude, beide aber macht der Geist lebendig.“

Der Klerus beschränkte sich aber nicht bloß auf Kanzel und Schule, sondern auch Guttenbergs unsterbliche Erfindung, die Presse, ward zu Hilfe genommen, um den Geist des Hasses zu nähren, das Volk zu fanatisieren und jede Versöhnung und Annährung ferne zu halten; besonders tätig in dieser Richtung zeigten sich die „Wiener Kirchenzeitung“ und das „Linzer Volksblatt“; in beiden Organen werden die Juden hart angegriffen. Man unterschätze aber nicht die Wirkungen dieser Zeitungen; so gering deren Abonnentenzahl auch sein dürfte, so erstreckt sich dennoch deren Einfluss auf Tausende und aber Tausende von Gemütern. Diese Blätter werden größtenteils von Geistlichen gelesen, welche die aufgenommenen Ideen durch Kanzel und Religionsschule weiterverbreiten und Tausende von diesem Geiste durchdrungen werden. Auch der sonst gut redigiert gewesene „Wiener Volksfreund“ konnte es nicht gänzlich unterlassen zeitweise einige moralische Hiebe den Juden zu versetzen. Vor einigen Jahren das genaue Datum ist uns entfallen war im „Wiener Volksfreund“ zu lesen: „Österreich ist geschichtlich als katholischer Staat berechtigt, als ein Staat von Juden und Freigeistern hat es keine Berechtigung“. Nach unserer Ansicht schließt der Begriff „Staat“ jedes Konfessionelle aus, aber selbst auf dem Standpunkt des geehrtem „Volksfreund", dass der Staat von der religiösen Idee durchdrungen und beherrscht sein müsse, können wir durchaus nicht begreifen, warum ein Staat von Juden oder von jüdischen Ideen keine Berechtigung habe? Lehrt etwa das Judentum Raub und Mord, Gotteslästerung und Unsittlichkeit? Weiß der Volksfreund nicht, dass das Judentum der Welt die Gottesidee verkündigte, dass es die reinste Menschenliebe, die höchste Sittlichkeit lehrt? Hat das Christentum nicht seine erhabensten Lehren dem Judentume entnommen? Oder haben sich etwa die Juden unwürdig als Träger des Gotteswortes gezeigt? Haben sie nicht ihrer Religion wegen, beispiellose Verfolgungen wie kein zweites Volk der Weltgeschichte ausgestanden? Zeichneten sich nicht die Juden stets durch Treue und Opferfreudigkeit aus? Warum also immerfort die „Verjudung“ des christlichen Staates als Schreckensbild an die Wand malen?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Judenhass