Es war im Jahre 1838 zur Zeit des Karnevals, als zwei junge Leute der vornehmsten Pariser Gesellschaft Italien bereisten.

Es war im Jahre 1838 zur Zeit des Karnevals, als zwei junge Leute der vornehmsten Pariser Gesellschaft Italien bereisten. Während der eine von ihnen, Albert von Morcerf, für einige Tage nach Neapel fuhr, unternahm der andere, Franz von Epinay, eine kleine Meerfahrt.

Er machte demnach eines Abends ein Schifflein von dem eisernen Ringe los, womit es im Hafen von Livorno angehängt war, wickelte sich dann in seinen Mantel und rief den Schiffsleuten bloß die Worte zu: »Nach der Insel Elba!«


Der Kahn verließ den Hafen, wie der Seevogel sein Nest verläßt, und am folgenden Tage landete er in Porto-Ferrajo. Franz durchstreifte die kaiserliche Insel, und nachdem er allen Spuren gefolgt war, die die Tritte des Riesen hinterlassen hatten, schiffte er sich in Marciana wieder ein. Zwei Stunden darauf ging er wieder ans Land, und zwar zu Pianoso, wo ihn, wie man ihm versicherte, zahllose Schwärme von roten Rebhühnern erwarteten. Die Jagd fiel schlecht aus, Franz erlegte mit großer Mühe einige magere Stücke und kehrte mit sehr übler Laune, wie jeder Jäger, der sich für nichts abgemüdet hat, zu seiner Barke zurück.

»Oh, wenn Eure Exzellenz wollten,« sagte der Patron zu ihm, »könnten Sie eine schöne Jagd haben.«

»Und wo das?«

»Sehen Sie jene Insel?« fuhr der Patron fort, indem er einen Finger gegen Mittag ausstreckte und auf eine kegelförmige Masse wies, die sich im schönsten Indigoblau mitten aus dem Meere erhob.

»Gut, was ist das für eine Insel?« fragte Franz.

»Die Insel Monte Christo«, antwortete der Livorner.

»Aber ich habe keine Erlaubnis, auf jener Insel jagen zu dürfen.«

»Eure Exzellenz brauchen sie auch nicht, denn die Insel ist öde.«

»Ach, bei Gott,« sagte der junge Mann, »eine wüste Insel mitten im Mittelmeere, das ist seltsam.«

»Es ist ganz natürlich, Eure Exzellenz! Diese Insel ist eine Felsenbank und hat vielleicht in ihrer ganzen Ausdehnung keinen Morgen urbares Land.«

»Wem gehört sie denn?«

»Toskana.«

»Werde ich dort ein Wildbret finden?«

»Tausende von wilden Ziegen.«

»Leben sie davon, daß sie an den Steinen lecken?« fragte Franz, ungläubig lächelnd.

»Nein, sie weiden das Heidekraut, die Myrten und die Mastixblätter ab, die dort streckenweise wachsen.

»Wo soll ich aber schlafen?«

»Auf der Erde, in den Grotten oder an Bord in Ihrem Mantel; wenn übrigens Eure Exzellenz wollen, so können wir sogleich nach der Jagd wieder abfahren; Sie wissen, daß wir des Nachts wie bei Tag steuern und daß wir in Ermangelung von Segeln Ruder haben.«

Da Franz genug Zeit übrigblieb, um mit seinem Gefährten wieder zusammenzutreffen, und da er sich um seine Wohnung in Rom nicht mehr zu kümmern brauchte, so ging er diesen Vorschlag ein, um sich für seine erste Jagd schadlos zu halten. Auf seine bejahende Antwort wechselten die Matrosen einige Worte unter sich mit leiser Stimme.

»Hm, was gibt es denn?« fragte er. »Sollte sich eine Schwierigkeit ergeben?«

»Nein,« erwiderte der Patron, »allein wir müssen Eure Exzellenz darauf aufmerksam machen, daß die Insel in Kontumaz steht.«

»Was will das sagen?«

»Das will sagen: Da Monte Christo unbewohnt ist und zuweilen den Schleichhändlern und Korsaren, die aus Korsika, Sardinien oder Afrika kommen, als Ruheplatz dient, so sind wir, wenn irgendein Zeichen unsern Aufenthalt auf der Insel andeutet, genötigt, bei unserer Zurückkunft nach Livorno eine Quarantäne von sechs Tagen zu halten.«

»Teufel! Das ändert die Sache! Sechs Tage. Geradesoviel bedurfte Gott, um die Welt zu erschaffen. Kinder, das ist ein bißchen lang.«

»Wer wird es aber sagen, daß Eure Exzellenz auf Monte Christo waren?«

»Oh, ich sag' es nicht!« rief Franz.

»Wir noch weniger«, versetzten die Matrosen.

»In diesem Falle auf nach Monte Christo!«

Der Patron gab Befehl zur Abfahrt; man faßte die Insel ins Auge und das Schiff nahm dahin die Richtung. Franz ließ die Schiffer gewähren, und als man auf dem neuen Wege war, als der Wind das Segel schwellte und die vier Seefahrer ihre Plätze einnahmen, drei vorn und einer am Steuerruder, knüpfte er die Unterredung wieder an.

»Mein lieber Gaetano,« sprach er zum Patron, »Ihr habt mir gesagt, glaube ich, daß die Insel Monte Christo den Schleichhändlern und Seeräubern als Zuflucht diene, und das scheint mir ein ganz anderes Wildbret als die Ziegen zu sein.«

»Ja, Eure Exzellenz, das ist wahr.«

»Ich wußte recht gut, daß es Schleichhändler gibt, allein ich dachte, seit der Eroberung von Algier und der Zerstörung der dortigen Regentschaft gäbe es keine Seeräuber mehr, außer in den Romanen des Cooper und Kapitän Marryat.«

»Ach, Eure Exzellenz irren, es gibt noch Seeräuber, wie es Banditen gibt, von denen man glaubt, Papst Leo XII. habe sie ausgerottet, indes sie täglich die Reisenden bis unter die Tore Roms anhalten. Haben Sie nicht gehört, daß vor etwa sechs Monaten der französische Geschäftsträger beim heiligen Stuhl kaum fünfhundert Schritt von Velletri ausgeplündert wurde?«

»Richtig.«

»Wenn Eure Exzellenz in Livorno lebten wie wir, so würden Sie von Zeit zu Zeit hören, daß ein kleines, mit Waren befrachtetes Schiff oder eine hübsche englische Jacht, die man in Bastia, in Civita Vechia oder in Porto Ferrajo erwartet hat, nicht eingelaufen ist, wobei man nicht wisse, was mit ihm geschehen und ob es nicht vielleicht an einem Felsen gescheitert sei. Nun ist aber dieser Felsen, an den es stieß, eine niedrige und schmale Barke, von sechs oder acht Leuten bemannt, die es in einer dunklen oder stürmischen Nacht an der Krümmung eines wilden, unbewohnten Eilands angefallen und ausgeplündert haben, wie die Banditen an einer Waldesecke eine Postkutsche anhalten und ausrauben.«

Franz, der in seiner Barke stets ausgestreckt lag, fragte: »Wie kommt es aber, daß die, denen ein solches Unglück zustößt, nicht Klage führen? Warum fordern sie die französische, sardinische oder toskanische Regierung nicht zur Rache auf gegen die Korsaren?«

»Warum?« versetzte Gaetano mit einem Lächeln.

»Ja, warum?«

»Fürs erste wird von dem Schiffe oder von der Jacht alles, was wertvoll ist, in die Barke hinübergeschafft; dann bindet man die Mannschaft an Händen und Füßen, befestigt an den Hals jedes Schiffers eine vierundzwanzigpfündige Kugel, macht ein Loch von der Größe einer Tonne in den Boden des gekaperten Schiffes, steigt auf das Verdeck zurück, verschließt die Luken und begibt sich wieder in die Barke. Nach zehn Minuten fängt das Schiff an zu knarren und zu dröhnen und senkt sich immer tiefer. Anfangs sinkt nur eine Seite, dann die andere; hierauf erhebt es sich von neuem, sinkt sodann abermals und allmählich tiefer. Auf einmal knallt es wie ein Kanonenschuß; das ist die Luft, die das Verdeck zerreißt. Sofort schwankt das Schiff wie ein Ertrinkender, der mit dem Tode ringt, und erlahmt mehr und mehr mit jeder Bewegung. Alsdann wird das Wasser, das in der Höhlung zu sehr gepreßt ist, durch die Öffnungen getrieben, wie flüssige Säulen, als ob sie ein riesenhafter Pottfisch durch seine Luftröhren ausspritzte. Endlich stößt es ein letztes Erdröhnen aus, macht einen letzten Kreis um sich selber, und indem es nach dem Abgrund einen weiten Trichter aushöhlt, der einen Augenblick herumwirbelt, versinkt es allgemach und verschwindet zuletzt ganz, so daß man nach Verlauf von fünf Minuten das Auge Gottes bedürfte, um das Schiff aufzusuchen, das bei ruhiger See in der Tiefe verschwunden ist. Sehen Sie jetzt ein,« fügte der Patron lächelnd hinzu, »warum das Schiff nicht in den Hafen zurückkehrt und warum die Mannschaft nicht Klage führt?« Hätte Gaetano das erzählt, ehe er diese Expedition in Vorschlag brachte, so würde sich Franz wahrscheinlich zweimal besonnen haben, auf denselben einzugehen; da aber die Barke einmal in der Richtung nach der Insel flott war, so dünkte es ihn Feigheit, wieder umzukehren. Er war einer von den Menschen, die der Gefahr nicht nachlaufen, die aber, wenn sich ihnen derartiges entgegenstellt, eine unbezwingbare Kaltblütigkeit beweisen, um mit ihr zu ringen; er war einer von denen, die eine Gefahr im Leben ganz ruhig wie einen Gegner im Zweikampfe betrachten, seine Bewegungen berechnen, seine Kräfte erforschen, abgemessen zu Werke gehen, um Atem zu holen und nicht feige zu erscheinen, mit einem Blicke alle Vorteile erlauschen und ihn mit einem Stoße töten.

»Bah!« erwiderte er. »Ich habe Sizilien und Kalabrien durchstreift, zweimal den Archipel durchsteuert und nie einen Schatten von einem Banditen oder Korsaren erblickt.«

»Auch habe ich das Euer Exzellenz nicht deshalb gesagt,« versetzte Gaetano, »daß Sie Ihr Vorhaben aufgeben möchten; Sie haben mich gefragt, und ich gab Antwort.«

»Ja, mein lieber Gaetano. Eure Mitteilung unterhält mich sehr, und da ich diesen Genuß solange als möglich haben will, so rudern wir nach Monte Christo.«

Indessen näherte man sich rasch dem Ziele der Fahrt; es wehte ein guter Wind, und die Barke legte in der Stunde sechs bis sieben Meilen zurück. Je mehr man sich der Insel näherte, desto größer schien sie aus dem Schoße des Meeres emporzutauchen, und durch die helle Atmosphäre der letzten Sonnenstrahlen unterschied man, wie die Kugeln in einem Zeughaus, die Schichten der übereinander getürmten Felsen und sah in den Absätzen das rötliche Heidekraut und die ansprießenden Bäume. Was die Matrosen betrifft, so schienen sie zwar vollkommen ruhig, doch war ihre Wachsamkeit offenbar aufgeweckt, und ihr Blick erforschte den weiten Spiegel, auf dem sie dahinglitten und dessen Horizont nur einige Fischerkähne mit ihren weißen Segeln bevölkerten, indem sie sich auf den Rücken der Wellen wie Möwen wiegten.

Sie waren von Monte Christo nur noch etwa fünfzehn Meilen entfernt, als die Sonne hinter Korsika hinabtauchte, dessen Berge zur Rechten erschienen, wo sich ihre dunklen Zacken im Himmel verloren, indem die äußersten Enden dieser Steinmassen noch beleuchtet waren und wie der Riese Adamastor vor der Barke emporragten. Der Schatten stieg allmählich höher vom Meere auf und schien den letzten Rückstrahl des verlöschenden Tages vor sich her zu jagen; endlich wurde der Lichtschein bis zur Spitze des Kegels zurückgetrieben, wo er noch einen Augenblick anhielt, wie die Flammengarbe eines Vulkans; endlich verschlang der immer wachsende Schatten die Höhe ebenso, wie er die Tiefe verschlungen hatte, und die Insel erschien nur noch wie ein grauer, mehr und mehr sich bräunender Berg. Eine halbe Stunde darauf war es finstere Nacht. Glücklicherweise befanden sich die Schiffer auf einer Seehöhe, die ihnen bis auf das kleinste Riff des toskanischen Archipels bekannt war, denn mitten in der tiefen Finsternis, die die Barke umhüllte, wäre Franz nicht ganz unbekümmert geblieben.

Korsika war ganz verschwunden, die Insel Monte Christo selbst wurde unsichtbar; allein die Matrosen schienen, wie die Luchse, die Fähigkeit zu besitzen, die Finsternis zu durchdringen, und der Pilot, der sich am Steuerruder hielt, äußerte nicht das geringste Bedenken.

Ungefähr eine Stunde nach Sonnenuntergang glaubte Franz auf eine Viertelmeile zur Linken eine düstere Masse wahrzunehmen, doch ließ es sich so unvollkommen unterscheiden, was es war, daß er aus Besorgnis schwieg, er möchte die Heiterkeit der Matrosen erwecken mit dem Wahne, daß einige schwebende Wolken Festland seien. Auf einmal zeigte sich ein großer Lichtschein; das Land konnte einer Wolke gleichen, doch konnte das Feuer kein Meteor sein.

»Was ist das für ein Lichtschimmer?« fragte Franz.

»Still!« entgegnete der Patron. »Das ist Feuer.«

»Ihr habt aber gesagt, die Insel sei unbewohnt.«

»Ich sagte, sie habe keine feststehende Bevölkerung, ich sagte aber auch, sie sei ein Ruheplatz für die Schleichhändler.«

»Und für die Seeräuber?«

»Und für die Seeräuber,« fuhr Gaetano fort, »ich gab deshalb Befehl, darüber hinauszufahren, denn wie Sie sehen, ist das Feuer uns bereits im Rücken.«

»Allein dieses Feuer«, versetzte Franz, »scheint mir eher ein Beweggrund der Beruhigung als der Besorgnis zu sein; Leute, die sich fürchten, gesehen zu werden, hätten kein Feuer angezündet.«

»Oh, das will nichts beweisen,« antwortete Gaetano, »könnten Sie in der Dunkelheit die Lage der Insel bemessen, so würden Sie daraus ersehen, daß dieses Feuer an der Stelle, wo es brennt, weder von Korsika noch von Pianosa, sondern nur von der hohen See aus bemerkt werden kann.«

»Ihr fürchtet also, daß uns dieses Feuer schlechte Gesellschaft verkündet?«

»Man muß sich darüber Gewißheit verschaffen«, erwiderte Gaetano, indem er seine Augen stets auf diesen Erdenstern geheftet hielt.

»Wie kann man sich dessen versichern?«

»Sie werden sehen.«

Nach diesen Worten hielt Gaetano Rat mit seinen Genossen, und nach einer Unterredung von fünf Minuten wurde stillschweigend eine Vorkehrung getroffen, wodurch das Schiff im Augenblick umgewendet wurde; hierauf schlug man den vorigen Weg wieder ein, und einige Sekunden nach dieser Änderung des Kurses verschwand das Feuer und verbarg sich hinter dem Terrain. Sonach gab der Pilot mit dem Steuerruder der Barke, die sich sichtlich der Insel näherte, eine neue Richtung, und bald darauf war man nur noch fünfzig Schritt vom Ufer entfernt. Gaetano zog das Segel ein, und das Fahrzeug stand still.

Alles das geschah in der größten Stille, und außerdem ward seit der veränderten Richtung nicht eine Silbe an Bord laut gesprochen. Da Gaetano die Expedition in Vorschlag brachte, so hatte er auch alle Verantwortlichkeit über sie. Die drei anderen Matrosen ließen ihn nicht aus den Augen, stellten sich an die Ruder und hielten sich offenbar bereit zur Flucht, die auch in dieser Dunkelheit und mittels der Ruder nicht schwer gewesen wäre. Franz untersuchte seine Waffen mit Ruhe und Kaltblütigkeit; er hatte zwei Doppelflinten und einen Karabiner, er lud sie, versicherte sich der Batterien und harrte.

Inzwischen hatte der Patron seinen Kittel und sein Hemd abgelegt, sein Beinkleid um die Lenden festgebunden, und da er barfuß war, brauchte er weder Schuhe noch Strümpfe auszuziehen. In diesem Anzug legte er einen Finger an die Lippen, zum Zeichen, daß man das tiefste Stillschweigen beobachte; hierauf ließ er sich in das Meer hinabgleiten und schwamm mit solcher Vorsicht an das Ufer, daß man nicht das geringste Geräusch vernehmen konnte. Man vermochte seine Spur nur an der leuchtenden Furche zu erkennen, die er im Schwimmen nach sich zog. Alsbald glättete sich auch diese Furche; Gaetano hatte offenbar das Land gewonnen. Jeder auf dem kleinen Schiffe verhielt sich eine halbe Stunde lang unbeweglich, und nach Verlauf derselben sah man die leuchtende Furche vom Ufer her wieder erscheinen und sich der Barke nähern. Nach wenigen Schwingungen hatte Gaetano die Barke wieder erreicht.

»Was ist's?« fragten Franz und die drei Matrosen zu gleicher Zeit.

»Hm, es sind spanische Schleichhändler, sie haben nur zwei korsische Banditen bei sich.«

»Und was tun diese zwei korsischen Banditen bei den spanischen Schleichhändlern?«

»Ach, mein Gott, Euer Exzellenz,« erwiderte Gaetano in einem Tone tiefen christlichen Mitleids, »man muß sich wohl gegenseitig unterstützen. Die Banditen fühlen sich auf dem Lande oft ein wenig bedrängt von den Gendarmen und Karabinieren, nun, da finden sie ein Schifflein und in dem Schifflein gute Kerle, wie wir sind. Sie ersuchen uns um Gastfreundschaft auf unserem herumschwimmenden Hause. Kann man einem armen Teufel, wenn er verfolgt wird, Zuflucht verweigern? Wir nehmen ihn auf und steuern um der größeren Sicherheit willen nach der hohen See. Das kostet uns nichts und rettet das Leben, oder bewahrt mindestens einem unseresgleichen die Freiheit, der dann, wenn sich eine Gelegenheit ergibt, den ihm geleisteten Dienst anerkennt und uns eine gute Stelle andeutet, wo wir unsere Waren ausladen können, ohne von Lauschern behelligt zu werden.«

»Wie doch!« versetzte Franz. »Lieber Gaetano, Ihr seid ja selbst ein bißchen Schleichhändler.«

»Was hat es auf sich, Eure Exzellenz,« erwiderte dieser mit einem Lächeln, das sich nicht schildern läßt, »man tut alles ein wenig, da man doch leben muß.«

»Ihr kennt also die Leute, die soeben auf Monte Christo sind?«

»So beiläufig. Wir Seemänner sind wie die Freimaurer, wir kennen einander an gewissen Zeichen.«

»Glaubt Ihr, daß wir nichts zu befürchten hätten, wenn wir gleichfalls landen wollten?«

»Ganz und gar nichts, da die Schleichhändler keine Räuber sind.«

»Aber die zwei korsischen Banditen?« entgegnete Franz, der im voraus alle Wechselfälle der Gefahr erwog.

»Ach, mein Gott,« versetzte Gaetano, »es ist nicht ihre Schuld, sondern die der Behörde, daß sie Banditen sind.«

»Wieso?«

»Nun, man verfolgt sie, weil sie eine Haut gemacht haben, nichts weiter, als läge es nicht in der Natur der Korsen, sich zu rächen.«

»Was versteht Ihr denn darunter, eine Haut machen? ... Etwa einen Menschen umbringen?« fragte Franz weiter forschend.

»Ich verstehe darunter: einen Feind töten,« erwiderte der Patron, »und das ist ein Unterschied.«

»Wohlan!« sprach der junge Mann. »Lasset uns diese Schleichhändler und Banditen um Gastfreundschaft ersuchen. Glaubt Ihr, sie werden uns dieselbe zugestehen?«

»Ohne allen Zweifel.«

»Wie viele sind ihrer?«

»Drei, Exzellenz, und zwei Banditen, also fünf.«

»Gut, das ist eben auch unsere Zahl, und wir sind, falls die Herren böse Miene machen sollten, an Streitkräften gleich und somit imstande, sie auszuhalten. Zum letzten Male also, nach Monte Christo!«

»Ja, Exzellenz, doch werden Sie mir gewiß erlauben, daß ich einige Vorsichtsmaßregeln treffe.«

»Je nun, mein Lieber, seid weise wie Nestor und klug wie Ulysses. Anstatt Euch die Vorsicht zu erlauben, ermahne ich Euch vielmehr dazu.«

»Also still!« rief Gaetano.

Und alle schwiegen.

Da Franz ein Mann war, der alle Dinge von ihrem wahren Gesichtspunkte aus betrachtete, so schien ihm die Lage der Dinge zwar nicht gefährlich, hatte aber für ihn doch einen gewissen Ernst. Er befand sich in der tiefsten Finsternis allein mitten auf dem Meere unter Seeleuten, die ihn nicht kannten und keine Ursache hatten, ihm ergeben zu sein, die ferner wußten, daß er in seinem Gürtel einige tausend Franken trage, und die schon zehnmal, wo nicht mit Lüsternheit, doch mit Neugier, seine Waffen untersucht hatten, die sehr schön waren. Anderseits sollte er ohne ein anderes Geleit als diese Menschen auf einer Insel landen, die zwar einen religiösen Namen trug, die aber mit ihren Schleichhändlern und Banditen Franz keine andere Gastlichkeit zu verheißen schien, als die Schädelstätte für Christus bot; sodann schien ihm die Erzählung von dem auf den Grund versenkten Schiffe, die er bei Tag für übertrieben hielt, jetzt bei Nacht viel wahrscheinlicher. Indem er nun zwischen dieser doppelten Gefahr stand, die vielleicht eingebildet, vielleicht auch wirklich war, ließ er die Leute nicht aus den Augen und legte das Gewehr nicht aus der Hand. Mittlerweile hatten die Schiffer das Segel wieder aufgehißt und die vorher gezogene Furche aufs neue eingeschlagen. Franz, der bereits an die Dunkelheit gewöhnt war, unterschied den riesenhaften Granit, gegen den die Barke hinsteuerte, und als man abermals um eine Felsenkante bog, bemerkte er das Feuer, das noch heller brannte als zuvor, und um das vier bis fünf Menschen saßen. Der Widerschein des Herdes erstreckte sich auf hundert Fuß in das Meer hinaus.

Gaetano steuerte längs des Lichtscheines hin, doch hielt er sich an der nicht erleuchteten Seite, dann, als sich die Barke dem Herde gegenüber befand, wandte er das Vorderteil dahin und fuhr keck in den erleuchteten Kreis, indem er ein Fischerlied anstimmte, das im Refrain von den andern im Chor wiederholt wurde.

Bei dem ersten Laut des Gesanges standen die Männer auf, die um das Feuer herumsaßen, und näherten sich den Landenden, die Augen auf die Barke geheftet, deren Bemannung sie sichtlich zu ermessen und deren Gesinnung sie zu erraten bemüht waren. Sie schienen des Prüfens gar bald genug zu haben und lagerten sich wieder, mit Ausnahme eines einzigen, der am Ufer stehenblieb, rings um das Feuer, bei dem sie eine ganze Ziege zu braten im Begriffe waren.

Als sich das Schiff dem Lande auf zwanzig Schritt genähert hatte, machte der Mann am Ufer mit seinem Karabiner die Gebärde einer Schildwache, die auf eine Patrouille wartet, und rief in sardinischer Mundart:

»Wer da?«

Franz spannte kaltblütig seine Doppelflinte.

Sofort wechselte Gaetano mit diesem Manne einige Worte, von denen der Reisende nichts verstand, die aber offenbar ihn betrafen.

Der Patron fragte nun: »Wollen sich Seine Exzellenz nennen oder inkognito bleiben?«

»Mein Name bleibe diesen Leuten völlig unbekannt,« entgegnete Franz, »sagt ihnen also ganz einfach, daß ich ein Franzose bin, der zu seinem Vergnügen reist.«

Als Gaetano diese Antwort überbrachte, gab die Schildwache einem der am Feuer Sitzenden einen Befehl, und dieser stand alsogleich auf und verschwand hinter dem Felsen. Es herrschte Stillschweigen. Jeder schien mit seinen Angelegenheiten beschäftigt, Franz mit seiner Landung, die Matrosen mit ihren Segeln, die Schleichhändler mit ihrer Ziege; aber mitten unter dieser anscheinenden Sorglosigkeit behielt man sich gegenseitig im Auge.

Der Mann, der sich entfernt hatte, erschien von der entgegengesetzten Seite plötzlich wieder; er gab der Schildwache mit dem Kopfe ein Zeichen, diese wandte sich um und ließ bloß die Worte vernehmen: »S'accomodi.« Dieses italienische S'accomodi läßt sich nicht übersetzen. Es will zu gleicher Zeit ausdrücken: »Kommt, tretet ein, seien Sie willkommen, machen Sie sich's bequem wie zu Hause, Sie sind der Gebieter.« Das S'accomodi ist jene türkische Redensart des Moliere, die den Bourgeois gentilhomme ob der Menge von Bedeutungen, die sie enthielt, in Erstaunen versetzte. Die Matrosen ließen es sich nicht zweimal sagen, mit vier Ruderschlägen war die Barke am Lande. Gaetano sprang ans Gestade und wechselte noch einige Worte leise mit der Schildwache; seine Gefährten stiegen ebenfalls einer nach dem andern aus, und endlich kam auch die Reihe an Franz.

Er hatte eine seiner Flinten am Bandelier, Gaetano trug die andere, ein Matrose hielt seinen Karabiner. Seine Kleidung hielt die Mitte zwischen einem Künstler und einem Stutzer, was den Gastfreunden keinen Argwohn und folglich auch keine Unruhe einflößte. Man befestigte die Barke am Ufer und ging einige Schritte vorwärts, um einen bequemen Lagerplatz zu suchen; aber ohne Zweifel behagte der Punkt, auf dem man sich umsah, dem wachestehenden Schleichhändler nicht, denn er rief Gaetano zu: »Nein, nicht dort -- wenn es sein kann.«

Gaetano murmelte eine Entschuldigung und ging, ohne weiter zu widersprechen, auf die entgegengesetzte Seite, während zwei Matrosen Fackeln am Herde anzündeten, um den Weg zu beleuchten. Man machte ungefähr dreißig Schritte und hielt auf einer Esplanade an, die ganz mit Felsen umgeben war, worin man eine Gattung Sitze ausgrub, die kleinen Schilderhäuschen ähnlich waren und worin man die Wache sitzend hielt. Ringsum wuchsen in den Adern vegetabilischer Erde Zwergeichen und dichte Gebüsche von Myrten. Franz hielt seine Fackel abwärts und erkannte an einem Haufen Asche, daß er nicht der erste war, der das Bequeme dieses Platzes bemerkte, und daß es eine gewöhnliche Station derer sein müsse, die die Insel Monte Christo besuchen.

Was seine Spannung auf Ereignisse betraf, so ließ sie nach. Da er einmal seinen Fuß auf dem Festland hatte und die, wenn auch nicht freundliche, doch wenigstens gleichgültige Gesinnung seiner Gastfreunde erkannte, so schwand bei ihm jede Besorgnis, und der Geruch, den die gebratene Ziege vom nahen Lager aus verbreitete, weckte die Eßlust in ihm. Er ließ ob dieser neuen Erscheinung ein paar Worte gegen Gaetano fallen, der ihm zur Antwort gab, es sei nichts Einfacheres als ein Nachtmahl, nur müßte man, wie sie, in der Barke Brot, Wein, sechs Rebhühner und ein gutes Feuer haben, um sie zu braten.

»Außerdem,« fügte er hinzu, »wenn Eure Exzellenz den Geruch der Ziege so anlockend finden, so kann ich hingehen und unseren Nachbarn zwei von unseren Vögeln gegen eine Schwarte ihres Vierfüßlers anbieten.«

»Tut das, Gaetano, tut es!« versetzte Franz. »Ihr seid wahrhaft mit einem Handelsgenie zur Welt gekommen.«

Während dieser Zeit hatten die Matrosen Arme voll Heidekraut ausgerissen, Bündel aus Myrten und grünen Eichen gemacht und ein Feuer darunter angezündet, aus dem bald ein respektabler Herd entstand. Franz, der immer den Wohlgeruch der Ziege einsog, erwartete mit Ungeduld die Zurückkunft des Patrons, bis dieser wieder erschien und mit sehr verstörter Miene auf ihn zuging.

»Nun. was bringt Ihr Neues?« fragte er. »Weist man unser Anerbieten zurück?«

»Im Gegenteil,« antwortete Gaetano, »der Chef, dem man gesagt hat, Sie seien ein junger, französischer Edelmann, ladet Sie ein, mit ihm zu speisen.«

»Wohlan!« sagte Franz. »Dieser Chef hat sehr viel Lebensart, und ich sehe keinen Grund, warum ich mich weigern soll, zumal da ich meinen Teil zur Mahlzeit mitbringe.«

»Oh, es ist nicht das, man hat dort genug zum Mahle, allein er macht zu Ihrem Empfange eine gar seltsame Bedingung.«

»Wie das?« fragte der junge Mann, »hat er sich denn ein Haus bauen lassen?«

»Nein, aber wie man mir wenigstens versichert, hat er eins bei sich, das sehr komfortabel ist.«

»Kennt Ihr also diesen Häuptling?«

»Ich hörte von ihm sprechen.«

»Gutes, oder Schlimmes?«

»Beides.«

»Teufel! Und was für eine Bedingung stellt er mir?«

»Daß Sie sich die Augen verbinden lassen und die Binde nicht eher wegnehmen, als bis er Sie selbst dazu auffordern wird.«

Franz prüfte soviel als möglich Gaetanos Blick, um zu erforschen, was dieser Vorschlag in sich verbergen könne.

»Ah, zum Kuckuck,« erwiderte dieser, »die Sache verdient überlegt zu werden.«

»Was würdet Ihr an meiner Stelle tun?« fragte der junge Mann.

»Ich, der ich nichts zu verlieren habe, würde hingehen.«

»Ihr würdet die Einladung annehmen?«

»Ja, wäre es auch nur aus Neugierde.«

»Ist also bei diesem Anführer etwas Seltsames zu sehen?«

»Hören Sie,« sagte Gaetano mit leiserer Stimme, »ich weiß nicht, ob das wahr ist, was man sagt.«

Er hielt an und blickte um sich, ob ihn kein Fremder höre.

»Und was sagt man denn?«

»Man sagt, dieser Häuptling bewohne einen unterirdischen Palast, gegen den der Palast Pitti nur eine Kleinigkeit wäre.«

»Was für ein Traum!« rief Franz, sich wieder setzend.

»Oh, es ist kein Traum, es ist Wirklichkeit«, versetzte der Patron. »Cama, der Pilot des ›San Ferdinand‹, war eines Tages darin, er kam ganz begeistert zurück und sagte uns, nur in Feenmärchen gäbe es ähnliche Schätze.«

»Sieh an!« sagte Franz. »Wisset Ihr, daß mich solch Gerede bewegen könnte, in die Höhle des Ali-Baba hinabzusteigen?«

»Exzellenz, ich sage Ihnen, was man mir gesagt hat.«

»Ihr ratet mir also, dieser Einladung nachzukommen?«

»Oh, ich sage das nicht; Eure Exzellenz mögen nach eigenem Belieben handeln. Ich möchte Ihnen in diesem Falle keinen Rat erteilen.«

Franz überlegte einige Augenblicke, er sah ein, daß ein so reicher Mann gegen ihn, der nur einige tausend Franken bei sich trug, nichts Böses im Schilde führen könnte, und da er bei alledem nichts weiter im Auge hatte als ein vortreffliches Nachtmahl, so entschloß er sich, zu gehen. Gaetano überbrachte seine Antwort.

Wie schon gesagt, war Franz klug; auch wollte er über diesen seltsamen und geheimnisvollen Mann womöglich nähere Aufschlüsse haben. Er wandte sich also nach der Seite des Matrosen, der während jenes Gespräches die Rebhühner mit dem Ernste eines Mannes rupfte, der auf seine Verrichtungen stolz ist, und fragte ihn, wo denn die Leute landen könnten, da man weder Barken, noch Boote, noch Tartanen erblicke.

»Das macht mich nicht unruhig,« sagte der Matrose, »ich kenne das Schiff, auf dem sie steuern.«

»Ist es ein hübsches Fahrzeug?«

»Ich wünsche Eurer Exzellenz ein solches zu einer Reise um die Welt.«

»Was hat es für eine Größe?«

»Es faßt ungefähr hundert Tonnen. Es ist übrigens ein Phantasieschiff, eine Jacht, wie die Engländer sagen, aber sehen Sie, so trefflich gebaut, daß es sich bei jeder Witterung auf der See zu halten vermag.«

»Und wo wurde es gebaut?«

»Ich weiß es nicht, doch glaube ich in Genua.«

»Und wie,« fuhr Franz fort, »wie kann sich ein Häuptling von Schmugglern getrauen, im Hafen von Genua eine Jacht bauen zu lassen, die zur Ausübung seines Gewerbes bestimmt ist?«

»Ich habe nicht gesagt,« entgegnete der Matrose, »daß der Eigentümer dieser Jacht ein Häuptling von Schmugglern sei.«

»Nein, aber Gaetano sagte das, wie mir scheint.«

»Gaetano hat die Mannschaft nur von ferne gesehen, aber mit niemandem gesprochen.«

»Was ist nun dieser Mensch, wenn er nicht Oberhaupt von Schleichhändlern ist?«

»Ein reicher, vornehmer Herr, der zu seinem Vergnügen reist.«

Ei, dachte Franz, diese Person wird immer geheimnisvoller, weil die Aussagen so abweichend sind. »Wie nennt er sich denn?«

»Wenn man ihn fragt, so antwortet er, er sei Sindbad, der Seefahrer; allein ich zweifle, daß das sein wahrer Name ist.«

»Sindbad, der Seefahrer?«

»Ja.»

»Und wo wohnt denn dieser vornehme Herr?«

»Auf dem Meere.«

»Aus welchem Lande stammt er?«

»Das weiß ich nicht.«

»Habt Ihr ihn gesehen?«

»Einige Male.«

»Was ist er für ein Mensch?«

»Eure Exzellenz werden darüber selbst urteilen.«

»Wo wird er mich wohl empfangen?«

»Gewiß in dem unterirdischen Palast, von dem Ihnen Gaetano sagte.«

»Wenn Ihr da angelandet seid und die Insel öde sahet, hat Euch nie die Neugierde gestachelt, diesen Zauberpalast aufzusuchen und zu betreten?«

»Allerdings, Eure Exzellenz,« erwiderte der Matrose, »und zwar öfter als einmal, allein unsere Nachforschungen waren immer fruchtlos, wir haben die Grotte von allen Seiten durchwühlt, doch nirgends auch nur den kleinsten Eingang aufgefunden. Übrigens heißt es, die Pforte öffne sich nicht mit einem Schlüssel, sondern durch einen magischen Spruch.«

»Ha,« murmelte Franz, »man versetzt mich da offenbar in ein Märchen der Tausendundeinen Nacht.«

»Seine Exzellenz erwartet Sie«, sprach hinter ihm eine Stimme, die er für die der Schildwache erkannte.

Der neue Ankömmling war von zwei Männern aus der Mannschaft der Jacht begleitet. Statt aller Antwort zog Franz ein Schnupftuch aus der Tasche und reichte es dem, der jene Worte an ihn richtete. Ohne ein Wort zu reden, verband man ihm die Augen mit einer Vorsicht, welche anzeigte, wie sehr man seinerseits eine Indiskretion befürchtete. Hierauf ließ man ihn schwören, daß er durchaus keinen Versuch mache, seine Binde abzunehmen, bevor er nicht die Aufforderung hierzu erhielt. Er schwur.

Dann faßten ihn die beiden Männer jeder bei einem Arme, und er ging, von ihnen geführt, während die Schildwache voranschritt. Nach dreißig Schritten merkte er an der Wärme des Feuerbrandes und an dem immer lockenderen Geruche der Ziege, daß er an dem Lager vorbeiging; dann ließ man ihn seinen Weg noch fünfzig Schritt weit fortsetzen, wobei man sich offenbar nach der Seite hinwandte, nach der man Gaetano nicht vordringen lassen wollte, ein Verbot, das sich jetzt aufklärte. Bald darauf merkte Franz an der veränderten Atmosphäre, daß man unterirdisch einbog. Nach Verlauf von einigen Sekunden hörte er ein Gekrach, und es dünkte ihn, die Atmosphäre ändere sich abermals und werde jetzt lau und aromatisch; endlich fühlte er, daß seine Füße auf einem dichten und weichen Teppich wandelten, seine Führer verließen ihn. Es trat einen Augenblick Stillschweigen ein, worauf eine Stimme gut französisch, doch mit einem fremden Akzente, sprach: »Sie sind bei mir willkommen, mein Herr, und können Ihre Binde abnehmen!«

Wie sich wohl erachten läßt, ließ sich Franz diese Aufforderung nicht zweimal sagen; er nahm sein Taschentuch ab und sah sich einem Manne von dreißig bis vierzig Jahren, in tunesischer Kleidung, gegenüber. Obschon dieser Mann ein fast leichenfahles Gesicht hatte, so war seine Gestalt doch bemerkenswert schön; sein Auge war lebhaft und durchdringend, seine Nase gerade, mit der Stirn fast im gleichen Niveau, und verkündete den griechischen Typus in seiner ganzen Reinheit. Nur war diese Blässe seltsam; man hätte glauben mögen, er sei dem Grabe entstanden und könne die Farbe der Lebendigen nicht mehr annehmen. Aber Franz, der Gaetanos Bericht für einen Traum gehalten, verwunderte sich am meisten über die Kostbarkeit der Einrichtung.

Das ganze Zimmer war mit einem türkischen Stoffe ausgeschlagen, der von karmesinroter Farbe und mit goldenen Blumen durchwirkt war. In einem Erker stand ein Diwan, und über diesem hing eine Trophäe von arabischen Waffen, mit Scheiden in Vermeil gearbeitet, während die Griffe von Edelsteinen funkelten; am Plafond hing eine Lampe von venezianischem Glas, prachtvoll in Form und Farbe. Vorhänge hingen vor der Tür, durch die Franz eingetreten war, sowie vor einer anderen, die in ein zweites Gemach ging, welches hell erleuchtet zu sein schien. Der Gastgeber überließ Franz ein Weilchen ganz seinem Erstaunen, prüfte ihn übrigens, wie er von ihm geprüft wurde, und ließ ihn nicht aus den Augen.

»Mein Herr,« sprach er endlich, »ich bitte tausendmal um Vergebung ob der Vorsichtsmaßregeln, die man von Ihnen begehrte, als Sie zu mir geführt wurden; da indes diese Insel die meiste Zeit verlassen ist, so würde ich, wenn das Geheimnis dieses Aufenthaltsortes bekannt wäre, denselben bei meiner Zurückkunft ohne allen Zweifel in einem schlimmen Zustande antreffen, was mir höchst unangenehm wäre, nicht sowohl wegen des Schadens, den er erlitte, sondern weil ich nicht mehr die Gewißheit hätte, mich von der übrigen Welt absondern zu können, wann es mir eben beliebt. Indes will ich mich jetzt bemühen, bei Ihnen diese kleine Unannehmlichkeit in Vergessenheit zu bringen, indem ich Ihnen anbiete, was Sie hier zu finden nicht vermuteten, nämlich ein annehmbares Nachtmahl und gute Betten.«

»Meiner Treu, lieber Gastfreund,« entgegnete Franz, »Sie haben sich deshalb nicht zu entschuldigen. Ich habe immer gehört, daß man allen, die je in Zauberpaläste eintraten, die Augen verband, sehen Sie nur Raoul an in den ›Hugenotten‹; und ich habe mich wahrlich nicht zu beklagen, denn was Sie mir da zeigen, bildet die Fortsetzung von den Wundern der Tausendundeinen Nacht.«

»Ach, ich möchte Ihnen zurufen wie Lucullus: Hätte ich gewußt, daß mir die Ehre Ihres Besuches zuteil wird, so würde ich mich darauf vorbereitet haben. Allein, wie auch meine Einsiedelei ist, so steht sie zu Ihrer Verfügung, und mein Nachtmahl ist Ihnen angeboten, wie schmal es auch sein mag. Ali, hast du aufgetragen?«

Fast in demselben Augenblick ging der Türvorhang in die Höhe, und ein nubischer Mohr, schwarz wie Ebenholz und in eine einfache weiße Tunika gehüllt, machte seinem Gebieter das Zeichen, daß alles bereit sei.

»Nun weiß ich nicht,« sprach der Unbekannte zu Franz, »ob Sie wohl meiner Ansicht sind, allein ich finde nichts so unbehaglich, als wenn man sich zwei oder drei Stunden gegenübersitzt und nicht weiß, mit welchem Namen oder Titel man sich anreden soll. Befürchten Sie indes keine Indiskretion; ich bitte Sie bloß, mir irgendeine Benennung anzugeben, unter der ich meine Worte an Sie richten kann. Was mich betrifft, so sage ich Ihnen zu diesem Behufe, daß man mich Sindbad, den Seefahrer, zu nennen pflegt.«

Franz erwiderte: »Da mir, um in der Lage Aladdins zu sein, nichts abgeht als die berühmte Wunderlampe, so sehe ich darin keine Schwierigkeit, wenn Sie mir für den Augenblick den Namen Aladdin geben. Damit treten wir nicht aus dem Orient heraus, wohin mich, wie ich zu glauben versucht bin, die Macht eines guten Genius versetzt hat.«

»Wohlan, edler Herr Aladdin!« versetzte der fremde Amphitrion. »Sie haben gehört, daß aufgetragen ist, nicht wahr? Wollen Sie sich also in den Speisesaal bemühen, Ihr ergebener Diener schreitet voran, um Ihnen den Weg zu weisen.«

Nach diesen Worten hob Sindbad den Türvorhang in die Höhe und schritt Franz voran.

Franz wandelte von Zauber zu Zauber; die Tafel war prunkvoll bestellt. Da er einmal über diesen wichtigen Punkt im reinen war, wandte er die Augen ringsherum. Der Speisesaal war nicht weniger glänzend als das Wohnzimmer, das er eben verließ; er war ganz aus Marmor mit antiken Basreliefs von sehr hohem Werte, und an den vier Ecken dieses länglichen Saales standen vier prachtvolle Statuen, die Körbe auf ihren Köpfen trugen. Diese Körbe enthielten Pyramiden von köstlichen Früchten: es waren Ananas aus Sizilien, Granatäpfel aus Malaga, Orangen von den balearischen Inseln, Pfirsiche aus Frankreich und Datteln aus Tunis. Das Nachtmahl bestand aus einem gebratenen Fasan, umgeben mit Amseln aus Korsika, aus einer Eberkeule in Gelee, einem Viertel Ziege à la tatare, einem prächtigen Steinbutt und einer riesenhaften Languste. Die Zwischenräume der großen Schüsseln waren mit kleinen Schüsseln ausgefüllt, die Beigerichte enthielten. Die Schüsseln waren von Silber, die Teller aus japanischem Porzellan. Franz rieb sich die Augen, um sich zu vergewissern, daß er nicht träume. Ali allein ward zur Bedienung zugelassen und entledigte sich seines Amtes vortrefflich. Der Gast machte hierüber seinem Wirte ein Kompliment.

»Ja,« erwiderte dieser, indem er bei seinem Nachtschmause die Honneurs mit der größten Behendigkeit machte, »ja, es ist ein armer Teufel, der mir sehr ergeben ist und sein Geschäft nach Kräften versieht. Er erinnert sich, daß ich ihm das Leben gerettet habe, und da er einen Wert auf seinen Kopf zu legen scheint, so beweist er mir, um ihn zu bewahren, alle Erkenntlichkeit.«

Ali verstand zwar nicht Französisch, doch las er in den Blicken Sindbads, daß er von ihm redete; demzufolge näherte er sich und küßte die Hand seines Gebieters.

»Edler Herr Sindbad,« sagte Franz, »wäre es wohl zu unbescheiden, wenn ich Sie fragte, bei welcher Gelegenheit Sie diese schöne Handlung verübten?«

»O mein Gott,« erwiderte der Gefragte, »die Sache ist ganz einfach. Wie es scheint, ist der Bursche etwas näher bei dem Serail des Bei von Tunis herumgestrichen, als es für einen Menschen seiner Farbe geziemend war, wonach er von dem Bei verurteilt wurde, daß ihm die Zunge, die Hand und der Kopf abgeschnitten werde, und zwar die Zunge am ersten, die Hand am zweiten und der Kopf am dritten Tage. Ich hätte längst gern einen Stummen in meinem Dienst gehabt; ich wartete, bis ihm die Zunge abgeschnitten wurde, ging dann zum Bei, und machte ihm den Vorschlag, mir den Burschen gegen eine herrliche Doppelflinte zu überlassen. Seine Hoheit schwankte einen Augenblick, da ihm viel daran lag, diesen armen Teufel aus der Welt zu schaffen. Als ich aber jener Flinte ein englisches Jagdmesser beifügte, womit ich den Jatagan seiner Hoheit durchschnitten hatte, entschloß sich der Bei, ihn in bezug auf die Hand und den Kopf zu begnadigen, stellte jedoch die Bedingung, daß er nie wieder einen Fuß nach Tunis setze. Allein dieser Befehl war unnötig; wenn der arme Schlucker die Küste von Afrika aus der weitesten Ferne erblickt, so flüchtet er sich in den Grund des Schiffes und ist daraus nicht mehr hervorzubringen, als bis der dritte Weltteil aus den Augen entschwindet.«

Franz blieb einen Augenblick stumm und nachdenkend, indem er überlegte, was von der grausamen Gutherzigkeit zu halten sei, mit der ihm sein Gastgeber das erzählte.

Dann änderte er das Gespräch und sagte: »Bringen Sie also als ehrenwerter Seemann, wie Ihr Name besagt, Ihr Leben mit Reisen zu?«

»Ja,« entgegnete der Unbekannte lächelnd, »es ist ein Gelübde, das ich einstmals tat, wo ich es kaum erfüllen zu können glaubte.«

Obwohl Sindbad diese Worte mit der größten Kaltblütigkeit aussprach, so hatten doch seine Augen einen Blick von seltsamer Wildheit geschleudert.

»Sie haben wohl viel Leiden überstanden, mein Herr?« fragte Franz.

Sindbad zitterte, blickte ihn starr an und fragte:

»Woran sehen Sie das?«

»An allem,« entgegnete Franz, »an Ihrer Stirn, an Ihrem Blicke, an Ihrer Blässe und an dem Leben selbst, das Sie führen.«

»Ich? Oh, ich führe das glücklichste Leben, das ich kenne, das wahrhafte Leben eines Pascha; ich bin der König der Schöpfung: gefällt es mir an einem Orte, so bleibe ich, spür' ich Langeweile, so reise ich ab; ich bin frei wie der Vogel und habe Schwingen wie er. Die Leute, die mich umgeben, gehorchen mir auf einen Wink; bisweilen belustige ich mich damit, daß ich einen Banditen oder sonst einen verfolgten Verbrecher vor den Sbirren rette. Dann habe ich meine eigene Rechtspflege, eine niedere und hohe, ohne Aufschub und Appellation, die verdammt und losspricht, und wogegen niemand eine Einsprache zu tun hat. Oh, wenn Sie mein Leben gekostet hätten, würden Sie sich kein anderes mehr wünschen und nie wieder in die Welt zurückkehren, falls nicht irgendein Zwang besteht.«

»Zum Beispiel -- eine Rache!« sagte Franz.

Der Unbekannte warf dem jungen Mann einen jener Blicke zu, die ins Tiefste des Herzens und der Gedanken eindringen.

»Und warum eine Rache?« fragte er.

»Weil Sie das Aussehen eines Mannes haben,« sagte Franz, »der mit der menschlichen Gesellschaft eine furchtbare Rechnung abzuhalten hat.«

Sindbad lächelte auf seltsame Weise und sagte: »Sie irren; wie Sie mich da sehen, bin ich eine Art Menschenfreund, und vielleicht gehe ich einmal nach Paris, um mich mit Herrn Appert und mit dem Mann im kleinen blauen Mantel zu messen.«

»Würden Sie diese Reise zum ersten Male machen?«

»Ja! Aber ich versichere Ihnen, es ist nicht meine Schuld, daß ich so lange gesäumt habe; es wird gewiß einmal geschehen.«

»Sind Sie gesonnen, diese Reise bald zu machen?«

»Das weiß ich noch nicht; es hängt von Umständen ab, die wieder mit gewissen Kombinationen in Verbindung stehen.«

»Ich wünschte, wenn Sie reisen, bis dahin gleichfalls dort zu sein, denn ich würde nach Kräften bemüht sein, Ihnen die Gastfreundschaft zu erwidern, die Sie mir auf Monte Christo so reichlich erwiesen.«

»Ich würde Ihr Anerbieten mit großer Freude annehmen,« erwiderte der Unbekannte, »doch werde ich wahrscheinlich, wenn ich hinreise, inkognito bleiben.«

Inzwischen hatte das Souper seinen Fortgang und schien auch bloß für Franz aufgetragen worden zu sein, denn der Unbekannte hatte kaum ein oder zwei Gerichte des glänzenden Festmahls gekostet, dem doch der unverhoffte Gast alle Ehren erwies. Endlich brachte Ali den Nachtisch oder nahm vielmehr die Körbe aus den Händen der Statuen und stellte sie auf den Tisch. Zwischen je zwei Körbe setzte er einen Becher von Vermeil, der mit einem Deckel von demselben Metall verschlossen war.

Die Achtsamkeit, mit der Ali diesen Becher brachte, steigerte die Neugierde des Franz; er nahm den Deckel weg und sah eine Art grünlichen Teiges, der den Angelika-Zuckerwerken glich, ihm aber ganz unbekannt war. Er legte den Deckel zurück und wußte ebensowenig wie vorher, was dieser Becher enthielt; als er die Augen zu seinem Wirte erhob, sah er ihn über seine Verwirrung lächeln.

»Sie können es nicht erraten,« sprach dieser, »was für ein Naschwerk diese kleine Vase enthält, und das ärgert Sie -- nicht wahr?«

»Ich gestehe es.«

»Hm, diese Art Zuckerwerk von grünlicher Farbe ist nicht mehr und nicht weniger als die Ambrosia, die Hebe an Jupiters Tafel kredenzt hat.«

»Aber gewiß hat diese Ambrosia,« sagte Franz, »als sie durch die Hände der Menschen ging, ihren himmlischen Namen verloren, um einen menschlichen anzunehmen? Wie heißt denn im gemeinen Leben dieser Leckerbissen, für den ich übrigens kein großes Verlangen in mir verspüre?«

»Ach, eben das beurkundet unsern materiellen Ursprung,« rief Sindbad; »wir gehen so oft an unserm Glücke vorüber, ohne es zu sehen, ohne es anzublicken, oder, wenn wir es gesehen und angeblickt haben, ohne es zu erkennen. Sind Sie ein positiver Mensch und ist das Gold Ihr Gott? Kosten Sie das, und die Minen von Peru, Guzerate und Golkonda werden sich Ihnen aufschließen. Sind Sie ein Mann von Einbildungskraft? Sind Sie ein Dichter? Kosten Sie nur, und die Schranken des Möglichen werden Ihnen verschwinden, die Bereiche des Unendlichen werden sich Ihnen öffnen, und Sie wandeln frei im Herzen, frei im Geiste umher in dem markenlosen Gebiete des Traumlebens. Sind Sie ehrsüchtig? Jagen Sie nach irdischer Größe? Kosten Sie immerhin davon, und in einer Stunde werden Sie König sein, nicht etwa König eines kleinen Reiches, das wie Frankreich, Spanien oder England in einem Winkel der Erde verborgen liegt, sondern König der Welt, König des Universums, König der Schöpfung; Ihr Thron wird dort auf jenem Berge aufgerichtet sein, wohin Jesus vom Satan geführt ward; und ohne daß Sie diesem huldigen müssen, ohne daß Sie gezwungen werden, ihm die Krallen zu küssen, werden Sie unumschränkter Herr sein über alle Reiche der Erde. Sagen Sie nun, ist das nicht lockend, was ich Ihnen anbiete? Und ist das nicht etwas Leichtes, indem Sie nur dieses zu tun brauchen? Sehen Sie!«

Bei diesen Worten nahm er gleichfalls den Deckel von seinem kleinen Becher weg, der die so sehr gerühmte Substanz enthielt, nahm einen Kaffeelöffel voll von dem magischen Zuckerwerke, führte ihn an die Lippen und sog die Substanz langsam in den Mund, die Augen halb geschlossen und den Kopf übergeneigt. Franz ließ ihm Zeit, seinen Leckerbissen zu genießen, dann aber sprach er:

»Was ist das nun für ein kostbares Gericht?«

»Haben Sie schon vom ›Alten vom Berge‹ gehört,« fragte Sindbad, »jenem, den Philipp August umbringen lassen wollte?«

»Ja.«

»Gut, Sie wissen, daß er über ein reiches Tal regierte, das der Berg beherrschte, von dem er seinen Namen angenommen hat. In diesem Tale gab es prachtvolle Gärten, angelegt von Hassan-ben-Sabah, und in diesen Gärten abgesonderte Pavillons. In diese Pavillons ließ er seine Auserwählten eintreten und sie daselbst, sagt Marco Polo, ein gewisses Kraut essen, das sie in das Paradies versetzte, mitten unter ewig blühende Pflanzen, ewig reife Früchte und immerwährende Jungfrauen. Was nun die seligen jungen Leute für Wirklichkeit hielten, war ein Traum, doch so sanft, berauschend und wonnig, daß sie Leib und Seele an den verkauften, der ihnen diese Seligkeit bescherte, daß sie seinen Aufträgen gehorchten wie göttlichen Geboten und bis ans Ende der Welt gingen, um das angedeutete Opfer zu erschlagen, unter Martern starben, ohne sich zu beklagen, nur daran denkend, daß der Tod, dem sie sich unterzogen, nur ein Übergang sei zu jenem wonnevollen Leben, von dem ihnen das Kraut, das man ihnen vorsetzte, einen Vorgeschmack gab.«

»Das ist also Haschisch«, rief Franz. »Ja, ich kenne es wenigstens dem Namen nach.«

»Sie haben es bei dem rechten Namen genannt, Herr Aladdin, es ist Haschisch; das beste und reinste, was es in Alexandria, was es von Abou-Gar gibt, dem großen Bereiter, dem einzigen, dem Manne, für den man einen Palast bauen sollte mit der Inschrift: ›Dem Glückverkäufer die dankbare Welt!‹«

»Wissen Sie wohl,« sagte Franz, »daß ich große Lust habe, mich selbst von der Wahrheit oder Übertreibung Ihres Lobes schiedsrichterlich zu überzeugen?«

»Urteilen Sie selbst, mein Gast, urteilen Sie! Doch bleiben Sie nicht schon bei der ersten Erfahrung stehen. Wie bei jeder Sache, muß man die Sinne an einen neuen Eindruck gewöhnen, ob er nun sanft oder heftig, düster oder angenehm sei. Es ergibt sich ein Kampf der Natur gegen diese göttliche Substanz, der Natur, die nicht geeignet ist für die Freude und sich an den Schmerz anklammert. Die überwundene Natur muß im Kampfe unterliegen; die Wirklichkeit muß dem Traume nachfolgen, dann herrscht der Traum unumschränkt. Hierauf wird der Traum zum Leben, das Leben zum Traume; doch wie groß ist der Unterschied in dieser Umgestaltung, wenn man nämlich die Schmerzen der wirklichen Existenz mit den Wonnen der scheinbaren vergleicht! Sie werden nicht mehr leben, sondern stets nur träumen wollen. Wenn Sie Ihre Welt verlassen und übergehen in die Welt der andern, so dünkt es Sie, als träten Sie aus einem neapolitanischen Frühling in einen lappländischen Winter. Es wird Ihnen vorkommen, als ob Sie das Paradies mit der Erde, den Himmel für die Hölle vertauschen. Nehmen Sie Haschisch, mein Gast, nehmen Sie!«

Statt aller Antwort nahm Franz einen Löffel voll von diesem wunderbaren Teig nach dem Bemessen, was sein Amphitrion genossen, und führte ihn zum Munde. Nachdem er dieses göttliche Zuckerwerk verschluckt hatte, rief er: »Teufel! Ich weiß noch nicht, ob das Resultat so angenehm sein wird, wie Sie sagen, allein schmecken tut es scheußlich.«

»Weil Ihr Gaumen für die Erhabenheit dieses Genusses noch nicht geeignet ist. Sagen Sie mir, liebten Sie auf das erste Mal schon die Austern, den Tee, den Porter, die Trüffeln und alles das, wofür Sie nachher geschwärmt haben? Begreifen Sie jetzt, warum die Römer die Fasanen mit Assa foetida würzten und die Chinesen Schwalbennester essen? Ebenso verhält es sich mit dem Haschisch; genießen Sie es nur acht Tage nacheinander, und es wird Ihnen scheinen, daß keine Speise in der Welt der Feinheit dieses Genusses gleichkomme. Übrigens, gehen wir jetzt ins Nebengemach, das heißt in Ihr Zimmer; Ali wird uns Kaffee bringen.«

Franz trat in das anstoßende Zimmer.

Dieses war einfacher, jedoch nicht weniger reich möbliert. Es war von runder Form, und ringsherum lief ein Diwan. Aber Diwan, Wände, Plafonds und der Boden waren mit prachtvollen Häuten überzogen, die so sanft und weich wie die weichsten Teppiche waren; es waren Häute von Löwen des Atlas mit mächtigen Mähnen, Häute von Tigern aus Bengalen mit den warmen Streifen, hellgefleckte Häute von Panthern vom Kap, wovon Dante spricht, endlich Häute von Bären aus Sibirien, von Füchsen aus Norwegen, und alle diese Häute und Felle waren so verschwenderisch übereinander gehäuft, daß man auf dem üppigsten Rasen und dem weichsten Seidenbette zu ruhen vermeinte. Beide streckten sich auf die Diwans hin, Pfeifen mit Jasminröhren und Mundstücken aus Ambra waren in solcher Menge zur Hand, daß man nicht zweimal aus einer und derselben zu rauchen brauchte. Jeder nahm eine davon. Ali zündete sie an und ging dann fort, um den Kaffee zu bringen.

»Wie wollen Sie ihn nehmen?« fragte der Unbekannte.

»Auf französische oder auf türkische Art, stark oder schwach, mit oder ohne Zucker, durchsickert oder abgesotten? Nach Ihrem Belieben, er steht bereit in allen Arten.«

»Ich werde ihn auf türkische Weise nehmen«, entgegnete Franz.

»Oh, Sie haben recht,« rief der Wirt, »das beweist, daß Anlage zum orientalischen Leben in Ihnen ist. Ha, wissen Sie, daß die Orientalen die einzigen Menschen sind, die zu leben verstehen? Was mich betrifft,« fügte er mit einem seltsamen Lächeln hinzu, das dem jungen Manne nicht entging, »so werde ich mich, wenn meine Geschäfte in Paris abgetan sind, nach dem Orient begeben, um dort zu sterben, und wollen Sie mich dann wiedersehen, so müssen Sie mich in Kairo, in Bagdad oder Ispahan aufsuchen.«

»Bei meiner Treue!« sagte Franz. »Nichts in der Welt kann leichter geschehen, denn ich glaube, es wachsen mir Adlerflügel, und mit diesen Schwingen werde ich die Welt in vierundzwanzig Stunden umkreisen.«

»Haha! Es ist der Haschisch, der bereits wirkt. Wohlan, breiten Sie Ihre Flügel aus und fliegen Sie in überirdische Regionen; fürchten Sie nichts, man wird Sie behüten, und wenn Ihre Fittiche, wie die des Ikarus, an der Sonne schmelzen, so werden wir Sie auffangen.«

Dann sprach er einige arabische Worte zu Ali, der ein Zeichen des Gehorsams gab und sich zurückzog, aber ohne sich zu entfernen.

Mit Franz ging in kurzer Zeit eine seltsame Umwandlung vor; alle physische Anstrengung des Tages, alle Ermüdung des Geistes, die eine Folge der Ereignisse des Abends war, verschwand wie in einem ersten Moment der Ruhe, wo man noch genug lebt, um die Herannäherung des Schlafes zu fühlen. Sein Leib schien eine körperlose Leichtigkeit zu bekommen, sein Geist lichtete sich auf eine nie empfundene Weise, seine Sinne schienen ihre Fähigleiten zu verdoppeln. Der Horizont erweiterte sich mehr und mehr, doch war es nicht mehr jener düstere Horizont, der sich mit beklemmender Unruhe erfüllt, sondern ein blauer, heller, weiter Horizont, mit allem dem, was das Meer an Azur, die Sonne an Goldflimmer, der Westwind an Wohlgerüchen an sich hat. Dann befand er sich plötzlich in einem prunkvollen, matt rosig erleuchteten Schlafgemach. Jungfrauen von wunderbarer Schönheit mit langwallendem Haar streckten ihre Arme nach ihm aus, als wollten sie ihn alle zugleich besitzen. Das war nun eine Wonne ohne Aufhören, eine Liebe ohne Ruhe, wie jene ist, die der Prophet seinen Auserwählten verheißen hat. Und Franz, dem die Gewalt des Haschisch zum erstenmal offenbar wurde, empfand diese Liebe fast als Schmerz, wie ihm diese Wonnen fast zur Marter wurden, da er fühlte, daß die Lippen dieser Schönen kalt wie Eis waren. Allein je mehr seine Arme diese unbekannte Liebe zurückzustoßen versuchten, desto mehr unterlagen seine Sinne den Reizen dieser geheimnisvollen Traumerscheinungen, so daß er nach einem Kampfe, für den man seine Seele hingegeben hätte, sich ohne Sträuben hingab und unter den Zaubern dieses bisher nie empfundenen Traumes keuchend, brennend und erschöpft zurücksank.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo