Als der Graf am nächsten Vormittag wieder seinen eleganten Wagen bestieg, dem wahrhaft prächtige Rappen

Als der Graf am nächsten Vormittag wieder seinen eleganten Wagen bestieg, dem wahrhaft prächtige Rappen vorgespannt waren, rief er dem Kutscher zu:

»Rue Chaussée d'Antin: Baron Danglars!«


Wie in Windeseile ging's dahin, und bald befand sich der Graf im Palais Danglars. Man hatte ihn in einen äußerst prunkhaften Saal geführt. Bald darauf erschien der Baron und begrüßte den Grafen mit leichtem Kopfnicken und deutete auf einen vergoldeten, mit Brokat überzogenen Sessel hin.

Der Graf setzte sich.

»Mein Herr,« sagte Danglars, »ich habe da einen Brief von Thomson & French bekommen: doch ich gestehe, daß mir dessen Sinn nicht klar ist.«

»Was ist denn daran so unerklärlich, wenn ich fragen darf?«

»Dieser ›unbegrenzte‹ Kredit, der darin dem Grafen von Monte Christo auf mein Haus eröffnet wird.«

»Ach, ich verstehe: das Haus Thomson & French ist nicht ganz sicher. In der Tat! Das wäre mir unangenehm, denn ich habe einige Gelder dort angelegt«, sagte Monte Christo mit der harmlosesten Miene von der Welt.

»Oh, vollkommen sicher!« antwortete Danglars höhnisch. »Allein der Sinn des Wortes ›unbegrenzt‹ ist in finanzieller Hinsicht so ungewiß ...«

»Weil er unbegrenzt ist, nicht wahr?« sagte Monte Christo.

»Das wollte ich eben sagen, mein Herr! Das Unbestimmte ist Zweifel, und...«

»Sehr wohl, ich verstehe,« fiel der Graf mit leisem Lächeln ein, »aber ich bin auf solche Zwischenfälle immer gefaßt und habe daher noch zwei andere Briefe, dem ähnlich, der an Sie gerichtet war. Der eine ist von dem Hause Arnstein & Eskeles in Wien an den Herrn Baron von Rothschild, der andere von dem Hause Baring in London auf Herrn Lafitte. Sprechen Sie ein Wort, mein Herr, und ich enthebe Sie aller Besorgnis und wende mich an das eine oder das andere dieser beiden Häuser.«

Damit war's um Danglars geschehen. Er starrte den Grafen beinahe mit offenem Munde an, dann stand er auf, als wollte er in diesem Manne, der vor ihm saß, die personifizierte Macht des Geldes begrüßen, und sagte: »Oh, mein Herr, diese drei Unterschriften gelten Millionen! Drei unbegrenzte Kreditbriefe auf unsere drei Häuser! Vergeben Sie mir, Graf, allein, wenn auch das Mißtrauen ein Ende hat, so bleibt doch das Staunen.«

»Da die Mißverständnisse glücklich beseitigt sind,« begann Monte Christo von neuem, »könnten wir wohl, wenn es beliebt, eine allgemeine Summe für das erste Jahr festsetzen: sagen wir also sechs Millionen.«

»Sechs Millionen -- wohlan!« sagte Danglars ganz betäubt.

»Brauche ich mehr,« fuhr Monte Christo gelassen fort, »so setzen wir mehr; allein ich denke nur ein Jahr in Frankreich zu bleiben, und während dieses Jahres glaube ich diese Summe nicht zu überschreiten. -- Wir werden jedoch sehen ... Senden Sie mir morgen für den Anfang fünfhunderttausend Franken, ich werde bis Mittag zu Hause bleiben ... Sollte dies aber nicht der Fall sein, so werde ich meinem Hausmeister einen Empfangsschein hinterlassen.«

»Das Geld wird morgen um zehn Uhr zur Stelle sein«, antwortete Danglars. Der Graf stand auf.

Auch Danglars erhob sich. »Es würde mir eine Freude sein, Sie meiner Gattin vorstellen zu dürfen«, sagte er mit größter Liebenswürdigkeit.

Der Graf verneigte sich schweigend. Danglars klingelte; ein goldbetreßter Lakai erschien.

»Ist die Baronin zu Hause?«

»Ja, gnädiger Herr«, entgegnete der Diener.

»Allein?«

»Nein, Madame hat Besuch.«

»Wer ist bei Madame, Herr Debray?« fragte Danglars mit einer Gutmütigkeit, über die Monte Christo, da er bereits von den durchsichtigen Geheimnissen im Hause des Bankiers unterrichtet war, lächeln mußte.

»Ja, Herr Debray!« versetzte der Lakai.

Danglars nickte mit dem Kopf. Dann wandte er sich gegen Monte Christo und sprach:

»Herr Lucien Debray ist ein alter Freund von uns; darf ich also bitten?«

Der Baron durchschritt mit dem Grafen eine lange Reihe von Gemächern, von denen eins wie das andere mit plumper Pracht ausgestattet war, bis sie zu dem Boudoir der Madame Danglars kamen, das mit rosa Atlas tapeziert und mit indischem Musselin überspannt war. Über den Türen sah man Schäferszenen in der Manier Bouchers. Zwei hübsche Pastelle in Medaillon, die mit der übrigen Ausstattung harmonierten, machten dieses kleine Zimmer zu dem einzigen Raum im Hause, der geschmackvoll war. Madame Danglars, die mit ihren sechsunddreißig Jahren noch immer eine Schönheit genannt werden konnte, saß bei ihrem Klavier, während Lucien an einem Tisch ein »Album« durchblätterte.

Lucien hatte schon vor Ankunft des Grafen Zeit gehabt, der Baronin allerlei Dinge von ihm zu erzählen; denn er hatte Monte Christo bereits bei Albert kennen und bewundern gelernt. Dieser Eindruck war bei Debray noch nicht erloschen, und alle Mitteilungen, die er der Baronin machte, wurzelten in ihm und reizten nicht wenig die Neugier der Frau.

So empfing sie denn diesen Fürsten des Geldes mit bezaubernder Anmut und unterhielt sich aufs liebenswürdigste mit ihm. Seine Bekanntschaft versprach eine Reihe von Bällen, Diners und herrlichen Festen, was wohl verlockend schien. Der Graf blieb immer gleich kühl, höflich und artig. Nur einmal blitzte es in seinen Augen auf, als Madame Danglars davon sprach, daß sie ihr prächtiges Fuhrwerk Frau von Villefort zu einer Nachmittagsausfahrt versprochen hätte. Gleich darauf empfahl sich Monte Christo.

Am Nachmittag desselben Tages fügte es sich, daß bei der Spazierfahrt, die Frau Heloise von Villefort mit ihrem achtjährigen Söhnchen unternahm, plötzlich die Pferde in unerklärlicher Weise scheuten und mit dem Wagen durchgingen. Dies geschah in der Nähe des Landhauses, das dem Grafen von Monte Christo gehörte. Ali, der stumme Nubier, aber hatte in verwegenster Kühnheit die Pferde zum Stehen gebracht, und der Graf selber die ohnmächtige Frau nebst ihrem kleinen Sohn in sein Haus getragen. Die Aufregung in der Familie Villefort war darum groß, und Herr von Villefort machte sich nach einigen Tagen persönlich auf, um in seiner steifen, gespreizten Art dem Grafen den schuldigen Dank auszusprechen. Monte Christo begegnete der beleidigenden Anmaßung dieses Mannes mit kalter Überlegenheit. Als aber der königliche Prokurator endlich wieder gegangen war, seufzte er aus tiefstem Herzensgrund. Dann klingelte er nach Ali und sagte zu ihm: »Geh hinauf zu Madame und frage, ob ihr mein Besuch willkommen wäre.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo