Als Albert von all diesen Dingen erfuhr, schrie er laut auf, wie ein verwundetes Tier, und verfiel beinahe in eine Art von Raserei.

Als Albert von all diesen Dingen erfuhr, schrie er laut auf, wie ein verwundetes Tier, und verfiel beinahe in eine Art von Raserei. Sein grundehrliches, vornehmes Empfinden vermochte all das Gehörte nicht zu fassen, nicht zu erklären. Eins aber stand fest bei ihm: er mußte eilen, um den, der all das Unheil heraufbeschworen, zur Rechenschaft zu ziehen. Wer anders konnte dies sein, als er -- der Graf von Monte Christo.

Es kam zu einem furchtbaren Auftritt zwischen den beiden, dessen Folge eine Herausforderung zum Duell war.


Übrigens rührte die Zeitungsnotiz nicht direkt von Monte Christo her, sondern von Danglars, der, allerdings auf eine Anspielung des Grafen hin, nach Janina schrieb, um über den Vermögensursprung der Familie seines in Aussicht genommenen Schwiegersohnes genauen Aufschluß zu erhalten.

Der Graf saß zu Hause an seinem Schreibtisch und hatte seinen kostbaren Pistolenkasten vor sich stehen. Da trat der Diener zu ihm herein und meldete, daß eine Dame ihn zu sprechen wünsche. Kaum aber hatte er das gesagt, als die Dame bereits das Zimmer betrat. Baptistin entfernte sich. Monte Christo blickte staunend auf; da schlug die Frau den Schleier zurück und kam mit gefalteten Händen auf ihn zu.

»Edmond! Töten Sie nicht meinen Sohn; Mercedes selbst kommt, um Ihr Erbarmen zu erflehen.«

Der Graf taumelte zurück, dann faßte er sich.

»Für mich gibt es keine Mercedes mehr, Madame.«

»Ach, Edmond! Edmond! Wollen Sie mich armes Weib das furchtbare Verhängnis entgelten lassen, das über uns gewaltet hat?«

»Weshalb kam es zu diesem Verhängnis?«

»Das weiß ich nicht, Edmond; ich weiß nur, daß ich Sie immer geliebt und als tot betrauert habe.«

»Sie wissen das nicht? Nun -- ich will's hoffen. Doch lassen Sie's mich Ihnen sagen.«

Er holte aus dem Schreibtisch ein vergilbtes Papier hervor und legte es vor Mercedes hin. Es war dies die Denunziation, die er dem Gefängnisdirektor Boville einstmals entwendet hatte. Mercedes las voll tiefer Ergriffenheit.

»Und dieses Schriftstück hatte der liebe Freund Danglars am Vorabend meiner Hochzeit aufgesetzt, und sein Kumpan Fernand Mondego bemüßigte sich, es eigenhändig zur Post zu tragen.«

Mercedes stieß einen Wehlaut aus. Sie schwankte und fiel in die Knie.

»O mein Gott, mein Gott!« wimmerte sie leise, den Kopf fast bis zur Erde geneigt.

Der Graf hob die Unglückliche auf und führte sie zu einem Sessel. Mercedes versuchte es, sich gleich wieder zu erheben.

»Dann habe ich hier nichts mehr zu erbitten noch zu erhoffen, Edmond.«

Monte Christo drückte sie sanft zurück. Er sprach zu ihr von allem, was geschehen. -- »Vierzehn Jahre habe ich im Kerker geschmachtet, schuldlos, schuldlos, Mercedes! Ich säße noch heute darin, hätte mich nicht ein Wunder gerettet. Wissen Sie, was das bedeutet?«

Mercedes weinte fassungslos.

»Ach, Edmond, Edmond! Auch ich habe gelitten über alles Maß. Liebte ich doch nur dich. Fernand stand mir bei in meiner Not, und froh, die Hand eines Freundes fassen zu können, ging ich mit ihm; ahnte ich doch nichts. Froh bin ich mein Lebtag nie mehr geworden, und nun -- nun kommt noch der Einziggeliebte und will mir den Sohn erschlagen.«

Da sprach Monte Christo mit gedämpfter Stimme:

»Sei getrost, Mercedes; dein Sohn wird leben.«

Mercedes griff nach der Hand des Grafen und zog sie schluchzend an ihre Lippen.

»Hab' Dank, Edmond! Hab' Dank! Ich kann dir nichts anderes mehr sagen. Dank auch dem gütigen Gott, der mir vergönnte, dich noch einmal wiederzusehen -- und dich so zu sehen, wie ich dein Bild immer im Herzen getragen, groß und gut, als Heiligtum meines Lebens. Gott segne dich.«

Damit stand sie auf und ging still von dannen. Der Graf hatte seine Augen mit der Hand bedeckt, denn er weinte. »Ja,« seufzte er, »ja, Mercedes, dein Sohn wird leben; dafür steige ich wieder in die Grabesnacht zurück, diesmal für immer.«

Als sich aber am nächsten Morgen die Gegner und die Zeugen auf dem Kampfplatze versammelten, trat Albert ernst und mit Totenblässe im Gesicht vor den Grafen hin und sagte zu ihm wie zu den anderen:

»Meine Herren! Es ist von seiten meiner Familie dem Grafen von Monte Christo ein unerhörtes Unrecht zugefügt worden. Ich habe keine Ahnung von all diesen Vorfällen gehabt und gestern abend zum erstenmal davon gehört. Mich hat diese Kenntnisnahme bis ins Tiefste erschüttert, und so kann ich nur sagen, daß ich beschämt und aufrichtig bekümmert vor dem Grafen stehe, der alle Ursache hat, ein Todfeind unserer Familie zu sein und doch stets vornehm gehandelt hat. Es wird mir wohl schwer, dies alles zu bekennen, doch gibt es nach meinem Gefühl nur eine Rechtlichkeit in solcher Lage: seine Schuld offen einzugestehen.

Wenn der Graf nun nach allem Vorgefallenen mich noch für würdig erachtet, mir die Hand zu reichen, so will ich sie ihm gern zum Abschied drücken, auf daß wir, wenn auch nicht als Freunde -- das läßt das Verhängnis leider nicht zu --, so doch als Männer scheiden, die gegenseitig Achtung voreinander haben.«

Der Graf hatte mit zunehmender Bewegung den mutigen Worten des jungen Mannes gelauscht. Nun ging er auf ihn zu und reichte ihm voller Wärme die Hand. Albert ergriff sie und preßte sie mit einer Innigkeit, die fast einem ehrfurchtsvollen Erschrecken gleichkam.

Dann grüßte er die anderen mit kurzem Dank für ihr Bemühen und jagte gleich darauf auf seinem Rappen davon. Alberts Sekundanten standen verblüfft. »Was hat sich in dieser Nacht denn nur zugetragen? Ich glaube, wir spielen hier eine recht klägliche Rolle.«

»Ja,« sagte der andere nachdenklich und klopfte mit der Reitpeitsche gegen seine Stulpstiefel, »entweder hat der gute Albert ganz erbärmlich gehandelt oder außerordentlich groß und schön.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo