Die Reize des Neuen

Wenn den Fremdling, der aus der süddeutschen, bergigen Heimat zum ersten Male in das Flachland der norddeutschen Küstengegenden kommt, das Neue, das er da vor Augen sieht, eher etwas unheimlich als heimatlich anspricht, dann dürfen wir es dem unerfahrenen Ausländer nicht verargen. Die vielen sandigen Gegenden, welche wir auf unserer Herreise langsam, wie die damalige Beschaffenheit der Straßen es gebot, durchzogen hatten, waren uns zwar nichts Neues, denn die Umgegend von Nürnberg hatte Ähnliches aufzuweisen und die Erleichterung des Verkehres durch die besseren Straßen und die Eisenbahnen war noch der fernen Zukunft vorbehalten. Abgesehen aber von dem Unerfreulichen, das zu den Füßen lag, blieb auch das Verlangen des Auges, aufzuschauen zu den Bergen, nach allen Richtungen hin unbefriedigt. Nun, es gibt zwar noch andere Berge als die leiblich sichtbaren, solche, zu denen der Geist überall seine Augen aufheben kann und von denen ihm Hilfe kommt, so wie Trost und Kraft (Ps. 121), aber die sinnliche Natur in uns mit ihrem „unruhigen Übel der Zunge“ mag gern überall das erste Wort haben, und so sprach sie bei dem anfänglichen Hineinblicken in die Natur der neuen Heimath mehr ihr Missfallen als Wohlgefallen aus. Doch dieses Urteil hat sich bei näherer Bekanntschaft und bei einem längeren Verkehre mit der landschaftlichen Ausstattung von Mecklenburg und seiner Nachbarschaft viel geändert. Es sind allerdings andere nicht so schnell überwältigende Reize der Natur, welche hier zu den Sinnen sprechen, als die in dem Lande der Alpen, aber sie sind mächtig genug, um die an Gaben der Natur reich gesegnete Ebene zu einem heimatlich lieben Wohnorte zu machen.

Von der anregenden, geistig erhebenden Kraft, welche für den Binnenländer in dem Anblicke des Meeres liegt, werde ich nachher reden, hier verweile ich nur bei dem Eindrucke, den mir das Land selber, so wie ich es näher kennen lernte, in der Erinnerung zurückgelassen hat.


Der Vesuv und der Ätna, als ich sie sah, ruhten so eben von der Arbeit ihrer unbekannten Tiefe, nur der Volcano auf den liparischen Inseln trieb sein feuriges Tagwerk unausgesetzt fort; die schaffende Kraft, welche das Hochgebirge der sinaitischen Halbinsel aus der Tiefe hervorhob, welche dem granitischen Kerne der Alpengebirge, welche den wunderherrlichen Bau der Dolomitzinnen in Tirol begründete, hat schon in uralter Zeit diese Zeugnisse ihrer Herrlichkeit für eine Reihe der künftigen Jahrtausende dahingestellt. Das Rätsel der Geschichte aller dieser Werke hat meinen sinnenden Verstand auf meinen Wanderungen und Reisen oft beschäftigt; die heißen Quellen bei Karlsbad und Gastein, bei Mehadia und am Tiberiassee konnten mir es nicht lösen. Eben so wenig vermochten dieses die Spuren solcher vormaligen von unten heraufbrechenden Schrecknisse der Natur, die ich in Italien, die Stätten der alten Verheerungen durch Erdbeben, die ich in Kleinasien, oder der neueren, die ich in Syrien gesehen. Und dennoch, wenn auch hier keine unmittelbare Beobachtung zum sicheren Wissen führen kann, so bleibt dem Freunde und Forscher der Natur dennoch die Ahnung erlaubt. Der Kessel des toten Meeres mit seinem mächtigen Absturze der Wände unter dem Spiegel des Mittelmeers scheint von dem Dasein einer Werkstätte der abgelegeneren Tiefe Zeugnis zu geben, in welcher das eigentliche mächtige Herrscherreich jener elektro-magnetischen Kräfte ist, deren Wirken in unserem jetzigen Äon nur an der obersten Region der Erdrinde und ihrem Luftkreise sich kund gibt. Im Vergleiche mit den bildenden und verheerenden Gewalten der Tiefe von so friedlicher Art wie der Regenbogen im Gewölke des Himmels mit dem farbigen Regenbogenscheine, der die Flammen des Hekla bei seinen Ausbrüchen umkleidet.

Von jenen Rätseln, deren Lösung in der fernabgelegenen für das menschliche Auge unerreichbaren Tiefe gesucht werden muss, gibt die Landschaft von Mecklenburg dem Beobachter keines auf. Denn die kesselartigen Eintiefungen im Boden, von denen ein großer Teil, mit Wasser gefüllt, die Landseen bildet, an denen Mecklenburg so reich ist, sind keinesweges, wie dieses der vermeintliche Magdeburger Spion*), der alte, ehrenwerte Konsistorialrat J. E. Silberschlag meinte, die jetzt ausgefüllten Mündungen vormaliger vulkanischer Krater, eben so wenig als die herumgestreuten Felsenblöcke von Granit vulkanische Auswürflinge sind, sondern Eintiefungen und örtliche Auswaschungen, welche ein vormals hier flutendes Meer gebildet hat. Auch wird der Bewohner von Mecklenburg die, leider nun „vormalig“ reizend schöne Stadt Brussa in Kleinasien nicht um ihre heilkräftigen, heißen Quellen beneiden, wenn er von den furchtbaren Heimsuchungen jenes irdischen Paradieses durch die Todesschrecken des Erdbebens liest, die in der Geschichte seines Landes eine unerhörte Erscheinung sind. Alpengebirge aus uranfänglicher Zeit, deren Scheitel der unvergängliche Schnee, deren Einbuchtungen das Gletschereis erfüllt, hat Mecklenburg nicht; seine weidenden Herden und ihre Hirten werden hier nirgends durch den Donner der herabstürzenden Lawinen geschreckt; kein Bergsturz droht den Höfen oder den Hütten des Landvolkes den plötzlichen Untergang, denn die anmutig grün bewachsenen Hügel, welche der weiten Ebene hin und wieder den Anschein des Berglandes geben, erheben sich nicht wie die Alpen zur Höhe von vielen tausend, sondern nur zu wenig hundert Fuß.

*) Wegen seiner Skizzierung der Magdeburger Festungswerke, die er als durchreisender Kandidat in jugendlicher Unbefangenheit vom Turm des Domes aufgenommen, war er bei dem damaligen Kommando des Kriegsgerichtes der Festung in den Verdacht gekommen, als sei er ein Spion; bei Friedrich II. jedoch in solche Beachtung, dass derselbe alsbald ihn zu einem guten Amte beförderte.

Obgleich jedoch Urgebirge vom Geschlechte des Granits in Mecklenburg nicht, wie schon am Harz, wie im sächsischen Erzgebirge und im Böhmerwald, und noch mehr in den Alpen als mächtige Gebirgsstöcke auftreten, ist dennoch das Land so reich an Granit, dass man viele Berge von der Höhe der ägyptischen Pyramiden davon auftürmen könnte. Wenn sich der Bewohner des Landes dieses durch seine Brauchbarkeit hochachtbaren Felsengestein zu den Bauwerken seiner Hände verschaffen will, da ist ihm die Mühe des Ausbrechens der Steinblöcke aus den Gebirgswänden, des Herabschleifens derselben von der Höhe der Berge zu der vielleicht ferngelegenen Baustätte erspart; eine Kraft, die er nicht kennt, hat ihm zu einer Zeit, da hier noch weder Strauch noch Baum, weder Ackerfeld noch Wiese war, jenes edle Baugestein herbeigeführt auf den Grund und Boden seiner Wohnstätte. Es bedarf nur geringe Mühe, um die Blöcke zu dem Orte ihrer Bestimmung nach Menschenwahl hinzuwälzen oder zu führen, denn die über das ganze Land zerstreuten Felsenstücke liegen von keiner der Baustätten in großer Ferne ab.

Und dieses ist eben das Rätsel von scheinbar nahe liegender Lösung, dass die aus den Meeresfluten, so wie diese noch jetzt sind, geborene Landschaft von Mecklenburg dem naturkundigen Beobachter und Forscher aufgibt. Wie und woher sind jene zum Teil mächtig großen Granitblöcke gekommen, auf und neben denen, wie auf den Granitbergen meiner Heimat, die schöne, in allen ihren Teilen siebenfältige Dreifaltigkeitsblume (Trientalis europaea) blühet? Für das „Woher?“ glaubte man eine Antwort gefunden zu haben: die Urgebirge in Schweden, deren Kern aus einem ähnlichen Granit besteht, als die Wanderblöcke in Mecklenburg oder auch ein vormaliges näher gelegenes Felsenriff könnten die ursprüngliche Geburtsstätte jener Gebirgstrümmer sein, deren Zug durch das nördliche und nordwestliche Deutschland ganz augenfällig von Norden oder Nordosten her seinen mächtigeren Anfang, gegen Süden hin sein allmählich verlaufendes Ende nahm. Wie aber sind diese Fremdlinge aus ihrer fernen Heimat herüber durch das baltische Meer zu uns gekommen? Allerdings setzen noch jetzt die Sturmfluten und die tief gehenden Strömungen des Meeres die auf seinem Grunde liegenden Felsenblöcke in eine fortrückende Bewegung. Jene Kräfte aber, welche, wie bei einer Völkerwanderung die Stämme der Menschen, so die Stämme der Urfelsen aus dem Verbande ihres alten Gefüges lösten, und ihre Werkstücke mit sich hinabrissen durch die Tiefen des Gewässers bis zu ihren jetzigen höher am Lande liegenden Ruhestätten, das müssen noch ganz andere gewesen sein, als unsere jetzigen Meeresströmungen und Sturmfluten; Kräfte, mit denen allerdings jene verwandt sind, welche bei dem Erdbeben und im Orkane die Grundfesten der Tiefe erschüttern und zerreißen, Wälder entwurzeln, die Bauwerke der Menschenhand zu Boden stürzen und welche doch noch von anderem höherem Maße der Stärke waren als Erdbeben und Orkan (m. v. über die verschiedenen Ansichten von der Herkunft der Wanderblöcke mein ausführlicheres Werk: das Weltgebäude, die Erde und die Zeiten des Menschen auf der Erde §. 35). Das Rätsel, welches die Geschichte der Fremdlingsgesteine in Mecklenburg dem Freunde der Natur aufgibt, erhält dadurch noch ein gesteigertes Interesse, dass die Einwanderung ihrer Blöcke nicht in den uralten Zeiten der Bildung der Erdveste und ihrer Scheidung von dem Meere, sondern in einer verhältnismäßig neueren und jüngeren der Entwickelungsgeschichte der Erdfläche geschehen sein muss. Denn der Boden, auf dem die Einwanderer ruhen, ist ein solcher, wie ihn die Anschwemmungen des Meeres und der Landgewässer seit der letzten Katastrophe, die unsere Wohnstätte des Erdenlebens betroffen, noch fortwährend erzeugt, und auch die feststehende Grundlage des angeschwemmten Landes gehört den Zeiten der Flötzgebirge an. Die Zeit ihres Herkommens kann deshalb allerdings nur jene der letzten großen Katastrophe sein, welche der Oberfläche unseres Planeten ihre jetzt bestehenden Umrisse gab*).

So war ich, schon durch die Betrachtung Dessen, was mir hier am mächtigsten, am nächsten vor Augen lag, in meiner damaligen neuen Heimat in eine Schule gekommen, die mir nach der Richtung meines wissenschaftlichen Triebes von hoher Wichtigkeit war.

*) In eben so anziehender als lehrreicher Weise beschreibt die Gestaltung der Erdoberfläche von Mecklenburg und die Züge der dortigen Wanderblöcke Dr. G. A. Brückner in seinem empfehlenswerten Buche: Wie ist der Grund und Boden Mecklenburgs geschichtet und entstanden? (Neu-Strelitz 1825)

Aber die Natur des Landes hat noch andere, eigentümliche Reize, durch welche sie selbst den Fremdling in der Schule ihres wissenschaftlichen Erkennens mächtig anzieht und ihn zu entzücken vermag. Ich hatte noch niemals solche herrliche Eichen, so mächtig an Dicke des Stammes, an Höhe des Wuchses und weithin schattender Ausbreitung der Äste und des Laubdaches gesehen als in Mecklenburg, und wie oft saß ich bewundernd in der Nähe eines solchen, den Urvätern unseres Volkes geheiligten Baumes still! Ja, diese edlen deutschen Eichen würden, so schien es mir später auf meinen Reisen, über die Eichen des Carmel und von Basen über den Wald der hochwüchsigen Wallnussbäume des Tabors hervorragen und selbst neben den ansehnlichsten Eichen des alten Dianenhaines am See von Nemi als hochmächtige Gestalten in besonderen Ehren und Ansehen dastehen. Und es ist nicht nur die Zierde der Waldungen mit ihren vielartigen Bäumen, nicht die der Gärten mit ihren unter der sorgfältigen Zucht und Pflege des Menschen in seltener Weise veredelten Obstbäumen, sondern auch die niedriger am Boden stehende Pflanzenwelt, an welcher das Auge des Wanderers sich hier erfreut. Ich will da nicht gedenken des Segens der Felder und Wiesen, nicht der Fluren des Weizens und der anderen Getreidearten, die mit den verschiedensten alljährlichen Aussaaten des Landmannes hier in einer Fülle gedeihen, wie in wenig anderen Gegenden von Deutschland, sondern erwähne nur einiger jener Arten der wildwachsenden Pflanzen, an denen mein Auge seine besondere Lust fand. War es mir doch, als sollte mich auf einem meiner ersten Spaziergänge in den Wald, der prachtvolle königliche Traubenfarn (Osmunda regalis) an die Form der Palmen und bei einer späteren Gelegenheit der seltsame Wasserscherr des Sumpfes (Stratiotes aloides) durch den Bau seiner Blätter an die Aloë einer fern abgelegenen südlichen Zone erinnern, nach deren einstigem Besuche schon damals mein Sehnen ging. Eine schönere Heideart, als die rosenfarbige Krugheide (Erica tetralix), welche da selbst über den dürren Sandboden einen zierlichen Teppich bildet, hatte ich nie gesehen; gern verweilte mein Auge auf dem häufig blühenden Sumpfporst (Ledum palustre), der sich selbst den Geruch durch seinen zitronenartigen (betäubenden) Aushauch verrät und bei einer nördlicher gehenden Wanderung auf den großen, gelben Blüten des Hecksamens (Ulex europaeus), den ich damals noch nie an seinem Standorte gesehen. Ist doch selbst die Stechpalme (Ilex aquifolium), anderwärts ein seltener Fremdling, hier eines der gemeinsten Heckengewächse und viele Sträucher und andere Gewächse gedeihen im Freien, welche den Winter mancher südlicheren Landstriche nicht ausdauern würden. — Denn Mecklenburg hat durch seine Nähe und niedere Lage am Meere verhältnismäßig mildere Winter, zugleich aber auch minder heiße Sommer als die südlicheren Hochebenen.

Man möge es mir und meinem Handwerk zu Gute halten, wenn ich im Vorübergehen selbst noch einen Blick auf die in dem neuen Heimatlande einheimische Tierwelt richte. Ich will mich jedoch hierbei auf einige wenige Züge beschränken.

Als ich in Nürnberg, nicht zwar für meinen eigenen Besitz, wohl aber für die naturgeschichtliche Sammlung unseres Real-Institutes so eifrig mit dem Fange der Insekten, namentlich der Käfer, beschäftigt war, da suchte ich, mit wahrhaft brennendem Eifer unter anderen nach einer Art, von welcher ein Insektensammler in früherer Zeit behauptet hatte, dass sie in der Umgegend jener Stadt zu finden sei. Es war dieses der Typhonkäfer (Scarabaeus typhaeus Fabric. jetzt Geotrupes typh.), dem die beiden weit vorragenden Spitzen an den Seiten des Brustschildes ein seltsames Aussehen geben. So oft mir Zeit zu meinem Suchen blieb, am frühen Morgen wie in der heißesten Mittagszeit und am kühlen Abende hatte ich, zuweilen von meinem Hausgenossen und Schüler Wilhelm Wesselhöft begleitet, die Weideplätze des Viehes, die seine Heimat sind, durchsucht und durchgraben, ohne die vielgesuchte Beute zu finden. Da sprach ich denn im Unmut der vergeblichen Mühe den Wunsch aus: „o möchte ich doch einmal in ein Land kommen, wo dieser Käfer, so wie er dieses mehr als in einer Gegend ist, ein gemeiner wäre. Das würde für mich ein wahres Eldorado sein.“ Nun, dieser Wunsch war mir jetzt, wo ich es nicht mehr erwartete noch bedurfte, reichlich erfüllt. Schon in der ersten Woche meines Aufenthaltes in Ludwigslust fand ich auf einem Spaziergange über die Weideplätze der Schafe den typhonischen Käfer in vielen Exemplaren, den ich jetzt, so wie viele andere Tiere seiner Klasse, namentlich am Seestrande, die ich niemals lebend gesehen, nur still bei seinen Arbeiten beobachtete, ohne in die Versuchung zu geraten, ihn, wie ich sonst mit Seinesgleichen getan, in dem Mumienbehältnisse einer Sammlung beizusetzen.

Von der Tierwelt des Meeres, deren neue Bekanntschaft mich erfreute, werde ich nachher reden. Die Süßwasser des Landes, die vielen Seen, deren man gegen 60 zählt, sowie die Flüsse und Kanäle sind an so vielen Arten der köstlichsten Fische reich, dass selbst das ärmere Volk in Fülle an solchen sich sättigen kann, mit denen sich anderwärts nur die bemittelteren Stände die Freuden des Mahles erhöhen. Ich nenne hier nur die Aale, die Welse, zu denen als gemeinere, minder geachtete Kost die Hechte, Brachsen, Barschen, Schleien und, wenn man genau unterscheiden will, mehr als 20 Arten der Süßwasserfische sich gesellen, unter denen übrigens unser gemeiner Karpfen, den man in eigenen Teichen zu mästen pflegt, so wie die Neunaugen und Lachse, am meisten aber die Forellen, schon zu den Seltenheiten gehören. Auch der Liebhaber der Krebse kann seinen Tisch täglich mit dieser Speise versehen.

Aber die lebende Tierwelt des Landes vermag seinen Bewohnern noch ganz andere höhere Freuden zu gewähren als die des Gaumens sind. In Nürnberg so wie an den Wohnstätten, in denen ich bis dahin verweilte, hatte ich niemals den Gesang der Nachtigallen draußen im Freien, sondern nur aus dem Käfig vernommen. Dagegen nisteten in dem großen, schönen Garten, der zu meiner Wohnung in Ludwigslust gehörte, zwei Paare von Nachtigallen, deren gleich einer Klage des seligen Heimwehes lautender Gesang mich an manchem Frühlingsmorgen und späten Abende entzückte. Am Ende des Gartens, auf einem im Gebüsche stehenden Baume hatte ein Pärchen der Pirole (Golddrosseln) sein Hängenest angelegt, davon das Männchen durch sein prachtvoll gelbfarbiges Gefieder das Auge, durch seinen freilich nur aus wenigen lauten Tönen bestehenden Gesang das Ohr erfreute und hierdurch in reichem Maße die Mahlzeiten der Kirschen abzahlte, die er aus unserem Garten nahm. Mehrere andere befiederte Sänger und Schreier des Waldes und der Gebüsche gehören auch dem südlicheren Binnenlande an, doch neben dem Altbekannten zeigte sich mir in dem wasserreichen Küstenlande auch viel Neues, oder das nur selten Gesehene wurde mir hier zu einer oft und nahe vor Augen kommenden Erscheinung. Die Kraniche, deren einige Paare in der Nähe von Ludwigslust sich häuslich niederließen, hatte ich bis dahin nur als Hausgenossen und Gefangene der Menschen kennen gelernt, hier belustigte ich mich oft als still lauschender Zuschauer an den seltsamen tanzenden Bewegungen so wie an dem Gaukelspiele, das sie dabei trieben, wenn sie kleine Stückchen Holz oder abgerissenes Gestrüpp mit dem Schnabel in die Luft warfen, als wollten sie es wieder fangen, dann die beim Tanze aufgespannten Flügel und den emporgestreckten Hals einzogen und gebückt, als wollten sie Versteckens spielen, in dem Gebüsche sich verloren. Zugleich mit oder schon vor den Kranichen kehrten die Störche wieder, von deren Nestern man in vielen Dörfern mehr als eines auf den Giebeln der Bauernhäuser sehen konnte. Wenn sich diese merkwürdigen Vögel, in deren Natur der Drang zum Wandern weit über Land und Meer mit dem kräftigen Zuge nach der Heimkehr ins Vaterland aufs Innigste verschwistert hat, im Spätsommer und angehenden Herbste in mächtigen Scharen versammelt hatten, da habe ich öfters auf einem Hügel bei Doberan ihrem Aufschwunge zur Höhe zugesehen, der mich an die Macht jenes „Odems des Herrn“ erinnerte, welcher sein Volk eben so wie diese Geschöpfe seiner Hand anzuregen vermag, dass alle seine Taufende sich erheben zu einem gemeinsamen Aufschwunge. Denn Er ist es, der sein Volk führet (Jesaj. 63 V. 14). Etwas Gedankenvolles wie in vielen anderen Zügen der Naturgeschichte der Störche schien mir auch darin zu liegen, dass diese Tiere, wenn die Zeit ihres Hinwegziehens sich nahet und wenn durch ihr Zusammenscharen der Geist des gemeinsamen Bewegens in ihnen zu erwachen anfängt, zwar täglich, die Alten mit den Jungen, vor den Augen der Menschen ihre Auffahrten nach der Höhe wiederholen, dass jedoch diese offenkundigen, augenfälligen Bewegungen nur Vorzeichen jenes großen, gemeinsamen Werkes sind, welches sie nicht im Lichte des späten Nachmittags oder des angehenden Abends, sondern wahrscheinlich in der Stille und im tiefen Dunkel der Nacht vollbringen. Denn kein Auge der Beobachter hat jemals die Heerscharen der Störche nach dem fernen Ziele ihres Bergungsortes im Winter fortziehen oder aus ihm zurückkommen sehen. An einem Morgen sind plötzlich alle, die zum Fluge die Kraft hatten, verschwunden, an einem Morgen im Frühling sieht man sie, schon vereinzelt, wieder in der Heimat. Wie die Schlafenden werden sie hinweggeführt, wie die Träumenden kommen sie in dem Lande ihrer Bestimmung an.

Ich könnte von den Freuden des Naturfreundes, die ich in Mecklenburg genoss, noch Vieles sagen, so von dem Schauspiele, das mir in einigen Wäldern gegen die Küste hin die zahlreichen hängenden Nester der Beutelmeisen, anderwärts die zahlreichen Gesellschaften der Goldhähnchen: der Kolibris unseres Nordens, oder auf den Wiesen der Küstengegend die seltsamen Strandreuter (Himantopus) und der Wassersäbler (Recurvirosta), sowie manche andere Sumpf- und Wasservögel gaben, noch mehr von dem Wohlgefallen, das mir das Geschlecht und die Zucht der schönen Rosse, so wie der Herden der veredelten Schafe und des anderen zahmen Viehes, in den Wäldern die Rehe und die anderen Arten des Wildpretes erregten; aber ich bemerke wohl, dass mich, wie ich schon vorhin sagte, die Liebhaberei am Handwerk in einen zu weiten Kreis führen will.

Nicht einen minder anziehenden Reiz für den neuankommenden Fremden als die Natur des Landes hat das Volk, welches dieses Land bewohnt. In seiner Geschichte wiederholt sich auf andere Weise etwas Ähnliches, als jene Zusammengesellung der Steinblöcke des Urgebirges mit dem angeschwemmten Boden uns vor Augen stellt, stellt, von der wir vorhin sprachen. Als jene Zeiten sich naheren, darin die große Verheißung, welche Japhets Geschlecht gegeben war, in den Ländern des Westens zur Erfüllung kommen sollte, da bewegte „der Odem des Herrn“ die Völker des Ostens, dass sie auszogen aus den Ländern ihrer Heimat von Aufgang her nach den Gegenden hin, über denen die leibliche Sonne im Verlaufe des täglichen Lebens ihnen niederging, während ebendaselbst die geistige Sonne eines ewigen Lebens ihnen aufgehen sollte. Derselbe Zug von Osten nach Westen hatte schon in früher Zeit, wir wissen nicht, wann? Stämme von germanischer Abkunft aus dem großen, überfüllten Gebärhause der Völker im Osten herüber in die noch menschenleeren Wohnstätten im Westen geführt, wo sie bis zu der äußeren Grenze, die ihnen das Meer angewiesen, sich zur Ruhe setzten. Es war ein tatkräftiges Volk, dem der Kampf mit den Tieren der Wildnis, deren Fleisch zum Teil ihm seine Nahrung gab, das gewöhnlichere Tagwerk, die blutige Arbeit der Waffen, gegen andere bewaffnete Arme eine festliche Belustigung war. Dieser kräftigste Strom der auswandernden Völker musste vorausgehen, um dem nachfolgenden seine Bahn zu brechen und sein Wasserbette zu graben, er auch zuerst ist von dem aufgehenden Lichte des neuen, geistigen Lebens angestrahlt worden und hat zum Teil als einen Widerglanz seiner Schilde und kriegerischen Waffen das neue Licht auch anderen, noch im Dunkel wohnenden Geschlechtern gebracht. Aus dem Norden von Deutschland, den Ländern an der Ostsee, verlief jener hindurchreißende Strom sich bald nach Süden; sein Bette ward leer, es füllte sich dieses mit einem gleich jenem aus der Wiege des Menschengeschlechtes im Osten herüberwandernden Geschlechte der Völker, das, aus dem gleichen indogermanischen Urstamme entsprossen, den früher hier ansässigen Einwanderern nahe verwandt, von mehr zur Ruhe geneigter Gesittung war. Denn die Slaven, welche den Germanen hierher folgten, fühlten sich mehr zum Ackerbau und zur Viehzucht, so wie zum gewinnreichen Handel, als zum Werke der Waffen gezogen und wenn sie, nach reicherem Gewinne lüstern, zum Kampfe mit anderen, friedlich wohnenden Küstenvölkern ausgingen, dann geschah dieses nicht in offener Feldschlacht, sondern von den gesicherten, schwimmenden Burgen ihrer Schiffe aus, und die Taten des Seeräuberwerkes, von Mord und Brand, von maßloser Verletzung des fremden Eigentumsrechtes begleitet, glichen allerdings, nach kleinerem Maßstabe, jenen Gräueln, welche in neueren Tagen selbst manches christliche Volk, nur um des irdischen Gewinnes wegen, nicht in offener Feldschlacht, sondern von seinen gesicherten, schwimmenden Burgen aus an friedlich ruhenden Völkern verübt. Der mächtigste Stamm der Slaven, welcher hier in Mecklenburg und den nachbarlichen Ländern gleich einer überschwemmenden Meeresflut eindrang und seinen Ruhesitz aufschlug, war jener der Obotriten, dessen Szepter und fürstlicher Herrschaft die meisten anderen Stämme der Wenden sich anschlossen und unterordneten. Im Bunde mit Kaiser Karl dem Großen gegen die Sachsen zu einem Königreiche erhoben, wird das Volk der Obotriten eine Zeitlang dem deutschen Reiche befreundet, dann nach manchen inneren Kämpfen zu seiner früheren Abgeschlossenheit von den deutschen Stämmen zurückgeführt, bis seit der kräftigen Herrschaft der deutschen Kaiser aus sächsischem Stamme die unter dem Paniere des Christenglaubens kämpfenden Sachsen das ihnen an Glauben, Sprache und Sitte fremde, unruhige Nachbarvolk im stets wieder erneuten Kampfe mit Waffengewalt demütigen und sich befreunden. In oft wiederholten Versuchen hatte in dem Lande der Obotriten das Christentum seine Kirchen gebaut und die Wohnstätten seiner Gemeinden durch bürgerlichen Fleiß begründet; dieser Anbau wurde immer von Neuem zerstört, bis endlich die Stunde kam, in welcher mit dem Frieden von oben auch der irdische Friede in dem Lande herrschend wurde und mit den von den Nachbarländern Eingewanderten auch die Christengemeinden des einheimischen Volkes brüderlich sich vereinten. Jene Einwanderer aus germanischem Stamme, welche dem Leben des Volkes seine festen geistigen Anhaltspunkte brachten, haben sich denn von Geschlecht zu Geschlecht, gleich den Granitblöcken, die auf dem angeschwemmten Boden des Landes liegen, neben den Nachkommen von wendischer Abstammung erhalten und mit diesen zugleich im Verlaufe der Jahrhunderte, wie die auf gleichem Grunde gedeihenden Gewächse eines Feldes, ihre Blüten und Früchte gereift. Das Volk in Mecklenburg, sowie in manchen seiner Nachbarländer, kann uns in seiner friedlichen Mischung und seinem glücklichen Bestehen ein äußerliches Vorbild im Kleinen von jenem inneren, geistigen Vereine der Nationen sein, der einst, wenn der unserem Geschlechte verheißene Friede auf Erden sein Reich gewonnen hat, alle verschiedenen Völker zu einem gemeinsamen Volke Gottes machen wird.

Ich habe, so weit ich es kennen lernte, das Volk in Mecklenburg sehr lieb gewonnen. Es erschien mir im Allgemeinen als ein leiblich kräftiger, geistig für Das, was des Geistes höchstes Bedürfnis ist, empfänglicher und bildsamer Stamm, treuherzig und zutraulich gegen Alle, die sein Vertrauen zu gewinnen wissen. Ich bin oft und gern in den Hütten und bei dem Herde des Landvolkes gesessen, dessen Rauchdampf nicht, wie bei uns durch einen Schornstein, sondern durch den Torweg des Hauses seinen Ausgang nimmt und auf seinem Wege die reichen Vorräte des Fleisches zur Aufbewahrung für den Winter durchräuchert. Auf der einen Seite die Kühe, zur anderen die Pferde, in der Mitte hinten am Herde wir Menschen, haben manches menschlich gute Gespräch mit einander gehalten und uns Manches erzählt, obgleich die guten Leute eher noch mein sogenanntes Hochdeutsch, als ich ihr Plattdeutsch verstanden, das ich übrigens gerne hörte. War doch auch Mancher unter den Männern als Seemann, ja als Kapitän weit über das Meer hinüber in ferne Länder gekommen und wusste davon genug zu erzählen. Wie gerne, so dachte ich im Anfange, wollte ich bei den Kindern eines solchen Volkes ein Schulmeister sein! Wie und warum mir jedoch später ein solcher Wunsch vergangen, das will ich im weiteren Verlaufe dieser meiner Erinnerungen an das gute Mecklenburg berichten, bei deren frühesten Anfängen ich so eben erst stehe.