Die Ankunft in Ludwiglust

Der Sturm, der uns gestern auf der Elbe überfiel, hatte sich gelegt, seine Wetterwolken waren vergangen, die Sonne hatte den leisen Schleier gelüftet, der sie noch in den Morgenstunden verhüllte, als wir am Vormittag jenseits Grabow das ländliche Ludwigslust mit seinem herzoglichen Schlosse und seiner Kirche wie aus einem Meere von grünenden Bäumen auftauchen sahen. Wir fuhren, der Weisung folgend, die ich in einem Briefe des Hofmarschalls von Oertzen empfangen, an den Gasthof, der uns für die ersten Tage nach unserer Ankunft aufnehmen sollte, und ich ging, wie der Major Knebel mir geraten, gleich in der ersten Stunde mit dem Empfehlungsbriefe von ihm zu seiner Freundin Caroline von Bose. Ein späterer Brief des Majors war mir noch zu dieser vorausgeeilt; sie hatte mich schon seit etlichen Tagen erwartet, und sie empfing mich so freundlich, als hätte sie mich schon längst gekannt. Wem hätte der kindlich milde Blick, wem hätten die Worte einer solchen „Treuen im Lande“ nicht alsbald als ein tröstliches „Willkommen im fremden Lande“ erscheinen sollen! Mir sind sie dieses gewesen und mit Dank gegen Gott erkenne ich es an, was mir diese liebevoll besorgte Freundin während meines ganzen Aufenthaltes in Mecklenburg als Ratgeberin und zurechtweisende Führerin gewesen, und wie sie auch in so mancher trüberen Stunde durch ihren tröstlichen Zuspruch mich aufgerichtet und ermutigt hat. Eine an Erfahrungen reiche Jugend lag schon hinter ihr; ihre stille, mehr in dem dankbar liebenden Andenken einer schönen Vergangenheit als in der Gegenwart lebende Seele wohnte in einer gebrechlichen Hülle. Sie, die alternde Jungfrau, führte nach dem Tode der Erbgroßherzogin Caroline Luise, die sie als Hofdame aus Weimar hierher begleitet hatte, das Leben einer Wittwe; nur eine alte, treue Dienerin aus Franken, war mit ihr in dem kleineren friedlichen Haushalte, darin auch ich so oft Frieden gesucht und gefunden. Ihre Familie stammte aus Franken, sie war in Nürnberg wohlbekannt, schon frühe jedoch, wenn ich nicht irre, durch ihres Landsmannes Knebel Empfehlung nach Weimar gekommen. Ihr ganzes Herz voll Liebe hatte an der jungen verstorbenen Fürstin gehangen; das Liebste, was sie jetzt noch auf Erden hatte, waren die Kinder der frühe Geschiedenen, so dass wir beide in der gemeinsamen Liebe zu dem wahrhaft wundervoll begabten kleinen Prinzen Albrecht uns begegneten und in gleicher Teilnahme vereinten.

Durch Fräulein von Bose erfuhr ich, dass der Herr Erbgroßherzog mit seiner Familie schon seit mehreren Tagen von seiner Reise zurückgekehrt sei, ich solle, so riet sie mir, noch vor der Tafel zu Hofmarschall von Oertzen gehen, dieser würde bei dem Herrn Erbgroßherzog mich melden, der mich ohnfehlbar gleich nach der Tafel empfangen werde.


Ich folgte dieser Weisung und ging zu Herrn von Oertzen, mit welchem ich schon seit längerer Zeit in Briefwechsel gestanden. Ein feiner Mann, dessen freundliches Gemüt sich schon in den Mienen seines edlen, wohlgebildeten Angesichtes aussprach, vielseitig wissenschaftlich gebildet, von gesundem Urteile, da, wo es galt, mit der Würde seines Standes, als Malteserritter auftretend, den Leuten von geringerem Stande mit einer Zutrauen erweckenden Freundlichkeit begegnend. Ich segne in dankbarer Liebe das Andenken dieses edlen Mannes, der seinem Fürsten, dem Erdgroßherzog, dessen vertrauter Freund er war, bald ins Grab folgte.

Mein Herr Erbgroßherzog empfing mich in derselben Weise, in welcher er mir bei unserem ersten Zusammentreffen in Jena entgegengekommen war. Ich gewann ihn beim jedesmaligen Sehen immer lieber, denn war es doch nur Liebe, womit er mir bei jeder Gelegenheit die ersten Schritte in meiner neuen Stellung erleichtern wollte. Auch meine künftige Schülerin, die Prinzessin Marie, die mit freudig ernstem, kindlichem Vertrauen den künftigen Lehrer begrüßte, sah ich wieder und fand bei ihr, durch eine glückliche gesegnete Wahl des fürstlichen Elternpaares eine edle, junge Schweizerin aus Genf, welche die Stelle einer französischen Gouvernante mit einem sittlichen Ernste und einer hingebenden Liebe vertrat, die gar bald meine herzliche, teilnehmende Achtung gewann und für immer sich erhielt. Auch sie hat, wenig Jahre nach meinem Abgange aus Ludwigslust dort in dem fremden, ihr zur lieben Heimat gewordenen Lande ihr frühes Grab gefunden.

Oben in dem höheren Stockwerke des Schlosses wohnten die beiden jüngsten Kinder des Herrn Erdgroßherzogs, welche ihm Caroline Luise geboren. Bei dem Prinzen Albrecht, der an demselben Tage, an welchem meine selige Frau mir starb (am 11. Februar 1812), geboren, damals erst in seinem fünften Jahre stand, verweilte ich länger. Ich werde von diesem mir unvergesslichen, durch seine Gaben außerordentlichen Kinde später noch viel reden, ich fühlte mich sogleich mit einer Liebe zu ihm gezogen, als hätte er es mir, nach einem sprichwörtlichen Ausdrucke des gemeinen Lebens, angetan. Und wie konnte das anders sein, diesem Wesen gegenüber, das nur in und durch Liebe lebte. Seine jüngste Schwester, die damals dreijährige Prinzessin Helene, nachmalige Herzogin von Orleans, zu welcher ich in Begleitung des Bruders eintrat, fasste mich mit ihren großen, seelenvollen Augen so ernst ins Gesicht und stimmte so bald in die lebhafte Freundlichkeit des Bruders ein, dass es mir ganz wohl bei ihrem Anblicke wurde. Es gibt eine verborgene Majestät, welche zuweilen schon die früheste Kindheit umschwebt und die auch den Erwachsenen, deren innerer Sinn für solche Erscheinung geöffnet ist, Ehrfurcht gebeut und hohe Achtung. Nicht der eigene Geist des Kindes ist es, aus welchem der Eindruck auf das fremde, empfängliche Gemüt hervorgeht, sondern die Macht eines anderen Geistes, der als erziehender Engel schon frühe die junge Seele wie auf Mutterarmen an seinem Herzen trägt und sie vorbereitet und erzieht zu einem großen Werke ihres Lebens. Auch in der äußeren, sichtbaren Umgebung der Prinzessin Helene fehlte es an einem solchen guten Engel nicht: das war die Schwester der edlen Schweizerin, die ich bei der älteren Prinzessin gesehen: Nancy Salomon aus Genf.

Noch an demselben ersten Tage sah ich auch die innig vertrauteste Freundin der verstorbenen Frau Erbgroßherzogin Caroline Luise, die Zeugin der letzten Stunden dieser geistig hochgestellten Fürstin: Fräulein von der Thann, nachmalige Generalin von Both. Es war ein Heimweh, nicht der irdischen, sondern der höheren, seligeren Art, das aus dieser Seele mich alsbald so rührend ansprach. Sie und ihr nachmaliger Gemahl sind mir das anmutige Musterbild eines auf herzliche Liebe und sittliche Achtung gegründeten Ehebundes gewesen, und das Boch'sche Haus ist mir eines der liebsten und teuersten von allen geworden, die ich in Ludwigslust besuchte.

Schon am anderen Tage nach meiner Ankunft in Ludwigslust wurde ich auch dem regierenden Landesherrn, dem Großherzog Friedrich Franz, vorgestellt. Dieser, nach dem Urteile, das ich über ihn vernahm, eben so liebenswürdige als allgemein geliebte Herr stand damals in seinem sechzigsten Lebensjahre, war aber leiblich wie geistig noch so jugendlich frisch und munter, dass man es ihm wohl hätte ansehen können, dass er noch nicht einmal das dritte Viertel seines bestimmten Lebensalters zurückgelegt hatte, denn er ist erst in seinem 81. Jahre gestorben und hat zur großen Freude des Landes das Fest seines 50 jährigen Regierungsjahres gefeiert. Er war, so wie ich ihn als rüstigen Sechziger vor mir sah, ein schöner Mann, von so großer Lebendigkeit, dass er mich durch diese an meinen lieben Freund und Kollegen Pfaff erinnerte, mit welchem er auch wohl durch sein seltenes humoristisches Naturell und sein gutherziges Wesen innerlich verwandt war. Der Herr trat mir im ersten Augenblick mit einem gewissen fürstlichen Ernste entgegen, betrachtete mich mit seinen klaren Augen, in denen etwas Forschendes lag: dann aber, vielleicht weil mein schüchtern unbeholfenes Wesen seine Neigung zum Scherze weckte, gab er unserem Gespräche eine so heitere, muntere Wendung, dass ich ganz vergnügt über diesen freundlichen Empfang von der Audienz nach Hause ging.

Hier aber fand ich etwas, das meinen freudigen Mut noch mehr erhob. Es war ein Brief von meinem teuren Lehrer Schelling. Ich teile ihn hier großenteils mit, denn er ist mir durch seinen wohltuenden, tröstlichen Inhalt eine werte Mitgabe auf der zum Teil sauren Strecke meines damaligen Lebensweges gewesen.

Geliebter Freund!

Der ausführliche Brief, mit dem Sie mich vor der Abreise aus Nürnberg noch begrüßten, hat meinem Herzen wohlgetan. Ich habe daraus Ihre Liebe erkannt und die Unauflöslichkeit unserer Verbindung. Eine Liebe, wie Sie mir bezeigen, kann man eigentlich nicht verdienen, um so höher schlage ich sie an; mögen unsere Wege äußerlich noch so weit auseinander gehen, innerlich, ich fühle es, sind sie mit einander verflochten und nie können wir uns fremd werden.

Nach all' den vorausgegangenen Umständen, wie Sie mir solche gemeldet, glaube ich: Sie sollten und mussten dem Rufe folgen. Haben sie nun auch einen, in mancher Hinsicht schwierigen Weg betreten, so muss dieses Sie stärken, dass eine sichtbar höhere Führung dabei gewaltet. Ich urteile um so unbefangener, je schwerer in diesem Augenblicke selbst mir auf das Herz fällt, dass wir für diese Welt vielleicht für immer von einander getrennt sind, uns in diesem Leben nicht mehr sehen werden. Ich will diese wehmütige Empfindung nicht durch den Vorwurf trüben, den ich in meinem Innern nicht ganz unterdrücken konnte darüber, dass Sie nicht noch einige Tage darauf gewendet, Ihre Freunde, die es so oft gewünscht hatten, in München zu besuchen. — — Es scheint, mein Weg soll immer einsamer werden, alle Freunde mir ferner. Ein harter Schlag nahm mir Gehlen hinweg; den Einzigen in München, der mir und dem ich ganz Freund sein konnte; seitdem ist Pfetten mir auch genommen worden, was ein Wink, dass meines Bleibens auch nicht hier sein soll? Bis jetzt war diese Einsamkeit mir heilsam; nahm sie mir die Anregung hinweg, so auch manche bedeutendere Störung. Vielleicht ist gerade dieser Ort das Asyl, von dem auch ich für die Wahrheit wagen kann, was in anderen Verhältnissen ganz untunlich wäre. - - - Die Zeit meines Wiederhervortretens ist nahe, und mehr und mehr hoffe ich, soll auch der wissenschaftliche Bezug zwischen uns an Lebendigkeit gewinnen. - - - Meine besten Wünsche haben Sie in Ihre neue Laufbahn geleitet. Wie ich Sie beim ersten Blick erkannt, wird die innigste Überzeugung von Ihnen und die darauf gegründete Liebe immer in mir bleiben. - - -

Der Herr sei mit Ihnen und all' Ihrem Tun. Dies ist der Segen und Wunsch Ihres alten und treuen Freundes
Schelling.