Der Hof und das Hofleben

Ich habe die Leser meiner Berichte so eben nur wie im Vorbeigehen an den Fürstenhof geführt, zu welchem ich von nun an mehrere Jahre in dienstlichen Verhältnissen gestanden bin; ich nehme sie aber sogleich noch einmal mit mir an diesen Hof, der mir eine gute Schule wurde, zurück. Es fanden sich da zwei Kreise neben einander, ein kleinerer, in welchem die Keime einer vielversprechenden, reichen Zukunft ganz in der Stille und meist gesondert von dem größeren Kreise sich entwickelten, und ein größerer. Jener, der kleinere, war der Familienhaushalt des edlen Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig, welcher mit den Seinigen den einen Flügel des großen Schlosses bewohnte, der größere war der Hofstaat des regierenden Großherzogs Friedrich Franz, der den anderen, rechten Flügel des Schlosses einnahm. In dem kleineren, stilleren Kreise hat sich mein tägliches Leben und Wirken bewegt, ich rede deshalb von ihm hier nicht besonders und erwähne nur, dass in demselben jener umsichtig waltende, überall das Beste bedenkende Geist der herrschende war, den die so frühe heimgegangene hochsinnige Caroline Luise als eine auf Erden seltene Mitgabe mit sich in das Haus gebracht und diesem als Erbteil hinterlassen hatte. In dem größeren Kreise, dem eigentlichen Fürstenhofe, waltete als belebende Seele der Großherzog Friedrich Franz, welcher durch die überwiegenden Gaben und Kräfte seiner Persönlichkeit allerdings geeignet war, nicht nur an seinem Hofe, sondern in seinem ganzen Lande den herrschenden Ton anzugeben. Denn das Verhältnis dieses Fürsten zu seinem Volke hat mich öfters an das der Bienenkönigin oder des Weisels zu dem Gesamtvolke der anderen Bienen erinnert, das, wie ein magisches Band der Zuneigung, alle die Vielen nach dem Einen hinzieht. Ich will es versuchen, in wenig Zügen und mit dankbarem Herzen ein Bild meines damaligen Landesherrn zu geben.

Die Linie des Mecklenburg-Schwerin'schen Fürstenhauses schien, nach der kinderlosen Ehe des frommen Herzogs Friedrich, von dem ich nachher noch reden werde, am Aussterben, da wurde dem Bruder desselben ein lebenskräftiger Sohn: Friedrich Franz geboren, der schon als Kind durch sein liebenswürdiges Naturell die Leute viel von sich reden machte. Nach einem mehrjährigen Verweilen in den damals berühmtesten Bildungsanstalten der Schweiz kam der Jüngling an dem stillen Hofe seines Oheims in eine Schule, die man im höchsten Sinne des Wortes eine Fürstenschule nennen konnte. Hier lernte er die eigenen Kräfte brauchen, lernte arbeiten; wurde aus der weiten Welt und ihrem Treiben in sein eigenes Vaterland und die Geschichte seiner Vergangenheit sowie Gegenwart geführt. Sein ernster väterlicher Freund und Meister zog ihn aber noch tiefer als in die Kenntnisse des Vaterlandes und seiner Verfassung, er führte ihn in die Erkenntnis des eigenen Herzens hinein, ward ihm ein sorgfältiger Hüter des überkräftigen Naturells. So trat der reifere Jüngling in seine glückliche, mit Kindern gesegnete Ehe; so an der Grenze des Mannesalters nach dem Tode des trefflichen Pflegevaters und Oheims im Jahre 1785 in den ernsten Beruf eines regierenden Fürsten ein. Für diesen hatte er hohe Gaben empfangen: eine allgewinnende Persönlichkeit, ausdauernde Tatkraft, ein wohlwollendes Gemüt, klaren Verstand, Liebe zur Gerechtigkeit. Durch diese Gaben hat er sich bald die allgemeine Liebe und das Vertrauen seines Volkes, sowie die Achtung seiner Zeitgenossen nicht nur erworben, sondern bis auf unsere Zeit erhalten. Bei der nachstehenden Schilderung des Friedrich Franz, dessen Andenken auch ich in dankbarer Liebe ehre, soll es meine Aufgabe sein, zunächst jene Züge hervorzuheben, auf welche jene Liebe und Achtung seines Volkes wie seiner Zeit sich gründete.


Ein Teil jener Achtung, welche ein Volk, ja welche die mitlebenden Nachbarvölker gegen einen regierenden Fürsten haben, beruht auf demselben Grunde, als im bürgerlichen Leben die Achtung gegen ein solides Kaufmannshaus, das seinen Wohlstand mit Ehren erwirbt und vermehrt, mit Ehren ihn verwendet. Friedrich Franz fand zuerst, bei seinem Regierungsantritte, Schulden zu bezahlen, manche während der Kriegszeiten verpfändete Landesteile wieder einzulösen, manchen aus früherer Zeit noch unbefriedigt gebliebenen Anforderungen der Städte seines Landes zu genügen. Rostock, die vormals mächtige Hansestadt, war mit den vorhergehenden Herzogen in fortwährendem Unfrieden gestanden, weil sie in ihren so lange mutig verteidigten städtischen Vorrechten sich für beeinträchtigt hielt. Die Beachtung, welche Friedrich Franz den zum Teil gerechten Ansprüchen der Stadt erwies, führte im Jahre 1788 eine friedliche Ausgleichung herbei, durch welche Rostock sich der Landeshoheit des Herzogs unbedingt und für immer unterwarf. Man hatte erkannt, dass es besser sei, unter der geschickten und glücklichen Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten des Herzogs Friedrich Franz an dem allgemein aufblühenden Wohlstande Teil zu nehmen, als mit vereinzelten Kräften sich ihn zu suchen. Später wurde auch Wismar, die vormalige Hauptstadt des Landes, durch eine hohe Summe von Schweden wieder erworben und verdankte dem Wiederverein mit seiner alten Herrschaft einen neuen, höheren Aufschwung seines Handels und seiner bürgerlichen Gewerbtätigkeit.

Die schützende Vorsorge für die Geringeren im Lande erwies Friedrich Franz durch die Erhebung der Dienstbauern oder sogenannten Leibeigenen zu selbstständigeren Pächtern seiner Domänen, durch seine freigebige Unterstützung der Fabriken und Gewerbe, durch seine Bemühungen für das bessere Gedeihen der Volksbildung in den Schulen, während er zu gleicher Zeit den Anmaßungen des eingeborenen Adels mit Ernst entgegentrat. Er begründete, durch Zuschuss aus der eigenen fürstlichen Kasse, den besseren Bestand der Witwenkassen, kam bei jeder Gelegenheit der allgemeinen Not, wie dem Bedürfnisse der Einzelnen zu Hilfe. Unter den Lehrern und Predigern genossen die seiner größten Achtung und Begünstigung, welche das alte Gut des Glaubens treulich sich erhalten hatten und Anderen mitteilten. Gegen die Stiftungen der frömmeren Vorzeit hatte er eine so große Achtung, dass er sich nicht entschließen konnte, von der ihm in Folge des Lüneviller Friedens gewährten Freiheit Gebrauch zu machen: „alle Güter der fundierten, mittelbaren Klöster Augsburger Konfession der vollen Disposition der Landesherrschaft zu unterwerfen.“ Diese blieben den Nachkommen der alten Stifter, namentlich dem Adel und werden von diesem zum Teil noch in gutem, altem Sinne verwaltet.

Alles Dieses, dessen wir hier erwähnen und noch Vieles Andere hat Friedrich Franz schon in den ersten zwanzig Jahren seiner Regierung getan, welche man im Ganzen als eine Zeit des Friedens für das Land bezeichnen kann. Nicht nur sein Land, sondern ihn selber und sein Haus hat unter der Napoleonischen Gewaltherrschaft und bei den Kämpfen gegen dieselbe manches schwere Bedrängnis betroffen. Mit der Rückkehr des auf einige Zeit geflüchteten Fürstenhauses zogen der Frieden, die Freude und der neuaufblühende Wohlstand wieder in das Land ein; der Herzog war nicht nur durch seine neue Würde als Großherzog in der Achtung der anderen, auswärtigen Mächte, sondern durch sein würdevolles Benehmen in der Achtung, durch seine immer zutraulicher sich äußernde väterliche Herzlichkeit in der Liebe seiner Untertanen gewachsen. Doch mit diesem seltenen Zuge der kindlichen Zuneigung des Volkes zu seinem Herrn, den ich eben mit dem magischen Zuge der Bienen zu ihrem Weisel verglich, hatte es bei Friedrich Franz ein eigenes Bewandtnis, das ich hier noch mit wenig Worten bezeichnen will.

Der Erwerb einer solchen allgemeinen, warmen Liebe, als die war, welcher dieser von seinem Volke genoss und die noch jetzt, mit seinem Andenken in den Enkeln fortlebt, ist freilich eine Gabe, die ein Fürst sich zwar erbitten, nicht aber selber verleihen kann. Doch sind die natürlichen Anlagen, welche den Erwerb möglich machen, für eine Belebung und Veredlung durch unser eigenes Aufsehen empfänglich. Zu jenen Anlagen gehört unter anderen jene, wie man sie zu nennen pflegt, gute, heitere Laune, jener „freudige Geist“, welcher das Menschenherz zur Mitteilung derselben Freude an Andere gern bereit und geneigt macht. Friedrich Franz, so wie ich ihn kannte, war immer fröhlichen Herzens und freudigen Mutes und diese gesunde Stimmung ging bei ihm aus dem guten Einklange der tatkräftigen Gesinnung und des munteren, lebensfrohen Naturells hervor. Man sah ihn in der Regel an jedem Morgen, selbst wenn ein so lieber Besuch, wie der alte Blücher, bei ihm in Doberan war, mit den Angelegenheiten seiner Regierung beschäftigt, und dass er bei dieser Arbeit mit voller Teilnahme und gänzlicher Hingebung war, das bezeugte die einsichtsvolle, stets das Richtige treffende Weise, in welcher er die ihm vorgelegten Einläufe erledigte und die Raschheit, in der ihm dieses Geschäft von der Hand ging. „Das Arbeiten“, so äußerte er sich noch in seinen alten Tagen, „sei ihm eben zur Gewohnheit geworden und gehöre bei ihm mit zum Leben. Wenn das abgetan sei, dann könne er erst recht frohen Mutes sein.“ Und wirklich konnte man bemerken, dass, wenn er eben die schwerste, ihrem Wesen nach verdrießlichste oder ernsteste Arbeit beendigt hatte, sein heiteres Naturell am muntersten und aufgeräumtesten sich zeigte. In dieser seiner Stimmung war er denn auch nicht nur für seine eigene Person geneigt zum Scherze und zu gutmütig witzigen Neckereien, sondern auch für andere, selbst nach dem gewöhnlichen Ausdrucke, sehr volkstümliche Scherze, empfänglich und man hat ihn, wenn er, von seinem Arbeitstische aufstehend, durch sein liebes Doberan sich erging, nicht selten selbst vor einem Pulcinell-Theater still stehen sehen. Einstmals, so hörte ich es oft erzählen, als er auch dieser eigentümlichen Belustigung sich hingab, bemerkte er einen Studenten aus dem damals viel von Fremden besuchten Rostock. Der Student prunkte in einem so eigentümlich burschikosen Staate, als ob er selber im Großen einen lebendigen Prinzen des Puppentheaters vorstellen wollte. Die Einsammlern des Theatersoldes von den Zuschauern kommt mit ihrem Teller; sie präsentiert diesen, wie billig, zuerst Seiner Durchlaucht dem Herzog. Dieser aber weist sie neckend an den Studenten hin, „der Herr dort“, so sagt er, „wird für mich bezahlen.“ Der Student ist darüber keinesweges verlegen, sondern mit gebührender Ehrerbietung legt er für seinen allergnädigsten Landesherrn ein Zweidrittelstück (damals ohngefähr 1fl. 20kr. rhein.), für sich selber aber einen Schilling (3 gute Kreuzer) auf den Teller und entfernt sich dann. Als aber am Mittag die vornehmeren Kurgäste, mit ihnen auch der Herzog, in dem großen Speisesaale sich versammeln, da tritt auch der Student mit mehreren seiner Studiengenossen herein und setzt sich ehrerbietig grüßend mit seiner Gesellschaft an einen der kleineren Tische hin. Das junge Volk lässt Speise und Trank sich sehr wohl schmecken, als aber der Kellner mit der Rechnung kommt, weist ihn der Student mit ehrerbietiger Verbeugung an den Herzog und sagt: dieser allergnädigste Herr wird für mich und meine Gäste bezahlen. Friedrich Franz lachte herzlich über diesen burschikos-volkstümlichen Witz und sagte: „der versteht es, der Erkenntlichkeit eines Anderen auf halbem Wege entgegen zu kommen.“

Dergleichen Anekdoten von dem humoristischen Friedrich Franz sind noch sehr viele im Munde des Volkes und auch wohl öffentlich mitgeteilt. Seine Scherze hatten zwar immer den Charakter des Wohlwollens und der Gutmütigkeit, enthielten aber dennoch auch, wo es Not tat, zurechtweisende und belehrende Winke, auch wusste er fremden Scherzen immer das rechte Maß zu geben und ihnen zu seiner Zeit gebührenden Einhalt zu tun.

Dieses bedurfte er indes bei der Mehrzahl seines Volkes, bei den Geringen im Lande, nicht, die mit ehrfurchtsvoller Liebe an jedem freundlichen munteren Worte sich freuten, das der gnädigste Herr zu ihnen sprach und Jahre nachher davon zu erzählen wussten, wie und bei welcher Gelegenheit sie der Herr Herzog angeredet habe. Bei seinem bewundernswürdigen Personengedächtnisse kannte Friedrich Franz jeden Bauer oder Knecht, jeden Arbeiter am Kanal, den er einmal bei seinem Namen hatte nennen hören, auch wenn er ihn lange nicht mehr gesehen, alsbald wieder, erinnerte sich sogleich des Anliegens, das ein solcher ihm vorgetragen hatte, oder der lobenswerten Leistungen eines Anderen; fragte jenen, wie es mit seinem Hauswesen stände, belobte und beschenkte wohl auch, wenn das Bedürfnis dazu da war, den Anderen.

Ich habe Gelegenheit gehabt, diesen merkwürdigen Herrn in seinem Benehmen gegen Leute von sehr verschiedenem Stande: gegen fürstliche Herrschaften, hohe Adelige und Offiziere, so wie gegen Bürger und Bauern zu beobachten und bei dieser Gelegenheit oft mich über ihn verwundert. Den hochfürstlichen Gästen gegenüber war seine Haltung die eines Standesgenossen, der zugleich der Aufgabe eines heiter unterhaltenden, freigebigen Wirtes aus allen Kräften zu genügen suchte. Dem Adel seines Landes gegenüber benahm er sich mit der abgemessenen Achtung, welche an jene höhere Achtung zu erinnern schien, die von ihrer Seite dem Fürsten und Herrn des Landes gebührte; dem alten Blücher begegnete er mit der biederen Herzlichkeit eines alten Kriegskameraden; der scherzhaften Weise, in welcher er mit seiner Hofleuten umging, ließ er es niemals an attischem Salze fehlen. Wer aber den Friedrich Franz ganz in seiner liebenswürdigen natürlichen Menschlichkeit sehen wollte, der musste ihn beobachten, wenn er mit den guten, geringen Leuten seines Volkes sprach. Seine Miene, seine ganze Haltung, seine Art zu sprechen war da eine andere; hätte ich nicht gesehen, dass es der Herr Großherzog war, der so sprach, ich hätte gemeint, ein guter, redlicher und verständiger Bauer redete mit dem anderen. Seine Weise, mit solchen Leuten umzugehen, erinnerte mich an die einer Gluckhenne, die gegen ihre Küchlein eine ganz eigene, diesen verständlichere Sprache annimmt, als die war, die sie vorher auf dem Hühnerhofe sprach. Das war keine gewöhnliche Herablassung eines leutseligen Herrn von solchem Stande zu den Geringeren, sondern noch etwas Anderes.

Ich möchte hierbei an jenen scherzhaften Vergleich erinnern, dessen ich mich oben (S 14) bediente, als ich die zwei Naturen in uns unter dem Namen der Gesinnung und Naturell, jene als den standesmäßig gebietenden Herrn, diesen als den geschäftsführenden Diener oder Reitknecht bezeichnete. Bei dem Großherzog Friedrich Franz war die Gesinnung von fürstlichem, das Naturell aber von sehr volkstümlichem Herkommen. Und da das Naturell gewöhnlich mit dem Herzen unter einer Decke steckt, so war es dem guten Herrn immer ganz besonders und herzlich wohl zu Mute, wenn sich das Naturell unter seines Gleichen befand. Eine Erfahrung solcher Art können wohl auch Leute von Meinesgleichen an sich machen, bei denen die Gesinnung ihrer Form und ihrem Wesen nach den sogenannt gebildeten Ständen angehört, das Naturell aber, wie man dieses leicht an ihm bemerken kann, vom Herkommen der sogenannt ungebildeten Stände ist und deshalb unter guten redlichen Bauern und Bürgern sich mehr zu Hause fühlt, als in der vornehmen Welt. Hiervon sehr verschieden sind dann die Leute von einer anderen Art, bei denen umgekehrt das Naturell von vornehmer Herkunft und Sitte, die Gesinnung aber von gemeinem Stande zu sein scheint. Wenn jene Beschaffenheit des Naturells nicht bloß eine äußerliche angewohnte und anerzogene ist, so dass sie wie ein Gallakleid nach Belieben an- und abgelegt werden kann, sondern wenn sie eine innerlich feststehende ist, dann wird das Naturell solcher Leute sein rechtes Vergnügen nur da finden, wo es in der Welt hoch hergeht und wo Glanz wie Ehre zu haben sind, während die Gesinnung nebenbei dem Geldgewinne und anderen Dingen solcher Art nachgeht. Nun diese Verschiedenheit der Neigung ist ein Erbteil der Menschennatur aus uralter Zeit; ein Erbteil, das sich sowohl gut als schlecht verwalten lässt. Es kann bei dem Einen wie bei dem Anderen der innere Haushalt in gute Ordnung gebracht werden und ein gutes Ende nehmen, wenn der Hausvater: die Gesinnung, die dem Naturell ein Regierer und Erzieher werden soll, selber unter der Zucht einer Furcht steht, welche der Weisheit Anfang ist (Ps. 111, V. 10). Wohl dem, welcher schon durch seinen Stand im Erdenleben unter die äußere Zucht einer Furcht und Ehrfurcht gestellt ist, welche ihm durch ihren demütigenden, nach unten beugenden Einfluss auch die innere Unterwürfigkeit unter die Zucht jener rechten Furcht erleichtert, die von oben ist. Der Stand der Fürsten (das konnte man an Friedrich Franz sehen), überhaupt der Stand der Hohen und Reichen hat es hierin schwerer als der der Armen und Geringen. Doch alle Dinge, auch die schwersten, sind möglich bei Gott und durch Gottes Kraft.

Zu dem höchsten Kreise des damaligen Fürstenhofes in Ludwigslust gehörten vor allen nächst dem Großherzog selber die vier Söhne desselben. Unter diesen war der mir unvergesslich teure Erbgroßherzog Friedrich Ludwig, ich darf dieses ja einem seit 36 Jahren dem Urteile der Welt Entrückten, in seiner Gruft nachsagen, an Geist und Gemüt der reichbegabteste, nach seiner Gesinnung der gereifteste. Ein Herz voll Liebe, das sich, wäre ihm dieses bestimmt gewesen, eben so väterlich besorgt für das Wohl seines ganzen Volkes, als für das seiner Kinder erwiesen haben würde. Denn ich habe wenig Väter von solch' inniger Zärtlichkeit gegen seine Kinder und von so einsichtsvoller Sorgfalt für ihr Bestes kennen gelernt, als dieser Fürst war. Er dachte weit über Das, was ihm als gegenwärtig vor Augen lag, hinaus, und ich weiß es, welche Gedanken für sein zukünftiges Wirken zum wahren Wohl seines Volkes, zum Gedeihen des Landes er in seinem Herzen trug, welches immer das Gute meinte. Ein Zug, gleichwie des inneren Schmerzens, gab seinem sonst heiteren Wesen öfters eine ernste Haltung.

Der zweite Sohn des Großherzogs, Herzog Gustav Wilhelm, war ein feiner, in der Schule der vornehmen Welt vielseitig gebildeter Herr, ein Freund und Kenner, namentlich der Tonkunst. Der dritte Prinz, Karl August, ein Herr von stattlicher, kräftiger Haltung, der als Russischer General-Lieutenant im Jahre 1812 in kühner Tapferkeit mit der französischen Übermacht manchen blutigen Kampf bestanden hatte. Der jüngste von den Großherzoglichen Prinzen war Adolf Friedrich, geboren 1785, gestorben 1821. Das war ein Mitpilger auf dem Wege des Erdenlebens, von desgleichen man nur selten einem begegnet, am wenigsten aus seinem Stande. Eine Menschenseele, die sich da, wo das Treiben der Welt und ihrer Eitelkeit am geschäftigsten und geräuschvollsten war, am einsamsten und verlassensten fühlte, denn sie war heimwehkrank von dem Sehnen nach einem Frieden, nach einer Ruhe, welche die Lust der Augen und der anderen Sinne nicht geben kann, und sie ist frühe eingegangen zu ihrer Ruhe. Ich freue mich auf das Wiederfinden. Auf einer Reise, die ich mit ihm allein nach Doberan machte, hat er mir sein ganzes Herz voll Demut, Liebe und Hoffnung aufgeschlossen; voll einer Hoffnung, welche nicht zu Schanden werden lässt. Seine Liebe, die sich niemals genug tat, bezeugte er durch viele Wohltaten, die er, damit der Geber verborgen bliebe, meist durch Andere an die Empfänger kommen ließ. Eine öffentlich anerkannte Wohltat erzeigte er seinem Vaterlande durch die Stiftung der Ersparniskasse für das Volk. — Ein jüngerer Prinz des Hauses, der älteste Sohn des Herrn Erbgroßherzogs, der nachmalige Großherzog Paul Friedrich, war während meines Aufenthaltes in Ludwigslust in Genf. Ich habe ihn kurz vor meinem Abgange aus Mecklenburg nur ein oder etliche Male gesehen.

Der alte Großherzog Friedrich Franz hat wie alle für die Aufgabe ihres Berufes besonders begabte Fürsten bei der Besetzung der höchsten, einflussreichsten Stellen in dem Haushalte des Staates eine tiefe Einsicht und Menschenkenntnis bewiesen und darin vieles Glück gehabt. Der Minister von Plessen, aus einem mecklenburgisch-adeligen Geschlechte, das wie die Blücher, die Oertzen von deutscher Abstammung war, ist ein Mann von solcher treuer, rechtlicher Gesinnung, solcher Geschäftstüchtigkeit und Einsicht gewesen, wie man nur Wenige von seinem Stande findet. Die geistvolle Erbgroßherzogin Marie Luise pflegte von ihm zu sagen: er sei ihr vor allen Diplomaten, die sie kennen lernte, merkwürdig und wert gewesen durch seine unverstellte Gesinnung; ein Mann wahr in Wort so wie Tat, treu und fest auf dem von ihm erkannten, rechten Wege. Ich habe diesen Herrn nur selten gesehen; er war in Geschäften seiner Regierung meist in Schwerin oder selbst außer Landes. Desto öfter sah ich seine Gemahlin, die nahe Freundin der Caroline von Bose.

Eine Erinnerung von nachhaltiger Art, die mir niemals aus dem Sinne kommen wird, hat mir die Bekanntschaft mit dem Hause des Oberhofmeisters von Lützow hinterlassen. Dieser alte Herr von Lützow hat auf mich durch sein ganzes Wesen und seine Erscheinung in geistiger Hinsicht einen ähnlichen Eindruck gemacht, als der war, den etwa eine alte mächtige Edeleiche seines Vaterlandes, unter deren Schatten man gerne ausruht, auf meine Sinne machte. Er war ein Mann, in dessen Nähe und Anblick man auch gerne ausruhen mochte, weil in seinem Gemüte und Wesen eine Ruhe war, die in einem geistigen Boden wurzelte, der eben so fest war, als der Erdengrund, auf dem die hochstämmige Edeleiche steht. Bei diesem Manne waren das äußere und das innere Wesen aus einem Gusse. Denn wenn der alte Oberhofmeister, angetan mit Panzer und Helm, Schild in der Linken, Lanze oder Schwert in der Rechten, zu Pferde gesessen wäre, er hätte mit Ehren einen mannhaften Ritter aus dem Heere Friedrich Barbarossas im Schlachtfelde von Iconium darstellen können. Und er wäre dann ein Nachbild desselben Vorbildes gewesen, was der älteste Ahnherr seines Hauses in Wirklichkeit war. Die Geschichte der ritterlichen Taten der Lützows reicht in eine eben so alte Zeit hinauf, als die der Blücher. Denn diese, die Blücher, aus deutschem Geblüte, sind mit Heinrich dem Löwen nach Mecklenburg gekommen und ein Ulrich von Blücher um 1215 wird als der Großvater eines Bischofs von Ratzeburg genannt; die Lützows aber stammen aus altwendischem Geschlechte und einer ihrer Vorfahren soll sich bei dem Sturme von Mailand unter Friedrich Barbarossa im Jahre 1156 den Ritterschlag aus Kaisershand und den Namen erworben haben, den sein Haus seit 700 Jahren mit Ehren trägt. „Ihr Lüt so“, d. h. ihr Leute, so macht es, soll der alte Kämpe gerufen haben, indem er eine Leiter mit seinen starken Armen herbeitrug und an die Mauer lehnte, woraus noch jetzt die Leiter im Wappen des Geschlechts und sein aus dem Zuruf „Lüt so“ entstandener Name hindeutet.

Man muss mir zu Gute halten, wenn ich mich hier in der Erinnerung an einen Mann meines Herzens noch etwas länger verweile. Ich stehe gerne bei dem Anblicke solcher Gestalten still, deren mir noch manche in meiner Jugend begegnet sind. Ich meine, solche sind in unseren Tagen selten geworden, ich wenigstens habe unter den jetzigen Nachkommen der alten, deutschen Rittergeschlechte nur wenige solcher gefunden, die dem alten Oberhofmeister von Lützow, aus dem Hause Großen-Salitz, gleich wären. „Dieser war“, wie ein noch lebender, ihm geistig wie leiblich verwandter Freund von ihm sagt: „in jedem Zoll ein Edelmann, durch die reinsten und schönsten Waben des Herzens; ein Mann voll Treue und Liebe zu seinem Gott, inniger Ergebenheit gegen sein Fürstenhaus, tatkräftiger Liebe gegen Alle, die seinen Rat, seine Hilfe suchten. Nicht nur in der Heimat, auch in der Fremde, auf seinem Gesandtschaftsposten zu Petersburg, Paris und während der schweren Jahre von 1808 bis 1813 in Berlin hat er sich als ein acht deutscher Mann von Ehre, Einsicht und Kraft; bis an sein Ende (im Jahre 1835) als Christ erwiesen. In seinen Worten wahr, in seinen Sitten schlicht, liebte er das Einfachste am meisten, wählte sich, wenn es sein durfte, den geringsten Platz, unterhielt sich besonders gern mit Kindern und Leuten aus dem Volke, die ihnen glichen, war gern in der freien, schönen Natur. Und dabei fand sich doch in seinem Wesen und Benehmen ein scheinbarer, seltsamer Widerspruch. Derselbe schlichte Mann, dem es so behaglich wohl dabei war, wenn er, wie sein Großherzog Friedrich Franz, mit den Geringsten im Lande zutraulich wie mit seines Gleichen reden und umgehen konnte, war zugleich so durch und durch Hofmann, dass ihm die Beobachtung der kleinlichsten Etikette, mit allen ihren unnützen Formen und ihren sanktionierten Unwahrheiten, nie schwer ward und nie seinem offenen, geraden Wesen Eintrag tat.“ — Ich füge hinzu, dass der Oberhofmeister von Lützow auch hierin als Freund der alten Ordnung sich benahm; gleich den mannhaften Rittern des Mittelalters, wenn sie bei Turnieren und festlichen Gelagen alle vorgebrachten Formen und Höflichkeiten der alten Chevallerie beobachteten. Übrigens verließ diesen Mann auch niemals, er mochte bei dem Fürsten oder unter dem Volke sein, der sittliche Ernst.

Ich kann mich nicht enthalten, hier noch die als vollkommen wahr beglaubigte Anekdote von einem Haarzopfe zu erzählen, der meinem guten, edlen Herrn von Lützow das Leben gerettet hat. „Am 26. August 1778 erneuerten die Österreicher ihren Anfall auf die preußischen Reiterposten in der Gegend von Kruppay. Es kamen in der Frühe um 5 Uhr dreißig Mann vom Regiment Kaiser, Dragoner und Husaren von Kalerki, bei welchen sich drei Prinzen: von Ligne, von Mecklenburg und von Waldeck als Freiwillige befanden. Sie überrumpelten die Preußen, warfen sie, und sich mit ihnen zugleich auf die Kompagnie des Hauptmannes von Lützow (des nachmaligen Oberhofmeisters), vom Frei-Regiment Hardt, die eben ausgerückt war. Der Hauptmann von Lützow ließ einige Salven geben und zog sich dann, der Übermacht weichend, in einen Amtshof zurück. Die kaiserlichen Reiter saßen ihm auf der Ferse, und einer derselben hieb ihm, als er eben durch den Thorweg wollte, den Zopf weg *). Ein Mehreres aber konnten sie ihm nicht anhaben, denn er wehrte sich innerhalb des Amtshofes tapfer und verschaffte dadurch den preußischen Bellingischen Husaren die Zeit, aufzusitzen. Von diesen unterstützt, entriss er dem Feinde alsbald das Terrain und zwang ihn, dasselbe mit Zurücklassung dreier Todten, dreier Verwundeten und vier Gefangenen, zu räumen.“

*) Der berühmte Maler Tischbein hat diese Kampfszene gut dargestellt.

Als Fortsetzung zu dieser Anekdote füge ich eine andere hinzu, welche ich ebenfalls aus treuem Munde empfangen habe und deshalb für die Wahrheit bürgen kann. „Viele Jahre nach der Affäre bei Kruppay, als sich der Oberhofmeister von Lützow auf einer seiner Gesandtschaften in einem hohen geselligen Kreise befand, kam zufällig die Rede auf das Gefecht der Preußen mit den Österreichern am 26. Aug. 1778. Da sagte eine ältere Dame aus der Gesellschaft mit Bedauern: ja, das war das Gefecht, in welchem ein höchst liebenswürdiger junger Offizier: der Hauptmann von Lützow gefallen ist. — Sogleich trat der eben genannte vormalige junge Hauptmann, freilich nun ohne Haarzopf und mit ergrautem Haare, hervor, sagte der Dame seinen Dank für ihre Teilnahme, bezeugte jedoch zugleich durch sein kräftiges Auftreten, dass damals nicht er selber, sondern nur sein starker Haarzopf unter dem scharfen Säbel eines Dragoners gefallen sei.“

Ja, in diesem Hause des Oberhofmeisters von Lützow war ich manchmal gern. Denn auch die Mutter des Hauses, eine geborene von Maltzahn-Rottmanshagen, war durch ihren hellen Verstand und ihre Herzensgüte eine seltene Zierde dieses Hauses, in welchem jene Gottesfurcht und lautere Treue des Herzens herrschte, die als Erbteil bei den Kindern geblieben ist. Da lernte ich auch zuerst einen würdigen Genossen und Verwandten dieses Hauses, den damals noch jugendlich blühenden Kammerherrn von Ranzow, kennen.

Doch es ist Zeit, dass ich mich von dem Fürstenhofe und seinen Originalgestalten zurückbegebe in mein eigenes Haus und in den Kreis meiner Wirksamkeit.