Vierzehntes Capitel: Ausschiffung. — Pillau. — Ableben der Herzogin. — Königsberg. — Kneiphof. — Königl. Schloß. — Königl. Familie. — Theater.

Schill. — Vorstädte. — Kriegsverheerungen. — Braunsberg. — Transt. — Elbingen. — Spuren des Krieges. — Marienburg. — Ordenshaus. — Kolossales Marienbild. — Das mittlere Schloß. — Remter des Meisters. — Weichsel bei Dirschau. — Praust. — Ankunft in Danzig. — Vom 11ten bis zum 20sten Mai 1808.

Die Wache am Hafen war sehr behülflich, den Wagen an’s Land zu bringen. Der commandirende Officier gab mir einen Mann mit, um ein Quartier zu suchen. Das ganze Städtchen war so besetzt von Fremden, daß ich auf der Straße hatte campiren müssen, wenn nicht noch ein Wirth mir auf vieles Bitten seine eigne Stube eingeräumt hatte, in welcher ich mit meinem Bedienten schlafen mußte.


Auffallend war die wärmere Temperatur und das schon viel weiter ausgebrochene Grün in Vergleich mit Schweden. Die wärmere Luft war wirklich abspannend für die Nerven.

Pillau ist eine starte Festung auf der äußersten Spitze der Erdzunge des frischen Haffs, zwischen Danzig und Königsberg belegen. Sie deckt vollkommen die hier nur ¼ Deutsche Meile breite Einfahrt. Sie war nebst Colberg eine von den wenigen Preußischen Festungen, welche so gut vertheidigt war, daß sie nicht genommen werden konnte.

Am 13ten Mai gegen Mittag 1 Uhr verließ ich Pillau und fuhr über Weditten nach Königsberg. Am 14ten Morgens ging ich sogleich aus, um den nachmaligen Geheimerath Mens aufzusuchen, welcher in Angelegenheiten des Herzogs hier war.

Mit Sehnsucht erwartete ich Nachrichten von meinem Hofe; denn seit Glücksburg hatte ich keine Briefe von Bruchsal bekommen. Aber die Nachricht, welche ich empfing, war erschütternd. Ich erfuhr das Dahinscheiden unsrer verehrten Herzogin, welche am 20sten April d. J. im Wochenbette gestorben, nachdem sie von einer todten Prinzeß entbunden war. So war denn auch der härteste Schlag auf das Haupt meines geliebten Fürsten und Herrn gefallen. Viele schöne Züge, tief aus seinem edlen Herzen hervorgegangen, bezeugen, was sie ihm war. So schrieb er am 29sten Mai 1808 an einen seiner ältesten Vertrauten, den geheimen Etatsrath Zimmermann, in Braunschweig*): „Sie kannten das unaussprechliche Glück, welches mir meine Verhältnisse mit meiner seligen Frau in dieser Welt gestatteten; — sie war es, die so manches Unangenehme mit mir theilte; durch sie wurde mir das Herbe weniger empfindlich; sie gab mir Freude, beruhigte meine Empfindungen, und war in allen Lagen meine Zuflucht. Das meinem Herzen so unendlich theure Wesen habe ich verloren, und mit ihm Alles, was mich früher an diese Welt fesselte. Meine gute Marie ist todt, und damit ist mir alles Uebrige gleichgültig. Nach diesem schmerzhaften Ereignisse kann mir nichts mehr begegnen, das mein innerstes Gefühl so unglücklich macht. — Unglück und harte Prüfungen sind gewiß oft in der Welt nöthig, um uns zu einer bessern Zukunft vorzubereiten, so wie hier auf der Erde kälter und überlegter zu machen. Ob dies Letztere mir so nöthig war, wage ich nicht zu beurtheilen. — Ich bin weit entfernt, auch auf irgend etwas Anspruch zu machen, sondern verlange nur so unbemerkt als möglich zu leben.“

Der Werth dieser edlen Fürstin kann nicht schöner und tiefer empfunden ausgesprochen werden.

Einige Tage verstrichen unter wehmüthigen Empfindungen, die mir diese Trauerbotschaft eingeflößt hatte, bevor ich vom Minister der auswärtigen Angelegenheiten den Paß erhielt, um sicher nach Carlsruh abgehen zu können.

Hier in Königsberg war es damals ungemein lebhaft. Hierher hatte sich der Königliche Hof nach dem Frieden von Tilsit, welcher der Monarchie über die Hälfte ihres Areals und fast die Hälfte ihrer Bewohner kostete, zurückgezogen. Am 15ten wurde ich zum Könige und zu der jedem Preußen unvergeßlichen Königin Marie Louise beschieden. Ich bewunderte die Seelengröße des Königlichen Paars nach solchen Schlägen des Schicksals, und empfing Briefe an den Herzog.

Königsberg, mit 4500 Feuerstellen und 64,000 Einwohnern, ist die zweite Residenz des Preußischen Staats, bildet den Mittelpunkt des Ostpreußischen Handels, hat eine vom Markgrafen Albrecht I. im Jahre 1544 gestiftete Universität (Albertina**)), mit einer Büchersammlung von etwa 50,000 Banden, einer Sternwarte, einem botanischen Garten, mehrern gelehrten Gesellschaften und zwischen 300 — 350 Studirenden. Königsberg liegt am Einfluß des Pregels in den frischen Hass. Sieben Brücken verbinden die Ufer des Pregels, allein obgleich der Strom 15 Fuß Tiefe hat, so können doch wegen mehrerer Untiefen größere Schiffe nicht zur Stadt kommen, sondern müssen bei Pillau liegen bleiben, dessen Hafen also eigentlich als der Hafen von Königsberg zu betrachten ist.

Der schönste Theil der Stadt trägt den sonderbaren Flamen: der Kneiphof. Dieser mit vorzüglich schönen Häusern geschmückte Stadttheil ist das Venedig von Königsberg; denn er ist auf einer Insel, welche die Arme des Pregels bilden, auf Pfählen erbaut.

Das Königliche Schloß ist prachtvoll gebauet, liegt auf einer Anhöhe und hat 180 Zimmer, von welchen jedoch ein großer Theil nicht mehr bewohnbar ist.

Hier lebte die Königliche Familie sehr einfach. Die einzige Veränderung, welche sie sich erlaubte, war der Besuch eines vom Könige gemietheten Gartenhauses.

Das Theater ist neu gebauet und findet nicht leicht in Hinsicht der Bauart und Form seines Gleichen. Der Schauplatz besteht aus einer vollkommnen Rotunde, so daß die Bühne außerhalb des Kreises sich öffnet. Allerdings gewinnt dadurch das Spectatorium an Schönheit und macht bei gefülltem Hause und voller Beleuchtung einen schönen Eindruck; allein von einem großen Theil der Seitenplätze kann man auf der Bühne nichts sehen und die runde Form bildet ein Schallgewölbe, welches die Töne verwirrt. Noch mehr häufen sich die akustischen Schwierigkeiten durch den Mangel an Seitencoulissen, welche durch volle Wände ersetzt sind. Daß dadurch auch eine, der Wirkung der Tageshelle entsprechende, gleichförmige Beleuchtung unmöglich gemacht wird, begreift sich leicht.

Unter mehreren Freunden und Bekannten, welche ich hier traf, war auch der feurige Schill, der sich damals schon bei der Belagerung von Colberg einen Namen gemacht hatte; aber noch nicht ahnen ließ, welche tragische Rolle er im Jahre 1809 spielen würde.

Am 16ten erhielt ich meinen Paß. Wegen Unpäßlichkeit konnte ich aber erst am 18ten abreisen.

Königsberg besitzt 15 Vorstädte. Indem ich durch einige derselben fuhr, erblickte ich überall Spuren der Verheerungen des unglücklichen Krieges. Noch lag der größeste Theil dieser Vorstädte abgebrannt und niedergerissen, und Schutthaufen und Bastionen erhoben sich, wo sonst wohlhabende Bürger ihre friedlichen Gewerbe betrieben und fleißige Hausfrauen in ihrem stillen Berufe walteten.

Ein furchtbares Gewitter mit einem wirbelnden Sturm ließ sich auf der Landstraße zwischen Braunsberg und Hoppenbrück immer leichter ertragen, als ein ähnliches Unwetter auf offner See.

In Braunsberg erwartete ich Herrn Mens aus Oels, damals Geschäftsträger des Herzogs, welcher später aus Königsberg ausgefahren war. Wir fuhren zusammen in einem Wagen weiter.

Braunsberg ist eine bedeutende Landstadt, vor alten Zeiten der Sitz des Deutschen Ordensmeisters, wie noch die alte Kirche und viele alte Prachtgebäude bezeugen.

Am 19ten fuhren wir weiter über Transt nach Elbingen.

Die Ostseegegenden haben immer ein, ich möchte sagen, schaurig eintöniges Ansehen; aber hier zwischen Königsberg und Elbingen hatte der Krieg seine furchtbaren Spuren grausig zurückgelassen. Städte und Dörfer lagen in Asche. Meilenweit fährt man in dieser Krieges-Wüste ohne eine Furche beackertes Land zu finden. Wo man noch ein lebendes Pferd erblickt, da ist es ein fortschleichendes Gerippe, kahlgefressen vom Hautgrind. Todte Pferdegerippe liegen zahllos umher, auch — schauderhaft war’s — neben der Straße lag ein noch unbeerdigtes Menschengerippe. Menschenleer waren die sonst so schönen Dörfer, — wo der Krieg seine blutige Ernte hält, da geht die Menschensaat aus. In andern Dörfern sah man nur noch einzelne Menschen mit den Zügen von Hunger und Kummer auf den bleichen Angesichtern, und das war fast noch betrübender***).

Elbingen ist eine ziemlich große, vormals blühende Handelsstadt — alt und unregelmäßig gebauet, mit spitzen nach der Straße zugekehrten Giebeldächern, so wie die meisten alten Ostseestädte gebauet sind. Jetzt liegt der Handel von Elbingen gänzlich darnieder.

Am Nachmittage des 19ten Mai fuhren wir noch nach Marienburg, um dort zu übernachten.

Ungefähr eine Meile von Marienburg passirten wir die Französische Linie.

Marienburg ist eine alterthümlich gebaute Stadt, welche, anmuthig auf einer Höhe liegend, von zwei Armen der Nogat umflossen wird. Sie enthält 5800 Einwohner. Weit und breit berühmt ist das alte Ordensschloß daselbst, welches im 14ten Jahrhunderte der Hochmeister Dietrich von Altenburg vollendete und ausschmückte.

Der kühne Bau, welcher in gefälligen Spitzbogen und schlanken Säulen dem Charakter der himmelanstrebenden Leichtigkeit mit einer für die Dauer der Ewigkeit berechneten Festigkeit entspricht, ist ein bewunderungswerthes Denkmal Altdeutscher Baukunst.

Hier, wo einst die Deutschen Ritter, rastend von den zahllosen Kämpfen mit rauhen heidnischen Nachbaren, unter strenger, klösterlicher Uebung, bei Tag und Nacht in ungeheizten unverschlossenen Zellen wohnten oder im Remter bei magerer Kost schweigend nach der Ordensregel an langen Tafeln saßen, wo Deutsche Tapferkeit vor 6 Jahrhunderten Preußens Macht begründet hatte, hier lagen jetzt unter Französischer Obhut Franzosen, krank oder verwundet von Preußen; deren Nationalmacht und Staatengröße sie gebrochen hatten.

Es war hier ein Französisches Hospital errichtet. Der Französische Inspecteur zeigte uns die Herrlichkeiten des alten Preußen-Schlosses mit vieler Gefälligkeit.

Auf der Südostseite der St. Annen-Capelle, welche zum Schlosse gehört, erhebt sich das, bei aufgehender Morgensonne weit in das Land hineinleuchtende, wunderbare Marienbild von kolossaler Größe. Es ist in eine Nische der Kirchenwand als Hautrelief gebracht, 26 Fuß hoch, mit einem Stuck überzogen, in welchen, wie bei den Byzantinischen Arbeiten so vieler Kirchen und Mosaiken in Italien, kleine rothe Glaswürfel eingelassen sind, die mit eingeschmolzenen Goldblättchen eine neue Verglasung empfangen haben,
und dadurch eine unverwüstliche strahlende Vergoldung liefern. Das Unterkleid der Maria ist auf diese Weise goldglänzend, darüber trägt sie einen großen weitumwallenden Mantel, roth mit goldnen Vögeln und Blumen verziert. Das übergeschlagene Unterfutter ist blau, die kolossalen Falten sind zierlich gelegt. So macht dieses wundersame Bild in bedeutender Ferne einen malerischen Eindruck und strahlet, hellglänzend und herrlich wie das Licht des Christenthums, welches von hier aus über das dunkle Heidenvolk verbreitet wurde, hinaus in die nebelgraue Ferne.

Merkwürdig ist hier Vieles, doch die Zeit hat gewaltig an den alten Herrlichkeiten genagt ****). Große Höfe werden von umschließenden Gebäuden gebildet; das Ganze umzieht ein trockner ausgemauerter Graben. Das mittlere Schloß hatte 4 Stockwerk. Dort erblickt man noch mit Erstaunen über die kühne Baukunst den Remter des Meisters, eine Halle von 45 Fuß in’s Gevierte, deren hochansteigendes Deckengewölbe ein einziger schlanker Granitpfeiler von 26 Zoll im Durchmesser trägt.

Am 20sten Mai des Morgens gingen wir auf einer Fähre, von einem Französischen Fährmann bedient, über den Fluß; dann unweit Dirschau über die beiden Arme der Weichsel, wovon nur der erste mit einer Brücke versehen war.

Schmerzlich fiel es mir auf, auch das Stadtthor von Dirschau noch nach dem Frieden von Franzosen besetzt zu sehen. Noch trugen die Häuser Spuren der Kugeln von den vielen Gefechten, die hier vorgefallen waren.

Mit guten Pferden ging es rasch weiter über Praust nach Danzig.

Je näher wir Danzig kamen, desto mehr verloren sich die schrecklichen Spuren des Krieges, doch sah man überall noch die Mutlosigkeit der fast allgemeinen Verarmung durch den Krieg. Eine Meile von Danzig zeigten die neuen Stadtwappen an der Straße, daß hier das neue der Stadt zugetheilte Gebiet angehe.




*) Herzog Friedrich Wilhelm als Mensch, in treuen Zügen aus seinem Gemälde von Römer, vormals Cabinetsrath. Braunschweig 1815. S. 8l. D. B.

**) Ueber welche seit 1809 der Kronprinz von Preußen das Rectorat übernommen hat. D. B.

***) Jetzt erblickt man dort eine wohlhabende lebenskräftige Bevölkerung, nirgends einen Schutthaufen mehr, überall neue und besser gebaute Städte und Dörfer, guten Viehstand, und eine Vegetation, so gut sie der Ostseestrand nur immer duldet — das ist der Segen einer weisen, milden und kraftvollen Regierung.

****) Bekanntlich ist die Marienburg nach Wiederherstellung der Monarchie vom Könige und einem Vereine patriotischer Männer mit vollkommner Nachahmung des Alterthümlichen wieder hergestellt. Sogar die zum Theil zerstört gewesene Glasmalerei der Fenster ist durch neue Kunstschöpfung wieder erneuert worden. D. B.