Religiöse Grundlagen und ihre praktischen Wirkungen

Dass das Christentum, gleichviel in welcher besonderen konfessionellen Gestaltung, die Idee der sittlichen Freiheit und die Idee der Gleichheit der Menschen im Wesen als Grundlagen enthält, dass solche religiöse Grundlagen endlich praktische Wirkungen im bürgerlichen und sozialen Leben, d. h. dass sie über längere oder kürzere Zeit Rechts Wirkungen hervorbringen müssen, bedarf keiner weiteren Entwickelung. Dagegen ist es wohl nicht überflüssig, einige Worte darüber zu sagen, welchen Anteil an dieser Umbildung die Antike, insbesondere das römische Recht als die Hauptquelle der Kenntnis des antiken Rechtsbewusstseins hat, da dieser Anteil des römischen Rechtes an der Erzeugung des nunmehrigen freiheitlichen Ideenkreises, besonders bei dem gebildeten und namentlich bei dem rechtskundigen Theile des deutschen Volkes, bei dem ganzen deutschen Juristenstande, bisher von den Wenigsten beachtet und gewürdigt zu sein scheint. Wir glauben hierzu um so mehr Veranlassung zu haben, als in der Schrift des Herrn Prof. Gervinus der Romanismus ohne alle Unterscheidung, vom Standpunkte einer einseitigen protestantischen Auffassung aus, als durchaus absolutistisch, die Ideenentwickelung im Volksleben hindernd, die Völker in Stagnation und Bedeutungslosigkeit versenkend und jeden Fortschritt ausschließend, geschildert, dagegen Fortschritt, Entwickelung der Völker in intellektueller und materieller Beziehung, ausschließlich als die Wirkung des Einflusses des germanisch-protestantischen Individualismus dargestellt wird. Endlich hat auch das mitgewirkt, uns zu bestimmen, dem Einflusse des römischen Rechtes auf die Entwickelung des Freiheitsbegriffes in Europa einige Worte zu widmen, dass sehr viele Personen in der Meinung stehen, als beruhe die nordamerikanische Freiheit wesentlich auf der Unbekanntschaft mit dem römischen Rechte, oder, wie man sich mit Beziehung hierauf auszudrücken pflegt, dass Amerika nicht, wie der europäische Kontinent, „verrömert“ sei.***)

*) Es ist daher nicht uninteressant zu bemerken, wie sich die juristische „Verrömerung“ nunmehr doch auch dem freien Amerika nähert, indem es immer häufiger wird, dass junge Männer aus Nordamerika auf unseren Universitäten die Rechte studieren und ihren Stolz darin finden, mit der Würde eines Doctor utriusque juris geschmückt in ihr Vaterland zurückzukehren! —


**) L. 1. Dig.de constit, principum; L. 31. Dig.de legibus. —

***) Viel Vortreffliches findet sich hierüber bei E. Th. Gaupp, die germanischen Ansiedlungen und Landteilungen in den Provinzen des römischen Weltreiches, Breslau 1844.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Demokratie in Deutschland