Das römische Recht als praktische Rechtsquelle

Das römische Recht enthält in der Gestalt, wie es von uns als praktische Rechtsquelle aufgenommen worden ist, eine merkwürdige Mischung von absolutistischen und demokratischen Grundsätzen. Es ist dies die Folge der geschichtlichen Entwickelung des römischen Staatswesens, seines Überganges aus einer allmählich entarteten Republik in ein despotisches Kaisertum. Daher sind die obersten Grundsätze des öffentlichen Rechtes, die es aufstellt, streng absolutistisch: „der Wille des Fürsten ist für den Untertan Gesetz, der Fürst selbst steht über allem Gesetze und ist an keines gebunden.“ *) Mit diesen beiden Sätzen ist das Verfassungsrecht des Absolutismus in seiner vollkommensten Reinheit auch vollkommen erschöpft und abgeschlossen. Das Privat recht dagegen ist im römischen Rechte durchaus auf demokratische Grundsätze gebaut: eine notwendige Folge davon, dass es sich ursprünglich und wesentlich nicht als das Recht eines großen in viele Stämme gegliederten und große Länderstrecken bedeckenden Volkes, sondern als das Recht einer einzelnen, wenn gleich später weltherrschenden Stadtgemeinde, und lediglich aus dem städtebürgerlichen Verkehre und für denselben entwickelt hat. Erwuchs dem römischen Rechte daraus auf der einen Seite der Vorteil einer einheitlichen Entwickelung, wie sich deren das Recht keiner anderen Nation, namentlich nicht das deutsche Recht, bei der ursprünglichen Menge und Verschiedenheit seiner Volksstämme zu erfreuen hatte,**) so musste dadurch das römische Recht zugleich einen gewissen Charakter der Einseitigkeit, eine gewisse starre Gleichförmigkeit annehmen, indem es nicht, oder doch nur in höchst vereinzelten Spuren auf lokale Verhältnisse und Bedürfnisse Rücksicht nimmt und zu nehmen Veranlassung hatte. Von diesem römischen Privatrechte kann man also sagen, es habe von Haus aus einen universellen Charakter, nämlich in dem Sinne, als es für den ganzen Umfang des römischen Stadtgebietes und später für den ganzen Umfang des allmählich erwachsenen römischen Weltreiches, und dass es für den römischen Bürger (civis) und seit der Ausdehnung der Civität auf alle freien Reichsangehörigen, für den römischen freien Menschen überall und unter allen Umständen galt; dass es seinen Bürger gleichsam so umfasste, dass es zugleich sein angeborenes Menschenrecht, und überhaupt das Recht ist, welches der Römer in seiner Denkweise zugleich als ein vernünftiges und als historisch hergebrachtes, nationales Recht auffasste, so wie auch jetzt noch die Romanistenschule diesen doppelten Charakter des römischen Rechtes verteidigt. Dieser Charakter der Gleichförmigkeit, der Universalität des römischen Privatrechtes im angegebenen Sinne war es, der es ihm möglich machte, im Wesen unverändert auch unter dem Absolutismus fortzubestehen, ja sich sogar auf seinen demokratischen Grundlagen unter der pflegenden Hand des Absolutismus bis zur klassischen Höhe auszubilden. Die Despotie in ihrer Reinheit setzt nämlich voraus, dass dem Fürsten gegenüber alles nur Untertan sei; sie will und kann keine Ständegliederungen, keine Aristokratie und keine Korporationen vertragen, die dem Fürsten gegenüber ein besonderes, für ihn unantastbares Recht haben; sie fordert absolute Gleichheit aller Staatsangehörigen in der Pflicht, dem Fürsten zu gehorchen; sie fordert daher auch absolute Gleichförmigkeit des bürgerlichen Rechtes, und erkennt keine Sonderrechte an, als in sofern sie selbst nur Ausfluss der fürstlichen Willkür im einzelnen Falle, d. h. Privilegien im eigentlichen Sinne sind; sie erkennt auch keine Auszeichnungen an, welche Geburt oder andere von der fürstlichen Gnade unabhängige Verhältnisse gewähren könnten, sondern nur Rangvorzüge, bedingt durch die Stufenordnung des Dienstes, deren Ersteigung ausschließlich wieder von dem Willen des Fürsten abhängt. In dieser Hinsicht hatte die römische Republik dem absoluten Kaisertume trefflich vorgearbeitet. Als das Kaisertum auftrat, fand es nichts mehr vor, was es erst zu zerstören gehabt hätte: keinen Adel, keine Aristokratie im germanischen Sinne, keinen christlichen, korporativ als Civitas Dei fest an einander geschlossenen Klerus, keine Städte und kein Bürgertum mit verbrieften aristokratischen Rechten, keinen Bauernstand mit aristokratisch geschlossenem und festem Grundbesitze und eigentümlichem Standesrecht. Die Republik hatte längst alles gleich gemacht, was etwa von solchen Elementen, die eine Sonderstellung in Anspruch nehmen konnten, da gewesen war; überdies war dies von jeher in Rom nur wenig gewesen. Das römische Privatrecht hatte also zur Zeit der Entstehung des Kaisertums schon den Charakter der Gleichförmigkeit, wie ihn der Absolutismus brauchte, und dieser hatte nicht nöthig, ihn erst zu erschaffen: ein gewaltiger Vorteil für die römischen Imperatoren, die dadurch der Notwendigkeit überhoben waren, zu jenen Gewaltmitteln zu greifen, zu welchen die Herrscher anderer großer Nationen in späteren Zeiten, wie ein Peter I. in Russland, ein Joseph II. in Österreich greifen mussten, wenn sie die bürgerliche Gleichheit oder Gleichförmigkeit in ihren Staaten einführen wollten und dadurch Gefahr liefen, die eigenen Völker, deren Bestes sie wollten, zu beleidigen und aufzureizen.

*) Vergl. C, J. Guyet, de more regionis, Jena 1837,


**) Treffender nennt dies Gaupp, a. a. O., S. 218 den „territorialen“ Charakter des römischen Rechtes.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Demokratie in Deutschland
Kaiser Joseph II. (1741-1790), römisch-deutscher Kaiser

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Peter I., der Große (1672-1725), Zar und Großfürst

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