Die Jüdische Gemeinde und die Dallberge

Ist kein Dahlberg da? fragten bekanntlich die deutschen Könige nach der Krönung, wenn sie zur Feier ihrer Erhebung Sprösslingen des deutschen Adels den Ritterschlag erteilen wollten. Diese Frage zeigt uns das in Worms heimische Geschlecht der Dahlberge als das vornehmste, wo nicht älteste der gesamten deutschen Ritterschaft. Die Dahlberge hießen ursprünglich Kämmerer von Worms, und dort war eine eigene Gasse nach ihnen die Känmerergasse genannt. Vielleicht verdankten sie jenen Namen der Obhut über die kaiserlichen Kammerknechte, die Juden, womit sie vom Reiche beliehen waren. Nirgend in Deutschland fand sich im Mittelalter eine zahlreichere Judenschaft, nirgend eine ältere, ehrwürdigere Synagoge. Die deutschen Juden hatten drei oberste Rabbiner, einen zu Prag, den andern zu Worms und den dritten zu Frankfurt, und nach Kaiser Ferdinands Privilegium hatte der zu Worms den Vorzug vor beiden andern. Neuere Untersuchungen finden die uralte Tradition, dass schon Jahrhunderle vor Christi Geburt Juden in Worms Niederlassungen gehabt, mehr als wahrscheinlich. Nach der uralten Chronik der dortigen jüdischen Gemeinde, Maseh Nisim, hatten sich schon um die Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier, 588 Jahre vor Christi Geburt, Juden nach Worms gezogen, wo es ihnen so wohl gefiel, dass sie sich zur Rückkehr nicht entschließen konnten. Aber die Priester im gelobten Lande drohten ihnen mit der Strafe Gottes, weil Gott den Männern geboten habe, die drei hohen Feste in Jerusalem zu begehen. Da antworteten die Wormser Juden: Sie wohnten im gelobten Lande, Worms wäre das kleine Jerusalem und ihre Synagoge der kleine Tempel. Nach einer andern Überlieferung soll die Erde auf dem uralten jüdischen Begräbnisplatz, dem sogenannten heiligen Sand, von Jerusalem dahin gebracht worden sein, wesshalb sich andere deutsche Juden sehr angelegen sein ließen, in Worms aufgenommen und begraben zu werden. An das unleugbare hohe Alter der jüdischen Gemeinde zu Worms knüpfte sich alsdann deren Behauptung, dass sie in Christi Kreuzigung nicht nur niemals gewilligt, sondern sogar durch ein eigenes Schreiben an den König der Juden ernstlich davon abgeraten hätten. Dies verschaffte ihnen jene wichtigen, von Kaiser und Reich bestätigten Privilegien, und veranlasste, wie es scheint, das Sprichwort: Wormser Juden, fromme Juden. Dass sich die aus Cäsarius bekannte Sage von dem Judenmädchen, welchem verheißen war, den Messias zu gebären, und hernach eine Tochter zur Welt brachte, gerade in Worms ereignete, deutet auch darauf, dass diese Stadt für eine Hauptstadt der Juden, für ein deutsches Jerusalem galt. Die jüdische Gemeinde zu Worms hatte eine wohlgeordnete Verfassung unter einem Vorsteher, welcher der Judenbischof hieß. Den Kämmerern von Worms, den Dahlbergen, war der Schutz dieser Verfassung vom Reich übertragen. Die Kämmerer selbst müssten jüdischen Ursprungs sein, wenn sie wirklich, wie sie sich in ihren Stammbäumen rühmten, durch die Jungfrau Maria mit unserm Heiland verwandt gewesen wären. Als einst, die Anekdote ist bekannt, eine Frau von Dahlberg anzuspannen befahl, und der Kutscher fragte, wohin er sie fahren solle, antwortete sie: Zu meiner Cousine nach Liebfrauen. Einer der ersten des Geschlechts der Kämmerer soll, der Familiensage gemäs, nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus, mit der XXII. Legion nach Worms gekommen sein. Übrigens erbten die Kämmerer von Worms den Namen Dahlberg erst in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, wo das im Nahgau, drei Stunden von Kreuznach, heimische Geschlecht deren von Dahlburg erlosch und ihre Besitzungen auf jene ihnen durch Heiraten verbundenen Kämmerer von Worms übergingen, welchen Namen, Schild und Helm der Dahlberge den ihrigen beifügten und bis heute fortführen. Von Schloss Dahlburg, das im Stahlstich diese Blätter zu zieren bestimmt ist, unten das Nähere; hier könnte nur von Herrnsheim, dem kaum drei Viertelstunden von Worms entfernten Stammschloss der Familie Dahlberg-Herrnsheim die Rede sein. Eine Spazierfahrt dahin, wozu sich vor dem Tore die Gelegenheit von selber bietet, ein Gang durch das reinliche, wohlhäbige Dorf, und der auf einem günstigen Punkt mit Geschmack angelegte Garten, der Besuch der sauberen altdeutschen Kirche, worin neben so manchem seiner Vorfahren nun auch der letzte der Dahlberge ruht, wird dem Leser mehr sagen, als der Raum uns hier gestaltet.

Soviel von dem mythischen Worms; das geschichtliche ist nicht minder wichtig. Mediomatriker, Vangionen, Römer, Burgundionen, Hunnen, Alamannen und Franken hatten hier nach einander Wohnsitze. Durch gar manche Concilien, Maiversammlungen, Reichstage und Turniere ist es berühmt. Luthers Worte: Und wenn so viele Teufel in Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, doch wollt ich hinein, sichern sein Gedächtnis, so lange der Unterschied der Konfessionen besteht. Auch einen Dichter hat es hervorgebracht, den einzigen unter den Deutschen, der vor Friedrich dem Großen Gnade fand, den verdienstvollen, nicht genug gekannten Goetz. Im Nahtal werden wir ihn auf seiner Winterburg heimsuchen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland