Das malerische und romantische Deutschland

Der Rhein
Autor: Simrock, Karl (1802-1876) deutscher Dichter und Philologe, Erscheinungsjahr: 1850
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Rheingau, Reisen, Reisebericht, Wanderungen, Rhein, Rheinland, Vater Rhein, Rheinsagen, Deutscher Strom
Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen,
Zum Ritt ins alte romantische Land.

Wieland

Einleitung

Wie einst das politische Deutschland in zehn Kreise, so hat man nun das malerische und romantische in eben so viel Sektionen geteilt. Von allen Teilungen, welche Deutschland erlitten hat, lasse ich mir diese am liebsten gefallen, weil sie für mich den wesentlichen Vorzug vor den frühern hat, dass ich bei ihr nicht totgeteilt worden bin, wie bei jenen, die mich weder mit einem Herzogtum, noch mit einem Kreise bedacht hatten. Bei dieser neuen Teilung hin ich aber keineswegs zu kurz gekommen: der größte und edelste deutsche Strom ist mir anheimgefallen und an seinen Ufern Länder, die einst als die köstlichsten Edelsteine in der deutschen Kaiserkrone glänzten und noch jetzt der Stolz, das Entzücken Europas sind.

Ich muss mächtige Freunde bei dem Leipziger Kongress gehabt haben, dass man mir, dem Geringsten unter allen Teilnehmern, wenn ich überhaupt ein Recht hatte, mitzuteilen, gerade das allerkostbarste Stück des weiland heiligen römischen Reichs auf den Teller gelegt hat. Denn jetzt, wo die Verträge abgeschlossen und verbürgt sind, und der Handel nicht mehr zurückgehen kann, jetzt darf ich es wohl sagen, dass sich die Übrigen fast nur in die Schalen geteilt und mir den schmackhaften Kern allein überlassen haben.
Hatten sie wohl bedacht, dass das deutsche Reich ursprünglich auf die fränkischen Länder gegründet war, die zu beiden Seiten des Rheines liegen, dass ihr Besitz den nächsten Anspruch auf die Kaiserkrone gab? Aus dem Frankenreich, das sich am Rheine gebildet hatte, war ja Deutschland erst als ein einiges Ganzes hervorgegangen. Auch späterhin, als es schon sächsische und schwäbische Kaiser geben konnte, blieb doch der Vorzug der rheinfränkischen Länder ungeschmälert, denn erstlich ward der deutsche König durch die Wahl seinem Rechte nach ein Franke, das heißt ein Rheinländer, und dann musste die Wahl selbst sowohl als die Krönung in den bevorzugten rheinischen Ländern, in Frankfurt und Aachen, geschehen, wenn sie gültig sein sollte.

Das sind freilich jetzt veraltete Dinge; auch will ich unter dem Vorgeben, dass die deutschen Kaiserstädte in meine Sektion fallen, nicht etwa eine papierene Krone in Anspruch nehmen. Nicht für mich, für das Rheinland behaupte ich einen Vorzug und diesen verdient es durch Eigenschaften, die nicht in Gefahr sind, zu veralten. Natur und Geschichte haben es durch Gaben ausgezeichnet, die der Himmel selbst nicht zurücknehmen kann. Das schönste deutsche Land ist zugleich das reichste an historischen und mythischen Erinnerungen. In beiden Beziehungen ist hier Deutschlands klassischer Boden. Einst besaß ihn ein Volk des klassischen Altertums, dessen Denkmale noch täglich aus seinem Schoß hervorgewühlt werden. Seitdem hat er durch das ganze Mittelalter den vornehmsten Schauplatz der deutschen Geschichte hergegeben, alle Schicksale unseres Volks sind auf ihm entschieden worden, die edelsten Blüten deutscher Kultur hat Er hervorgetrieben. Und wäre seine Vergangenheit nicht so reich und groß, könnten wir Alles auslöschen, was auf den Blättern der Geschichte von den Rheinlanden geschrieben steht, so würde die Gegenwart den rheinischen Boden von Neuem zum klassischen stempeln. Seine Naturschönheiten allein sichern ihm diesen Ehrentitel, noch mehr die üppige Kultur, die den Reiz jener erhöht, dann seine vielen blühenden Städte, die mit allen Schätzen der Kunst und des Gewerbefleißes prangen, am meisten aber seine biedern, wahrhaft gebildeten, noch nicht durch die überall einreißende Überfeinerung um Kopf und Herz betrogenen Bewohner.

Deutschland, dem die Donau nur in ihren Anfängen gehört, hat einen zweiten Strom wie der Rhein nicht aufzuweisen. Wir gehen weiter und sagen, Europa, das heißt hier die Welt, besitze seines Gleichen nicht. Man hat Deutschland das Herz Europas genannt ; weil aber das Herz der Sitz der Leidenschaften ist, so wollten Einige dem immer heftig aufgeregten Frankreich die Ehre vindizieren, für das Herz Europas zu gelten. Gesteht man Deutschland und Frankreich gleiche Ansprüche darauf zu, so muss das im Herzen beider gelegene Rheinland den Sieg über beide davontragen. Entscheidet man sich für das tiefer fühlende Deutschland, so lehrt die richtige Ansicht von dessen natürlichen Grenzen, dass der Rhein mitten durch das Herz dieses Weltherzens fließt. Die Welt ist zwar rund, mithin ihre Mitte, wie ihr Ende überall; aber als eine Wohnstätte der Völker hat die Erde ihre Mitte da, wo sich die mächtigsten und gebildetsten Nationen begegnen. Und auch dies entscheidet für den Rhein, denn an seine Ufer, die England alljährlich mit zahllosen Abgesandten überschwemmt, grenzen außer Frankreich die wichtigsten deutschen Staaten, Österreich, Preußen, Bayern und Württemberg, anderer zweiten und dritten Ranges nicht zu gedenken; die Schweiz und Holland liegen in seinen Quellen und Mündungen und Belgien wird durch eine Eisenbahn mit ihm in Verbindung gesetzt. Durch diese und ähnliche großartige Unternehmungen, die teils schon im Bau begriffen, teils beschlossen und genehmigt sind, wohin auch der Donau-Main-Kanal gehört, wird das Rheintal immer mehr das werden, was es jetzt schon ist, die Hauptstraße der gebildeten Welt, der Markt und Sammelplatz aller Nationen, der große Corso für die Faschingsfreuden der schönen Jahreszeit, zu welchen einzuladen sich dieses irdische Paradies mit immer neuen Reizen schmückt. Nirgends ist der Völkerverkehr lebendiger, die stündlich abgehenden Schnellposten mit ihren Beiwagen, die goldglänzenden Dampfschiffe, vor deren umgeschwungenen Rädern der Strom nicht zur Ruhe kommt, die geräumigen, mit der verschwenderischen Pracht der Paläste eingerichteten Gasthöfe wissen die Menge der Reisenden nicht fortzuschaffen, die Zahl der Fremden nicht unterzubringen. Man ist nicht mehr in Deutschland, man fühlt sich in der großen Welt. Für die Bedürfnisse der Reisenden, für alle erdenklichen Bequemlichkeiten wird mit einem Raffinement gesorgt, das man ohne Lächeln nicht wahrnehmen kann. Reisebücher, Karten, Panoramen, malerische und plastische Darstellungen einzelner Gegenden wie größerer Strecken, Sagensammlungen in Versen und Prosa, und tausend andere Reisebehelfe sind in allen Kunst- und Buchläden in solcher Fülle zu Kauf, dass zwischen Mainz und Köln kaum ein Haus, kaum ein Baum gefunden wird, der nicht schon eine Feder oder einen Grabstichel in Bewegung gesetzt hätte. Diese Gegend ist so vielfältig beschrieben, abgebildet und dargestellt, dass man zuletzt das Postgeld schonen und sie mit gleichem Genuss in seinen vier Wänden bereisen kann. Auf eine solche malerische Reise im Zimmer ist es auch hier wieder abgesehen.
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