Der Dom von Worms

Aus dem orleans'schen Mordbrand hat Worms wenig mehr als seinen herrlichen Dom gerettet, dessen festes Mauerwerk die Franzosen vergebens zu zertrümmern suchten. Das hohe schmale Langhaus mit einem östlichen und westlichen Chor, vier schlanken Türmen und zwei turmähnlichen Kuppeln an den Chören, erinnert an den Dom zu Mainz, nur dass dort die Verhältnisse größer sind und die Kuppel über die Türme emporragt. In den ersten Jahren des Jahrtausends erbaut, ist es eins der ältesten und schönsten Denkmäler des Rundbogenstils, jener am Rhein so viel gepflegten Baukunst, von welcher die Gelehrten nicht wissen, ob sie byzantinisch oder lombardisch heißen müsse. Uns scheint sie weder griechischen, noch italischen Geist zu atmen, sondern aus dem starren und strengen Sinn des Nordens hervorgegangen zu sein, dem sich die Milde des Christenthums und die üppige Blüte der Romantik noch nicht erschlossen hatte. Von dem östlichen Chor und der nördlichen Langseite blicken scheußliche Larven, grimmige Tiergestalten auf uns herab, gleichsam Ausgeburten des finstern Heidentums, welche die christliche Kirche des elften Jahrhunderts noch nicht alle auszuscheiden und zu bewältigen gewusst hatte. Der westliche Chor zeigt etwas spätere Formen und Übergänge in den Spitzbogen. Man erklärt dies durch die im fünfzehnten Jahrhundert notwendig gewordene Wiederherstellung des einen westlichen Turms. Allein schwerlich lag ein westlicher Chor im Plane des ersten Baumeisters. Hier, dem östlichen Chor gegenüber, musste sich, nach einem durchgreifenden Gesetze, ursprünglich der Haupteingang befinden. Das jetzige schon ganz gotische Hauptportal auf der Südseite kann erst drei Jahrhunderte später angefügt worden sein. Auf seiner Spitze reitet ein gekröntes Weib auf einem vierfüssigen, seltsamen Tiere. Man hat gefragt, ob es die triumphierende Kirche, die Stadt Worms, oder die babylonische H... vorstelle? Auch auf die Frauen des Heldenlieds, die sich vor dieser Kirche schalten, hat man geraten. Und wirklich hat die Deutung auf Brunhilde, aber nicht die mythische, sondern die historische, des austrasischen Siegberts Gemahlin, viel für sich, denn Worms, wohin sie sich geflüchtet hatte, war es nach einigen Annalisten, wo jenes graunvolle Gericht über die fast achtzigjährige, herrschsüchtige Frau erging:

Der Hengst riss wiehernd aus, die Hinterhufe schlugen
Das nachgeschleppte Weib; verrenkt in seinen Fugen
Ward jedes Glied an ihr; um ihr entstellt Gesicht
Flog ihr gebleichtes Haar; die spitzen Steine tranken
Ihr königliches Blut und schaudernd sahn die Franken
Chlotars, des Zürnenden, entsetzlich Strafgericht.
Freiligrath.


Vorher war sie drei Tage lang mannigfach gemartert, und auf einem Kameele sitzend dem Hohn des Heeres Preis gegeben worden. Für ein Kameel könnte auch das rätselhafte Tier des Wormser Portals gelten, das freilich zu späten Ursprungs ist, als dass die historische Brunhilde damals im Andenken gewesen wäre. Näherer Betrachtung soll sich auch jenes Tier durch die Attribute der vier Evangelisten, die an dem viergestaltigen Haupt und den unten nicht erkennbaren Füßen zum Vorschein kommen, als ein apokalyptisches ausweisen, so dass die Deutung auf die triumphierende Kirche doch zuletzt triumphiert.

Zwischen Worms und Speier hätten wir Oggersheim und Frankenlhal erwähnen können, beide der Mündung des Neckars fast gegenüber, dieses berühmt, durch die überprächtige Hochzeit jenes Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, der unter dem Namen des Winterkönigs im böhmischen Kriege einen so tragischen Ausgang nahm; jenes durch seine seltsame Rettung, als in demselben Kriege Hans Warsch, der Viehhirte, mit dem spanischen Feldherrn Don Corduba auf eigene Faust unterhandelte und seiner ganz verlassenen Vaterstadt eine günstige Kapitulation, seinem neugeborenen Kinde aber einen Pathen erwarb. Der aus Langbeins Gedichten (vgl. auch m. Rheinsagen S. 309) bekannten Anekdote sind wir nicht gesonnen ihre historische Glaubwürdigkeit anzufechten; der Name des Hirten klingt aber bedenklich. Das digammatisch vorgesetzte W scheint einen der derbsten deutschen Spottnamen verbergen zu sollen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland