Das Schloss auf dem Jettenbühel

Rudolf der Pfälzer, auch der Stammler genannt, verließ zuerst das alte Schloss Heidelbergs und baute ein neues auf dem Jettenbühel, zu dem wir jetzt wieder herabsteigen. Auch hier soll schon früher, vielleicht von Römerzeiten her, eine alte Burg sich erhoben haben, wenigstens stieß man später, bei Erbauung des neuen Hofes, auf uralte Grundmauern. Vergebens späht das Auge des Geschichtforschers durch das mythische Dunkel, welches die Vorzeit dieser Stätte umschleiert. Thomas Leodius erzählt in seinen Altertümern Heidelbergs, aus einem alten Buche, dass er von einem gewissen Joh. Berger empfangen haben will, folgende Überlieferung: ,,Um die Zeit, wo Velleda die Jungfrau bei den Brukterern herrschte, bewohnte jenen Hügel, wo jetzt Schloss Heidelberg steht, und der noch heute Jettenbühel genannt wird, eine Greisin mit Namen Jettha, und hielt sich in einem uralten Bethause auf, dessen Überreste wir erst neulich sahen, als Pfalzgraf Friedrich, da er Kurfürst geworden, das herrliche Haus erbaute, welches der neue Hof genannt wird. Durch Weissagungen berühmt, erschien diese Frau, um ehrwürdiger zu bleiben, nur selten vor den Augen der Menschen, und gab denen, welche sie um Rat fragen wollten, ohne ihr Antlitz zu zeigen, aus einem Fenster Antwort. Unter andern sagte sie vorher, und sang es in kunstlosen Liedern, ihrem Hügel sei es vom Schicksal bestimmt, in künftigen Zeiten von königlichen Männern, die sie namentlich nannte, bewohnt, gepflegt und geschmückt zu werden, und das Tal unter ihm würde von zahlreichem Volke angebaut und mit glänzenden Tempeln geziert sein. Doch um endlich von dem märchenhaften Altertum zu scheiden, wollen wir ausheben, was jenes Buch von dem unglücklichen Tod dieser Jettha enthielt. Einst bei dem anmutigsten Wetter verließ sie die Kapelle, um sich durch einen Gang nach den Bergen zu erholen, bis sie an einen Ort gelangte, wo die Berge ein Tal bilden und die schönsten Brunnen an vielen Stellen hervorsprudelten, worüber sie sich höchlich erfreute. Sie setzte sich nieder, zu trinken, als plötzlich eine hungrige Wölfin mit ihren Jungen aus dem Walde hervorbrach, welche das Weib, das umsonst zu den Göttern rief, sobald sie es erblickt halte, zerfleischte und in Stücke riss. Dies Ereignis gab dem Brunnen der durch Annehmlichkeit des Orts Jedermann bekannt ist, den Namen, denn er wird noch heute Wolfsbrunnen genannt.“ Grimm urteilt von dieser Erzählung, es werde sich jetzt schwerlich sondern lassen, was daran echte Sage sei, und was die Gelehrsamkeit des sechszehnten Jahrhunderts zur Verherrlichung der Pfalz und Heidelbergs hinzugedichtet habe. Das geheimnisvolle Fenster möge dem Turm der Velleda nachgebildet sein. Uns scheint schon die Berufung auf diese Velleda, die dem Volk nirgend im Andenken geblieben ist, von übler Vorbedeutung. Der Name Jettha erinnert freilich an die Jötunne, Riesen des Nordens, allein er kann aus Jutha entstellt sein, was um so wahrscheinlicher wird, als eine andere, gleichfalls fabelhafte Nachricht einer Jutha, Gräfin im Kraichgau, gedenkt, der zu Liebe auf diesem Hügel ein Schloss und eine Kirche in dem benachbarten Dörfchen Schlierbach erbaut worden sei. Da nun Urkunden auch einer Schlierburg erwähnen, so hat man nicht ohne Grund vermutet, diese möge es gewesen sein, welche einst an der Stelle des neuen Hofes über noch sichtbarem altrömischem Mauerwerk auf dem Jetten- oder Juthenbühel erhöht war.

Der nordische Klang des Namens Jettha hat die Dichterin Amalie Helwig verführt, in ihrer Sage vom Wolfsbrunnen die von deutschen Gelehrten willkührlich erfundenen Züge der Erzählung mit einer echten, aus der Heimskringla entliehenen, nordischen Sage zu durchflechten, Wallkyrien, Nornen und Asen verschwenderisch beizumischen, und daraus ein schillerndes buntscheckiges Märchen zu brauen, dem nichts fehlt als der Schein der Wahrheit.


Die Veste, welche Rudolf der Pfälzer auf dem Jettenbühel gründete, ist, mannigfach verändert und ausgebessert, noch in dem sogenannten alten Bau vorhanden, dessen an der Westseite des Schlosshofs dicht neben dem tiefen Burggraben trauernde Ruinen sich vom Stückgarten aus am ehrwürdigsten darstellen. Hiermit hatte Rudolf den bescheidenen Anfang zu der Reihe großartiger Gebäude gemacht, welche seine Nachfolger in den kommenden Jahrhunderten nach und nach auf dem Jettenhügel erhoben, bis der Schlosshof nach allen vier Seiten damit umgeben war.

Und gleichwie Er den ersten Stein zu den glanzvollen Gebäuden gelegt hatte, die einst hier erstellen sollten, so stiftete sein Sohn Rupert I., auch der Rote genannt, in der zu ihren Füßen liegenden Stadt die Universität, die älteste Deutschlands, wenn wir von Österreich absehen, die gewiss nicht bloß für die Pfalz, sondern für unser ganzes geistiges Leben eine viel höhere Bedeutung erlangte, als Rupert ahnen konnte. Mit Recht hat man sie die Wiege wissenschaftlicher Bildung in Süddeutschland genannt. Dass sie dies werden konnte, dazu mag nächst der herrlichen Natur umher, welche wohl geeignet ist, die Brust des Jünglings mit hohen Entschlüssen zu erfüllen, auch die geschichtliche Wichtigkeit der Lage zu den Füßen der erhabenen Schlosstrümmer beigetragen haben.

Derselbe Rupert gründete auch die schon erwähnte ruprechtinische Kapelle, die einst nach dem Ausspruche eines Pabstes, der es wohl wissen konnte, die reichste Kapellmeisterei in Deutschland war. Aber wichtiger und besser erhalten sind die Gebäude des dritten Rupert, die wir gleich beim Eingang zur Linken finden. Der Fremde wird nicht versäumen, den jetzt wieder hergestellten Rittersaal, die Wendeltreppe in dem achteckigen Türmchen und das mit geschmackvollen Arabesken verzierte Kamin im obern Stock zu betrachten. Aber schon über dem Eingange bewunderte er den von Genien getragenen Rosenkranz, und an der äußern Wand blieb ihm der einfache Reichsadler der Deutschen nicht unbemerkt. Im Innern kehrt dieser nebst andern Wappenschilden, worunter der gekrönte Löwe, den die Pfalz von den rheinfränkischen Herzogen ererbte, an den Schlusssteinen der Kreuzgewölbe mehrmals zurück. Er bezeichnet den Erbauer als jenen Rupert, welchen die bei Rhense versammelten Kurfürsten im Jahr 1400 nach Absetzung des faulen Wenzel zum römischen König koren. Noch einmal blühte da Deutschland die Hoffnung, es werde sich in diesen gesegneten Gauen, wo einst die salischen Kaiser geboten, ein mächtiger Staat, eine starke Vorhut des Reichs gegen den gallischen Erbfeind gestalten. Aber auch diese Wahl trug gleich jener Adolfs von Nassau, und des luxemburgischen Heinrichs, dem Reiche keine Frucht. Der Pfalz hatte zwar König Rupert viele Reichsländer auf dem linken Rheinufer vereinigt, und durch Vermählung seiner Söhne an sponheiraische und veldenzische Erbtöchter zu weiterer Vergrößerung den Grund gelegt: nach seinem Tode ward sie aber durch die Teilung des Hauses in mehrere Linien, sowie des Landes in ein unveräußerliches Kurtum und mehrere erbliche Fürstentümer wieder geschwächt. Mit Otto Heinrich, dessen prächtiger, königlicher Bau das Schönste ist, was der Schlosshof darbietet, starb die älteste Kurlinie aus, worauf die simmernsche an die Stelle trat. Diese hatte sich schon früh in mehrere Nebenlinien geteilt, worunter die zweibrückische, die sich wieder in eine neuburgische, birkenfeldische u. s. w. verzweigte, am längsten blühte. Alle diese Nebenlinien kamen nach einander an die Reihe, und dem jüngsten Reise fiel nach dem Aussterben des Hauses Bayern auch dieses Land zu. Die Pfalz ist aus der Reihe der deutschen Staaten verschwunden, nur der überrheinischen, die gewöhnlich Rheinbayern heißt, ist der alte Name neuerdings wieder zugeteilt, während Heidelberg und die pfälzischen Länder des rechten Rheinufers sich unter badischem Szepter glücklich fühlen. Aber schon früher lag der glänzende Herrschersitz auf dem Jettenbüshel in Schutt und Trümmern. Was die doppelte böswillige Zerstörung der Franzosen im orleans'schen Kriege übrig gelassen hatte, das nahm der Blitz des Himmels 1764 hinweg. Karl Theodor gab nun seinen Vorsatz, in den Trümmern der väterlichen Pfalzen eine neue Wohnung zu gründen, auf, er hatte, wie der Führer durch Heidelbergs Schlossruinen meint, im rollenden Donner eine himmlische Stimme vernommen: ,,Nie soll mehr Geräusch des Hofes die heilige Einsamkeit stören, dem Geiste der Dichtung geweiht, und der landschaftlich bildenden Kunst.“ Die letzten Worte beziehen sich auf das Atelier des unermüdlichen Künstlers Karl von Graimberg, dessen zahlreiche Abbildungen des Schlosses und aller seiner Teile der Leser wohl oft zu bewundern Gelegenheit hatte. Es befindet sich in den Überresten des schon erwähnten neuen Hofes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland