Abschnitt 9

Das jus Teuthonicale, welches für die deutschen Colonen galt und in welches die Slaven durch Verleihung eintraten, äußerte sich nun hauptsächlich in den nachstehenden Beziehungen:

1. in der Rechtssprechung nach deutschem Rechte und deutschem Gerichts-Verfahren durch den landesherrlichen Vogt in dem öffentlichen Landding; von der Verpflichtung, im Landding (commune terrae placitum) zu erscheinen, werden die Bauern in den geistlichen und ritterschaftlichen Besitzungen im weitesten Umfang befreit, durch Uebertragung der Gerichtsbarkeit auf die Grundherren; die niedere Gerichtsbarkeit gehört zum jus vasallicum; die höhere, das jus manus et colli, ist Gegenstand zahlreicher Special-Verleihungen. (U.-B. II, S. 553, 554, Privileg der Mannen und Geistlichen des Landes Gnoien und der Herrschaft Güstrow.) Das deutsche Compositionensystem gestaltete die Strafgerichtsbarkeit zu einer ergiebigen Einnahmequelle.


2. Hiermit im Zusammenhang steht, daß die bäuerlichen Besitzer alle unmittelbare Berührung mit der öffentlichen Gewalt verloren und Hintersassen (subditi) ihrer Grundherren wurden. Von der Grundherrschaft hat der Colon sein Besitzrecht abzuleiten, er untersteht ihrer Gerichtsbarkeit; sie bewilligt für ihn die außerordentliche Bede, welche in besonderen Fällen - zum Abtrag fürstlicher Schulden, zur Kehrung von Landesnoth, zur Aussteuer fürstlicher Töchter, endlich bei Ertheilung der Ritterwürde an einen fürstlichen Sohn - vom Landesherrn gefordert wird und ohne Bewilligung nicht erhoben werden darf. Zur Landes-Vertheidigung müssen sie sich allemal zur Verfügung stellen, wenn sie dazu aufgeboten werden, von sonstigen fürstlichen Diensten, welche auch nach der nova plantatio den bäuerlichen Besitzern noch obliegen, insbesondere von Burg- und Brückendienst, können sie durch ein besonderes Privileg entbunden werden.

3. Ihre Leistungen gegen den Grundherrn bestehen in einem festen Zins (census) und in gemessenen Diensten, wenn solche besonders vorbehalten waren, was nicht immer der Fall war. Der census wurde meistens in dem dreifachen Korn - Roggen, Gerste, Hafer - entrichtet; das Bestreben der Grundherrschaften war auf Umwandlung in Geld, wenigstens zu einem Theile, gerichtet, um die Versilberung und das Verfahren des Korns von sich abzuwälzen. Die Verpflichtung zu Diensten nimmt anfänglich, wie wir schon bei Neukloster gesehen haben, eine untergeordnete Stelle ein; sie war Gegenstand des Verkaufes und der Ablösung. So werden die dem v. Hagen zustehenden Dienste in Küssow von 4 mansi im Jahre 1322 mit Vorbehalt des Rückkaufes für 20 Mark an das St. Johannis-Kloster zu Lübeck verkauft, was nach damaligem Zinsfuß einem Werthbetrage von 8 Schillingen pro Jahr und Hufe entspricht (U.-B. VIII., S. 322). - Nebenabgaben werden entrichtet pro porcis, für Schweinemast in den Gutswaldungen, und pro dorland, terra arida, nicht umgebrochenes Land, was gewöhnlich Käthnern und sonstigen außerhalb der Hufen angesetzten Leuten zur Ausnutzung überlassen wird.

4. Ihr Besitzrecht an den Hufen kann nur als ein kündbares Nutzungsrecht, mit Zins- und Dienstpflicht, bezeichnet werden, so lange sie nicht von der Grundherrschaft die Erbzinsgerechtigkeit, die hereditas, in irgend einer Form erworben haben. Wir beziehen uns dieserhalb auf das oben wegen Verleihung erblicher und dinglicher Rechte schon Beigebrachte, und treten daher insoweit in Widerspruch zu den früheren Darstellungen, insbesondere bei Hegel Geschichte der Meklenb. Landstände (1856), S. 45, und Balck, Domaniale Verhältnisse (1864), S. 106, wonach als ursprüngliches Besitz-Verhältniß der Bauern an ihren Hufen die erbliche Leihe angenommen wurde. Nachdem das meklenburgische Urkundenbuch und die sonstigen neueren Publicationen von Urkunden-Material einen tieferen Einblick in die bezüglichen Verhältnisse gestattet haben, ist schon von Balck, Finanz-Verhältnisse u. s. w. (1877), Band I, S. 82 bis 90 das Richtige zur Darstellung gebracht. Es ist eben in Meklenburg aus verschiedenen (theilweise schon angedeuteten) Gründen nicht zu der Entwickelung gekommen, welche andere umliegende Länder, namentlich diejenigen, aus welchen die deutsche Colonisation der Ostseeprovinzen ihren Ursprung genommen, aufweisen, nämlich zu einer Fortbildung und Befestigung der Erblichkeits-Verhältnisse, für welche das Mittelalter in weitem Umfange die Anfänge geschaffen hatte; kein gesetzgeberischer Act nach dieser Richtung ist in Meklenburg bis zu den Reversalen von 1621 sub XVI erfolgt. Durch diese wurde die dem Landesrecht entsprechende Regel der Kündbarkeit nulla vel immemorialis temporis detentione obstante aufrecht erhalten und eingeschärft, und nur der Beweis einer Erbzinsgerechtigkeit, eines jus emphyteuticum und dergleichen dem Einzelnen freigelassen.

Es ist schon von Balck a. a. O. S. 90 mit Recht bemerkt, daß es zur Zeit der Reversalen wohl nur wenigen Bauern gelungen war, aus dem Elend der vergangenen Jahrhunderte ihre Besitzes-Urkunden zu retten.

5. Auch die Anfänge einer Gemeinde- Verfassung sind durch die gemeinschaftliche Nutzung von Wiese, Weide und Wald und durch die Einsetzung des Schulzenamtes gegeben; es sind jedoch diese Anfänge nicht zu einer nachhaltigen Entwickelung gelangt. Dem Schulzen stand überall eine niedere Gerichtsbarkeit zu, welche er ohne Zuziehung von Dorfgenossen nicht ausüben konnte; nach dem Privileg für die Mannen im Lande Gnoien und in der Herrschaft Güstrow vom Jahre 1276 (U.-B. II, S. 553) soll der Hintersasse der Ritterschaft und der Geistlichkeit allemal zuächst coram domino suo, sub quo residens est, vel suo villico, belangt werden; wir sehen aber, daß die Schulzen sehr bald in die Stellung herrschaftlicher Beamten, welche nur die Erhebung des Zinses und die Leistung der Dienste zu besorgen haben, zurücktreten. Andererseits findet sich seine Spur der dem bäuerlichen Familienrechte angehörigen Rechtsinstitute eines Anerben- und Altentheils-Rechtes, der Abfindung u. s. w., durch welche die Lebensfähigkeit des Bauernstandes bedingt wird, und welche bei den Ratzeburger Bauerschaften zur vollen Entwickelung gelangt sind.