Abschnitt 10

So sehen wir denn gegen Ende des Mittelalters mit dem Eintritt der entsprechenden großen Veränderungen in den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen die Bauerschaften in dem übrigen Meklenburg mehr und mehr in die Stellung gedrängt, welche die Glosse zum Sachsenspiegel III, 45 (bei Kraut, Grundriß, 5. Ausgabe, S. 452, unter 28) den Meiern und Hofleuten anweist, welchen man ein Gut austhut; sie sind "auf dem Gute gleich als Gäste, kommen darauf und ziehen wieder davon, nach der Erbherren Willen und Geheiß." Zwar bestand neben den zahlreichen Fällen eines erblichen Besitzrechtes an den Hufen eine factische Erblichkeit im weitesten Umfange; denn der zinspflichtige Colon war regelmäßig Eigenthümer der Hofwehr und hatte Eigenthumsrecht an den von ihm hergerichteten Gebäuden; er mußte also in Kündigungsfällen entschädigt werden, es mußte eine neue Hofwehr beschafft und ein leistungsfähiger neuer Colon gewonnen werden. Aber diese Erschwerungen hinderten die Kündigung nicht, wenn es sich darum handelte, die herrschaftliche curia durch Zulegung von bäuerlichen mansi zu vergrößern und wirthschaftlich selbständig zu machen.

Wir treten damit in die Periode der Bildung des Großgrundbesitzes, zu welchem der bäuerliche Hufenbesitz das Material hergeben mußte. Mit diesem Momente trat auch eine gänzliche Veränderung in der Stellung der übrigbleibenden bäuerlichen Besitzer ein; an die Stelle der Zinspflicht trat die Dienst- und Frohnpflicht zum herrschaftlichen Hofe, wenigstens zum größeren und überwiegenden Theile. Durch die Veränderung der Kriegs -Verfassung und des Hofdienstes fanden die Lehnsleute sich darauf angewiesen, festen Wohnsitz auf ihren Gütern zu nehmen und ökonomischer Beschäftigung sich zu widmen; zu Kriegsdiensten wurden sie im 16. Jahrhundert nur selten, und hernach bald überhaupt nicht mehr aufgeboten, und im Rathe der Fürsten nahmen die Rechtsgelehrten ihren Platz ein. Es wurde jetzt auf Grundlage des Kündigungsrechtes Alles den veränderten Verhältnissen entsprechend eingerichtet; mehrere Hufen, oft 3 bis 4, wurden in eine bäuerliche Hand gelegt, um die Leistungsfähigkeit für die Hofdienste herzustellen, und daneben einen, wenn auch abgeminderten census, zu conserviren. 5) Im Verlaufe dieses Processes wird allmählich etwa die Hälfte der Bauerhufen dem Hofacker beigelegt; das ist der Zustand, welchem wir zur Zeit der Landes-Vermessung auf einer großen Zahl von ritterschaftlichen Gütern begegnen.


In diese Entwickelung fällt nun ein anderes Moment, welches die letzten Reste der Selbständigkeit des Bauernstandes beseitigen mußte: die regelmäßig wiederkehrenden und steigenden steuerlichen Anforderungen der landesherrlichen und der Reichsstaatsgewalt. Ritterschaft, Klöster und Städte konnten sich in den meisten Fällen einer Bewilligung, wie sie der Landesherr forderte, nicht entziehen, da für die Reichserfordernisse und für die bereits oben bezeichneten Fälle das jus collectandi der Landesherren mehr und mehr zur Geltung kam: aber der modus der Aufbringung war durch die inzwischen eingetretenen Veränderungen in eine unheilbare Verwirrung gerathen. Die Ritterschaft machte geltend, daß der modus der alten Landbede, also die Realsteuer nach Bauerhufen und städtischen Erben, für alle Theile der allein verfassungsmäßige und gesetzliche sei; sie bezog sich auf ihre alten Privilegien, wonach für den Fall einer allgemeinen Landbede die sub cultura dominorum befindlichen Hufen steuerfrei sein sollten: sie hielt im Principe fest an dem Grundsatze der Abwälzung der Steuerlast auf die bäuerlichen Hintersassen, für welche sie die Steuer bewilligte. Aber es fehlte an einer gesetzlichen Bestimmung über das zulässige Maß der Umwandlung von Bauerhufen in Hofhufen, wie solche in andern Ländern getroffen war; der Landesherr wollte das Privileg nur für die Zahl der ursprünglich zum Rittersitz gehörigen Hufen zugestehen, welche in den meisten Fällen sich jeder sicheren Ermittelung entzog. Andererseits gerieth die Ritterschaft in Conflict mit den Städten, welche mit ihrem Erbenmodus der wachsenden Steuerlast nicht mehr genügen konnten und sich über Prägravation durch die für ritterschaftliche Hofhufen beanspruchte Steuerfreiheit zu beklagen hatten. Die von Fall zu Fall von den Städten bewilligten Consumtionssteuern riefen den Widerspruch der Ritterschaft hervor, da die Gutserzeugnisse indirect hierdurch mit ergriffen wurden. Und wenn auch von der Ritterschaft nicht bestritten werden konnte, daß von ihr ein besonderer steuerlicher Zutrag wegen der wegfallenden Kriegsdienste zu leisten sei, so hatte doch eine Feststellung der Ritterpferdgelder um so größere Schwierigkeiten, als einer beträchtlichen Zahl von ritterschaftlichen Gütern die Verpflichtung zum servitium dextrarii durch besonderen Vertrag vom Landesherrn erlassen war.

Die Darstellung dieser Streitigkeiten und der dadurch verursachten Wirren fällt außerhalb des Bereiches unserer Aufgabe und gehört der neueren Geschichte an. Zwei Jahrhunderte hindurch war man unausgesetzt bemüht, einen neuen modus für die Anlegung von Realsteuern, im Anschluß an die alte bäuerliche Hufen-Verfassung, welche in Trümmer zerfallen war, zu finden. Alle diese Versuche mißglückten. Es mag an dieser Stelle als besonders bezeichnend nur noch hervorgehoben werden, daß man schließlich dahin gelangte, auf das der alten wendischen Hakenhufe zum Grunde liegende Princip zurückzugreifen und die Realsteuern nach der Zahl der bespannten Haken, gleich gut ob Hofhaken oder Bauerhaken, anzulegen. Nach solchem Hakenmodus wurden im Stargardschen Kreise alle Landes- und Kreis-Anlagen, sowie der Zutrag zur ordentlichen Contribution bis zur Publication des neuen ritterschaftlichen Hufen-Catasters erhoben.

Ihren Abschluß fand diese Periode erst, nachdem man sich über völlig neue Grundlagen für das Steuerwesen geeinigt hatte; für die Ritterschaft im Wege einer allgemeinen Landes-Vermessung und Bonitirung, für die Städte durch Einführung einer Consumtions- und Handelssteuer, neben welcher der alte städtische Erbenmodus in eine untergeordnete Stellung zurücktrat.

Um das vorstehend gezeichnete Bild zum Abschluß zu bringen, ist nur noch hinzuzufügen, daß die Theorie von der Leibeigenschaft und der glebae adscriptio der Gutsunterthanen im engsten Zusammenhange stand mit der Bildung des Großgrundbesitzes in der Ritterschaft, der Pachthöfe in den landesherrlichen Domainen. Der Bauerstand war durch die Umwandlung der Zinspflicht in eine Dienst- und Frohnpflicht mehr und mehr in eine persönlich abhängige Stellung gerathen; er verarmte, und der Grundherr wurde Eigenthümer der Hofwehr und der Gebäude. Damit war das Band, welches den Bauern bisher an die Scholle gefesselt hatte, gelockert; es galt jetzt durch eine künstliche Interpretation seiner Eigenschaft als Gutsunterthan, subditus, ihn festzuhalten, und der Auswanderung in die Städte einen Riegel vorzuschieben. Die landesherrlichen Beamten und Pfandbesitzer in den Domainen hatten hierbei das gleiche Interesse wie die Ritterschaft. So kam die alte Hörigkeit, welche ein großer Theil der deutschen Colonen in der Heimath zurückgelassen hatte, wieder in neuer Form zur Geltung; der deutschen Colonisation fehlte von Anfang an der innere Zusammenhang und die Gemeindeorganisation, um sich dieser durch die Zeitverhältnisse herbeigeführten Umwandlung mit Erfolg widersetzen zu können. Wir haben weiter noch hinzuzufügen, daß durch die Verwüstungen des 30jährigen Krieges, welche in einzelnen Aemtern nicht den zehnten Theil des Bauerstandes übrig ließen 6), der historische Zusammenhang zwischen den neu entstehenden Verhältnissen und der alten bäuerlichen Hufenverfassung vollends zerrissen wurde, bis auf wenige Trümmerreste, welche sich bis in die Neuzeit hinein gerettet haben und Zeugniß von den früheren Zuständen ablegen.




5) Vgl. das Amtsbuch der Comturei Nemerow vom Jahre 1572, Jahrbücher IX, S. 88.
6) Vgl. die Uebersichten von Groth, Jahrbücher VI, S. 132,