Das Aufsteigen zum Unternehmer

Vor 25 Jahren sagte mir ein den angesehensten Geschäftskreisen angehöriger Herr in Köln mit bezug auf die kapitalstarken großen Unternehmer: „Große Vermögen werden im Geschäftsleben nicht mehr erworben.“ Wie falsch diese ja vielfach geteilte Meinung ist, lehrt das Beispiel der großen und betriebsamen Stadt Köln selber an vielen Beispielen.

Ich führe nur einige allbekannte an. Da ist zunächst eine große Firma des Maschinenzweiges. Ihr Inhaber gehört heute zu den ersten Steuerträgern dieser, viele mehrfache Millionäre unter ihren Bürgern zählenden größten Stadt „Westdeutschlands. Er ist der Sohn eines kleinen Beamten im bergischen Lande, bestand in einem Stahlwerk seiner Heimat die Lehre, kam später nach den Vereinigten Staaten von Amerika, bildete mit einem andern Kaufmann eine seitdem zu einem Weltruf im Maschinenzweig gelangte Handelsfirma, die hauptsächlich amerikanische Werkzeugmaschinen, namentlich auch in Deutschland, vertrieb, und errichtete schließlich die Kölner Firma seines Namens, die nunmehr hauptsächlich im Auslande arbeitet, aber auch ein großes Lager in Köln unterhält und eine eigene Werkzeugmaschinenfabrik in Köln betreibt, jetzt aber ihre gesamten Unternehmungen in einen großen Neubau auf der rechten Rheinseite an der Kölner Südbrücke verlegt. Der andere Teilhaber der nunmehr aufgelösten Gesellschaftsfirma hat seine geschäftliche Niederlassung in Berlin. Hier ist also zweifellos eine große Vermögensbildung in neuester Zeit durch hervorragende Tüchtigkeit unter weiser Benutzung der Zeitumstände im Laufe der jüngsten Zeit erfolgt.


In demselben Zeitraum von 25 Jahren sind in Köln zwei große Warenhäuser entstanden, deren Inhaber ebenfalls zu den größten Steuerzahlern Kölns gehören dürften. Mindestens von dem Inhaber des einen dieser beiden gewaltigen Ladengeschäfte gilt, dass er sehr wenig bemittelt war, als er sein Kölner Unternehmen in recht bescheidenen Räumen in der Breitestraße begann, wo es jetzt fast ein ganzes Straßenviertel umfasst. Dass das andere Warenhaus-Unternehmen, das schon seit einer Reihe von Jahren als Aktien-Gesellschaft mit mehreren Zweigniederlassungen und wahren Prachtbauten in anderen Städten betrieben wird, ebenfalls aus verhältnismäßig kleinen Anfängen entstanden ist, ist ebenfalls Tatsache. Diese Unternehmungen haben sich vor aller Augen zu ihrer jetzigen Bedeutung und Größe entwickelt. Wie viele andere auf den verschiedenen Gebieten des Handels und der Industrie allein in Köln entstanden und groß geworden sind in diesem Viertel Jahrhundert meiner Kölner Rückerinnerung, entzieht sich der allgemeinen Kenntnisnahme. Mir sind manche Geschäfte und Betriebe in Köln bekannt, die es in dieser Zeit aus kleinen Anfängen zu großer Ausdehnung und zu ansehnlichen Vermögen gebracht haben, so im Bereiche des Bank- und Börsenwesens, wo durch Anregung und Mitwirkung bei Gründungen, Vereinigungen, durch Teilnahme an der Verwaltung von Aktien-Gesellschaften usw. von einzelnen dazu besonders befähigten Personen große Einkünfte gewonnen und ansehnliche Vermögen erworben wurden, während ähnliches in seiner Art im Metall- und Kohlenhandel, in dem rheinischen Braunkohlenbergwerksbetrieb, in der Tonwaren- und Steinzeugherstellung, in manchen Zweigen des Maschinenbaues, der Elektrotechnik, der chemischen Industrie, des Nahrungsmittelgewerbes, der Bekleidungsindustrie sich ereignete.

Lässt man den Blick auf einen größeren Kreis der wirtschaftlichen Tätigkeit schweifen, so wird man finden, dass es anderwärts ähnlich ist und war wie in Köln; dass alle diejenigen Unternehmer, die den Zeitgeist richtig begriffen und tüchtige Leute waren, fast ausnahmslos in die Höhe kamen. Neben den Warenhäusern 1) — das bekannteste von allen diesen ist Wertheim in Berlin — , zu deren Errichtung zwar meistens schon größeres Kapital gehört, das aber durchaus nicht immer persönliches Eigentum des Unternehmers zu sein braucht — sind z.B. die General -Anzeiger, die in dem letzten Menschenalter etwa entstanden und in der Regel

1) Die Warenhäuser selbst sind nach ihrem Stande wirtschaftlich anders zu beurteilen als ihr Urheber oder Leiter. Letztere können sehr reiche Leute geworden sein, während die Warenhäuser von dem oft wechselvollen Geschäftsgang abhängig bleiben.

von wenig bemittelten Leuten, ins Leben gerufen wurden, jedenfalls nicht von den satten Angehörigen der früher schon reich gewordenen Kreise oder Familien. Da und dort waren es Kapitalisten, die eine bestimmte, jedoch mäßige Summe für die Gründung eines Generalanzeigers aussetzten und diese einfach auf Verlustrechnung buchten, wenn in der vorgesehenen Zeit das Geschäft nicht einträglich geworden war. Fast ausnahmslos aber wussten die geistigen Urheber dieser neuzeitlichen Tagesblätter die etwa mit Hilfe fremden Kapitals ins Leben gerufenen Unternehmungen, die sie zur Blüte gebracht hatten, auch in ausschließlich eigenen Besitz zu bringen. So entstand die Firma Aug. Scherl, die nunmehr seit einer längeren Reihe von Jahren in Berlin eine große Rolle in der Tagesliteratur spielt, ,,Die Woche“, den ,,Tag“, den ,,Lokalanzeiger“ herausgibt, und als ein Unternehmen von vielen Millionen gilt, während ihr Gründer und Inhaber seinerzeit in Köln und später in Holland wie auch in Berlin nur mit Hilfe fremden Kapitals seinen schließlich von so großem Erfolg gekrönten Unternehmungsgeist geltend machen konnte. Welch große kapitalistische Bedeutung die Unternehmung der Lokalanzeiger an anderen Orten gewonnen haben, sagt z. B. für den rheinischwestfälischen Industriebezirk der Name Girardet in Essen. Kurzum, in der vorerwähnten Gattung der Tagespresse, die ja jedermann vor Augen hat, kann man den Aufstieg aus den unteren, d. h. hier weniger besitzenden, Schichten des Volks zu den meistbegüterten und einflussreichsten Kreisen am leichtesten beobachten.

Ähnlich verhält es sich mit der Bildung großer Vermögen in Industriebezirken und an anderen Orten, wo Industrie vorhanden ist. Zu den von alters her bestehenden großen Betrieben kommen immer neue aus kleinen Anfängen — hier sei nur Aug. Thyssen in Mülheim a. d. Ruhr als einer der größten Betriebe des Berg- und Hüttenwesens in Rheinland-Westfalen genannt — , deren Unternehmer Ingenieure oder zuweilen auch Werkmeister oder gar tüchtige Arbeiter waren und sich zum Werksbesitzer emporarbeiteten.

Wer in seinem Bereich Umschau hält, wird die Erscheinung des wirtschaftlichen Aufstieges in Industriebezirken besonders deutlich auch wahrnehmen können an der Bildung großer Vermögen im Stande der Generaldirektoren von bedeutenden Werken. Die sog. „Riesenbetriebe“ im Bergwerks- und Hüttenzweig, im Maschinenbau, in der chemischen Industrie, im Verkehrswesen u. i. a. m. benötigen ganz besonders tüchtige, weitblickende großzügige Leiter. Diesen werden natürlich fürstliche Einkünfte gewährt, und so gelangen sie bei vernünftiger Lebensführung fast ausnahmslos zu großen, zuweilen gewaltigen Vermögen, erhalten sie hohe staatliche Auszeichnungen, erlangen sie hervorragende Stellungen im öffentlichen Leben, erwerben sie Landgüter, Schlösser, Burgen, schaffen sie große Wohlfahrtseinrichtungen, machen sie je nachdem auch gemeinnützige Stiftungen und fördern sie Kunst und Wissenschaft. Im Bankgeschäft vollends werden von den leitenden Personen der Aktienbanken oft in verhältnismäßig kurzer Zeit ganz riesige Vermögen erworben, die allerdings öfter, wie auch zuweilen in manchen anderen Fällen vorbezeichneter Art zum nicht geringen Teil Zufallsgewinne sein mögen, im ganzen aber doch Zubehöre der geschäftlichen Stellungen sind, die sich deren Inhaber im allgemeinen durch ihre persönliche Tüchtigkeit, verbunden mit Gunst der Umstände, erworben haben. Diese letztere beruht hauptsächlich in persönlichen Beziehungen und Verbindungen, wobei Nepotismus gewiss auch öfter eine Rolle spielt, jedoch hauptsächlich die Gelegenheit, maßgebenden Kreisen als tüchtige Kraft bekannt zu werden. Denn tüchtige Leute werden stets gesucht.

So bilden sich neben den alten Dynastien aus der zweiten Hafte des 19. Jahrhunderts allmählich neue in der Industrie und im Handel, ihnen gesellen sich dann wieder andere Emporkömmlinge zu, die mit der Zeit ihnen gleich und ebenso angesehen werden.

Das Aktien wesen, das im eigentlichen Großbetriebe vielfach eine vorherrschende Bedeutung gewonnen hat, bietet überhaupt unbemittelten, aber gut ausgebildeten und tüchtigen Leuten Gelegenheit zum wirtschaftlichen Emporkommen. Es ist eine natürliche Folge des Reichtums, den der Einzelunternehmer erwirbt oder in früheren Zeiten erworben hat, dass er sich sein Leben angenehmer gestalten will, oder dass er mit vorgerückten Jahren oder durch Ableben außerstande ist, das von ihm gegründete oder übernommene Geschäft weiter zu leiten. Sind dann unter seinen Angehörigen oder Hinterbliebenen keine geeigneten Nachfolger vorhanden, ist eine Erbteilung nötig oder dergleichen, so wird vielfach zur Umwandlung des Privatunternehmens in eine Aktiengesellschaft geschritten. Diese muss dann einen Vorstand haben, und der muss samt den nötigen Hilfskräften angemessen bezahlt werden. Der Kapitalist muss und will sein Geld zinsbar machen; kann oder will er es in einem Geschäftsunternehmen anlegen, so muss er auf eine gute, zuverlässige Verwaltung dafür mit allem Fleiß bedacht sein. Es ist ihm daher für einen tüchtigen Leiter kein Entgelt zu hoch, und er kann daher auch die besten, bewährten Kräfte z. B. aus dem Staatsdienst für seine Unternehmen gewinnen. In diesem Sachverhalt liegt eine große, ausgleichende und versöhnende Gerechtigkeit. Es ist überall die hervorragende Menschenkraft, der überlegene Menschengeist, der große Werke schafft und leitet. Dies gilt vom kaufmännischen und gewerblichen Leben ebenso gut wie vom politischen, poetischen, künstlerischen und wissenschaftlichen. Schöpferische leitende Kräfte sind der Natur der Dinge nach immer verhältnismäßig selten, sie werden gewiss nicht immer nach Gebühr gewürdigt, am meisten aber sicherlich im Geschäftsleben, das daher dem Aufsteigen der in seinem Bereich vorhandenen Kräfte am meisten Vorschub leistet, weil dies in seinem eigensten Interesse liegt. Es kommt ihm dabei gar nicht auf gesellschaftlichen Stand und Vorbildung an; ihm liegt es nur am wirtschaftlichen Können. Der Mann aber, der durch eigene Kraft es im Wirtschaftsleben zu hervorragender Bedeutung gebracht hat, nimmt überall im Staatswesen, in der Gemeinde vorzüglich seine ihm gebührende Stellung ein, ob er nun das Gymnasium oder die Volksschule besucht hat.

Auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurückkommend, so hat sicherlich noch keine Zeit so vielen Angehörigen des Wirtschaftslebens Gelegenheit zum Aufstieg geboten als die der letzten 20 bis 30 Jahre. In diesen Zeitabschnitt fiel die Entscheidung und gewaltige Entwicklung der Elektrotechnik, in der Deutschland unbestritten die Führung hat, fiel die weite Ausgestaltung unserer chemischen Industrie. Diese beiden, meist sehr lohnenden Geschäftszweige gaben und geben neben der Maschinenindustrie einer großen Menge von technischen Angestellten angemessene Beschäftigung mit entsprechendem Einkommen. Sie boten vielen Angehörigen der unteren Volksschichten Gelegenheit, sich mit geringer Vorbildung zum Techniker zu entwickeln, und einer großen Anzahl besser oder gut vorgebildeter Techniker die Möglichkeit zur Erlangung gut oder hoch bezahlter Stellungen. Ähnlicherweise ist ja ein gewerblicher Mittelstand in anderen Zweigen des großen Geschäftslebens entstanden. Nichts ist daher unbegründeter und ungerechter als die Voreingenommenheit, ja vielfach Gehässigkeit, die in den Kreisen der niederen technischen Angestellten im Bereich der großen Elektrizitätswerke und anderer Unternehmungen gegen die Arbeitgeber hervortritt, indem man diese der Ausbeutung der Angestellten beschuldigt und ihnen zum Vorwurf macht, dass letztere kein Fortkommen bei ihnen fänden. Denn abgesehen davon, dass die Masse der niederen Angestellten eben nach ihrer Herkunft und Vorbildung schon ein gehobenes Dasein als Techniker hat, so ist es überall nur der Tüchtige, der sich hervortun und weiter als die Masse kommen kann. Er darf sich allerdings dann nicht als Mietling fühlen, sondern muss vorwärts streben, seine freie Zeit zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung benutzen, sein Einkommen nicht ganz aufbrauchen zum Lebensunterhalt, sondern etwas davon für seine Bildungszwecke benutzen. Dann, aber allerdings nur dann wird sich ihm auch die Möglichkeit bieten, eine höhere, eine lohnendere Stellung oder Beschäftigung zu erlangen und seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Auch für die Selbständigmachung von Angestellten aller Art ist die heutige Groß-Gewerbe- und Handelstätigkeit durchaus kein Hindernis — wie dies zwar von der stets oberflächlich urteilenden öffentlichen Meinung verbreitet wird — , sondern vielmehr ein Vorteil. Denn die Großgewerbe brauchen Hilfsgewerbe, mit denen sie richtigerweise sich nicht abgeben können, um sich nicht zu verschlechtern. Sie müssen allerlei Roh- und Halbstoffe für ihren zweckmäßigen Betrieb haben, deren Herstellung oder Vorbereitung eine ins einzelne gehende Fürsorge verlangt und daher besser von solchen Unternehmern, die sich ganz ihrem begrenzten Beruf widmen können, bewirkt wird ; sie brauchen Hilfsgeschäfte für den Vertrieb ihrer Erzeugnisse oder für die Anwendung ihrer Verbrauchsgegenstände. Solcher Hilfsbetriebe gibt es verschiedene in jedem großen Geschäftszweige, und wo ein neuer Zweig, wie derjenige der Elektrotechnik, sich bildete, da entstanden auch ganz selbstverständlich die dazu gehörigen Hilfszweige. Was kannte man früher von den sogenannten Installationen für Gas und Wasser, ehe es Gas- und Wasserleitungen gab? Was von solchen für elektrische Anlagen, ehe es Elektrizität gab? Werner Siemens baute Telegraphen, und Felten und Guilleaume machten die Kabel für die Telegraphenleitung, bevor die Elektrizität für Kraft und Beleuchtungszwecke allgemein angewendet wurde. Wie viel Geschäfte, die sich von der Herstellung und Verwertung elektrischer Kraft für Telegraphen, Fernsprecher, Maschinenantrieb, Beleuchtung usw. ernähren, gibt es jetzt in Deutschland? Wie viele große und kleine Betriebe leben vom Bau von Kraftmaschinen für Selbstfahrer, Luftfahrzeuge und dergleichen? Das sind doch alles Unternehmungen und Unternehmer, die in den letzten Jahrzehnten entstanden und zum größten Teil groß und reich geworden sind. In Frankfurt a. M. z. B. die Adlerwerke von Kleyer, die Schriftgießerei und Linotypefabrik von Stempel, die beide neben den lang bestehenden großen Betrieben ihrer Art durch Tüchtigkeit ihrer Gründer und Leiter emporgekommen und groß geworden sind. Und so geht es fast allenthalben in deutschen Landen, wo fleißige Hände sich regen und tüchtige Kräfte im Handel und Wandel schaffen.

Es ist auch nur eine ganz natürliche Folge unseres großen wirtschaftlichen Aufschwungs und unserer guten Volkseigenschaften, dass das Fortkommen jedem Tüchtigen in Deutschland leichter ist als in irgendeinem anderen Lande. Dies beweist schon die geringe Auswanderung aus und die starke Einwanderung von Arbeitern nach Deutschland. Für das Wohl und Gedeihen des Einzelnen ist aber überall ein gewisses Maß der Selbstbeschränkung in den Anforderungen an die Annehmlichkeiten und Genüsse des Lebens notwendig. Und dies ist tatsächlich der Punkt, der unserer völkischen und wirtschaftlichen Fortentwicklung Gefahr droht. Wir sind nicht mehr das genügsame und arme Volk, als das wir besonders in dem entbehrungsreichen Altpreußen bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus bekannt waren. Äußere und innere Einflüsse haben unseren Volkscharakter angefressen, haben an Stelle der früheren Genügsamkeit und Zufriedenheit, die alle erhabenen Eigenschaften der Menschenseele sich entfalten ließen, die Genusssucht, die Unzufriedenheit gesetzt. Zeiten und Lebensanschauung ändern sich, aber die Grundgesetze des ersprießlichen Menschendaseins bleiben immer dieselben. Ein Streben muss der Mensch haben; wenn es jedoch lediglich auf Sinnengenuss, auf Essen, Trinken, Putz und Luxus, nicht auf ideale Güter des Lebens gerichtet ist, dann führt es abwärts und nicht aufwärts. Die Selbstgenügsamkeit, obwohl nicht ausschließlich anzuwenden, ist doch ein unvermeidliches Erfordernis des standhaften Menschentums. Das ausschließliche oder vorwiegende Leben nach außen, das jetzt in nur zu vielen Kreisen vorherrscht, das die Zufriedenheit tötet und die Begehrlichkeit, den Neid groß zieht, verdirbt den Charakter. So verbraucht das deutsche Volk, verbraucht namentlich die industrielle Arbeiterschaft, verbrauchen weite Kreise der übrigen Berufstätigen viel zu viel ihres Einkommens zu schalen Vergnügungen, anstatt es zur wirtschaftlichen Kräftigung, zur beruflichen Vervollkommnung, zur angemessenen Ernährung, Kleidung und Wohnung, sowie zur guten Erziehung ihrer Kinder zu verwenden. Zu viel ahmen weniger Wohlhabende besser gestellten Leuten in ihrer Lebenshaltung, besonders in ihrem äußeren Auftreten nach, indem sie der falschen Anschauung huldigen, sie müssten durch ihr Erscheinen ihre Gleichberechtigung bekunden. Diese letztere liegt tatsächlich auf einem anderen Gebiet, nämlich auf dem der Sittlichkeit, des Charakters und der Bildung. Hierin kann der Ärmste dem Reichsten gleich, ja vielleicht überlegen sein. Denn ihm bleiben die großen Gefahren des Reichtums für sein Gemüt und seine sittliche Lebensanschauung im Kampfe ums Dasein fern. Dieser letztere ist der Menschennatur notwendig, er weckt und stählt die Geistes- und Charakterkräfte und gewährt durch das Gefühl erfüllter Pflicht die bei weitem größte Genugtuung und Befriedigung, deren der Mensch fähig ist. Diesen Genuss kann der ärmste Mann ohne jeden Kostenaufwand sich jedenfalls eher verschaffen als der reichste. Nebenbei wird der treue Arbeiter und gute Haushälter, welchem Beruf er immer angehöre, am meisten Antwartschaft für sich oder seine Kinder auf ein Emporsteigen zu einer höheren Stufe des Wirtschaftslebens haben, während diese dem vergnügungssüchtigen, verschwenderischen Arbeiter oder Angestellten naturgemäß versagt ist.