Das Unternehmertum und die öffentlichen Zustände in Deutschland

Eine Zeitbetrachtung
Autor: Steller, Paul (?) von 1884 bis 1898 Wirtschaftsredakteur der Kölnischen Zeitung, anschließend Geschäftsführer des Vereins der Industriellen, Erscheinungsjahr: 1911
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Unternehmer, Wirtschaft, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Unternehmertum, Sozialpolitik, Wirtschaftsleben
Vorwort.

In einer langjährigen Berufstätigkeit als volkswirtschaftlicher Tagesschriftsteller und als Geschäftsführer wirtschaftlicher Vereine hat der Verfasser vielfach Gelegenheit gehabt, wahrzunehmen, wie schief die Beurteilung der Unternehmertätigkeit im Volk ist, und wie üble Nebenwirkungen unsere als vorbildlich betrachtete Sozialpolitik durch Hervorrufung unangemessener Lebensansprüche und durch Verminderung der Selbstfürsorge und der Selbstverantwortung hat. Desgleichen hat er an zahlreichen Vorgängen empfunden, wie unzulänglich der Schutz des Staatsbürgers gegen Beleidigungen und des arbeitswilligen Arbeiters gegen Zwang und Nötigung der Gewerkschaften ist. Auch diese letzteren unerfreulichen Erscheinungen hängen mit mieserer Sozialpolitik zusammen, indem sie deren leitenden Gedanken entsprechen, die, kurz gesagt, Schutz der wirtschaftlich Schwachen zum Gegenstand haben, tatsächlich aber zu einer Zwangsherrschaft der vorgenannten Schwachen über die Starken, d. h. die Leistungsfähigen, führen. Auf letzteren beruht jedoch alles volkswirtschaftliche und staatliche Dasein, beruht alle Kultur der Menschheit. Denn ohne Unternehmungstätigkeit hätten wir keinerlei Gewerbe, keine Kunstfertigkeit, keine Künste, keine Literatur, keine Fortentwicklung der Menschheit. Es tut daher bitter Not, gegen die bei uns vorherrschende Auffassung im öffentlichen Leben durch tatsächliche Schilderung des wirklichen Sachverhalts Front zu machen, um die der Belehrung und tatsächlichen Unterrichtung zugänglichen Angehörigen des Volks von der Unrichtigkeit und Schädlichkeit der übermäßigen, ja uferlosen Sozialpolitik zu überzeugen, in die wir allmählich geraten sind. Diesem Zweck sollen die nachstehenden Schilderungen dienen, die auf den wirklichen Verhältnissen fußen und daraus die gebotenen Folgerungen ziehen.
Inhaltsverzeichnis
  1. Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Unternehmertums
  2. Das Aufsteigen zum Unternehmer
  3. Die öffentlichen Lasten des Unternehmertums
  4. Die Kehrseite der Arbeiterversicherung
  5. Die Erhöhung der Lebensansprüche durch die Sozialpolitik
  6. Über Tarifverträge
  7. Unzulänglichkeit des gesetzlichen Schutzes gegen persönliche Beleidigungen
  8. Schutzlosigkeit der Arbeitswilligen
  9. Fach- und Fortbildungsschulwesen in Deutschland
  10. Landwirtschaft und Industrie
  11. Wirtschaftliche Interessenvertretung in Deutschland
  12. Die Monarchie als Hort der Gewerbetätigkeit
  13. Das Wirtschaftsleben und die Reichslasten
Die jetzt im Volke vorherrschende soziale Strömung, die ihm und seiner Jugend die eigene Tatkraft nimmt, vielfach schlechte Instinkte und Neigungen wachruft und die Unzufriedenheit, den Pessimismus systematisch großzieht, droht ein Krebsschaden für uns zu werden. Nur der Optimismus, die Zuversicht, das Selbstvertrauen kann etwas leisten, während das Übermaß unserer Sozialpolitik zu einem schlimmen Ende für Staat und Volk führen muss, indem letzterem der Gemeinsinn, das Selbstvertrauen, das Selbstbewusstsein geraubt und an deren Stelle Neigungen, Bestrebungen und Eigenschaften hervorgerufen werden, die alle zum Bestehen des Gemeinwesens notwendigen Voraussetzungen beseitigen. Panem et circenses gab man in Rom dem Volk und verdarb es damit gründlich; Staatshilfe, Staatsfürsorge, Staatskrippe — dieses alles freilich auf Kosten der Tüchtigen unter den Menschen, insbesondere der Unternehmer — lautet die Losung heute in Deutschland, die allmählich auch in anderen Staaten angewandt wird. Der von der Natur und durch die Sittlichkeit auf Selbsthilfe und Selbstzucht angewiesene Mensch wird dadurch in vieler Beziehung zum Schwächling und zugleich oft zum anmaßenden Gesellen, der, zur Masse vereint und mit unangemessenen politischen Rechten ausgestattet, die Gesellschaft zwingt, nach seiner Pfeife zu tanzen. Welcher tüchtige und selbstbewusste Mensch möchte da mitmachen? An das arbeitsame, treue Volk, an unseren gebildeten Mittelstand, an den Jungbrunnen unserer deutschen Landwirtschaft werden wir uns wenden müssen, wenn die im öffentlichen Leben herrschenden Klassen in dieser Lage versagen, wenn Gelehrte und Politiker zwar mit heißem Bemühen um die Arbeiterseele werben, aber den tüchtigen Unternehmer in der Landwirtschaft und im Gewerbe übersehen, ihn, von dessen Strebsamkeit und von dessen sonstigen sittlichen Eigenschaften größtenteils die Zukunft unseres Volkes abhängt; ihn, dem weltfremde Idealisten, neidische Nichtbesitzer und voreingenommene Parteipolitiker die berechtigte und ausschlaggebende Bedeutung in unserem Wirtschaftsleben und seine daraus naturgemäß folgende hervorragende Stellung im öffentlichen Leben immer mehr rauben wollen, um dem doktrinären Sozialismus mit seiner öden Gleichmacherei, seiner naturnotwendigen Mittelmäßigkeit und Schreckensherrschaft über alles, was gut, edel und erhaben ist, das Feld zu sichern.

Köln a. Rh., im Juni 1911.

Der Verfasser.

Krupp, Alfried (1812-1887) deutscher Industrieller und Erfinder

Krupp, Alfried (1812-1887) deutscher Industrieller und Erfinder