Die öffentlichen Lasten des Unternehmertums

Die außerordentlich schnelle und starke Entwicklung der deutschen Industrie wie der damit zusammenhängenden sonstigen Gewerbetätigkeit, nicht minder aber die Deutschland eigentümliche eingehende Pflege und Ausgestaltung der öffentlichen Fürsorge zunächst für die gewerbliche Arbeiterschaft haben dem deutschen Unternehmertum nachgerade Lasten auferlegt, die die ernstesten Bedenken wachrufen müssen. Die Steuern und sonstigen Auflagen, darunter insbesondere auch neben den Gemeindesteuern die stets steigenden Kosten der Arbeiterversicherung machen in der Industrie vielfach einen unangemessen hohen Satz des Geschäftsgewinnes aus und erhöhen die Gestehungs- oder Selbstkosten des Unternehmers in einer für die Ertragsfähigkeit der deutschen Gewerbetätigkeit nachgerade bedrohlichen Weise. Durch die Reichsversicherungsordnung werden die Gesamtlasten noch beträchtlich vermehrt, weiter aber wird den Unternehmern durch die beabsichtigte Einführung der Privatbeamten Versicherung einen neue, wesentliche Leitung für soziale Zwecke auferlegt. Es kann daher nicht wundernehmen, wenn schließlich die gewerblichen Unternehmer, insbesondere diejenigen großen Betriebe, die sowohl durch die Aufwendungen für Arbeiterzwecke als durch Steuerauflagen stark betroffen sind, in steigendem Maße über die öffentlichen Lasten Klage führen und ein Einhalten in der seit dem Bestehen des Reichs andauernden und immerfort sich noch steigernden Arbeiter-Fürsorgetätigkeit der Gesetzgeber verlangen. Eine dahin gehende Forderung wird allmählich auch von solchen Politikern anerkannt, die weitergehende Ansprüche der Arbeiter nicht grundsätzlich zurückweisen. So sagte der nationalliberale Abgeordnete Semler in der Reichstagssitzung vom 17. Mai 1911 bei Beratung der Reichsversicherungsordnung gegenüber einem sozial demokratischen Antrage zu § 584 (betr. Streichung der Bestimmung, dass der die Summe von 1.800 Mark übersteigende Jahresarbeitsverdienst bei der Unfallrente nur mit einem Drittel anzurechnen sei) nach einem Zeitungsbericht:

„Wir schaffen aber den Unternehmern viel Lasten. Wir erweitern den Kreis der Versicherten und erhöhen den Inhalt der Versicherung. Ansprüche können uns im einzelnen berechtigt erscheinen und sind doch in ihrer Totalität undurchführbar, weil wir uns eben im Ganzen Beschränkungen auferlegen müssen.“


Also erst nach Erhöhung des versicherungsfähigen Einkommens von 1.500 auf 1.800 M hält der Wortführer der Nationalliberalen, einer im ganzen unternehmerfreundlichen Partei, es für angemessen, vor einer Überschätzung der Tragfähigkeit der Industrie zu warnen! Immerhin soll das Zugeständnis beifällig begrüßt werden, denn bei dem Wettlaufen der meisten politischen Parteien um Gewinnung der ,,Arbeiterseele“ und der Arbeiterstimmen gehört schon ein gewisser Mut dazu, die soziale Leistungsfähigkeit des Unternehmers als nicht unerschöpflich zu bezeichnen. Bis vor kurzem fand man unter den Reichstagsabgeordneten kaum einen, der die Frage, ob die Industrie in Deutschland die öffentlichen Lasten ohne Nachteil für sie und das deutsche Wirtschaftsleben tragen könne, bezweifelt oder gar verneinend beantwortet hätte. Es war bis dahin ganz oder fast ausschließlich den Unternehmerkreisen und deren wirtschafts-wissenschaftlichen Beiständen allein Überlassen, auf die Gefahr der Überlastung der Industrie mit öffentlichen Auflagen öffentlich aufmerksam zu machen; erfreulicherweise nicht ohne Erfolg.

Über die Vermehrung der öffentlichen Lasten der Unternehmer durch die Reichsversicherungsordnung seien aus den Reden der Vertreter des Zentrums und der nationalliberalen Fraktion des Reichstags bei der endgültigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs am 26. und 27. Mai 1911 die bezeichnenden Äußerungen nachstehend wiedergegeben.

Es sagte der Abgeordnete Trimborn (Zentrum) u.a.: Zudem Gesetzentwurf selbst ist zu sagen, dass über 7 Millionen Personen mehr in die Versicherung einbezogen worden sind. Die Hinterbliebenenversicherung ist als neuer Versicherungszweig in das Gesetz einbezogen worden. Diese Hinterbliebenenversicherung erstreckt sich auf etwa 15 Millionen Personen und erfordert zu ihrer Durchführung über 66 Mill. M., eine Summe, die nicht den Beharrungszustand darstellt, sondern mit der Zeit noch mehr sich steigern wird. Bei der Unfallversicherung kommt zunächst in Betracht die erhebliche Ausdehnung des Begriffs Unfall, wodurch der Kreis der Versicherungspflichtigen um 80.000 erhöht wird. Der Bundesrat ist ermächtigt, die Unfallversicherung auch auf Gewerbekrankheiten auszudehnen. Die Grenze für die Versicherungspflicht der Betriebsbeamten ist von 3.000 auf 5.000 heraufgesetzt worden, für die Beteiligten eine große Wohltat. Die Leistungen der Unfallversicherung sind erheblich erhöht worden. Bei der Invalidenversicherung kommt in erster Linie die Einrichtung der Hinterbliebenenversicherung in Betracht. Ein weiterer bedeutsamer Fortschritt ist die Einführung der Kinderrenten, wonach sich die Rente eines Invaliden für jedes Kind unter 15 Jahren um ein Zehntel bis zu anderthalb erhöht. Das bedeutet allein eine Mehrbelastung von jährlich 9.000.000 M. Die Kosten der gesamten Neuerung lassen sich im voraus nicht genau bemessen. In der der Vorlage beigegebenen Denkschrift werden sie auf 66 Millionen Mark veranschlagt und die Kosten der Hinterbliebenen Versicherung auf 60,5 Millionen Mark, zusammen 126,5 Millionen Mark. Nun bringen aber die Kommissionsbeschlüsse eine Reihe weiterer Ausgaben, für die Zusatzkinderrente allein in Höhe von 9 Millionen Mark, so dass die Summe von 126 Millionen bei weitem überschritten werden wird. Nach den Berechnungen der Denkschrift betrugen die Kosten der Reichsversicherung, für das Jahr 1907 berechnet, jährlich 859,5 Millionen Mark. Nehmen wir hinzu die seitdem eingetretene natürliche Steigerung der Ausgaben sowie die Mehrbelastung infolge der Kommissionsbeschlüsse, so kommen wir auf die runde Summe von 1 Milliarde Mark. Soviel kostet uns pro Jahr die Arbeiter Versicherung.

Der Abgeordnete Horn (nationall.) führte u.a. folgendes aus:

Wir haben in der zweiten Lesung Zurückhaltung geübt, um die Verabschiedung der Vorlage so zu fördern, dass die Vorteile der deutschen Arbeiterschaft möglichst bald, zum Teil schon vom Beginn des nächsten Jahres ab zugute kommen können. Nur dem Zusammenhalten derjenigen Parteien, die entschlossen waren, zugunsten der deutschen Arbeiterschaft etwas Positives zu schaffen, ist es zu verdanken, dass die Vorlage überhaupt bis zur dritten Lesung gediehen ist. Wir mussten eben die mittlere Linie suchen. Diese Rücksichten zu üben, haben die Sozialdemokraten nicht für richtig befunden. Die Erfüllung ihrer Wünsche hätte eine Mehrbelastung von zwei Milliarden ergeben. (Hört, hört!) Der Beitrag der Arbeiter zur Krankenversicherung würde sich von 218 auf 344 Millionen und der Beitrag der Arbeitgeber von 109 auf 172 Millionen erhöht haben. (Hört, hört!) Für die Unfallversicherung würden sich die Leistungen der Arbeitgeber um 143 Millionen gesteigert haben und für die Invalidenversicherung die Beiträge der Arbeiter und Arbeitgeber von 94 Millionen um 558 Millionen. (Hört, hört!) Das ergibt für die Krankenversicherung eine Erhöhung der Beiträge um 157 %, für die Invalidenversicherung um 592 %, und für die Unfallversicherung 70 %. (Hört, hört !) Dazu kämen noch die Mehrbelastung des Reiches von rund 500 % und die ohnehin aus der jetzigen Fassung der Vorlage sich ergebenden Mehrbelastungen von 150 - 200 Millionen. Die Sozialdemokratie hat in ihrem Agitationsbedürfnis mit ihren Anträgen nicht besonders glücklich operiert; auch ihren blindesten Anhängern muss es klar sein, dass es sich um unerfüllbare Forderungen handelt, deren Verwirklichung unsere Industrie konkurrenzunfähig und unsere Arbeiterschaft brotlos machte. Solange das Ausland keine solche Arbeiterversicherung hat, die diesen sozialdemokratischen Wünschen nachkommt, so lange ist es ausgeschlossen, dass unsere Industrie diese Lasten auf die Produktionskosten abwälzen kann. (Sehr richtig!) Welcher Arbeiter wäre denn auch in der Lage, von seinem Lohn, der ja mit Vorliebe als Hungerlohn bezeichnet wird, einen 2,5 mal so großen Betrag wie bisher für die Krankenversicherung aufzubringen, und für die Invalidenversicherung gar den siebenfachen Betrag? (Hört, hört!) Welche Vorteile stehen nun den angeblich großen Nachteilen der Versicherung gegenüber ? Zunächst die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf etwa sieben Millionen Personen. Weiter wird an Stelle der Gemeindekrankenversicherungen in Zukunft die Versicherung bei der Landkrankenkasse treten. Die Wochenhilfe hat eine Erhöhung auf acht Wochen erfahren. Die Krankenpflege für die landwirtschaftlichen Arbeiter und Dienstboten ist erweitert. Weiter ist erhöht worden der Grundlohn von 4 auf 5 und 6 M. Auch die Erhöhung der Verdienstgrenze von 2.000 auf 2.500 M werden wir noch in dieser Lesung erreichen. [Ist inzwischen geschehen!] Ich freue mich, dass da mit den Wünschen der Handlungsgehilfen, Werkmeister, Betriebsbeamten usw. wird Rechnung getragen werden. (Beifall.) Es ist in letzter Stunde noch gelungen, überhaupt eine Einigung mit Zustimmung der Regierung herbeizuführen. (Beifall.) Wir wollen den selbständigen kleinen landwirtschaftlichen Unternehmer nicht wider seinen Willen in eine Zwangskasse hineinzwingen. (Sehr richtig!) Bei der Unfallversicherung ist die Verdienstgrenze für die Versicherungspflicht von 3.000 auf 5.000 erhöht worden. Es ist erhöht worden der für die Bemessung der Unfallrente maßgebende Höchstverdienst und endlich die Invaliden- und Hinterbliebenenfürsorge. Über die Wohltat der Gewährung der Kinderzuschussrente für invalide Rentenempfänger ist gestern gesprochen worden. Die Leistungen des deutschen Volkes für Arbeiterversicherung werden durch diese Versicherungsordnung um 20 bis 25 % erhöht. (Hört, hört! rechts und bei den Nationalliberalen.) Dadurch erlangen wir wiederum einen weiteren Vorsprung auf dem Gebiet der sozialpolitischen Fürsorge vor anderen Kulturvölkern.

Eine zusammenfassende und eindringliche Schilderung der schweren Belastung der deutschen Industrie durch die Steuern und durch die gesetzlichen sowie durch die freiwilligen Aufwendungen für Arbeiterwohlfahrt veröffentlichte der Verfasser gegenwärtiger Schrift im Herbst 1910 1). Es heißt in den einleitenden Bemerkungen dieser Schrift:

Die öffentlichen Lasten der deutschen Industrie sind im Laufe der letzten Jahrzehnte außerordentlich stark gestiegen. Sie werden allmählich neben der immer unerquicklicher sich gestaltenden Arbeiterfrage zu einer wirtschaftlichen Gefahr, indem sie auf die Unternehmungslust und die Ertragsfähigkeit der Industrie in einem Grade einzuwirken drohen, dass dadurch die bisher so erfreuliche Entwickelung unserer großgewerblichen Tätigkeit ernstlich in Frage gestellt wird. Denn die Errichtung gewerblicher Anlagen muss naturgemäß darunter leiden, dass letztere dem Gründer und Leiter keinen seinen Leistungen und

1) Das Übermaß der öffentlichen Lasten der Industrie in Deutschland. Ein Merkblatt für den Gesetzgeber. Von Paul Steller, Geschäftsführer des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln. 1910. (Kölner Verlagsanstalt und Druckerei-Aktien-Gesellschaft.)

Aufwendungen entsprechenden Nutzen mehr bieten oder in Aussicht stellen können. Außerdem würde eine weitere Anspannung des Steuerbogens die bestehenden Betriebe entsprechend schädigen, wodurch die darin angelegten Kapitalien in ihrem bisherigen Zinsgenuss unangemessen verkürzt und neben den Industriellen weite Kreise, die als stille Teilhaber, Aktionäre oder Gläubiger an Industrieunternehmungen beteiligt sind, empfindlich betroffen werden würden. Ganz besonders gilt dies von Industriebetrieben, die im In- oder Auslande stärker mit fremdem Wettbewerb rechnen müssen, der gleichen Steuern oder sozialpolitischen Auflagen nicht unterliegt. Ferner würden unter solchen Folgen die vielen Gemeinden leiden, die wesentlich aus der Steuerleistung der Industrie ihre Ausgaben bestreiten.

Diese Lage und Aussicht zu klären, wird in höherem Grade erforderlich durch die neuen sozialpolitischen Gesetzesvorlagen und durch die sonstigen weiteren Anforderungen an die Unternehmer in bezug auf gesetzlich festzulegende Leistungen für Arbeiter und Angestellte.

Am zuverlässigsten und zutreffendsten wird über die öffentliche Belastung der Industrie durch ziffernmäßige Angaben derjenigen gewerblichen Betriebe berichtet, die über ihre Geschäftsergebnisse öffentlich Rechnung legen müssen. Es sind dies die Aktiengesellschaften, die in manchen Zweigen des Großbetriebes eine hervorragende oder für das Gesamtbild sogar ausschlaggebende Rolle spielen. Letzteres gilt namentlich vom Bergwerks- und Hüttenwesen, wie auch von einem großen Teil des sonstigen Eisen- und Stahlwerksbetriebes, des Maschinenbaues, der Elektrotechnik usw., in welchen Zweigen allen die öffentliche Vergesellschaftung, insbesondere das Aktienwesen, eine mehr oder weniger vorherrschende Bedeutung gewonnen hat. Was aus den Rechnungsabschlüssen und Geschäftsberichten der Industrie- Aktiengesellschaften sich über die Inanspruchnahme dieser Betriebe durch öffentliche Lasten ergibt, gilt natürlich auch in entsprechender Weise von den unter anderer handelsgesetzlicher Form betriebenen, im Privatbesitz befindlichen gewerblichen Anlagen. Das aus den öffentlichen Nachweisen zu ermittelnde Ergebnis trifft somit im wesentlichen auch auf die Privatbetriebe zu, deren Zahl denn doch noch viel größer ist als die der Aktiengesellschaften.

Von letzteren klagen sehr viele schon seit Jahr und Tag über den Umfang der ihnen auferlegten öffentlichen Lasten. Aber ihre Klagen werden, wohl auch weil vereinzelt erschallend, nicht genügend gewürdigt. Mehr Eindruck mag daher die Zusammenstellung der einschlägigen Ziffern aus einer ansehnlicheren Zahl von Rechnungsabschlüssen größerer und größter Industriegesellschaften machen, wie wir sie untenstehend geben, sowie die Anführung von einzelnen bezeichnenden Äußerungen aus den jüngsten Jahresberichten dieser Gesellschaften.

Was die Herkunft der öffentlichen Lasten der Industriegesellschaften betrifft, so sei zur Widerlegung weitverbreiteter irrtümlicher Ansichten bemerkt, dass die viel berufene Reichsfinanzreform daran nur einen ganz geringen Anteil hat. Die durch die Erhöhung der Branntwein-, Bier- und Tabaksteuer den Brennereien, Brauereien und Tabakfabriken auferlegten Steuern sind keine Betriebs-, sondern Verbrauchssteuern, die auf die Verbraucher abgewälzt werden sollen und auch tatsächlich abgewälzt werden. Dass unter der Wirkung dieser Steuern auf den Verbrauch der betreffenden Erzeugnis die in Frage kommenden Industriebetriebe wenigstens vorübergehend leiden müssen, mag bedauerlich sein, ist aber nicht als eine die Industrie allgemein, ja nicht einmal als eine die Genussmittelindustrie allgemein treffende Folgeerscheinung der Reichsfinanzreform zu betrachten.

Die unmittelbare und eigentliche Belastung der Industrie durch die Reichsfinanzreform beschränkt sich nun im wesentlichen auf die den Aktiengesellschaften durch die Änderungen des Reichsstempelsteuergesetzes gemachten besonderen Steuerauflagen. Die Privatindustrie (Einzelfirmen, Handelsgesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung) werden also von dieser Neuauflage nicht betroffen. Für bestehende Industrie-Aktiengesellschaften kommt der Ausgabestempel nur insofern in Betracht, als sie neue Aktien oder Schuldverschreibungen ausgeben, ein verhältnismäßig seltener Fall. Die meisten Industriegesellschaften haben gar keine öffentlichen Schuldverschreibungen. Auch für die Errichtung neuer Aktiengesellschaften fällt die Erhöhung des Aktienstempels von 2 auf 3 vom Hundert wenig ins Gewicht; jedenfalls wird durch diese Erhöhung die Gründung von solchen Gesellschaften in keinem Falle verhindert werden, desgleichen nicht die Ausgabe öffentlicher Schuldverschreibungen. Auch die fortlaufende neue Abgabe, die die Reichsfinanzreform den industriellen wie den anderen Aktiengesellschaften auferlegt hat, die Zinsbogensteuer, fällt für sie nicht wesentlich ins Gewicht. Sie macht mit 1 vom Hundert auf zehn Jahre für die Aktien jährlich 1/10 vom Hundert, mit 5 vom Tausend auf zehn Jahre für die Schuldverschreibungen jährlich 5/10 vom Tausend aus; d. h. also, für jede Aktie von 1.000 M ist jährlich eine Mark, für jede Schuldverschreibung von 1.000 M eine halbe Mark an Zinsbogensteuer zu entrichten.

Die durch die Reichsfinanzreform den industriellen Aktiengesellschaften neu auferlegten Steuern werden daher auch in den Geschäftsberichten oder Rechnungsabschlüssen im allgemeinen gar nicht oder kaum erwähnt. Hier und da geschieht dies im Zusammenhang mit der Frage der öffentlichen Lasten überhaupt, gewissermaßen der Vollständigkeit halber, oder anscheinend aus Rücksicht auf Bank- und Börsenkreise, die den großen Aktiengesellschaften in der Industrie nahestehen und als grundsätzliche Gegner der Reichsfinanzreform gelten.

Wenn trotzdem die industriellen Aktiengesellschaften über die Höhe der öffentlichen Lasten immer lautere Klage führen und immer größere Summen an den von ihnen zu bestreitenden Ausgaben für Arbeiterversicherung und Steuern in ihren Rechnungsabschlüssen verzeichnen müssen, so beweist das lediglich, dass schon vor und neben den durch die Reichsfinanzreform dem Geschäftsleben und einzelnen Zweigen davon auferlegten Aufwendungen für Reichszwecke schier unerschwingliche Staats- und Gemeindesteuern und andere öffentliche Leistungen wie sozialpolitische Lasten auferlegt worden sind und noch ferner auferlegt werden. Die Felten-Guilleaume-Lahmeyerwerke Akt. -Gesellschaft in Mülheim a. Rh. hatte im Jahre 1909 an Steuern zu zahlen: (siehe Tabelle 01)

Also machen hier die Staats- und Gemeindesteuern 98 %, die Reichssteuern 2 % der gesamten Steuerlast aus.

Die Aktiengesellschaft der Gerresheimer Glashüttenwerke vorm. Ferd. Heye gibt folgende vergleichende Aufstellung ihrer bisherigen öffentlichen Lasten, worin Reichssteuern überhaupt nicht vorkommen. (siehe Tabelle 02)

Dass es sich bei der ganzen Frage hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, um Staats- und Gemeindesteuern sowie um die Arbeiter-Versicherungs- und -Wohlfahrtsausgaben handelt, geht dann aus den weiterhin in der Stellerschen Schrift vom Jahre 1910 mitgeteilten Äußerungen hervor, die verschiedene große Aktien-Gesellschaften in ihren Geschäftsberichten über die Höhe der öffentlichen Lasten getan haben. Ergänzend wird hierzu angeführt, wie der Jubiläumsbericht der Maschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaften in Düsseldorf 1885/1910 in einer Betrachtung der neuen sozialpolitischen Gesetzentwürfe nach einem Hinweis auf den durch die Verhältnisse immer mehr erschwerten Wettbewerb des Auslandes sich dahin äußert:

,,dass Grund genug vorliegt, die weitere Belastung der deutsche Industrie durch den weiteren Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung wenigstens vorläufig und so lange in mäßigen Grenzen zu halten, bis sich deutlicher übersehen lassen wird, ob und inwieweit nicht nur einzelne bevorzugte Industriezweige, sondern auch die übrigen bedeutungsvollen und auf den Export angewiesenen Zweige der deutschen Industrie ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erhalten imstande sein werden. — Es ist eine Tatsache, dass in letzter Zeit die bisherige Zuversicht des deutschen Unternehmertums in die bleibende Exportfähigkeit der deutschen Industrie im Wanken begriffen ist. Die Regierung bzw. die gesetzgebenden Körperschaften werden sich nicht der Aufgabe entziehen dürfen, diese Zuversicht wieder festigen zu helfen, denn auf sie allein stützt sich der Wagemut des Unternehmertums und die weitere Entwickelung der Industrie“.

Und es wird in tatsächlicher Beziehung über die sozialen Lasten der Industrie in dem vorbezeichneten Jahresbericht der genannten großen Berufungsgenossenschaft folgendes gesagt:

,,Noch ist nicht einmal bei der jetzt bestehenden Unfallversicherung der Beharrungszustand eingetreten. Die jährliche Belastung unserer Mitglieder für jede versicherte Person ist von durchschnittlich 3,44 M im ersten Jahre des Gesetzes auf 18,57 M im 25. Jahre gestiegen. Sie wird selbst unter den normal bleibenden Verhältnissen noch mindestens 2 — 15 Jahre weiter anwachsen und namentlich in den Zeiten tiefliegender Konjunktur — das haben die Jahre 1901 und 1909 bewiesen, man beachte nur die Ziffern der Tabelle 11 im Abschnitt XV auf Seite 43 — sprunghaft emporschnellen und namentlich die Betriebe der höheren Gefahrenklasse auf das empfindlichste belasten.“

Die in der Steller sehen Schrift nunmehr mitgeteilten Tabellen besitzen wegen der Einwandfreiheit ihres Inhalts, der aus den Geschäftsberichten der darin angeführten Aktien Gesellschaften entnommen oder nach ihnen richtig berechnet worden ist, eine gewissermaßen klassische Bedeutung für die Kennzeichnung des Verhältnisses der öffentlichen Lasten der Industrie zu ihrem Ertrag. Eingeleitet werden sie durch die von einer (auf Wunsch der Urheber) nicht namentlich bezeichneten sehr großen Industrie-Aktien Gesellschaft gemachte Zusammenstellung über deren Aufwendungen an Steuern, für Arbeiterversicherungsbeiträge und Wohlfahrtseinrichtungen im letzten Jahrzehnt. Bei dieser Gesellschaft ist im Laufe der Zeit der Reingewinn um 58 %, das werbende Kapital um 80 % gestiegen, dagegen sind gleichzeitig die Staats- und Gemeindesteuern um fast 400 %, die gesamten öffentlichen Lasten um 300 % und die freiwilligen sozialen Aufwendungen um 150 %, also alle diese Ausgaben in viel höherem Maße als der Gewinn gestiegen. Die Aufstellung ergibt folgendes Bild: (Siehe Tabell 03)

Ein großer Teil an öffentlichen Lasten der Industrie entfällt auf die Arbeiterversicherung, eine Ausgabe, die ja nun einmal den eine so große Masse von Arbeitern beschäftigenden Industrie-Unternehmungen eigentümlich ist. Lässt man jedoch diese sozialpolitischen Aufwendungen außer Betracht und fasst lediglich die Staats- und Gemeindesteuern ins Auge, so erblickt man auch da noch eine ungeheure Steuerbelastung der Industriegesellschaften, die aber, wohlgemerkt, nicht durch die Reichsfinanzreform, sondern durch Staats- und Gemeindesteuern verursacht wird.

Diese Staats- und Gemeindesteuern treffen die Industrie im Durchschnitt viel stärker als andere Erwerbsunternehmungen, soweit dies aus den Berichten der als Aktiengesellschaften betriebenen Anstalten zu entnehmen ist. (siehe Tabelle 04, 05, 06, 07, 08)

Dabei haben die Industriebetriebe nach der Art ihrer geschäftlichen Tätigkeit einen viel schwierigeren und wechselvolleren Geschäftsgang als manche andere, durch Steuern und Abgaben weniger belastete Gattungen von Geschäftsbetrieben. Mit so stetigen Erträgnissen, wie sie die meisten Versicherungsgesellschaften, Hypothekenbanken, Grundstücks-Gesellschaften und auch in hohem Grade die Kreditbanken haben, kann die Industrie nicht entfernt rechnen.

Nun ist gewiss die Industrie neben der Landwirtschaft heutzutage der wichtigste Bestandteil unseres Wirtschaftslebens. Sie schafft Nahrungs-, Genuss- und Gebrauchsmittel für die Menschheit, sie liefert auch die Gegenstände für den Innen- und Außenhandel zum internationalen Güteraustausch, der für eine aktive Handelsbilanz notwendig ist.

Es ist daher zum allgemeinen Besten des Wirtschaftslebens nötig, dass die öffentlichen Lasten die Grenzen nicht überschreiten, innerhalb deren der Industrie eine ersprießliche Tätigkeit auszuüben möglich ist.

Wie man aus der vorstehenden Aufstellung ersieht, werden die Industriegesellschaften zwar im ganzen sehr stark, aber doch nicht gleichmäßig von den Steuern und sonstigen öffentlichen Lasten betroffen. Dies erklärt sich hauptsächlich aus dem Unterschied in der Art des Betriebes und der Gewinnerträgnisse, ferner aus den örtlichen Steuerverhältnissen. Diejenigen Werke, die eine große Anzahl von Arbeitskräften beschäftigen und damit nur einen mittleren Gewinn erzielen, also was man eine „angemessene“ Rente von 6 — 10 % etwa nennen kann, haben sehr erhebliche Ausgaben an Steuern sowohl wie für öffentliche Zwecke, wobei häufig den gesetzlichen Lasten für Arbeiterversicherung sich noch beträchtliche Zuwendungen für Wohlfahrtseinrichtungen hinzugesellen. Am augenfälligsten tritt dies in die Erscheinung bei den großen Bergwerks- und Hüttengesellschaften, wo diese öffentlichen Lasten 50 — 75 % des Reingewinnes betragen, ja, bei der Firma Friedr. Krupp sogar über 80 %, bei der Dortmunder Union über 90 %. Den stärksten Gegensatz dazu bilden die mit außergewöhnlichem Gewinn arbeitenden Farbenfabriken der chemischen Industrie, deren ausnehmend großen Erträgnissen gegenüber die öffentlichen Lasten nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, während die Wohlfahrtseinrichtungen bei ihnen bedeutende Summen ausmachen und z. B. bei den Elberfelder Farbenfabriken fast 14 % des Reingewinnes betragen. Eine mittlere Stellung zwischen diesen beiden Gattungen nehmen die Werke der mechanischen Industrie und die Stoff-Fabriken ein, wobei hinsichtlich der letzteren der große Unterschied der Erwerbsverhältnisse zwischen Baumwolle und Wolle in den letzten Jahren sich auch in dem Verhältnis der öffentlichen Lasten zu dem Reingewinn sehr bemerkbar macht; denn während die Wollindustrie ein wahrhaft glänzendes Jahr hatte, ging es bekanntlich der Baumwollindustrie außerordentlich schlecht. Die öffentlichen Lasten der ersteren fallen also gegenüber ihren hohen Reinerträgnissen nicht ins Gewicht, während die der letzteren sowohl an sich als im Verhältnis zum Ganzen recht bedeutend sind. Zu den öffentlichen (sozialen) Lasten der Industriegesellschaften gesellen sich bei vielen von ihnen die namhaften Aufwendungen für Wohlfahrtszwecke, die auch in obiger Tabelle berücksichtigt worden sind. Alle konnten dabei, weil rechnerisch nicht erfassbar, nicht ausgewiesen werden, z. B. die Arbeiterwohnungen, für deren Herstellung und Unterhaltung große Summen erforderlich sind. Die Wohlfahrtseinrichtungen der Banken erstrecken sich in der Regel nur auf ihre Beamten und bestehen meistens in der Form von Pensionsfonds, denen die Anstalten regelmäßig namhafte Zuwendungen zu machen pflegen. Diese Versorgungskassen sind, bei den großen Banken wenigstens, meistens sehr gut ausgestattet. Bei einzelnen sind anscheinend Zuschüsse gar nicht mehr notwendig. So berichtet die Berliner Handelsgesellschaft, die eine Zuwendung zum Pensionsfonds für 1909 in ihrem Jahresbericht und im Rechnungsabschluss nicht ausweist, dass das Vermögen der Versorgungskasse ihrer Angestellten mit einigen Stiftungen für letztere 2.847.000 M betrug, und dass an Pensionen im Jahre 1909 84.000 M ausgezahlt wurden, wonach es scheint, dass das Vermögen einen hinreichend großen Ertrag zur Deckung der Versorgungsansprüche liefert. Denn bei nur 4 % Zinsen würde das bezeichnete Vermögen einen Jahresertrag von rund 114.000 M liefern, also 30.000 M mehr, als im vergangenen Jahre für Versorgungszwecke erforderlich waren. Die Beamten-Versorgungskasse der Berliner Diskonto-Gesellschaft enthält stark 5.000.000 M. Einige Banken geben den Betrag der Zuwendungen zum Pensionsfonds nicht an, sondern erwähnen diese im Geschäftsbericht nur namentlich unter den Gewinnanteilen und Belohnungen. Die eigentlichen Zuwendungen an die Versorgungskassen, die also als Wohlfahrtseinrichtungen angesprochen werden können, betragen, wie die Aufstellung zeigt, wegen der vergleichsweise beschränkten Zahl der zu Versorgenden in der Regel nur 1 — 3 % des Reingewinnes und erreichen in einzelnen Fällen noch nicht einmal 1 %.

Zu dem Abschnitt der Aufstellung über Versicherungsgesellschaften ist zu bemerken, dass die Feuerversicherungsgesellschaften gesetzlich zu gewissen Leistungen zu gemeinnützigen Zwecken, hauptsächlich für Feuerwehren, verpflichtet sind, aber auch in der Regel einige freiwillige Aufwendungen ähnlicher Art machen. Sie sind sämtlich als gemeinnützige Ausgaben aufgeführt. Als Wohlfahrtseinrichtungen kommen für sie, wie für die Versicherungsgesellschaften überhaupt, nur Aufwendungen für Versorgung ihrer Beamten in Betracht. Die Summe ihrer Lasten ist zum Teil unter dem Gesichtspunkt zu beurteilen, dass sie im Verhältnisse zu ihrem Gewinne nur ein kleines Kapital zu verzinsen haben, da dieses nur als Sicherungsbestand zu dienen hat, nicht als werbendes Kapital. Ihre gesamten Lasten und Aufwendungen für gemeinnützige Zwecke sind im Verhältnis zum Reingewinn meist höher als die der Banken, wenn auch vielfach niedriger als die der Industriegesellschaften. Andere Versicherungsanstalten als die Feuerversicherungs-Gesellschaften, sind zu gemeinnützigen Aufwendungen nicht verpflichtet, daher stellen sich deren öffentliche Lasten entsprechend niedriger.

Jedenfalls geht aus den mitgeteilten Ziffern hervor, dass die auf der Industrie ruhenden öffentlichen Lasten so außerordentlich hoch sind, dass eine weitere Erhöhung der Steuern und Arbeiterversicherungsbeiträge die Leistungsfähigkeit der allermeisten Industriebetriebe entschieden übersteigen und höchst unbillig sein würde gegenüber der viel mäßigeren Heranziehung anderer Zweige des Erwerbsleben, die dazu in steuerlicher Hinsicht viel leistungsfähiger sind als die große Mehrzahl der Industriebetriebe.

Das in der vorstehend inhaltlich wiedergegebenen Schrift erörterte Thema von der übermäßigen Belastung der Industrie durch öffentliche Auflagen wurde in der Folge von vielen wirtschaftlichen Körperschaften in gleichem Sinne behandelt, so namentlich vom Zentral verband Deutscher Industrieller in dessen Delegiertenversammlung vom 9. Dezember 1910, von den Handelskammern zu Essen, Plauen i. V. und Chemnitz in den Jahresrückblicken für 1910, den Handelskammern zu Berlin, Elberfeld und Lübeck in ihren Jahresberichten für 1910, also von Körperschaften ganz verschiedener wirtschaftspolitischer Richtung. Auch die Handelskammer in Barmen sagt, dass die Gestehungskosten in Deutschland durch den höheren Lohnsatz und die öffentlichen Lasten schnell stiegen. Nebenbei hatte ein Lehrer der Staatswissenschaften der Berliner Hochschule, Prof. Dr. Bernhard, einige Zeit nach Erscheinen unserer Schrift eine öffentliche Vorlesung gehalten, worin der Glaube, dass die Industrie eine ganz unbegrenzte Belastungsfähigkeit habe, als ein Aberglaube gekennzeichnet und das von der Industrie oft gestellte Verlangen, in der Sozialpolitik endlich ein ruhiges Tempo einzuschlagen, als berechtigt bezeichnet wurde. Die von Seiten einiger Sozialökonomen (Kathedersozialisten) gegen die angeführte Schrift erhobenen Einwendungen, darunter diejenige, dass das Verhältnis der Lasten zum Reingewinn des Geschäftes nicht bezeichnend sei für die wirtschaftliche Tragweite der ersteren, insbesondere der sozialen Lasten gab dem Verfasser der Schrift Veranlassung zur Veröffentlichung einer zweiten Schrift: ,,Erhöhung der Gestehungskosten der deutschen Industrie durch die sozialen Lasten“ (Kommissionsverlag von Paul Neubner in Köln). Es wird in dieser ebenfalls auf Grund der Angaben von großen Aktiengesellschaften u. a. ziffernmäßig nachgewiesen, dass die Behauptungen des Professors Dr. H. Herkner über die Art der Steigerung der sozialen Lasten unrichtig sind. Herr Herkner hatte in den Preußischen Jahrbüchern eine abfällige Kritik an der Schrift „Das Übermaß der öffentlichen Lasten der Industrie in Deutschland“ von Paul Steller geübt und darin u. a. gesagt:

,,An dritter Stelle fordert die Behandlung der Beiträge zur Arbeiterversicherung den Widerspruch heraus. Wenn die Summen absolut gestiegen sind, so hängt diese Erscheinung eben mit der Verteuerung der Lebenshaltung und der dadurch bedingten Erhöhung der Löhne zusammen. Da die Beiträge zur Versicherung sich aber nach dem Lohn richten, müssen sie mit dessen Steigerung wachsen.“

Hierauf wurde ihm vom Verfasser wie folgt gedient:

Nun sind die Beiträge zur Arbeiterversicherung, wie das jedermann weiß, der eine Ahnung von der Arbeiterversicherung in Deutschland hat, im Laufe der jüngsten beiden Jahrzehnte nicht nur absolut, sondern auch relativ, also nicht bloß gemäß der Steigerung der Lohnsumme, sondern auch im Verhältnis zu dieser bedeutend gestiegen. Herr Herkner bedeckt sich also als Professor der Sozialökonomie keineswegs mit Ruhm, wenn er dies nicht weiß oder in diesem Zusammenhange nichts davon sagt. Und es gereicht uns zur besonderen Genugtuung, ihm den Beweis dafür liefern zu können, dass die sozialen Lasten der deutschen Industrie auch verhältnismäßig sehr stark gestiegen sind. Selbstverständlich ist, dass die gestiegenen Lasten die Gestehungskosten der Industrie entsprechend erhöhen, also den Unternehmergewinn dem gemäß beeinträchtigen. Denn eine Abwälzung dieser sozialen Lasten auf die Verbraucher der industriellen Erzeugnisse ist selbst im Inlande nur nach Maßgabe der geschäftlichen Verhältnisse der einzelnen Industriezweige möglich; auf dem Weltmarkt aber, wo die deutsche Industrie mit der ausländischen sozialpolitisch weniger oder gar nicht belasteten zu wetteifern hat, in der Regel gar nicht. Und die Ausfuhr bietet doch für einen großen Teil unserer Industrieerzeugnisse eine durchaus notwendige Absatzmöglichkeit. Wenn also Herr Herkner an einer anderen Stelle seiner Kritik sagt:

„Es ist also durchaus nicht bewiesen, dass die Rentabilität des Industriekapitals bei uns ohne soziale Gesetzgebung höher sein würde“,

so ist dies eben durchaus falsch.

Wenn die Industrie sich in ihrer Ertragsfähigkeit durch die sozialen und anderen öffentlichen Lasten nicht beeinträchtigt fühlte, so würde sie darüber nicht so anhaltende und laute Klagen führen, wie es tatsächlich der Fall ist. Es ist daher auch keineswegs, wie Herkner sagt, „in hohem Maße irreführend“, wenn in unserer Schrift die sozialen Lasten in Prozentsätzen des Reingewinns dargestellt wurden. Wohl aber erschien zur Widerlegung dieser Ausstellungen zweckmäßig, die gelieferten Nachweise in der Richtung zu ergänzen, dass die Wirkung der sozialen Lasten — um diese drehte sich der Streit hauptsächlich — auf die Gestehungskosten durch ziffernmäßige Angaben dargetan würde. Diese Wirkung kommt in dem Verhältnis der sozialen Lasten zu den Aufwendungen an Löhnen zu einem bezeichnenden Ausdruck. Wir geben daher nachstehend einige Aufstellungen, die uns von industriellen Aktiengesellschaften zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt worden sind, zum Beweise dessen wieder, dass die gewerbliche Gütererzeugung in Deutschland durch die unserm Vaterlande eigentümliche Sozialpolitik in fortschreitendem Maße verteuert wird, und zwar schließlich in einem Grade, der die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen mit der sozialpolitisch bei weitem nicht so stark oder gar nicht belasteten ausländischen Industrie offensichtlich beeinträchtigen muss.

Die von den weiter unten genannten Werken aufgegebenen Ziffern der sozialen Lasten beziehen sich in einigen Fällen nicht ausschließlich auf die Aufwendungen an Löhnen für Arbeiter, sondern auch auf die an Gehältern für Beamte. Das Bild wird aber dadurch nicht getrübt, sondern vielmehr vervollständigt, denn auch die Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung der Beamten verursacht eine entsprechende Erhöhung der Gestehungskosten.

Aus den nachfolgenden Aufstellungen, die genau in ihrer ursprünglichen Fassung wiedergegeben sind, ergibt sich eine Steigerung der sozialen Lasten seit 1888/89 auf den Kopf der Arbeiter bei den drei großen Kölner Maschinenfabriken (Berlin-Anhaltische, vordem Kölnische Maschinenbau-Aktiengesellschaft, Gasmotorenfabrik Deutz und Maschinenbauanstalt Humboldt) um 100 % oder mehr, d. h. also eine Verdoppelung dieser Auflagen in dem Zeitraum von etwa 20 Jahren. Bei der Gutehoffnungshütte sind die gesetzlichen Aufwendungen auf den Kopf der beschäftigten Personen in dieser Zeit sogar um 200 % gestiegen. Ferner ersieht man aus verschiedenen der gelieferten Nachweise, dass die sozialen Lasten im Verhältnis zum Lohn der Arbeiter jetzt 3 — 6 % betragen, während sie vor 20 Jahren etwa die Hälfte, vor 10 Jahren etwa zwei Drittel dieser Sätze ausmachten. Es heißt das also: Die Gestehungskosten der Industrie in Deutschland sind aus diesem Grunde allein um den gedachten Betrag höher als in demjenigen Auslande, wie z. B. Nordamerika, das solche Lasten nicht kennt, und entsprechend höher als in dem übrigen Auslande, dessen soziale Lasten durchweg niedriger sind als diejenigen in Deutschland.

Hierzu kommt, dass bei uns die meisten großen Betriebe mehr oder weniger bedeutende Aufwendungen für freiwillige Wohlfahrtseinrichtungen machen, durch die die Gestehungskosten ebenfalls entsprechend erhöht werden. Von den einzelnen Betrieben, die die Ziffern dieser freiwilligen Aufwendungen für die gegenwärtige Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben, zahlt die Gasmotorenfabrik Deutz freiwillig ebensoviel als gesetzlich, kommt also zusammen auf nahezu 7 1/2 % des Lohnes an sozialen Lasten. Die Farbenfabriken Elberfeld — die gleich anderen großen Farbenfabriken Deutschlands für sozialpolitische Zwecke sehr große Aufwendungen zu machen in der Lage sind — zahlen für ihre Arbeiter freiwillig sogar 14 % neben den 3 % gesetzlichen Auflagen und 17 % für ihre Beamten. Bei der Gutehoffnungshütte beträgt für das letzte Jahr auf Grund einer außergewöhnlichen Aufwendung anlässlich des hundertjährigen Bestehens dieses gewaltigen Unternehmens die Ziffer der freiwilligen Leistungen sogar 73,95 M auf den Kopf gegen 91,89 M an gesetzlichen Leistungen. Und ihre sämtlichen Wohlfahrtsbeiträge hatten im Jahre 1908/09 107 M auf den Kopf (darunter 17 M freiwillig) betragen, gegen 68,62 M im Jahre 1903/04, waren also in diesem kurzen Zeitraum von fünf Jahren allein um reichlich 50 % gestiegen, während der Lohn in diesem Maße sicherlich nicht hatte steigen können.

Zur Ergänzung und als Gegenstück des vorstehend entworfenen Bildes aus den rheinischen Industriebetrieben sei auf die Tabelle der sozialen Lasten der Vereinigte Königs- und Laurahütte unter der dieser Schrift beigefügten Statistik hingewiesen, die ganz gewaltige gesetzliche und freiwillige Aufwendungen sozialpolitischer Art erkennen lässt. Bei diesem größten oberschlesischen Bergwerks- und Hüttenunternehmen haben in den letzten zehn Jahren die gesetzlichen Beiträge um 85 %, die freiwilligen Leistungen um 115 %, daneben die Steuern und Abgaben um 44 % sich erhöht. In Prozent der Lohnsumme sind im letzten Jahrzehnt allein die sozialen Lasten von insgesamt 11,04 % auf 16,11 % gestiegen, darunter die gesetzlichen von 6,50 % auf 8,89 %, und ähnlicherweise in Prozent des ertragsberechtigten Aktienkapitals von 7 auf 11 %. Das Verhältnis der Lasten zum Aktienkapital ist mithin, wenigstens hier, auch bezeichnend für das zur Lohnsumme, also zu den Gestehungskosten. Der Geschäftsbericht dieser fast 26.000 Personen beschäftigenden Gesellschaft für 1909/10 teilt in einer Aufstellung ferner mit, wie der Reinertrag in diesem Zeitraum, währenddessen die sozialen Lasten und Leistungen mit den Steuern von 2.788.000 M jährlich auf 5.052.000 M stiegen, von 4.730.000 M auf 1.698.000 M, die Dividende von 14 % auf 4 % zurückgegangen ist. Kann man angesichts solcher Ziffern noch leugnen, dass die deutsche Industrie unter einem Übermaß öffentlicher Lasten leidet?

Auch hier mögen die in Rede stehenden Zusammenstellungen wegen ihrer urkundlichen Bedeutung folgen:

Zusammenstellung der sozialen Lasten deutscher Industrie-Aktien-Gesellschaften.
Berlin-Anhaltische Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft Abteilung Köln-Bayenthal. (Tabell 09)

Für das Jahr 1910 stehen die Zahlen noch nicht fest, aber soviel ist heute schon sicher, dass die Lasten für die Person auch in diesem Jahre höher sind als in dem vorhergehenden.

Unter den in dem Betriebe beschäftigten Personen befindet sich eine große Anzahl weiblicher Arbeitskräfte.

Mechanische Jute-Spinnerei und Weberei in Bonn a. Rh. (s. Tabell 10)

Außerdem hat das Unternehmen für Kapitalhinterlegungen für sämtliche Arbeiter, die über 15 Jahre ununterbrochen in seinen Diensten gestanden haben oder noch stehen, 98.586 M aufgewandt.

Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau mit Brikettfabrikation in Köln.
(s. Tabelle 11)

Rhein- und Seeschifffahrtsgesellschaft in Köln a. Rhein. (s. Tabelle 12)

Nicht näher eingegangen werden soll hier auf einige andere Ausführungen, die Professor Herkner, wie vor ihm Professor Ballod, gegenüber dem Vortrag des Professors Bernhard über die sozialen Lasten der englischen Industrie zur Widerlegung der Äußerungen und tatsächlichen Angaben über die einschlägige Belastung der deutschen Industrie machte. Denn für ihre Darlegungen fehlt ihnen die feste Grundlage zuverlässiger Ziffern. Was sie an Zahlen angeführt haben, betrifft entweder nichts Vergleichbares oder ermangelt des amtlichen Charakters. Ersteres gilt z. B. von den in England höheren Armenlasten, die die genannten Professoren als Last der Industrie anführten, während sie doch eine Last der gesamten Steuerträger bilden, die in England in viel höherem Maße als in Deutschland aus anderen Leuten als aus Industriellen sich zusammensetzen. Was aber die vergleichbaren Ziffern selbst anbetrifft, so besagt darüber eine Veröffentlichung in der Beilage Nr. 3 zum Reichsarbeitsblatt 1910:

„Während die jährlichen Leistungen für die Krankenversicherung in Deutschland zurzeit 35 1/2 Millionen Mark betragen, belaufen sie sich in Österreich-Ungarn auf 62 1/2, in Frankreich auf 22 und in Belgien sogar nur auf 3,6 Millionen Mark.“ Über andere öffentliche Lasten fehlen leider vergleichbare Grundlagen. So sagt eine an zuständiger Stelle dem Verfasser zuteil gewordene Auskunft: Amtliche statistische Aufschlüsse darüber, wie hoch die Industrie in Deutschland und im konkurrierenden Ausland belastet wird: a) durch soziale Lasten: Arbeiterversicherung, Armenpflege, Wohlfahrtseinrichtungen, b) durch direkte Steuern: Staats-, Gemeinde-, Gewerbesteuern, lassen sich nicht geben, da ausreichende statistische Unterlagen dafür fehlen, auch nach dem gegenwärtigen Stand international vergleichbarer Statistik nicht zu beschaffen sind. Zu a) lässt sich nicht einmal der jährliche Gesamtaufwand für Arbeiterversicherung in den einzelnen Ländern geben, weil überall, wo keine Zwangsversicherung besteht, die Statistik versagt. Über den Jahresaufwand an Armenlasten geben die amtlichen Statistiken noch viel weniger, über den Aufwand an Wohlfahrtseinrichtungen überhaupt keine Aufschlüsse. Zu b) liegen, zumal bei der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Steuergesetzgebung in den einzelnen Ländern, gleiche Mängel vor, und selbst die Ermittelung der Belastung auf den Kopf der Bevölkerung würde noch keinen Aufschluss über die Verteilung dieser Belastung auf die verschiedenen Erwerbsgruppen geben“.

Die Vergleiche der Professoren Ballod und Herkner, auf die sich die Bitte um Auskunft bezog, entbehrten somit der zuverlässigen Grundlage. Von Deutschland sind aber die Ziffern der Arbeiterversicherung genau bekannt. Noch heute marschiert ihnen zufolge das junge Deutsche Reich auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge für die Arbeiter unbestreitbar weitaus an der Spitze aller Kulturnationen, wenngleich jetzt u. a. England und Frankreich sowie die Schweiz mit einschlägigen Einrichtungen mehr oder weniger gefolgt sind oder folgen wollen, und es wäre wohl an der Zeit, dass unsere Gesetzgeber sich bei allen weiteren sozialpolitischen Maßnahmen diese Tatsache sowie auch die Sprache der vergleichenden Zahlen stets etwas mehr vergegenwärtigten, damit bei uns nicht eines Tages die Quellen, aus denen man bisher geschöpft hat, wegen übermäßiger Inanspruchnahme versiegen.

Ausdrücklicher Erwähnung wert ist an dieser Stelle auch die neue und erheblich stärkere Belastung der bayerischen Industrie durch die Staatseinkommensteuer. Anlässlich deren Einführung im vergangenen Jahre sind viele Klagen über die Erhöhung der öffentlichen Lasten aus dem Kreise bayrischer Industrieller laut geworden, und es ist sogar von Verlegung bayrischer Großbetriebe nach anderen deutschen Ländern gesprochen worden. Um auch hier ein bestimmtes Beispiel über die Höhe der öffentlichen Lasten der Industrie anzuführen, sei dem Geschäftsbericht der Oberbayrischen Aktiengesellschaft für Kohlenbergbau für das Jahr 1910 folgendes entnommen: „Das neue Berggesetz in der Fassung vom 13. August 1910 legt den Bergwerksbesitzern aufs Doppelte erhöhte Knappschaftskassenbeiträge auf, eine Erhöhung, die für uns etwa 35.000 M jährlich betragen wird, und zwar bloß für die Krankenkasse, da wir die erhöhten Pensionskassenbeiträge ohnedies bisher schon freiwillig geleistet haben. Es belaufen sich damit unsere Zahlungen für die gesetzliche Arbeiter Versicherung auf 41,14 % des für 1910 ausgewiesenen Reinertrags. Die Steuern und sonstigen öffentlichen Abgaben erforderten zudem heuer 19,63 %, so dass wir für alle die angefühlten gesetzlichen Leistungen zusammen 60,77 % des Reinertrags aufbringen müssen. Dazu kommen dann noch die (am Schlüsse mit 71.083 M) ausgewiesenen freiwilligen Leistungen für unsere Arbeiterschaft, mit denen wir demnach für Steuern, Umlagen und Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen im ganzen 69,50 % des Reingewinns in Rechnung zu stellen haben, das ist ebensoviel ungefähr wie die für heuer zur Ausschüttung an die Aktionäre beantragte (und beschlossene) Dividende. Von 1912 an werden wir dann infolge der neuen Steuergesetzgebung noch mit einer weiteren namhaften Erhöhung der öffentlichen Lasten zu rechnen haben, deren Umfang sich der unsicheren Umlagenfeststellung wegen jedoch nicht genau angeben lässt. — Die Staatssteuern allein würden sich jedenfalls für die vorliegende Bilanz um etwa 37 % ihres heutigen Betrages erhöhen. Zur Vervollständigung dieses Bildes bemerken wir endlich noch, dass die Löhne unserer Arbeiter seit fünf Jahren um 64 Pf. pro Kopf und Schicht gestiegen sind, was für das vergangene Jahr trotz der zahlreichen Feierschichten 515.000 M ausmacht, also des weiteren einen Betrag, der nicht mehr weit von der heuer beantragten Dividende (576.000 M) absteht.“

Als eine Wirkung der Schrift des Verfassers ,,Das Übermaß der öffentlichen Lasten der Industrie in Deutschland“ ist die von einem der Zentrumspartei angehörigen Fabrikanten und Handelskammermitgliede, Herrn Albert Kern, in Aachen im Frühjahr 1911 im Verlage von J. P. Bachern in Köln erschienene Schrift ,,Die Industrie, ihre Bedeutung und ihre Lasten“ zu betrachten, deren Verfasser durch obige Stellersche Schrift zur öffentlichen Behandlung dieser Frage auch in Zentrumsversammlungen veranlasst worden war. Diese Druckschrift beansprucht sowohl an sich wie auch deshalb Bedeutung, weil sie aus den Kreisen des Zentrums stammt, das bis dahin immer in sozialpolitischer Beziehung eine gegensätzliche Haltung zu der Industrie eingenommen hatte. Wenn nun in dieser großen Partei, die über 100 Sitze im Reichstage verfügt, wie es den Anschein hat, eine Anschauung Raum gewinnt, die der in der Industrie vorherrschenden Auffassung über die sozialen Lasten mehr oder weniger entspricht, so kann man darin gewiss ein bedeutsames Zeichen der Zeit erkennen, und wird den Ausführungen eines angesehenen und einflussreichen Mitgliedes der Partei größere Beachtung schenken müssen. Die Kernsche Schrift vertritt die Auffassung, dass die Industrie auch in weiten Kreisen Wohlgesinnter noch keineswegs eine zutreffende Würdigung hinsichtlich ihrer überaus hohen Bedeutung und des Schutzes, den sie beanspruchen kann und darf, genießt. Und sie äußert ferner die Ansicht, dass wirkliche Freunde der Arbeiter und der sozialen Gesetzgebung gerade deswegen, weil sie dem Arbeiter wohl wollen, die Ausfuhrfähigkeit der deutschen Industrie in weitestem Umfange erhalten und fördern und eben darum eine zu große Erschwerung und Belastung von ihr abwenden wollen. Von diesem Standpunkte aus müsse untersucht werden, ob heute die Belastung der Industrie bereits einen Umfang angenommen habe, der ihre Ausfuhrfähigkeit in Frage stelle, und ob nicht auch bei einem Fortschreiten auf der Basis sozialpolitischer Gesetzgebung in bisheriger Weise ernste Besorgnisse für die Zukunft begründet seien. Der Verfasser weist dann auf die Erschwerung der Ausfuhr der deutschen Industrie durch den stark zollgeschützten ausländischen Wettbewerb und den Rückgang der deutschen Ausfuhr nach einzelnen ausländischen Staaten hin; ferner auf die Bedeutung der Industrie für unsere Volksvermehrung. Nur im großen Weltverkehr können Mittel und Wege gefunden werden, neuen Millionen Menschen Arbeits- und Ernährungsmöglichkeit zu bieten. In England bleibe die Einstellung neuer Arbeitskräfte in der Industrie hinter derjenigen in Deutschland merklich zurück, worauf die außerordentliche Steigerung der Armenlasten in England zurückzuführen sei, und woraus man die Erkenntnis schöpfen könne, dass in industriell hoch entwickelten Staaten die Industrie als die Haupternährungsquelle zu betrachten sei, die als solche die höchste Beachtung verdiene. Kern bespricht nun die sozialpolitische Belastung der Industrie in Deutschland unter Ausführung der Stellerschen Ermittelungen darüber, denen er wirkliche Beweiskraft zuerkennt für die von deren Urheber aufgestellte Behauptung von einem Übermaß der öffentlichen Lasten, und führt Professor Bernhard in seinem Vortrage an, demzufolge die Tragfähigkeit der deutschen Industrie bereits überstiegen sei. Jedenfalls müsse man zugeben, dass es hinsichtlich der Belastung der deutschen Industrie eine Grenze gebe, die ohne die schwerste Schädigung des nationalen Wohlstandes nicht überschritten werden könne. Im weiteren wendet sich der Verfasser gegen den Vergleich zwischen deutschen und englischen sozialpolitischen Lasten, die Professor Ballod angestellt hatte, indem er dartut, dass unter Berücksichtigung verschiedener Unrichtigkeiten die englische Industrie nur mit 7 M, die deutsche dagegen mit 13,8 M auf den Kopf des Arbeiters belastet sei. Dass diese Belastung die Steigerung der deutschen Ausfuhr zurückhalte, könne man z. B. daraus ersehen, dass Belgien, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, dreimal so viel ausführe als Deutschland, nämlich 310 M gegen 103 M. Eine Steigerung der Ausfuhr diene auch den deutschen Industriearbeitern, deren Löhne in den letzten Jahren durchschnittlich um 38 % gestiegen seien, was allerdings zum Teil durch die Lebensmittelverteuerung beeinflusst sei. Jeder einsichtige Menschen freund müsse der Ansicht beipflichten, dass ein befriedigender Zustand nur bestehen und fortdauern könne, wenn alle die Industrie betreffenden Maßnahmen und Anträge mit weiser Mäßigung beurteilt und behandelt würden. Die Notwendigkeit der Erörterung der besprochenen Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei in dem sozialpolitischen Wettstreit der politischen Parteien und in den neuen Gesetzesvorlagen dieser Art begründet, wozu noch weitergehende Bestrebungen (Maximalarbeitstag, Versicherung gegen Arbeitslosigkeit) und die stets steigenden Staats- und Gemeindesteuern kämen. Hieraus folge das Bedürfnis einer stärkeren Vertretung der Industrie in den gesetzgebenden Körperschaften, das auch von führenden Zeitungen des Zentrums anerkannt werde.

Es wird sich nun bei der nächsten Reichstagswahl zeigen müssen, ob das stimmengewaltige Zentrum diese Ansichten auch verwirklicht und etwa 10 % industrielle Abgeordnete in unsere für die Sozial- und Wirtschaftspolitik ausschlaggebende gesetzgebende Körperschaft entsendet. Diejenigen Industriellen, die einer anderen politischen Ansicht huldigen als das Zentrum, aber über entsprechende Sitze im Parlament nicht verfügen, würden es jedenfalls freudig begrüßen, wenn sie im Zentrum einen starken Bundesgenossen fänden. Das letztere hat in zollpolitischer Beziehung dem Gedanken des Schutzes der nationalen Arbeit zum entsprechenden Ausdruck verholfen, aber in bezug auf Gewerbeordnung und Arbeiterversicherung bisher eine vorzugsweise die Interessen der Arbeiter berücksichtigende, also einseitige Haltung beobachtet. Es würde sich um unser Wirtschaftsleben auch auf diesem wichtigen Gebiet außerordentlich verdient machen, wenn es in Zukunft mehr Verständnis für die berechtigten Forderungen der Arbeitgeber, des Unternehmertums zeigen, mehr Sachkenntnis und eigene Geschäftserfahrung dabei zu Wort kommen lassen wollte und könnte. Nach gewissen Anzeichen in der leitenden Zentrumspresse scheint es aber nicht, als ob die führenden Kreise des Zentrums den Ansichten des geschäftskundigen Parteimitgliedes Kern uneingeschränkte Berechtigung zuerkennen wollten.

Inzwischen sind in dieser wichtigen Frage einige neuere Kundgebungen erfolgt bzw. zu unserer Kenntnis gekommen, die als fernere höchst beachtenswerte Unterstützungen der Ansicht von dem Übermaß der öffentlichen Lasten der Industrie in Deutschland zu betrachten sind. Ganz besonders gilt dies von Äußerungen, die der Professor W. Mathesius an der Technischen Hochschule in Charlottenburg in einer Festrede anlässlich des Kaisergeburtstages am 26. Januar 1910 als damaliger Rektor dieser hervorragenden Anstalt getan hat. Das Thema der Rede lautete: ,,Die Entwicklung der Eisenindustrie in Deutschland“, worin der Redner nach Erwähnung der anderen öffentlichen Lasten der Industrie u. a. sagte :

„Die deutsche Industrie ist aber nun nicht nur belastet mit diesen steuerlichen Leistungen und mit hohen Eisenbahnfrachten, sondern sie hat auch noch die im Vergleich zu andern Ländern erschreckend großen Aufwendungen für die deutsche Arbeiter Versicherungs-Gesetzgebung zu tragen. Wie hoch diese Leistungen sind, und in wie schneller Progression sie sich gesteigert haben, geht aus den Kurven des Schaubildes 7 hervor. Das Schaubild zeigt uns, dass zu diesen Ausgaben die Industrie im Jahre 1908 über 340 Millionen Mark beigetragen hat, und es muss ferner erwähnt werden, dass in diesem Jahre die Gesamtausgaben auf Grundlage der Arbeiterversicherungs-Gesetze einen Aufwand von über 700 Millionen Mark erfordert haben, und dass seit dem Inkrafttreten dieser Gesetze über 7 Milliarden Mark aufgewendet worden sind.

Welchen Einfluss diese Inanspruchnahme durch Steuern und durch die Kosten der Arbeiterversicherung auf die finanziellen Ergebnisse unserer Industrie gehabt hat, lässt sich leider für die Gesamtheit der deutschen industriellen Werke nicht ermitteln; es ist aber die Möglichkeit gegeben, aus den Geschäftsberichten einiger unserer hervorragendsten Aktien-Gesellschalten der Eisenhüttenindustrie die hierher gehörigen Zahlen zusammenzustellen. Bei der A.-G. Fried. Krupp in Essen betragen die Steuern und Lasten bereits zwischen 50 und 80 % des Reingewinnes. Auch beim Bochumer Verein ist diese Inanspruchnahme in den beiden ungünstigen Jahren 1902 und 1903 bereits auf 60 % des Reingewinnes und auf 70 % der Dividende gestiegen. Bei der Aktien-Gesellschaft Phoenix hat sie sogar in einem ungünstigen Jahre 120 % des Reingewinnes erreicht, und endlich bei der Dortmunder Union hat die Summe der sozialen Lasten und Steuern in den Jahren 1906 und 1909 mehr betragen als die verteilte Dividende; sie liegt hier im Durchschnitt der ganzen Jahre auf über 90 % der verteilten Dividende.

Wenn man berücksichtigt, dass die verteilte Dividende bekanntlich einer zweiten doppelten Besteuerung bei den Empfängern derselben unterliegt, und wenn man ferner bedenkt, dass ein großer Teil der Steuern und die Gesamtheit der sozialen Lasten auch dann getragen werden müssen, wenn die industriellen Gesellschaften überhaupt nicht in der Lage sind, eine Dividende zu verteilen oder einen Reingewinn zu erzielen, so muss dieses Bild bei einem sorglichen Volkswirt wohl die allerschwersten Beunruhigungen hervorrufen. Es muss denjenigen zu denken geben, die ohne Rücksicht darauf, ob unsere deutsche Industrie überhaupt am Leben bleiben kann oder durch diese Lasten erdrosselt wird, in ungestümem Maße auf weitere Ausgestaltung der Arbeiterversicherungs-Gesetzgebung hindrängen. Unsere Großindustrie hat bisher durch ihren Zusammenschluss zu Verbänden und dergleichen vermocht, die übernommenen Lasten zu tragen; viele kleinere Werke indessen sind bereits der Ungunst der Verhältnisse erlegen. Es kann einem aufmerksamen Auge heute nicht mehr verborgen bleiben, dass wir in dieser Beziehung recht bedrohlichen Zeiten entgegengehen.“

Es ist bemerkenswert, dass Professor Mathesius die öffentlichen Lasten der Industrie ebenfalls, wie der Verfasser der Schrift ,,Das Übermaß der öffentlichen Lasten der Industrie in Deutschland“, durch deren Verhältnis zum Reingewinn kennzeichnen zu sollen meint, während der Professor Herkner von derselben Hochschule eine solche Beweisführung nicht gelten lassen will. Tatsächlich ist sie aber, wie ein Vergleich mit den über die Beeinflussung der Gestehungskosten der Industrie durch die sozialen Lasten in der gegen Herkner gerichteten zweiten Schrift des Verfassers gemachten Angaben ergibt, in der Tat dafür mehr oder weniger zutreffend.

In der Deutschen Industrie-Zeitung Nr. 23 vom 10. Juni 1911 werden verschiedene Äußerungen aus Kreisen der Politiker unter der Überschrift „Das Übermaß in der Sozialpolitik“ angeführt, die ebenfalls von einem Zuviel in der Belastung der Industrie mit Auflagen der Arbeiterversicherung handeln. Es heißt darin:

Wie kürzlich im Reichstag der freisinnige Abgeordnete Gothein das Zuviel der Gesetzgebung beklagte, hat nun der nationalliberale Führer Bassermann, der allerdings schon als Reichstagskandidat in dem hochindustriellen Wahlkreis Saarbrücken die Interessen der Industrie auch einigermaßen wahrzunehmen suchen muss, geäußert: Die Mühlen der Reichsgesetzgebung mahlten unermüdlich, es sei eine Hypertrophie der Gesetzgebung vorhanden, unter der die Qualität der Gesetze leide; er habe oft den Eindruck, dass es sich nur darum handele, das Gesetz überhaupt fertig zu bringen; für die Dauer würde er das für Deutschland nicht wünschenswert und nicht ersprießlich halten; die gesetzgeberische Mühle der Regierung arbeite unablässig, aber unter dem Mehl sei manches nicht gut usw. Die „Regierung“? Wer treibt denn unablässig die Regierung zu neuen sozialpolitischen Gesetzen wenn nicht der Reichstag und gerade Abg. Bassermann vorneweg? Sein Parteigenosse Dr. Stresemann, der noch zuletzt bei der dritten Lesung der Reichsversicherungsordnung, entgegen den von seiner Partei mit beschlossenen und verbürgten Kompromiss-Abmachungen, seinem „guten Herzen“ freien Lauf ließ und weitere Anträge zur Belastung der Industrie stellte, sagt nun in einem Artikel der „Magdeb. Ztg.“ vom 2. Juni nach einem Hinweis auf die Milliarde Kosten der Arbeiterversicherung: Der verantwortliche Politiker müsste doch fragen, ob den schwer ringenden selbständigen Existenzen, für die niemand etwas zuzahle bei Krankheit, Unfall und Alter, und die in den Großstädten vielfach unter schwierigeren Verhältnissen zu kämpfen hätten als die gelernten Arbeiter in der Metallindustrie und anderen Zweigen, zugemutet werden könnte, noch immer neue Lasten zu übernehmen. In der Presse hat sich in den letzten Tagen gerade das „Berliner Tageblatt“, das nicht genug schimpfen kann, wenn ähnliche Ansichten aus den Kreisen des Zentralverbandes Deutscher Industrieller laut werden, mehrfach zu deren Vertretung aufgeworfen.