Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Unternehmertums

In keinem Lande der Welt ist der Unternehmer so wenig angesehen und beliebt wie in Deutschland. Diese unbestreitbare Tatsache ist um so merkwürdiger, als die Bedeutung des Unternehmertums gerade durch die schnelle industrielle Entwicklung Deutschlands einwandfrei dargetan ist. Denn nur die letztere ermöglichte die Ernährung und Beschäftigung des großen Zuwachses der Bevölkerung, die gewaltige Verminderung der Auswanderung und die zunehmende Beschäftigung fremder Arbeiter in Deutschland während der letzten Jahrzehnte. Offenbar muss sich das Vorstellungsvermögen des deutschen Volkes erst mit dieser im Laufe eines Menschenalters etwa eingetretenen Erscheinung vertraut machen 1). Der Großindustrielle ist ihm noch nicht ein so geläufiger Begriff wie der Großgrundbesitzer. Letzterer kommt allerdings auch im ganzen seltener vor, d. h. in der Stadt und in den radikalen Parteien, wo die öffentliche Meinung gemacht und oft auch verfälscht wird. Immerhin kann das Volk dem Gutsbesitzer die geschichtliche Daseinsberechtigung und seine wirtschaftliche wie politische Bedeutung für unser öffentliches Leben nicht aberkennen. Mit dem Industriellen ist es etwas anderes. Er hat die Volksmeinung gegen sich, die in ihm

1) Nach einer Veröffentlichung des bayrischen Ministerialrats Dr. Fr. Zahn in den Annalen des Deutschen Reichs über die Berufs- und Betriebszählung von 1907 und die Volkszählung von 1910 stieg von 1871 bis 1910 Deutschlands Bevölkerung von 40 auf 65 Millionen und ging die Auswanderung zurück von 220.000 im Jahre 1881 auf 20.000 Personen 1908 bei steigender Einwanderung. Während 1882 die Landwirtschaft noch 43 % der Gesamtbevölkerung beschäftigte, waren es 1907 nur noch 29 %, wogegen umgekehrt die Zahl der in der Industrie beschäftigten Menschen von 35 auf 43 % der Bevölkerung und die Zahl der im Handel und Verkehr tätigen Personen von 10 auf 13 % stieg. Die Zahl der Industriearbeiterschaft erhöhte sich von 1895 — 1907 von 7,0 auf 10,2 Millionen Menschen.


u. a. den Verderber des braven Handwerkers und den Ausbeuter der Arbeiter sieht, was er freilich nicht ist. Er ist oder war wenigstens früher vielfach ein Emporkömmling 1) — denn jetzt hat Deutschland schon ganze Unternehmergeschlechter, deren gegenwärtige Vertreter, und oft schon deren Väter, hochgebildete, gesellschaftlich bevorzugte Leute sind — was die besitzlose oder wenig bemittelte Masse schwer verzeiht. Er hat aber auch die vorgefasste Meinung vieler akademisch Gebildeten gegen sich, die, vielleicht noch mehr als das ungebildete Volk, dem wissenschaftlich weniger oder gar nicht gebildeten Unternehmer sein schnelles Emporkommen verübeln und es für unrecht halten, dass ein solcher Mann so viel mehr verdienen und im öffentlichen Leben so viel mehr gelten solle als ein philosophischer, juristischer oder medizinischer Doktor, ein Oberlehrer, Professor und Regierungsrat, von den Inhabern der höheren Beamtenposten ganz zu schweigen! Der frühere Senatspräsident im Reichsversicherungs-Amt Professor Dr. Friedensburg führt in seiner Schrift ,,Die Praxis der deutschen Arbeiter Versicherung“ über die Haltung der Allgemeinheit zu dieser Versicherung gewisse Beispiele von Voreingenommenheit des Volkes gegen die Versicherungsträger, d. h. im wesentlichen die Arbeitgeber, an und fügt hinzu: „Dergleichen liest sich, als wenn der bereits sprichwörtlich gewordene Neid der besitzlosen Klasse weitere Kreise angesteckt hätte, als wolle man sich der Arbeiterversicherung als eines Mittels bedienen, um der verhassten Großindustrie etwas von ihrem Überfluss abzujagen. Auch ein Echo von den Kongressen unserer Kathedersozialisten!“ Demgegenüber verweist dieser erfahrene Praktiker der Arbeiterversicherung auf die allgemeine Äußerung eines ,,gänzlich besinnungslosen Mitleides“ mit der vermuteten

1) Die Kölnische Zeitung schrieb unlängst in einem Berliner Briefe „Berlin und die Provinz“: Das Wort Emporkömmling wird durchweg wie das früher mehr gebräuchliche Parvenü in tadelndem Sinne gebraucht, obschon es an sich eher eine lobenswerte Tatsache ausdrückt, nämlich dass es einem Menschen gelungen ist, sich in die Höhe zu arbeiten. Hinter dem Vorwurf des Emporkömmlingtums versteckt sich manchmal der Hochmut von Leuten, die, vom Schicksal in eine weichgepolsterte Wiege gelegt, niemals auf dem harten Pfad der Arbeit sich Schritt für Schritt haben weiterkämpfen müssen, deshalb auch bei andern eine angestrengte Tätigkeit gering achten und in pharisäischem Dünkel den Wert der Äußerlichkeiten, in denen sie selbst Meister sind, viel zu hoch anschlagen.

wirtschaftlichen Not der Hinterbliebenen der auf der Zeche Radbod verunglückten Bergleute. In dieser Beziehung überboten sich die Aufrufe zu milden Beiträgen; ,,aber der Arbeiterversicherung, d.h. hier der ganz auf Kosten der Unternehmer geübten Unfallversicherung, die sofort mit sehr hohen Zahlungen eingriff, gedachte niemand“. Dann fehlen dem Deutschen als solchem vielfach der Geschäftssinn und Geschäftsgeist, die es verstehen lassen, dass der Unternehmer eine große Bedeutung für das Wohlergehen des ganzen Volkes hat. Es ist dies ein Mangel, der nur mit der Zeit beseitigt werden kann. Schließlich und nicht am letzten ist es die ideale Richtung des deutschen Volkes, die in dem Unternehmer in erster Linie den Ausbeuter der Arbeiter, die er beschäftigt, erblickt. Kaum hatten wir daher die Industrie, so hatten wir auch schon die Kathedersozialisten 1), die Gelehrten der

1) Prof. Dr. Ehrenberg in Rostock, der hervorragendste Vertreter der exakten Wirtschaftsforschung, kennzeichnete in seinem Vortrage, den er im Juni 1911 in den akademischen Kursen zu Essen a. d. Ruhr hielt, einem Bericht der Rhein.-Westfäl. Zeitg. vom 26. Juni d. J. zufolge, die sog. „Kathedersozialisten“ als Anhänger einer volkswirtschaftlichen Anschauung, die gegen die bis dahin (Anfang der 70er Jahre) vorherrschende Theorie der englischen Volkswirtschaftslehre, gegen das sog. Manchestertum, Front machte und in dem 1872 gegründeten Verein für Sozialpolitik einen sichtbaren Ausdruck fand. Sie gingen aus von dem entgegengesetzten Grundsatz wie die Engländer, von dem Grundsatz der verteilenden Gerechtigkeit, d. h. im wesentlichen vom gemeinwirtschaftlichen Prinzip. Sie leugneten zwar nicht die Bedeutung des wirtschaftlichen Selbstinteresses, aber sie ordneten es ihren gemeinwirtschaftlichen Forderungen unter. Deshalb nannte man sie „Kathedersozialisten“. Sie forderten für alle Volksangehörigen Anteil an allen Gütern der Kultur, ohne Rücksicht auf ihre Leistungen. Sie forderten Einschränkung der Ausnutzung von Arbeitskräften durch Arbeiterschutz, unbedingte Koalitionsfreiheit zur Erlangung möglichst günstiger Arbeitsbedingungen, Arbeiterversicherung, um die Unsicherheit der Arbeiterexistenz zu verringern. Sie forderten überhaupt starke gemeinwirtschaftliche Beeinflussung der Verteilung des Produktionsertrages. Aber einen bestimmten oder irgendwie praktisch brauchbaren Maßstab für die Begründung und Begrenzung dieser gemeinwirtschaftlichen Eingriffe in den Verteilungsprozess gaben sie nicht an. Politisch war ihr Ausgangspunkt sehr wirksam, wie Schmoller, der Hauptführer des Vereins für Sozialpolitik, es selbst einmal ausgesprochen hat: „Man muss das sozial Zweckmäßige als das Gerechte erscheinen lassen, nur dann zündet es und setzt die Massen in Bewegung.“ Die Fehler der kathedersozialistischen Grundanschauungen sind erstens: die Unbestimmtheit der Ausgangspunkte. Was ist überhaupt vom Standpunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit aus zu fordern? Welcher Maßstab ist anzuwenden für die Prüfung des Bestehenden? Welcher Maßstab ist anzuwenden für die Bestimmung des Anteils der Einzelnen am Produktionsertrage? Die Tugend, Verdienst und Leistungen der Einzelnen, der Anspruch auf Teilnahme an allen Gütern der Kultur? Damit ist alles zu begründen, jede noch so übertriebene Forderung. Da praktisch mit solchen Maßstäben nichts anzufangen ist, so kommt es nur darauf hinaus, dass die subjektiven ethischen Vorstellungen der Sozialreformer selbst der Maßstab sind. Und diese richten sich oft einfach nach den Forderungen der Klassen, die man für leitend hält, die man gewohnt ist, als „schwache“ zu betrachten, obwohl sie dies zum Teil gar nicht mehr sind. Unmöglich kann die Ethik, kann die ausgleichende Gerechtigkeit bestimmen, ob die Arbeitszeit acht, neun oder zehn Stunden dauern soll, inwieweit die Akkordlöhnung zu befördern oder zu bekämpfen ist usw.

Staatswissenschaften, von denen einer ihrer hervorragendsten Vertreter, Professor Wagner, noch kürzlich im Herrenhaus sagte, dass sie den Arbeiter schützen wollten. Natürlich soll der Schutz sich gegen den Unternehmer richten, der immer als der böse Geist angesehen wird. Tatsächlich sollte die Wirtschaftswissenschaft dem Unternehmer mindestens das gleiche Wohlwollen und die gleiche Förderung angedeihen lassen wie dem Arbeiter. Und zwar ist dieses Verlangen in der Bedeutung des Unternehmertums für unser Wirtschaftsleben begründet.

Zunächst ist der Unternehmer der geistige Urheber jedweden Unternehmens, mag er dabei fremde oder eigene Wissenschaft, Kenntnisse und Fertigkeiten benutzen oder verwerten. Der Gedanke, ein Geschäft zu machen, eine Fabrik zu errichten, rührt von ihm her, und er führt ihn auch aus oder lässt ihn ausführen durch seine Beauftragten. Ist die gewerbliche Niederlassung errichtet und mit den vollkommensten, vorteilhaftesten Einrichtungen versehen, so kann ihr Betrieb beginnen, wenn genügend und natürlich lohnender Absatz für ihre Erzeugnisse vorhanden ist. Dafür muss der Unternehmer nicht weniger rechtzeitig und anhaltend sorgen als für den zweckmäßigen Bau der Fabrik am richtigen Platze. Diese Sorge bleibt ihm immer, solange er das Werk betreibt, und von dessen richtiger Leitung innen und außen, von der Benutzung guter Gelegenheiten, von der Vermeidung gefahrbringender Umstände hängt das Bestehen, das Blühen und Gedeihen des Unternehmens ab. Geht es zugrunde, — was dem besten Unternehmen durch Änderung der Grundlagen des Geschäftsganges, durch neue Erfindungen, überlegenen Wettbewerb u. s. f. begegnen kann — so ist sein Eigentümer, der Unternehmer, ein armer Mann; gelangt es zur reichlichen Ertragsfähigkeit, so genießt der Unternehmer lediglich den wohlverdienten Lohn für seine Unternehmungslust, seine Tatkraft, seinen Wagemut. Denn er muss Hab und Gut, das oft erst sauer erworbene kleinere oder größere Vermögen an das Werk setzen, das er zu seiner Lebensaufgabe macht, an das er hernach für alle Zeiten gefesselt bleibt, wenn er es nicht ohne entsprechenden Entgelt aufgeben will. Er gewinnt dadurch vor allen Dingen als sesshafter Bestandteil der Einwohnerschaft eine mit dem Wachsen seines Unternehmens steigende Bedeutung für das öffentliche Leben des Ortes, der Provinz, des Landes. Auf ihm ruht ein großer oder gar der größte Teil der Steuerlast, namentlich der örtlichen. Von ihm, von seiner Tüchtigkeit, Rechtlichkeit, Menschlichkeit und von seinen geschäftlichen Erfolgen hängt nicht nur die von ihm beschäftigte Arbeiterschaft mit ihren Familien, sondern auch in größerem oder wenigstens erheblichem Maße das Schicksal des Gemeinwesens ab, dem er angehört.

Wenn man nun sieht, welch gewaltige Massen an industriellen Erzeugnissen, von der Kohle und dem Roheisen, dem Kammzug und dem Baumwollgarn angefangen, bis zum feinsten Gebrauchs- und Luxusgegenstand in der Wohnung und Kleidung, im Spiel und Sport, in der Kunst und Wissenschaft die Industrie herstellt ; wenn man die ungeheuren Ziffern unseres Außenhandels, unseres Binnen- und Außenverkehrs beobachtet, so muss man doch notwendigerweise vor den geistigen Urhebern und tatsächlichen Schöpfern solcher Werke Achtung empfinden und ihre Bedeutung hochanschlagen. Man muss vor allen Dingen auch den Mut, die Unternehmungslust, die Selbstverleugnung schätzen, die der Unternehmer betätigen muss, wenn er ein Werk begründet und zur wirtschaftlichen Blüte bringt. Auch muss man die Fehlschläge berücksichtigen, die dabei nicht ausbleiben. Der Umstand, dass die Unternehmer zur Vollbringung ihrer geschäftlichen Vorhaben eine große Zahl von Menschenkräften nötig haben, tut ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verdiensten sicherlich keinen Abbruch. Denn sie vermitteln vielen Arbeitern lohnende Beschäftigung und gewinnen dadurch eine erhöhte Bedeutung für das Volk und die Menschheit! Ein Industrieller kann 1.000 oder 10.000 Menschen beschäftigen, die ihrerseits allesamt nicht imstande sind, ein großgewerbliches Unternehmen zu begründen oder zu leiten.

Es liegt nun in der menschlichen Natur und in dem ihr innewohnenden Erwerbssinn begründet, dass der alte Erfahrungssatz vom Einfluss des Angebots und der Nachfrage auf den Preis der Ware auch auf den Preis der Arbeit Anwendung findet. Dieser Preis ist hier zum Teil nach unten begrenzt in der Lebenshaltung oder Lebensnotdurft der Arbeiter. Aber abgesehen davon, dass dieser Begriff weder sachlich noch individuell unbedingt feststeht und je nach den örtlichen und anderen Verhältnissen sehr verschieden ist, ist es ganz selbstverständlich, dass der von dem neuen Unternehmer gebotene Lohn dem Arbeiter mehr gewähren muss, als er bis dahin verdiente, denn sonst würde er ihn und die neue, ungewohnte Beschäftigung nicht annehmen. Sind irgendwo durch schlechte Bodenbeschaffenheit, Mangel an Verkehrswegen, durch Übervölkerung und dergleichen ungünstige Erwerbsverhältnisse und niedrige Löhne vorhanden, so ist es ein Segen für die Bevölkerung dieser Gegend, wenn durch die billigen Löhne Unternehmer veranlasst werden, daselbst Niederlassungen oder Zweigstellen zu errichten. In der Regel folgen dem ersten Unternehmer bald andere, die nun schon die dort anzutreffenden geeigneten Arbeitskräfte schätzen und entsprechend höher bezahlen. So währt es in der Regel nicht lange, bis ein ganz armer Landbezirk durch die Industrie dauernde Beschäftigung, größeres Einkommen und eine höhere Lebenshaltung bekommt. So hat z. B. die Tabakindustrie notorisch armen Landstrichen neue und erheblich bessere Erwerbsquellen eröffnet. Oft muss auch der Unternehmer von vornherein die gehobenen Löhne einer großen Industriestadt zahlen, wenn er für seinen Zweck gelernte Arbeiter nötig hat, die er auf dem platten Lande nicht finden kann. Diese Facharbeiter, die z. B. in der Metallindustrie häufig das Mehrfache eines ortsüblichen Tagelohns verdienen, werden neuerdings großenteils von der Industrie, also auf deren Kosten, herangebildet. Und die aus dem Handwerk kommenden gelernten Arbeiter müssen in der Regel erst umlernen. Alle diese Mühe und Kosten darf sich die Industrie nicht verdrießen lassen, um ihren Bedarf an geeigneten Arbeitern zu decken. Den Vorteil davon haben doch mindestens in gleichem Maße wie die betreffenden Arbeitgeber die also ausgebildeten Arbeiter. Beide verfolgen ihren berechtigten Nutzen und dienen damit, zwar unbeabsichtigt, aber tatsächlich dem Volkswohl. Denn nur auf der Grundlage eines privatwirtschaftlich vorteilhaften Einzelbetriebs kann sich eine gesunde Volkswirtschaft aufbauen.

Eine Bestätigung und Anerkennung dieses Grundsatzes findet sich in der vom Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg, dem Philosophen auf dem Ministersessel, gelegentlich des Festmahls des Deutschen Handelstags am 13. Mai 1911 in Karlsruhe getanen Äußerung: ,,Wirtschaftliches Leben ist ohne Egoismus undenkbar.“ Dieser Ausspruch wird in seiner Bedeutung keineswegs aufgehoben durch die ihm vorhergegangenen Ausführungen des Redners, die eine Interessengemeinschaft zwischen dem Geschäftstreibenden und dem Staat feststellten und die Bedeutung des Unternehmertums hervorhoben. Es zeugt daher auch von völliger Verkennung der Sachlage und von einem schwer verständlichen Mangel an folgerichtigem Denken, wenn ein Reichstagsmitglied, das Anspruch darauf erhebt, in volkswirtschaftlichen Fragen seine Partei zu vertreten (Dr. Heinz Potthoff im „Tag“ Jahrgang 1910 Nr. 277 „Öffentliche Lasten der Industrie“), bei gegebenem Anlass die Behauptung öffentlich aufstellte: „Die Lage und der Fortschritt von Millionen Arbeitnehmern in den Gewerben ist für die Volksgesamtheit, den Staat noch viel wichtiger als die gute Verzinsung des darin angelegten Kapitals.“ Das erstere ist nämlich — auf die Dauer — wie sich jedermann sagen muss, nicht möglich ohne das letztere. Der Unternehmer wird sich bedanken, nur für seine Arbeiter seine Haut zu Markt zu tragen. Wohl betätigt er, wenigstens in Deutschland, allgemein den Grundsatz: „Leben und leben lassen“ ; aber nicht den: „Sterben und leben lassen“. Mit dem Sterben des Unternehmertums hört nämlich das Lebenlassen der Arbeiterschaft ganz von selbst auf. Tatsächlich erleidet der Unternehmer allerdings oft jahrelang Verluste, bis er sein Geschäft aufgibt; denn mit ihm verliert er in der Regel sein Vermögen, sein wirtschaftliches Dasein. Die Arbeiter leben so lange auf seine Kosten, und wenn sie entlassen werden, bleiben sie, was sie sind, und finden anderwärts Arbeit, dies jedoch nur, wenn andere Arbeitgeber, Unternehmer vorhanden sind, die ihnen Arbeit bieten. Sonst sind sie brotlos und verarmen. Das Bestehen von Unternehmungen, die guten Ertrag liefern, ist also maßgebend und von ausschlaggebender Wichtigkeit für „die Lage und den Fortschritt von Millionen Arbeitnehmern in den Gewerben“.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage wirkt in bezug auf den Arbeitslohn ganz selbsttätig 1). Es hat bekanntlich auch die beklagenswerte Erscheinung gezeitigt, dass der Landwirtschaft die Arbeitskräfte erheblich verteuert und großenteils entzogen wurden. Auch die Dienstbotenfrage ist durch diesen Umstand geschaffen oder verschärft worden. Dem Unternehmertum kann man vom volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Standpunkt aus aber sicherlich deshalb keinen Vorwurf machen, namentlich nicht den einer Ausbeutung fremder Arbeitskraft. Es sind deshalb auch im Grunde die ernsten Bemühungen der Sozialreformer unter den Gelehrten und Politikern ganz überflüssig. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage besorgt alles selbsttätig, wenigstens solange sich das Wirtschaftsleben in aufsteigender Linie bewegt. Das ist in Deutschland, seitdem es 1871 ein Bundesstaat geworden ist, mit wenigen Unterbrechungen der Fall gewesen, und war es im ganzen auch schon in den 60er Jahren. Die Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiter sind fortgesetzt günstiger geworden, und zwar ist dies um so bemerkenswerter, als sich hierauf unsere sozialpolitische Gesetzgebung, von der Arbeitszeit für Frauen und Kinder und von der Sonntagsarbeit abgesehen — womit im ganzen jeder verständige Unternehmer grundsätzlich einverstanden sein wird — noch gar nicht erstreckt hat. Der Arbeitslohn ist völlig Sache der freien Vereinbarung, und die Arbeitszeit für männliche Erwachsene ist es auch, ausgenommen gewisse gesundheitsgefährliche Betriebe wie Bleiweißfabriken u. dgl. Und dies sind doch die beiden Hauptsachen: Lohn und Arbeitszeit für die

1) Ehrenberg sagte in seinem oben erwähnten Essener Vortrag über die Fehler des Kathedersozialismus u. a.: Früher ging man aus von der Anschauung, dass das Selbstinteresse schon ganz automatisch das Gesamtwohl befördert; jetzt umgekehrt von einem abstrakt gefassten Gesamtwohl, das gar nicht näher und tiefer begründet ist. Man untersucht aber jetzt ebenso wenig wie früher, wie denn die beiden Organisationsprinzipien tatsächlich gewirkt haben, das heißt, man stellt zwar historische und statistische Untersuchungen an, diese reichen aber nicht aus, weil viele Tatsachen zu deutungsfähig, die Lücken zu groß sind. Diese Lücken werden ausgefüllt durch die politisch-ethische Tendenz, sowie früher durch die individualistische Tendenz.

Arbeiter. Was sie in dieser Beziehung erreicht haben, und das ist wahrlich nicht wenig, haben sie im Grunde nur gewinnen können, weil die industrielle Unternehmerschaft ihnen günstigere Bedingungen bot, als sie ohne das Vorhandensein und ohne die Tätigkeit der ersteren jemals würden erreicht haben.

Schutzbedürftig erscheinen also die Industriearbeiter gegenüber den Arbeitgebern im allgemeinen durchaus nicht, eher umgekehrt die letzteren gegen die ersteren. Denn die höchst undemokratische Selbstherrschaft der sozialdemokratischen (freien) und auch der meisten christlichen Gewerkschaften bereitet dem Unternehmertum viel Ungemach. Streiks und Verrufserklärung sind so gewöhnliche Mittel der Arbeitervereinigungen zur Erzielung besserer Arbeitsbedingungen oder zur Einschränkung des natürlichen Selbstbestimmungsrechts des Unternehmers in seinem Betriebe, dass man tatsächlich von einem dauernden Kampfzustand zwischen Arbeiter und Unternehmer in der Industrie sprechen kann oder gar muss. Bezeichnenderweise sind es gerade die bestgelohnten Arbeitergattungen, die fortwährend solche Kriege führen: Metall- und Holzarbeiter, die auch die größten und kampfmütigsten freien Gewerkschaften bilden. Not und Mangel oder Unterdrückung und unbillige Behandlung seitens der Arbeitgeber sind es wahrlich nicht, durch die diese Facharbeiterverbände zu ihrem fortwährenden Kriegszuge gegen die Unternehmer veranlasst werden, sondern lediglich ihr Machtgefühl und ihre Machtgelüste. Sie können schließlich zur Ertötung der Unternehmungslust, zur Erdrosselung der Unternehmungen führen. Denn auf die Länge der Zeit wird sich kein Unternehmer mehr finden, der sein Können und Sein, sein Hab und Gut dem Belieben der organisierten Arbeiterschaft ausgeliefert sehen mag. Hier liegt eine der großen Gefahren, die unsere sozialpolitische Entwickelung, wenn nicht heraufbeschworen, so doch vermehrt und befördert hat durch ihre einseitige Parteinahme für den Arbeiter und gegen den Unternehmer 1).

1) Auf die Gefahren unserer Sozialpolitik machte auch Professor Ehrenberg in seinem mehrerwähnten Essener Vortrag aufmerksam; indem er ausführte: Fürst Bismarck als Schöpfer der deutschen Arbeiterversicherung bezeichnete diese gleichwohl als einen Sprung ins Dunkle; er begann nach einiger Zeit gegenüber neuen sozialpolitischen Forderungen zu bremsen und warnte davor, die Henne zu schlachten, die die goldenen Eier lege. Er zeigte durch alles dieses, wie sehr er den Mangel einer zu reichenden Begründung und Begrenzung der Sozialpolitik empfand; die Sozialreformer dagegen, welche nicht unter dem Drucke hoher Verantwortlichkeit standen wie Bismarck, machten nicht Halt, sondern drängten jetzt erst recht heftiger und immer heftiger auf Fortsetzung des Werkes. Unübersehbar ist die Zahl der sozialpolitischen Anregungen, die seit jener Zeit bei uns zur Welt kamen; fast jeder Tag hat deren neue hervorgebracht. Auch in dem, was erst beabsichtigt wird, befinden sich noch viele gesunde, durchführbare Gedanken, aber auch viele, die den Stempel der Übertreibung an der Stirn tragen. Vor allem: alles das ist erst in kurzer Zeit geschehen, mit welchem Aufwand an Kraft und Kapital! Soll es nun immer im gleichen oder womöglich noch in schnellerem Tempo weitergehen, wie unsere Sozialreformer ungestüm fordern? Sehr viele derselben nehmen wenig Rücksicht auf die Durchführbarkeit ihrer Vorschläge, noch weniger darauf, ob ihre Durchführung nicht schlimmere Übel zur Folge haben muss, als diejenigen sind, die jetzt bekämpft werden. Das bloße Wollen und Streben nach Änderung des jetzigen Zustandes wird schon als hoher Idealismus gefeiert. Was schlimmer ist: immer mehr Volksgruppen beteiligen sich an dem Kampf um den Futternapf in demagogischen Formen, wie sie bedenklicher nicht gedacht werden können, und die politischen Parteien überbieten sich in Wettrennen um die Gunst der Massen. Jedes Mittel gilt als erlaubt im „sozialen“ Interesse. Aller Mut der eigenen Überzeugung, alles selbständige Denken droht in diesem Treiben unterzugehen.

Neben den berechtigten Einrichtungen der Arbeiterversicherung, des Schutzes von Gesundheit und Leben der Arbeiter hat somit unsere Sozialpolitik auch Erscheinungen geschaffen, die höchst bedenklich oder beklagenswert sind; so die bei Gelehrten und Laien vorherrschende Ansicht von der Minderwertigkeit des Unternehmers als Ausbeuter der Arbeiter und als Profitmacher. Hoffentlich wird die öffentliche Meinung nicht allzu lange mehr in diesem für Deutschland beschämenden Vorurteil beharren und dem Unternehmertum zukünftig mehr gerecht werden. Die neueren Arbeiten namhafter Gelehrter auf nationalökonomischem und sozialpolitischem Gebiete, wie Ehrenberg, Adolf Weber, Tille usw., die auf der exakten Wirtschaftsforschung beruhen und die Tätigkeit hervorragender Unternehmer in das richtige Licht stellen, werden zweifellos dazu beitragen und die Ansicht der alten Schule, dass der Arbeiter gegenüber dem Unternehmer des Schutzes bedürfe, dadurch widerlegen, dass sie die Tatsache beweisen und zur allgemeinen Anerkennung bringen: Der wahrhaft große Unternehmer ist der Wohltäter und nicht der Ausbeuter der Arbeiter.