Der Große Kurfürst

Die nachfolgenden Abschnitte sind dem Buch von Otto Hintze „Die Hohenzollern und ihr Werk“ entnommen, das 1915 im Verlag von Paul Parey in Berlin erschienen ist und noch heute als die grundlegende Arbeit über die preußisch-brandenburgische Geschichte gelten darf. Der erste Abschnitt behandelt die Jugend des Kurprinzen, der zweite gibt eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit.

Friedrich Wilhelm ist nicht eigentlich am Hofe aufgewachsen. Die kriegerischen Ereignisse hatten dazu gezwungen, ihn schon von seinem siebenten Jahr an nach Küstrin zu schicken, wo seine Erziehung von einem reformierten, bergischen Edelmann, dem trefflichen Johann Friedrich von Calcum, genannt von Leuchtmar, geleitet worden war. Eben dieser Erzieher begleitete dann den Vierzehnjährigen 1634 nach den Niederlanden, wo er in Leyden die üblichen gelehrten Studien trieb, neben denen die Leibesübungen und die Kenntnis des Kriegswesens natürlich nicht vernachlässigt wurden. Der Prinz trieb Latein, Mathematik und Geschichte, namentlich Kriegsgeschichte, mit Eifer und Erfolg; außer der Muttersprache lernte er den Gebrauch der französischen, niederländischen und polnischen Sprache, die er später alle drei beherrschte. Vier Jahre hatte dieser Aufenthalt in den Niederlanden gedauert. Es ist sicherlich eine Zeit großartiger Eindrücke für den jungen Prinzen gewesen, wenn er sich auch nicht gerade in dem Brennpunkt des holländischen Lebens bewegt hat. Von Handel und Schifffahrt wird er nicht allzuviel gesehen haben; es war wohl mehr nur der allgemeine Eindruck von Seemacht und Handelsblüte, den er in sich aufnahm; aber der hat genügt, um ihm für seine Lebenszeit den Trieb nach einer ähnlichen Entwicklung seines zukünftigen Staates in die Seele zu pflanzen. Dazu kam die Berührung durch den politischen Geist, der im Hause der Oranier lebte, diesen heroisch-religiösen Geist des westeuropäischen Calvinismus, der erst durch den Enkel Johann Sigismunds in der Politik des reformierten brandenburgischen Hauses recht lebendig und wirksam geworden ist. Namentlich dem Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien ist der brandenburgische Kurprinz nahegetreten. Im Feldlager von Breda hat er den Meister des Festungskrieges inmitten seiner militärischen Wirksamkeit kennengelernt und seine Achtung und Zuneigung gewonnen; es ist der Mann, dessen Schwiegersohn er zehn Jahre später geworden ist. Der Kurprinz erfüllte sich mit dem Geist dieser oranischen Politik, die ganz im Kampf gegen die katholische, spanisch-österreichische Weltmacht lebte; er geriet dadurch in einen entschiedenen Gegensatz zu der Politik des Prager Friedens, die Brandenburg von der protestantischen Aktionspartei abzog. Der offene Eintritt Brandenburgs in den Kampf gegen Schweden seit 1637 verschärfte dann den Gegensatz zu den Niederlanden dermaßen, dass der Kurprinz dort nicht länger bleiben konnte. Sehr wider seinen Willen wurde er 1637 zurückgerufen. Bei diesem Anlass hat der politische Gegensatz zwischen Vater und Sohn fast zu einem Konflikt geführt. Der Kurprinz wollte gern eine selbständige Stellung haben, am liebsten als Statthalter der clevischen Lande. Die Stände in Cleve-Mark waren sehr eifrig dafür: sie würden auf diese Weise gern eine Sonderstellung mit Neutralität zwischen dem Kaiser und Schweden behauptet haben; der niederländische Einfluss würde dort — im Gegensatz zu der Politik Georg Wilhelms und Schwartzenbergs — herrschend geblieben sein. Der Kurfürst versagte begreiflicherweise die Gewährung des Wunsches; er verlangte, dass der Sohn zu ihm an den Hof kommen sollte. Der Kurprinz zögerte mit der Abreise. Er fürchtete namentlich, zu einer unerwünschten Heirat gedrängt zu werden. Erst nachdem man ihm in diesem Punkt formelle Versicherungen gegeben hatte, ist er zurückgekehrt, 1638. In Berlin, wo damals der Kurfürst weilte, kam es zu einer Aussöhnung; Schwartzenberg gab zu Ehren des Heimgekehrten ein großes Fest. Aber von welchem Misstrauen der Kurprinz gegen ihn erfüllt war, zeigt der böse Verdacht, der in ihm aufstieg, als er am Tage darauf an den Masern erkrankte; er war der festen Überzeugung, dass der Minister ihm einen vergifteten Kuchen habe reichen lassen. Gleich nach der Genesung ging er dann mit dem Kurfürsten nach Königsberg. Seine Stellung am Hofe war dort eine sehr unerquickliche. Er sah sich misstrauisch beobachtet und von den Geschäften geflissentlich ferngehalten. Eine tiefe Niedergeschlagenheit ergriff ihn. Er war sonst eine gesunde und kräftige Natur, von hoher Gestalt, gewandt, in Waffenübung gestählt und kriegerischen Strapazen wohl gewachsen; aber der seelische Druck dieser Jahre schädigte seine körperliche Gesundheit. Er war misstrauisch gegen alle Welt, verschlossen und menschenscheu, scheinbar ohne Selbstvertrauen und Gefühl der eigenen Kraft. Aber wie der Funke unter der Asche lebte in ihm doch die früh entzündete Idee, dass er zu ganz besonderen Dingen berufen, dass er ein auserwähltes Rüstzeug Gottes sei. Dieser Glaube an seine Bestimmung in der Welt hat ihn sein ganzes Leben hindurch nicht verlassen. Eine ganz entschieden calvinistisch gefärbte Religiosität durchsetzt all sein Denken und Tun; sie ist auch die Seele seiner späteren auf militärisch-politische Machtentfaltung gerichteten Politik gewesen. Er hatte ein tiefes Gefühl der Pflichten, die ihm die von Gott verliehene Fürstenstellung auferlegte; und als ein rechter Calvinist war er immer geneigt, in dem Erfolg seiner irdischen Arbeit eine Bewährung der göttlichen Gnadenwahl zu sehen. Darum bedrückte ihn der unbefriedigende Zustand seines gebundenen, unfreien und untätigen Lebens am väterlichen Hofe doppelt. Erst mit der eigenen Verantwortlichkeit und der wachsenden Tätigkeit des Regenten, in dem Drang der Staatsgeschäfte und den Gefahren des Krieges ist er sich seiner Kraft bewusst geworden; die dumpfe Melancholie seiner Jünglingszeit verschwand bald und wandelte sich in die helle Tatkraft seiner männlichen Jahre.


Friedrich Wilhelm ist der erste Fürst des brandenburgischen Hauses, dem man eine welthistorische Stellung anweisen darf. Freilich war die Gebietsgrundlage seines Staates noch zu schmal und zu wenig zusammenhängend, das Gewicht seiner Machtmittel noch nicht schwer genug, als dass man ihn unter den Leitern der europäischen Politik nennen könnte. An Politiker wie Richelieu und Mazarin, Gustav Adolf und Karl X. Gustav, Cromwell und Wilhelm III. von Oranien reicht das Maß seiner welthistorischen Wirksamkeit kaum heran. Aber das lag in den geringen Machtmitteln seines Staates, nicht in seiner Persönlichkeit begründet. Seine Persönlichkeit war aus dem Stoffe geformt, aus dem die Weltgeschichte ihre großen Männer bildet. Ehrgeiz und Kraft, ein nie ruhender Tätigkeitsdrang, ein unermüdlicher Unternehmungsgeist, eine allen Veränderungen der politischen Lage sich schnell anpassende Elastizität — das sind die bezeichnenden Züge seines politischen Charakters, mit denen er die vor ihm in Brandenburg herrschende Mittelmäßigkeit weit überragt. In vielfach verschlungenen Bahnen, manchmal geradezu im Zickzackkurs, geht seine Politik.. Er hat niemals ein festes, starres politisches System von Allianzen und Maximen gehabt; aber das Interesse seines Staates, das noch durchaus im patrimonialen, dynastischen Gewande erscheint, als das Interesse des Hauses Brandenburg — das ist das festbleibende, unverrückbare Ziel seines Strebens gewesen. Um es zu fördern, hat er unbedenklich seine Bündnisse und die nächsten Ziele seiner Politik gewechselt, wenn die Lage es forderte. Er war noch nicht imstande, den Kurs der Politik im großen anzugeben; er mußte sich den wechselnden Konjunkturen anpassen, wie sie sich im Rivalitätskampf der großen Mächte ergaben; er mußte lavieren, um nicht zwischen den europäischen Kolossen, in deren Mitte er sein Staatsschiff zu steuern hatte, zerdrückt zu werden oder die Selbständigkeit und Unabhängigkeit einzubüßen, die doch die höchste Errungenschaft seiner Staatskunst war und blieb. Fast mit jeder der maßgebenden Mächte hat er in enger Verbindung und dann wieder in entschiedener Feindschaft gestanden. Es blieb der Grundsatz seiner Politik, die Waage zu halten zwischen den beiden großen Mächtegruppen, die am Ende seiner Regierung sich darstellten in dem Gegensatz von Frankreich mit seinen Anhängern auf der einen, dem Kaiser und den Seemächten auf der anderen Seite. Er hat keine festen und dauernden Bündnisse gehabt, weil er keinem seiner Verbündeten in irgendeinem Moment das Interesse seines Staates zum Opfer zu bringen bereit gewesen ist.

Man kann ihn als den Begründer des größeren brandenburgisch-preußischen Gesamtstaats bezeichnen; nicht, als hätte er die ererbte oder erworbene Ländermasse schon zum einheitlich verwalteten, zentralisierten Großstaat umgeschaffen; aber er hat seinem Staatswesen den Geist eingehaucht, der die Schöpfung des modernen Großstaats vollbringen sollte: den Trieb zur Macht, die auf militärischer und finanzieller Grundlage ruht. Die Anfänge des stehenden Heeres, das als ein Werkzeug rein monarchischer Politik geschaffen wurde, bezeichnen am stärksten die große Umwandlung der staatlichen Zustände unter seiner Regierung. Die finanzielle Selbständigkeit der neuen Militärmacht ist von ihrem Begründer noch nicht erreicht worden; aber in diesem Stück haben die Nachfolger das Werk vollendet.

Der ehrgeizige Trieb, eine Großmacht zu werden, ist das Erbteil der Regierung Friedrich Wilhelms, die nachhaltige Wirkung seines großen politischen Beispiels. Seine welthistorische Bedeutung ist sozusagen eine mittelbare: als der geistige Urheber der Größe des preußischen Staates hat er seine Stellung in der allgemeinen europäischen Geschichte. Diese Größe hat er selbst nicht mehr gesehen, aber er glaubte an sie mit einer Art von religiöser Zuversicht. Er glaubte sich ganz persönlich, mit seinem Haus und Staat, in Gottes Schutz gestellt; er fühlte sich in den höchsten Momenten seines Lebens als ein Instrument des göttlichen Willens und der göttlichen Pläne. Darum ist der Schutz der protestantischen Interessen in der Welt, die Sicherung der evangelischen Bekenntnisfreiheit ein so wesentliches Moment in seiner Politik. Darin gerade sah er die göttliche Mission seines Hauses und seines Staates. Man wird nicht sagen dürfen, dass dieses ideale Ziel ihn jemals auf Wege geführt habe, auf denen nicht auch die realen Interessen seines Hauses, die politischen Machtbestrebungen, zu fördern gewesen wären. Er war und blieb, bei allem hohen Schwung seines Wesens, doch immer ein nüchterner, harter, klarblickender Realpolitiker. Aber die Überzeugung, das tiefinnerliche, wenn man will, naiv-egoistische Gefühl davon, dass er mit seinem Staat und seinen Machtbestrebungen im Grunde doch auch das Reich Gottes fördere, dieser Glaube, der ihm sein irdisches, politisches Tun in eine ideale Höhe erhob, es mit dem Höchsten und Ewigen in eine unauflösliche Verbindung brachte, bezeichnet recht eigentlich die tiefste Quelle der Kraft und Erhebung, die seinem Lebenswerk den großen Stil und den hohen Schwung verliehen haben. Er hat damit ein Vorbild aufgestellt, das in seinem Hause immer wieder als eine lebendige Kraft gewirkt hat.
000. Titelbild: Andreas Schlüter, Kopf des Großen Kurfürsten, Vorderansicht

000. Titelbild: Andreas Schlüter, Kopf des Großen Kurfürsten, Vorderansicht

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