Was wir wollen

(Fortsetzung)

Bis dahin ist es vorzugsweise die Verwertung und Verarbeitung der Rohprodukte gewesen, womit wir uns beschäftigten. Wir betreten nunmehr das Gebiet des Geldmarktes. Aus den Reihen der Finanziers und Staatsmänner, welche aus dem Kaufmannsstande hervorgingen, wählten wir eine der Celebritäten während der glänzendsten Periode des ersten Kaiserreichs, J. G. Ouvrard, sodann den hochstrebenden Karl Ludwig von Bruck, den genialen Gründer des „österreichischen Lloyd“, in seinem Wirken als österreichischer Handels- und Finanzminister lange Jahre ebenso eifrig bewundert, als später herabgesetzt und geschmäht infolge seines erschütternden Lebensabschlusses. Dem Norden Deutschlands, aus welchem dieser denkwürdige Mann stammt, gehört ein anderer berühmter Handelsherr an, den wir nach und nach Publizist, dann Volks- und Vertrauensmann werden und endlich vom Parlamentsmitglied zum Staatenlenker emporsteigen sehen. So bietet sich in dem Wirken von David J. L. Hansemann, dem durch eine Reihe von nennenswerten Schöpfungen im Andenken der nachkommenden Geschlechter fortlebenden Finanzier, im Hinblick auf Unermüdlichkeit und Schaffenslust bis zu einem gewissen Grade weiterhin ein Seitenstück zu Brucks außerordentlicher Tätigkeit.


Wenn bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts der Kaufmann, gewissermaßen unbewusst, Kultur und Bildung unter den Völkern verbreitete, wenn sich Dasjenige, was man heute unter kaufmännischen Wissenschaften versteht, im Eigentum nur weniger, durch Erziehung und weiter reichende Erfahrungen besonders begünstigter Handelsgrößen befand, so sind nach der Richtung allgemeinerer Bildung seit Anfang dieses Jahrhunderts überaus belangreiche Fortschritte gemacht worden. Dies verdankt der Handel den preiswürdigen Bestrebungen eines J. G. Büsch, Gründers der ersten Handels-Akademie in Hamburg, eines E. W. Arnoldi, dessen Lebensgang schon in der vorigen Sammlung unsere ganze Teilnahme rege machte, weiterhin eines August Schiebe, des verdienten Direktors der Leipziger Handelsschule. Alle diese bahnbrechenden Männer fanden bei Verfolg ihres oft sauren Tagewerks einen natürlichen Stützpunkt in den Leistungen des deutschen Buchhandels, unter deren glänzendsten Repräsentanten mit obenan stehen: J. F. Cotta und sein Sohn Georg Cotta, als ausgezeichnetste Buchhändler Deutschlands im XVIII. und XIX. Jahrhundert, sowie jener deutsche Ehrenmann Friedrich Chr. Perthes, ein Wissensherold ersten Ranges, ein deutscher Verleger von tiefeingreifendem Einfluss auf das geistige Leben unseres Volkes. Seitdem haben unübersehbare Wandlungen in allen Branchen des Handels und des Verkehrs sowie der Industrietätigkeit immer weiter Platz gegriffen, die Notwendigkeit vom gedeihlichen Genusse berechtigter Freiheit nach allen Seiten des gewerblichen und kommerziellen Lebens ist als eine Notwendigkeit anerkannt, zu einer nirgends mehr bestrittenen Tatsache erhoben worden. Als vornehmster Apostel auf den hier sich vereinigenden Gebieten geistiger und materieller Interessen erscheint der deutsche Volkswirtschaftslehrer und Mitbegründer des Eisenbahnwesens unseres Vaterlandes, Friedrich List, der Mittelpunkt eines Bildes reich an Licht und Schatten.

Dieser verdienstvolle Deutsche, der leider das Werk seines Lebens nicht mehr reifen sehen sollte, steht jedoch nicht allein in seinem Kampfe gegen die Versunkenheit und Kurzsichtigkeit seiner deutschen Zeitgenossen. Unter den gleich begeisterten, ebenfalls in vorderster Linie kämpfenden Männern Englands tritt epochemachend hervor und zugleich glücklicher als unser Landsmann: Richard Cobden, der Freihandels-Apostel par excellence, welchem die Handelsentwicklung des Meer und Handel beherrschenden Albion unendlich Großes zu danken hat, denn bis zu seinem Ende blieben Sinnen und Tun dieses unermüdlichen Vorkämpfers für Verbreitung gesunder nationalökonomischer Ideen und Einrichtungen der Volkswohlfahrt und Volksbildung zugewendet. Die bedeutungsvollsten Reformen nach der Richtung des Weltverkehrs sehen wir sich vollziehen, nachdem es Rowland Hill vergönnt war, jene von ihm herrührenden großartigen Verbesserungen ins Leben zu rufen, nämlich die Umgestaltung der Briefbeförderung auf der Basis billiger und einheitlicher Sätze. Hieraus sind das in seiner Fortbildung zu so hoher Bedeutung gelangte englische ,,Penny-Postsystem“ sowie alle Nachbildungen desselben hervorgegangen.

Unter den Ergebnissen und Erkenntnissen, die während der Kämpfe von mehreren Jahrzehnten errungen worden, gelten vornehmlich zwei große Erfahrungssätze als feststehend, und dessen werden sich alle Teile des Volkes immer bewusster. Die Zauberformeln der Erkenntnis heißen: ,,Wissen ist Macht“ und „Selber ist der Mann.“ In weiter ausgesprochenem Gedankengange will dies soviel heißen, dass ohne tüchtiges Wissen und Können heutigen Tags nicht mehr an ein Vorwärtskommen zu denken und dass in allen guten Dingen Selbsthelfen Gottes Hilfe ist. In wohlangewandter Selbsthilfe offenbart sich heute die Kraft und Tüchtigkeit des Einzelmenschen: in wohlbegründetem Zusammenwirken der vereinten Kräfte zeigt sich die schöpferische Gewalt des Genossenschaftsgeistes, und noch stehen diesem seine glänzendsten Triumphe bevor in noch Größeres verheißenden Errungenschaften, wenn die Erkenntnis; von der Notwendigkeit des Eintretens des Einen für Alle und Aller für Einen, wie zu erwarten, immer weiter um sich greift. Nur nach dieser Richtung ist die Lösung des Problems der sogenannten Arbeiterfrage zu suchen, in dieser Richtung leuchtet einem lebenden und kommenden Geschlechte die Sonne einer bessern Zukunft. Zu welch außerordentlichen Resultaten eine richtig verstandene Verschmelzung der Interessen zu führen vermag, dies ergibt sich aus der von uns gegebenen Schilderung der bis dahin freilich anderswo noch nicht in gleich wirksamer Weise betätigten Einrichtungen der vielbesprochenen Pioneers von Rochdale.

Durch Nachahmung des gegebenen Beispiels, sowie durch Benutzung der in Tätigkeit begriffenen Beförderungsanstalten der Bildung wird die Wohlfahrt und die sittliche Erhebung unserer mit der Hand arbeitenden Mitbürger zuverlässig gefördert und der zahlreichsten Klasse des Volkes ein menschenwürdigeres Dasein bereitet. Gewiss, wenn nach irgend einer Richtung von „Gemeinschaftlichkeit der Interessen“ die Rede sein kann, so trifft dies hier ein, und wenn das Wohlwollen und die richtige Einsicht Seitens der Arbeitgeber mit der Pflege eines gesunden Sinnes der Arbeitsbevölkerungen sich verbindet, so wird an dm Früchten gar bald die Beschaffenheit und der Körnerreichtum der ausgestreuten Saat sich kundgeben. Dies bewahrheitet sich so recht bei Darlegung der Geschichte des Hauses Dollfus-Miegund der Leistungen der Société industrielle, vornehmlich in Bezug auf die Zustände der Mülhausener Arbeiterstadt, sowie der schwäbischen Arbeiterhauptstätte, gegründet durch die Fürsorge von A. Staub in Kuchen. Dieser wertvolle Beitrag aus der Feder des Herrn Professor Dr. A. Emminghaus traf erst ein nach Ausgabe der ersten Hälfte dieser Sammlung, welcher der Titel beigegeben ist, und es konnte der Name dieses geschätzten Mitarbeiters daher bei einer Anzahl Exemplare unter der Reihe der übrigen Förderer unseres Werkes auf dem Titelblatte desselben zu unserm Bedauern nicht erscheinen. Gleiches gilt rücksichtlich der Arbeit des Herrn Professor H. Th. Kühne, der uns in Stellvertretung eines unzuverlässigen Mitarbeiters noch in letzter Stunde die Lebensbilder von Dreyse und Krupp geliefert hat.

Der knappe, ohnehin überschrittene Raum dieses Buches hat es uns nicht vergönnt, die in Aussicht genommenen Verbesserungen auf dem Gebiete des Verkehrswesens, vornehmlich durch Sir Rowland Hill, den Urheber des Penny-Postsystems, ausführlicher zur Darstellung zu bringen. Dagegen haben wir unser Wert durch ein Illustrationen-Register zu beiden Sammlungen des „Buch berühmter Kaufleute“ bereichert und gesucht, hierdurch den Wegfall des zuletzt genannten Abschnitts in Etwas vergessen zu machen.

Aus dieser Beigabe wird der außerordentliche Reichtum unseres Werkes, das Ergebnis fast zehnjährigen Fleißes, ersichtlich, und hoffen wir, dass sie sich den Besitzern und sonstigen Interessenten so nützlich erweisen wird, als sie uns Mühe verursacht hat. Bringen wir mit dem reichen Inhalt des vorliegenden Bandes Dasjenige in Verbindung, was bereits in der ersten Sammlung ausgeführt worden ist, so wird man uns das Zugeständnis nicht verweigern, dass wir trotz mancherlei unvermeidlicher Lücken immerhin noch ein leidlich zutreffendes Bild der Entwicklung von Handel und Industrie im Mittelalter bis zur Gegenwart oder doch wenigstens durch Licht und Schatten verleihende Pinselstriche den Entwurf zu einem späterhin schon leichter auszuführenden universelleren Gemälde geliefert haben. Soweit als tunlich, knüpften wir auch in dieser Sammlung an die hervorragende Wirksamkeit einzelner, bekannter gewordener Industriellen, Kaufleute und Förderer des Handels und Verkehrs an, oder wir bemühten uns, dort, wo das biographische Material zu spärlich vorhanden war, mehr den Charakter einzelner Kulturperioden hervorzuheben.

Es ist bei einem so weit angelegten und umfangreichen Werke, dessen Drucklegung mehrere Jahre erfordert, unvermeidlich und daher leicht erklärlich, wenn hier und da der engere Zusammenhang mit dem Vorhergehenden oder sonsthin Mancherlei vermisst werden sollte, was wir, wie bereits oben erwähnt, dereinst in einer letzten (dritten) Sammlung auszufüllen gedenken.

Die Schwierigkeiten zu ermessen, mit welchen ein Unternehmen gleich dem vorliegenden zu kämpfen hatte, ist in erster Linie Sache Derjenigen, welche durch Beruf und Stellung an die Spitze von literarischen Schöpfungen ähnlich dem in Rede stehenden Werke sich gestellt sehen. Möge man uns ermutigen, an der Verbesserung und Weiterentwicklung unseres Unternehmens fortzuarbeiten, indem man uns auf Mängel hinweist oder mit dem Gange des Buches zu vereinbarende Wünsche kundgibt, vornehmlich aber uns auf unbenutztes Material aufmerksam macht und zu dessen Erlangung die Hand bietet. Letzteres soll bestens ausgenutzt werden, sei es bei einer neuen Auflage der vorliegenden Sammlung , sei es in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit bei einer Fortsetzung dieses Buches nach der technischen und gewerblichen Seite hin, durch die beabsichtigte „Galerie hervorragender Erfinder und Meister auf dem Gebiete der Industrie und Gewerbtätigkeit.“

Leipzig, im Juli 1869.
Redaktion und Verlagsbuchhandlung.