Verabschiedung und Rückreise

Darüber freuten sich Alle so sehr, dass ihnen die Augen übergingen. Der alte Janitschar, der Kraft als Wache begleitet hatte, warf seinen Stab durchs Fenster und sprach zu Kraft, jetzt könne er gehen, wohin er wolle. Doch ging Kraft mit seinen Freunden noch einmal aufs Schloss, wo über die Befreiung noch Vieles verhandelt wurde. Am 26. Morgens folgte beim Kadi noch eine feierliche Gerichtsszene, wobei die Gläubiger sich noch einmal zufrieden erklärten, der Konsul und die französischen Kaufleute sich verpflichteten, drei Tage nach der Abreise des Befreiten das Geld auszuzahlen, worauf dann der mit dem Siegel und Namen des Kadi, des Schreibers und sieben Zeugen beglaubigte Freibrief in aller Form ausgestellt und bis zur Bezahlung dem Signor de Matie anvertraut wurde. Nachdem Kraft dann auf dem Schlosse Abschied genommen und reichliche Trinkgelder an Alle ausgeteilt hatte — der Hauptmann allein erhielt 40 Dukaten —, ging er zu den französischen Kaufleuten zum Nachtessen, das festlich für ihn bereitet war.

Leider aber wollte der geschwächte Magen des armen Ulmers von den guten Speisen nichts annehmen. Unser Freund verschmähte alle Kapaunen, Hennen und Rebhühner, die ihm reichlich vorgelegt wurden. Da gelobte Kraft, um die Gesellschaft zu überzeugen, dass solches nicht aus Eigensinn geschehe, nicht eher dergleichen Geflügel berühren zu wollen, bis es ihm eine liebe Hochzeiterin (Verlobte, Braut) erlaube. Bis zu seiner Abfahrt ging er nicht aus dem französischen Kaufhause, denn überall wurde er um Geschenke und Trinkgelder überlaufen, so dass in 3 Tagen 210 Dukaten bis auf 2 ausgegeben hatte. Am 28. August Abends 8 Uhr ging er an Bord der französischen Barke „La Diana“ und um 1 Uhr Nachts stach das Schiff in See. Von Sturm und Unwetter umhergeworfen, von Windstillen festgehalten, von Gewittern vielfach bedroht, kam die „Diana“ erst am 22. September nach Candia und am 2. Oktober nach Sizilien. Auf der Höhe von Pantalaria begegneten ihnen drei Schiffe, die sie für Seeräuber hielten. Das kleinste derselben, ein Rennstreitschifflein mit 13 Ruderbänken, kam unter der maltesischen Flagge auf sie zu und gab sich und die übrigen für friedliche Messinesen aus.


Die Mannschaft der „Diana“ traute aber diesem Frieden nicht und suchte in der Nacht glücklich das Weite. Am ss. wurde die „Diana“ wieder von einer neapolitanischen Galeere angehalten, deren stolzer Hauptmann das Schiff nach türkischen Waren durchsuchte. Schon vorher war Kraft von der Schiffsmannschaft aus Furcht, er möchte für einen Türken angesehen werden, gezwungen worden, seine arabischen Schriften, bis auf die, welche er am Leibe trug, über Bord zu werfen. Auch der neapolitanische Hauptmann, ein Edelmann, dessen ganzer Reichtum in seiner Galeere bestand, hielt Kraft zuerst für einen Türken oder Juden wegen seiner seltsamen Kleidung, fand dann Gefallen an ihm und erwies ihm viele Ehre auf dem Schiffe, doch legte Kraft nur ungern zu den Geschenken, welche der Hauptmann von der „Diana“ erhielt und mit einigen frischen Lebensmitteln wieder vergalt, einen schönen seidenen Geldbeutel, den er in Tripolis von seinen Freunden zum Andenken erhalten halte. Unter stets wechselnden Winden und Windstillen gelangte die „Diana“ am 19. Oktober in die Nähe der Küste von Marseille, wo sie unweit Kap de Rion Anker warf.

Die Reisenden und auch Kraft beschlossen, die drei Meilen nach Marseille zu Fuße zurückzulegen. Kraft lieh sich von dem einen Schiffsgefährten aschfarbene Hosen und Wams, von einem Andern Mantel, Hut, Rappier und Schuhe, zog rote Strümpfe dazu an und meinte, er wolle sich nun für einen Malteser ausgeben, worüber Alle herzlich lachten. Dazu lieh er sich noch acht Realen. Als er aber aus der Barke ans Land trat, drehte er sich mit einem Satze jubelnd herum, warf das Geld in die Barke und rief, das sollten die Schiffsleute vertrinken, weil sie die Ersten seien, die ihn nach vier trüben Jahren wieder in ein christliches Land gebracht hätten. Nun wanderte Kraft im Vollgenuss wieder erlangter Freiheit samt seinen vier Gefährten schweigend der Stadt zu, doch musste er einen Berg hinauf vor Ermüdung sich öfters niedersetzen, denn kaum konnte er athmen, so sehr war er des Gehens entwöhnt und seine Lunge verschleimt: als es aber bergab ging, wanderte er so rüstig und frisch wie die Anderen. Um drei Uhr Nachmittags langte die Gesellschaft in Marseille an. Kraft eilte sogleich zu Bronnenmayer, führte sich mit schmeichlerischer Anrede als Malteser bei ihm ein und erst als nach langem Gespräch Bronnenmayer seinen Namen wissen wollte, rief er: „Kennt Ihr denn Hans Ulrich Kraft nicht mehr?“ Da fiel ihm der Freund in die Arme und weinte vor Frende. Dann zeigte ihm Bronnenmayer einen angefangenen Brief, darin er nach Augsburg geschrieben hatte: „Ich besorge, er wird in Tripolis so bald nicht fortkommen: erst vor zwei Tagen ist ein Schiff von dort angelangt, das bringt mir schlechten Trost.“

Darunter schrieb Kraft: „Günstige Herren, in dieser Stunde, 4 Uhr Nachmittags, bin ich Gott Lob glücklich allhier angekommen.“ Freilich erfuhr er auch zugleich, dass sein teurer Vater in Ulm vor einem halben Jahre gestorben sei. Kraft wurde nun bei seinem Freunde aufs Beste verpflegt. Nun aber zeigte es sich erst, wie sehr seine Gesundheit gelitten hatte: sein Magen war so schwach, dass er sich nur langsam an bessere Speisen gewöhnen konnte, sein Blut dick und verdorben und sein Körper des guten Bettes so entwöhnt, dass er noch Wochen lang auf der Matratze am Boden schlafen musste und sich nur nach und auch an ein weicheres und wärmeres Lager gewöhnen konnte.

Als Kraft sich etwas gekräftigt fühlte, reiste er nach Genua, wohin mit Lutzs und Salvacanas Verlassenschaft die syrischen Handelsbücher der Mannlichs gekommen waren. In einer Herberge von St. Malta traf er Kaufleute von Augsburg und Ulm und blieb, da er hier auch billige und gute Verpflegung fand, bis Ostern 1578 daselbst. Lange forschte er vergeblich nach den wichtigen Papieren, bis er sie endlich, die Kisten und Schachteln geöffnet und die Schriften durcheinander geworfen, aus dem Lazarett, wo sie in Quarantäne gelegen hatten, erhielt. Den nächsten Sommer über blieb er noch bei Bronnenmayer, mit Ordnung der Handelsbücher und Herstellung seiner Gesundheit beschäftigt, zu welchem Zwecke er auch mit dem Freunde und dessen Frau manchen fröhlichen Ausflug mochte.

Im Oktober, als er schon den Plan gefasst hatte, nach Deutschland zurückzukehren, überfiel ihn ein kaltes Fieber, von dem er sich aber, als es schon anfing gefährlich zu werden, durch eine gewagte Meerfahrt befreite. Ein Genueser Freund, der Baumeister Bianchino, hatte ihn auf ein spanisches Schiff, mit dem er angekommen war, zu Gaste geladen. Bei dem Gastmahl verspätete er sich und musste nun in der Nacht bei Sturm und Regen auf einer kleinen offenen Fischerbarke, in welcher er auch noch die schon gesperrte Hafenkette mit großer Gefahr überfahren musste, nach Marseille zurückkehren. Bronnenmayer und seine Frau zankten weidlich, als der Fieberkranke ganz durchnässt ankam, denn sie hatten ihn schon überall vergeblich suchen lassen, doch das Fieber war weg und Kraft rief seinem scheltenden Arzt lachend zu, er zanke wohl nur, weil das Fieber jetzt seiner Arzeneien nicht mehr bedürfe.

Nachdem er seine Schriften in Ordnung gebracht hatte, nahm er unter gegenseitigen Geschenken — Kraft erhielt ein kleines, munteres Äffchen, das ihm viel Vergnügen machte, — Abschied von dem treuen Freund und dessen sorglicher Hausfrau und fuhr unter mancherlei Abenteuern auf einer Felucke nach Genua. Hier traf er in der Herberge zwei deutsche Studenten, einen aus Berlin, den andern aus Meißen, mit denen er am 9. Dezember auf Mailand zuritt. Kraft hatte sich für 15 Goldkronen ein dänisches Pferd gekauft, das zwar bald anfing zu hinken und schlechte Aussicht bot, sich dann aber als ein rasches, kräftiges Tier erwies. Die Studenten ritten Mietpferde. In der Herberge zu Mailand fanden sie Schweizer und deutsche Kaufleute, unter denen Kraft den Martin Schlumpf aus St. Gallen kennen lernte, der später sein Schwager wurde und nun mit ihm und seinem Bruder Daniel über Como, Chiavenna und weiter über den schneebedeckten Splügen nach Feldkirch ritt.

Unterwegs schlossen die drei Gefährten die vertrauteste Freundschaft, und Kraft befand sich in ihrer Gesellschaft um so besser, da die Schlumpf überall, wohin sie kamen, bekannt waren und die beste und billigste Herberge fanden. In Feldkirch auf dem Jahrmarkt trennten sie sich. Die Schlumpf ritten auf St. Gallen, Kraft auf Fussach zu, fuhr hier über den Bodensee und kam am 24. Dezember nach Kempten, wo er bei Raimund Dorn, welcher während seiner Gefangenschaft seine Schwester Elisabeth geheiratet hatte, und bei seinem Vetter Gordian Seuter glückliche und fröhliche Festtage verlebte, zum ersten Mal wieder unter den Seinigen. Am 2. Januar ritt er wieder aus und gelangte am 6. nach Augsburg. Sobald er sein Pferd in die Herberge zum Herzen eingestellt halle, eilte er zu Dr. Rauwolf, der ihn mit seiner unterdes heimgeführten Frau wie einen verlorenen Sohn mit lachendem Antlitz und weinenden Augen empfing. In Augsburg fand Kraft überall treffliche Aufnahme. Bevor er noch mit den Mannlich'schen Kuratoren, die den bedungenen sechsjährigen Dienstlohn auszuzahlen sich weigerten, seine Angelegenheiten ganz geordnet hatte, ritt er gen Ulm. Der erste Verwandte, der ihm vor Günzburg begegnete, war sein Vetter Hans Christof Kraft, der Vogt zu Leipheim, und seine leiblichen Brüder, Hans Eberhard und Friedrich, mit denen er, nachdem er zwei Tage in Leipheim geblieben war, glücklich in Ulm einritt.