Erste Hoffnungszeichen

In demselben Monat langten endlich 1.800 Dukaten von Bronnenmayer an, damit Kraft seine Freilassung erwirke. Vorsichtig und insgeheim übergab dieser das Geld vier Kaufleuten, drei Franzosen und einem Venetianer, nach Abnahme des Versprechens, darüber das tiefste Stillschweigen zu bewahren. Seiner Sache etwas sicher, stellt er sich jetzt noch ärmer, um glauben zu machen, er habe nichts, als was er durch Knopfmachen und aus Mitleid von seinen Freunden erhalte. So ließen denn die Gläubiger nach und nach ihren Mut sinken und meinten, wenn sie nur zwei bis drei Tausend Dukaten — sie hatten ihre Forderungen auf 24.000 Dukaten angegeben — bekämen, würden sie Kraft wohl loslassen, was dieser gern und mit neuer Hoffnung vernahm.

Unterdessen ward ihm auf dem Schlosse Gelegenheit, seinen ärztlichen Scharfblick wieder einmal leuchten zu lassen. Ein Sklave war vom Dache gefallen und hatte sich die eine Seite des Schädels zerschmettert. Der türkische Barbier legte den Verband auf die unverletzte Seite, und als Kraft den Hauptmann hiervon überzeugte und ihn die beschädigte Stelle fühlen ließ, legte ihm dieser die Hand auf das Haupt und sprach: „Afferum“, d. i. Du bist Meister! Doch war der Sklave nicht mehr zu retten. Der Leichnam wurde ausgezogen, gewaschen, in weiße Leinwand genäht, das Antlitz aber frei gelassen, und dann auf einer Bahre, die Füße nach vorn gekehrt, hinausgetragen. Weiber mit kläglichem Geschrei und einige Janitscharen folgten. Kraft, der sich während dessen nicht sehen lassen durfte, beobachtete das Alles durch das Katzenloch in der Tür. Einem anderen Sklaven heilte Kraft durch sein Wundpflaster ein Geschwür auf der Fußsohle, einem Janitscharen ein Geschwür am Arm, wobei er immer mit dem Widerstand der Kranken und mit dem Argwohn, dass er die Krankheit nur verschlimmere, zu kämpfen hatte, nach der Heilung aber um so mehr Dank erntete.


Auch den Knaben eines Lehrers befreite er von einem großen Geschwür am Hinterkopf. Dieser, ein arabischer Geistlicher, in grünem Kaftan, der im Hofe den 13jährigen Knaben des Hauptmanns unterrichtete, während Kraft neben ihm Knöpfe machte, unterhielt sich mit ihm oft und vertraulich über die Lehren Christi und Muhameds, sowie über mancherlei andere Dinge. Eines Tages, am 21. März, kündigte Kraft ihm an, dass auf den zehnten Tag eine Mondfinsternis kommen werde. Als der Araber wissen wollte. woher er solches wisse, holte Kraft einen französischen Kalender, den Jener zwar nicht verstand, doch das Zeichen des Mondes mit Ehrfurcht betrachtete. Wenn die Mondfinsternis nicht eintrete, erlaubte ihm Kraft, diesen Zeitweiser verbrennen zu dürfen.

Am 2. April brachte der Araber, welcher bis dahin tiefes Stillschweigen beobachtete, es dahin, dass der Hauptmann ihn und Kraft zur Tafel lud, und als dieser sich Abends in seine Kammer zurückzog, wies der Türke triumphierend gen Himmel, denn der Mond leuchtete noch voll und klar. „Schon recht!“ sprach Kraft ruhig und zog sich zurück, um bei seiner Ampel Schnüre zu den Knöpfen zu drehen, wobei er das Gestrick an der großen Zehe des linken Fußes befestigte, mit den Händen strickte und mit der großen Zehe des rechten Fußes das Gestrickte zudrückte. Um halb acht Uhr wurde er eilig vor den Schlosshauptmann beschieden. „Franke, was ist das?“ rief ihm dieser entgegen und wies auf den verfinsterten Vollmond. Er holte wiederum seinen Kalender herbei, um zu erklären, wie er den Eintritt der Mondfinsternis habe wissen können, worauf der Aga auf Arabisch zu den Umstehenden sprach: „Bei Gott, die Franken wissen, was Gott im Himmel tut!“ Auf dem Schlosse und in der Stadt erhob man die Nacht über großes Geschrei und Beckenschlagen, und der Lehrer schlief bis zum Morgen bei dem Gefangenen. Am anderen Tage tat der Hauptmann gar freundlich mit diesem. Er schickte ihm gutes Essen , und in der Stadt, wo der Lehrer Alles erzählte, pries man die Weisheit des Franken und wünschte ihm die Freiheit.