Gefangenschaft

Am 5. Mai kam Dr. Rauwolf nach Tripolis zurück und wurde nur durch den Einfluss des französischen Konsuls vor demselben Lose der Gefangenschaft bewahrt. Als er Kraft im Gefängnis wiedersah, gingen ihm und dem Salvacana die Augen über, dass sie vor Weinen nicht reden konnten. Kraft aber blieb heiter und getrost, so dass selbst der Aufseher und die übrigen Gefangenen über eine solche Zuversicht sich verwunderten und Dr. Rauwolf seine Heiterkeit bald wieder gewann. Auf einem alten Hühnerkorbe hielten sie mit einander ein stattliches Mahl. Rauwolf besuchte seinen Freund öfter, brachte ihm gute Speisen und heimlich hin und wieder auch eine kleine Flasche Wein, von welchem Kraft nur des Nachts ein wenig genoss, um nicht verraten zu werden.

Am 7. September reiste Rauwolf mit dem Gelde, das er sich durch seine ärztlichen Kenntnisse verdient hatte, nach Jerusalem. Kraft, der nun wohl einsah, dass er so bald aus dem Gefängnisse nicht loskommen werde, lernte von einem der welschen Sprache kundigen Juden, der neben ihm Schulden halber im Gefängnisse saß, für einige Dukaten das Knopfmachen, und gar bald verstand er sich auf diese Kunstfertigkeit besser als sein Lehrer. Da die Speisesendungen von den französischen Kaufleuten nach und nach ausblieben, musste sich Kraft jetzt mit den Speisen behelfen, welche Araber und Türken ins Gefängnis zu schicken pflegten, wenn sie einen schwer Erkrankten im Hause hatten. Sie bestanden aus gekochter Gerste oder Hirse mit einigen Stückchen Hammelfleisch. Wenn solch' ein Almosen ankam, rief der Wärter durch Anschlagen mit einem Stock die Gefangenen in den Hof und füllte Jedem mit einem eisernen Löffel seine Schüssel, worauf Alle für den Kranken ein kurzes Gebet sprachen und mit einem läuten: „Das gebe Gott, der Gott der Araber!“ schlossen. Statt dessen sprach Kraft leise: „Gott lohne Euch!“ Wenn er sich mit Knopfmachen einiges Geld verdient halte, ließ er sich aus einer Garküche warme Speisen bringen, die er stets wohlbereitet fand. Das Brot, runde dünne Fladen, schickten regelmäßig am Sonntag und Donnerstag zwei reiche Türken ins Gefängnis, wobei es Kraft nur verdross, dass der Austeiler ihm dasselbe stets vor die Füße warf. Eben so widerwärtig war die Szene, wenn die Gefangenen im Hofe zusammen saßen, ihre Hemden auszogen und das Ungeziefer los zu werden versuchten.


Auch die Mäuse plagten Kraft, besonders in der Nacht. Da strich er Vogelleim auf ein Brett, legte Köder daneben und fing in einer Woche 64 Mäuse, so dass seine Mitgefangenen spotteten, er sei schlimmer als eine Katze, diese fange nur eine, er aber vier auf einmal. Mitunter durften die Gefangenen im Hofe sich auch belustigen, doch waren es meist rohe Scherze, die in der Hauptsache aufs Prügeln ausgingen. Doch spielte Kraft mehrmals das „Neunmal“ (Zwickmühle) mit neun weißen und neun schwarzen Steinen, und er verstand sich darauf so gut, dass er in der Stadt deswegen berühmt wurde. Einst erschien ein vornehmer Türke, welcher sich einbildete, ein guter Spieler zu sein, im Gefängnis und forderte den Ulmer zu einem Wettspiel auf. Von sechs Spielen gewann der Türke wirklich vier, Kraft nur zwei: doch schon darüber war Ersterer unwillig, und brummend über den Christenhund ging er von dannen. Auch den Frauen gefiel der Gefangene. Wenn er über den Hof ging, spritzten ihm mitunter einige Wassertropfen ins Gesicht und wenn er dann aufblickte, sah er in einem offenen Fensterladen eine, später zwei Frauenspersonen stehen, die ihn freundlich anlachten. Er aber ging still seines Weges und ließ sich zu gefahrvollen Abenteuern nicht verleiten.

Im Juli erhielt Kraft von seinem Freunde Georg Bronnenmayer, dem Faktor der Mannlichs in Marseille, die Nachricht, dass seine Entführung beabsichtigt werde. Doch dabei blieb es auch. Der Patron des Schiffes, der die Absicht des Marseille Freundes ausführen sollte, wurde mit 5 Italienern auf der Reise nach Aleppo von Straßenräubern niedergehauen. Zu gleicher Zeit hatte Bronnenmayer einen Andern beauftragt, in Konstantinopel für die Befreiung des Freundes zu wirken, aber auch dieser Versuch verunglückte. Da schrieb Bronnenmayer: „Das Glück ist Eurer Befreiung entschieden ungünstig.“ — Von dem Barbier der ,,St. Croce“, der Kraft im Gefängnis besuchte, erhielt er eine Schachtel mit Salben und Pflastern und die Gebrauchsanweisung zu jedem Mittel, womit er sich bald in und außer dem Gefängnis dankbare Freunde erwarb. Auch lernte er von einem vornehmen, gelehrten Mitgefangenen arabisch schreiben und etwas sprechen.

Am 1. Oktober kehrte Rauwolf von Jerusalem zurück, besuchte Kraft fleißig im Gefängnis und ließ sich von jenem gelehrten Araber die Namen der gesammelten Pflanzen und Drogen nennen und erklären, wie dies auch sein Reisebuch bestätigt. Am 6. November verließ jedoch dieser Freund seinen tiefbetrübten Gefährten und kehrte zu Schiffe nach Europa zurück.

Der Winter brach an und verging wie der vorige. Kraft schien verloren: zwar verdiente er sich durch Knopfmachen manches Stück Geld, wodurch er seine Lage etwas verbessern konnte: aber im Februar 1576 erhoben die schlimmen Gläubiger neue Schwierigkeiten. Ein Chawala war als Bevollmächtigter des Sultans angekommen, um seines Herrn ausstehende Schulden einzutreiben. Die Gläubiger übergaben demselben Kraft an Zahlungs statt. Mit erborgten Dukaten musste sich der Bedrohte, der nun um jeden Preis Geld schaffen sollte, von Prügeln, Ketten und unterirdischem Gefängnis loskaufen, und wenn er meinte, er sei von einer Angst befreit, so kamen die Gläubiger, schenkten dem Chawala noch mehr und die Bedrohungen begannen von Neuem. Endlich gelang es Kraft, vermittelst 10 Ellen kostbaren blauen Damastes sich der Gunst des kaiserlichen Bevollmächtigten zu versichern, so dass ihn der Chawala freundlich in seine Laube einlud und sich lange und leutselig mit ihm unterhielt, zugleich aber auch ihm ankündigte, er müsse ihn als einen Schuldner des Großherrn auf dem Schlosse in Verwahrung nehmen lassen.

Dorthin ward am folgenden Tage Kraft abgeführt und von dem Aga oder Hauptmann, der in prächtiger Kleidung unter dem Torgewölbe saß, während 14 Janitscharen mit dem Leutnant hinter ihm standen, empfangen und, entgegen dem Versprechen des Chawala, in ein finsteres Gefängnis geworfen, mit Ketten und noch schlimmerem Lose bedroht, „Lieber Gott!“ seufzte Kraft, als er die Absichten des Hauptmanns erkannte, „woher soll ich Geld nehmen, um auch den zu gewinnen?“ Mit Hilfe seines Dolmetschers erborgte er von einem vornehmen Franzosen Geld und beschenkte den Hauptmann mit feinem braunen Tuch, worauf ihm dann am 11. Februar eine leere Holzkammer neben der Treppe als Gefängnis angewiesen wurde. Auch die Sklaven, die ihn hier zu bedienen hatten, erhoben ihr Trinkgeld im Voraus. Das Gemach hatte ein vergittertes Fenster und ein Katzenloch in der Tür am Boden, durch welches ihm die Speisen, welche er sich für sein eigenes Geld anschaffen musste, zugeschoben wurden. Da er lange Zeit nur von harten Eiern und Wasser lebte, litt er an Verstopfung, und um sich von derselben zu befreien, benetzte er Hüfte und Unterleib mit kaltem Wasser. Die Wirkung kam so plötzlich, dass er zum Fenster seine Zuflucht nehmen musste. Zum Unglück wohnte aber gerade unter ihm ein Janitschar, welcher nun mit seinen Genossen vor dem Aga über den Christenhund, der ihnen solchen Spott angetan, heftiges Geschrei erhob. Es kostete Kraft wieder vier Dukaten, um sich von der Strafe zu befreien, dennoch wurde ihm das Fenster mit Brettern verschlagen, so dass er 40 Tage lang bei einer armseligen Lampe zubringen musste. Als er endlich auf Fürbitten der Franzosen am 29. März, dem Neujahrstag der Türken, wieder ins Freie geführt wurde, konnte er vor unsäglichen Schmerzen die Augen nicht öffnen, erhielt aber seitdem die Vergünstigung eines Fensters wieder. Dafür verehrte er dem Aga und seiner Familie zum Jahresfeste 10 Pfd. französischen Konfekts. Während des Festes unterhielten sich die Janitscharen nur mit Essen und Trinken, mit Schach und Brettspiel, während es unten in der Stadt an Lärmen, Musik und Schmausereien nicht fehlte. Gegen ein Geschenk von einigen Dutzend schöner Knöpfe erhielt Kraft vom Aga, der bis dahin gefürchtet hatte, er möchte sich mit Messer oder Schere ein Leid tun und ihm dadurch schwere Verantwortung zuziehen, die Erlaubnis, wieder zu arbeiten. Leider brachte ihm seine Arbeit wenig Vorteil, da ihn sein Verkäufer um einen Teil des Erlöses betrog. Doch hatte er sich nach und nach bei dem Aga so in Gunst gesetzt, dass dieser ihm am 27. März die Rückkehr in das Stadtgefängnis auswirkte. Im Stadtgefängnis fand er manchen alten Bekannten wieder.

Salvacana hatte mittlerweile einen Plan zur Flucht ausgesonnen und tat sehr erzürnt, als Kraft, von einem Freunde gewarnt, an demselben nicht Teil nehmen wollte. Im August erschien ein Tschausch beim Kadi in Tripolis, welcher wieder unter dem Vorgeben, dass er Befehl habe, Kraft nach Konstantinopel zu führen, 6 Dukaten von ihm erpresste, die natürlich geborgt werden mussten. Eine neue Schwierigkeit erregte ein vornehmer Kaufmann aus Venedig, Cornelia Lanfrauchi, der bei seiner Ankunft in Tripolis in wohlmeinender Absicht äußerte, er werde dem Kraft schon aus seiner Not helfen. Die Gläubiger verstanden dies so, als habe er Geld für Kraft mitgebracht, und bestanden nur um so hartnäckiger auf volle Bezahlung, so dass Kraft dem Lanfrauchi erklären musste, er werde auch die 200 Dukaten, die David Ott, ein deutscher Kaufmann in Venedig, für ihn angewiesen habe, jetzt nicht annehmen, da er mit diesem wenigen Gelde doch nichts erreichen würde, als eine Verschlimmerung seiner Lage: Laufranchi solle deshalb überall erklären, er habe gar keinen Auftrag, für den Gefangenen Etwas zu tun, und habe jene Worte ohne Überlegung und nur aus zu großem Mitleiden gesprochen.

So sehr der Venetianer ob seiner Übereilung betrübt war, sah er doch ein, dass Kraft Recht hatte, und tat, wie verlangt. Dadurch und weil Kraft die Briefe Otts, als für ihn ganz unnütz, den Gläubigern, die sie aber nicht lesen konnten, aushändigte, wurden diese stutzig und zu einem Vergleich geneigter. Als aber um dieselbe Zeit auch Salvacana starb, ließen sie Kraft wieder auf das Schloss bringen, um des letzten Bürgen desto sicherer zu sein. Der Aga nahm ihn nur ungern auf, doch erwarb Kraft sogleich wieder seine Gunst, indem er dessen zwei deutsche Schlaguhren, welche er von einem Bruder aus Ungarn zum Geschenk erhalten hatte, nicht ohne Mühe und Angst wieder in Gang brachte, obwohl er noch niemals eine Uhr in Behandlung gehabt hatte. Als der Schlosshauptmann aber sah, dass auf der einen Uhr, so oft sie schlug, ein kleiner künstlicher Ungarkopf den Mund öffnete und schloss, hielt er dies für einen Spuk und wollte die Uhr durchaus nicht eher wieder sehen, als bis Kraft den Kopf entfernt hatte. Der Hauptmann selbst bestach nun den Sandschak und Kadi, dass Kraft wieder in das Stadtgefängnis zurückkehren durfte.

Bereits über zwei Jahre entbehrte unser Ulmer Freund den Genuss seiner Freiheit: mehrmals schien es, als wolle sich sein Geschick zum Bessern wenden. Auch jetzt blitzte wieder einmal ein Sonnenschein aus dem trüben Gewölk schlimmer Leidenstage. Die Hoffnung auf endliche Befreiung wurde aber noch einmal vereitelt. Bronnenmayer hatte am 1. April geschrieben, er habe mit einem seiner besten Freunde 1.000 Kronen nach Konstantinopel geschickt, um dort Krafts Freilassung zu erwirken. Vergeblich wartete Kraft sechs Monate auf neue Nachricht. Am 21. Oktober erhielt er einen zweiten Brief vom Obengenannten, worin ihm mitgeteilt ward, es sei in Konstantinopel nichts für ihn unternommen worden, weil man ihn für tot gehalten habe, und nun warte man auf neue Weisungen. Kraft merkte wohl, dass man das Geld in Konstantinopel zu eigenem Nutzen verwenden wolle und seinen Tod nur als Vorwand gebraucht habe. Dies betrübte ihn sehr, doch ergab er sich in christlicher Demut in sein hartes Schicksal. In demselben Monat kam ein neuer Kadi nach Tripolis und neue Hoffnung lächelte dem Gefangenen, denn ein solcher Amtsantritt hatte gewöhnlich einige Freilassungen zur Folge.

Der Kadi, ein schöner, blonder, starker Herr, erwies sich zuerst geneigt, Etwas für unsern armen Freund zu tun, ließ sich aber schließlich doch von den Gläubigern bestechen und zum dritten Mal kam Kraft, weil seine Schuldenlast zu groß sei, auf das Schloss. Der Schlosshauptmann war darüber aufs Äußerste erzürnt, auf den Kadi sowohl wie auf die Gläubiger: er musste jedoch Folge leisten und behandelte nunmehr Kraft, der neue Geschenke für ihn und seine Familie mitbrachte, noch freundlicher als bisher. Er ließ ihn auch, gegen monatliche 5 Dukaten, aus seiner eigenen Küche, freilich schmal genug, verköstigen. Unterdes kam die Fastenzeit, während welcher die Türken des Tages fasten und ihren Geschäften stille nachgehen, doch Nachts um so besser und reichlicher schmausen. Da gibt es Reis, Gerste, Hirse, Knöpfle, Würstchen von fettem Hammelfleisch, mit wohlschmeckenden Kräutern bereitet, Gesottenes und Gebratenes, meistens von Hammelfleisch. Auch Kraft erhielt reichlich davon.

Der Hauptmann gewann nach und nach solches Vertrauen zu seinem fränkischen Gefangenen, dass er seinen Sklaven manche häuslichen Geschäfte abnahm und sie ihm übertrug. So übergab er ihm im Januar 1577 die Schlüssel zu seinem Vorratsgewölbe, denn er misstraute dem Sklaven, einem Masuren, der sie bis dahin in Verwahrung hatte, Kraft sollte jetzt einen Vorrat Hirse auf dem Markte verkaufen. Anfangs fürchtete er, der gekränkte Sklave möchte ihm dabei einen Possen spielen, oder der Hauptmann unter dem Vorwande, betrogen worden zu sein, neue Geschenke von ihm erpressen: der Aga zeigte sich jedoch nach Vollziehung seines Auftrags so befriedigt, dass er den Erlös ungezählt einstrich und lachend zu seinen Janitscharen sagte, er wisse wohl, der Franke betrügt ihn nicht. Dies verdross den Masuren und die andern Sklaven nur noch mehr.