Dritter Abschnitt. - Schon lange war ja der Name in Rom verbreitet wie ein unterirdisches Gerücht, ...
Die Christianer –!
Schon lange war ja der Name in Rom verbreitet wie ein unterirdisches Gerücht, wie eine Sache, von der man hört, ohne daß man weiter danach fragt. Was verlohnte es sich denn, sich um Leute zu bekümmern, die so offenbar verrückt waren, daß man höchstens darüber lachen konnte!
Eine religiöse Sekte – deren gab es ja in Rom genug. Natürlich aus Judäa, von wo alle diese Sekten kamen. Anfänglich hatte man denn auch geglaubt, es wären einfach Juden, bis daß die Juden auftraten und energisch erklärten, sie hätten mit den Christianern nichts gemein, nicht das Mindeste.
Gut also – keine Juden, Narren nach ihrer eigenen Art. Denn alles, was man von ihnen bisher gehört hatte, von ihrer Entstehung, ihrem Glauben, ihrer ganzen Art, war so drollig unsinnig, daß es vernünftigen Menschen wirklich nur harmlos erscheinen konnte.
Irgend ein Mensch aus ganz untergeordnetem Stand, aus einem Winkelnest in Judäa, Nazareth hieß es oder so ähnlich, war da in Jerusalem in den Judenschulen aufgetreten und hatte mit einem Male erklärt, die ganze Art, wie die Welt jetzt eingerichtet wäre, sei schlecht, und alles, was die Menschen von den Göttern glaubten, wäre falsch. Natürlich war er überall ausgelacht und hinausgeworfen worden.
Dann war er in die Wüste gegangen, wo es sich bequemer predigte, weil niemand widersprach. Tagediebe, Handwerker ohne Beschäftigung, Fischer ohne Angelgerät, Landstreicher waren hinter ihm drein gelaufen und hatten sich von ihm vorerzählen lassen, daß das Leben des Menschen eigentlich erst nach dem Tode anfinge, für die Reichen ein sehr ungemütliches, bei Feuer, Hunger und Durst, für alle bisherigen Hungerleider ein sehr angenehmes Leben, an beständig wohlbesetzten Tafeln. Endlich hatte dann der Präfekt der Provinz eingegriffen und den Unruhstifter festgesetzt. Obschon ihm der arme Kerl eigentlich leid that, weil er in ihm ganz unzweideutig einen Verrückten erkannte – unter anderem hatte er von sich behauptet, daß er von den ehemaligen Königen der Juden abstammte und berufen sei, ein neues großes Reich unter den Juden zu gründen – hatte er ihn doch, weil er immerhin einen nicht ungefährlichen Kern in all' dem Gerede wahrnahm und dem Grundsatz »principiis obsta« huldigte, hinrichten lassen, und zwar, um ein Exempel zu statuieren, in der denkbar schmählichsten Art, indem er ihn öffentlich geißeln und dann an der Hinrichtungsstätte für Mörder und Räuber, mitten unter solchen, ans Kreuz schlagen ließ.
Damit hatte er denn geglaubt, daß der Unfug begraben und tot sei; alle anderen hatten es mit ihm geglaubt – und mit einem Male stellte es sich heraus, daß dem nicht so war, daß es auch jetzt noch welche gab, die das abenteuerliche Zeug nachschwatzten und daran glaubten. Und nicht in Judäa allein, sondern hier, mitten unter den Römern, in Rom gab es solches Volk. Zu verwundern war es ja freilich nicht. Alles, was die Menschheit an Gedanken ausschwitzte, an gescheidten und verdrehten, schlug sich ja in Rom, wie auf dem Boden eines großen Kessels, eines Sammelbeckens nieder.
Darum hatte man auch der ganzen Geschichte keine Beachtung weiter geschenkt; man war von dem Grundsatz ausgegangen, daß jeder Unsinn schließlich an sich selbst stirbt; und das war der Fehler gewesen.
Man hatte gewußt, daß sie sich zu nächtlicher Stunde in Erdhöhlen und in leeren Grabgewölben versammelten, daß sie ihren Vorbetern gewisse Worte nachsprachen, Gesänge anstimmten und allerhand mystischen Hokuspokus trieben. Vernünftige hatten schon damals gewarnt: »Nehmt Euch in Acht; es sind Feinde des Menschengeschlechts, Maulwürfe, die darauf ausgehen, den Boden unter Euren Füßen zu untergraben« – aber man hatte die Schwarzseher verlacht. Man hatte gelacht, bis daß man schrecklich aufgewacht war, bis daß aus den Erdhöhlen und den Grabgewölben plötzlich die Faust des Verbrechens herausgefahren war, die schwarze, haarige Faust, und den Mordbrand in die Häuser der Menschen geschleudert hatte.
Jetzt wußte man, woran man war.
Und jetzt mit einem Mal wußte man auch eine Menge Dinge von ihnen, die man früher nicht gekannt hatte, wußte, daß es bei ihren nächtlichen Zusammenkünften durchaus nicht so harmlos zuging, wie man bisher angenommen hatte, sondern daß unerhörte Dinge vorgenommen wurden, Dinge, die man unter anständigen Menschen gar nicht laut besprechen durfte, die ganz unglaublich klangen.
Toll genug und ein Zeichen der moralischen Perversität dieser Sekte war es ja schon, daß sie das Instrument, an dem ihr Stifter gebüßt hatte, das Kreuz, zu ihrem Symbol erhoben hatten – das Kreuz! Für jeden anständigen Menschen war das Kreuz doch der Inbegriff alles Scheußlichen, Widerwärtigen, Ehrlosen! Nur für Übelthäter der schlimmsten Art wurde es gebraucht; wenn die verbrecherische That noch die Möglichkeit einer milderen Auffassung zuließ, ersparte man dem armen Sünder diesen letzten Schimpf und richtete ihn mit dem Schwert. Römische Bürger durften unter keinen Umständen an das Kreuz geschlagen werden. Und dieses Abzeichen des Abscheus der ganzen gebildeten Welt erklärten diese Christianer als ihr Heiligtum; davor knieten sie, das beteten sie an. Man hätte es für übertrieben halten sollen – aber es war wirklich so.
Gab es eine schnödere Verhöhnung aller sittlichen Überlieferung und eine dreistere Auflehnung gegen die bestehende Weltordnung ?
Jetzt wußte man, daß diese nächtlichen Zusammenkünfte nichts weiter waren, als Orgien der wüstesten Sinnlichkeit. Einer Sinnlichkeit, die sich bis zur Raserei steigerte. An dem hölzernen Kreuz, das in diesen Versammlungen aufgerichtet stand, wurde einer von den Versammelten angebunden, irgend ein schöner Jüngling, dem man die Kleider vom Leibe riß, so daß die enthüllte Gestalt nackt vor den Augen, von Männern und Weibern hing. Denn auch Frauen waren in diesen Versammlungen, Jungfrauen und Matronen – man hatte es erfahren. Man wußte sogar noch mehr; die Frauen spielten eine wichtige Rolle dabei, sie waren am allereifrigsten, die Lehre zu pflegen und zu verbreiten. Und während die Männer fast ausschließlich Angehörige der alleruntersten Stände waren, befanden sich unter den Frauen solche aus den besseren, ja aus den obersten Klassen. Man munkelte von vornehmen Patrizierfamilien, deren Töchter, angesteckt von dem neuen Geist, heimlich zur Nacht aus dem Hause entwichen, um mit ihren Glaubensgenossen zusammen zu kommen.
Von schauderhaften Auftritten erzählte man, die sich in diesen Patrizierhäusern zutrugen. Die Mütter hatten versucht, die Schande ihrer Töchter zu verheimlichen. Natürlich aber war der Vater dahintergekommen, und nun gab es wütende Zurechtweisungen, Stockschläge, Einsperrungen. Mancher von den fettglänzenden Herren, der bei Tage sein lächelndes Gesicht durch die Straßen spazieren führte, trug die Verzweiflung mit sich herum. Wenn man erfahren hätte, was für Geschichten sein Töchterchen trieb! Mit wem sie zusammenkam, und in welcher Art!
Denn was man alles von diesen Versammlungen erzählte, das war einfach unerhört.
Wenn die Raserei ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann erloschen plötzlich die Lichter, und im Dunkel fiel man sich wechselseitig in die Arme; man küßte sich, liebte sich, und es geschahen Dinge – Dinge – die ehrsamen Römer, die satt und vollgetrunken nach Hause schwankten, schüttelten sich, indem sie der Greuel gedachten, die von diesen Christianern verübt wurden.
Aber nun war mit ihnen aufgeräumt.
Heute endlich hatte die Faust des Nero hineingegriffen in ihre Schlupfwinkel und sie dem Volk vor Augen gestellt, daß jeder einmal hatte sehen können, wie sie eigentlich aussahen, diese Feinde der Menschen, dieser Abschaum. Sie hatten ihre Rolle gut durchgeführt bis zum Ende – das mußte man ihnen wirklich lassen.
Jeder Einzelne war gefragt worden, ob er sich als Christianer bekenne, und » Christianus sum« hatte jeder Einzelne geantwortet. Ob sie bekennten, daß sie das Feuer angelegt hätten, und jeder Einzelne hatte die Hand hochgehoben: »nein, es hat keiner von uns das Feuer angelegt«.
»Wie sie sich denn erlauben dürften, für alle anderen gut zu sagen,« waren sie gefragt worden: »ob sie sich denn alle untereinander kennten?« »Ja – sie kennten sich alle untereinander,« hatten sie geantwortet.
Und dann hatten sie sich an die Pfähle führen und anbinden lassen, ohne Widerstand zu leisten, obschon baumstarke Männer unter ihnen gewesen waren; ohne zu weinen oder zu klagen, obschon Frauen und Mädchen darunter gewesen. Natürlich hatte es, wie immer bei solchen Gelegenheiten, ein paar Dummköpfe unter den Zuschauern gegeben, die heimlich gemeint hatten, daß das eigentlich großartig, beinah wunderlich wäre, Man hatte sogar einige unter dem Publikum bemerkt, die plötzlich kreideweiß im Gesicht geworden und davon gelaufen wahren.
Aber das waren nur einige wenige – die Mehrzahl hatte das Schauspiel mit angesehen und genossen, vom ersten bis zum letzten Augenblick – und ein Schauspiel war es gewesen – ein Schauspiel –
Und nun war es zu Ende.
Die Grausamkeit, die sich wie ein Geier mit bluttriefenden Schwingen auf eine Schar von unglückseligen Menschen herabgestürzt hatte, war satt, die Mahlzeit beendet, die Opfer waren verschlungen.
Zu Ende nun das letzte schreckliche Winden der gemarterten Leiber am glühenden Pfahl; überstanden der Augenblick, da die Heldenkraft der Seele allem Opfermute zum Trotz unter den Qualen des Körpers zerbrach; verhallt das letzte ächzende Röcheln, in welches das »Hosiannah« übergegangen war, mit dem sie den Beginn des Sterbens begrüßt hatten.
Zu Ende die Schaulust, der Blutdurst, das Gebrüll und das Geheul.
Was sich noch auf den Füßen bewegen konnte, war nach Haus gewankt; was nicht mehr stehen und gehen konnte, war an der Stelle, wo es sich befand, zur Erde gesunken und lag da schnarchend in viehischem Schlaf, in dicken, übereinander gebündelten Menschenhaufen und Ballen, in schwärzlichen Klumpen, erkaltenden Lavamassen ähnlich, die der Krater Rom aus seinen Eingeweiden gespieen. Endlich war jeder Laut erstorben, die stille, süße Augustnacht breitete ihren duftenden Schleier über all' den Menschengreuel, und nun, im Schweigen des Dunkels, begann ein neues, lautloses, beinah gespenstisches Leben in den Gärten des Nero.
Vereinzelte Gestalten waren plötzlich da und huschten mit unhörbaren Schritten hierhin und dorthin. Man hätte kaum sagen können, von wo sie erschienen; ob sie vorher schon dagewesen waren, ob sie von fernher kamen – aber sie waren da.
Erst einzelne, dann mehr und immer mehr, die sich durch kaum wahrnehmbare Zeichen untereinander verständigten, sich zu einander fanden, um gemeinsam ans Werk zu gehen, vorsichtig auftretend, damit sie keinen der Schlafenden am Boden anstießen und aufweckten.
Es waren die Christianer, die heute unentdeckt geblieben und dem Gemetzel entgangen waren, und die nun kamen, um ihren getöteten Glaubensgenossen den letzten Dienst zu erweisen und ihre Reste zu bestatten.
Sie hatten nicht lange zu suchen.
Schon lange war ja der Name in Rom verbreitet wie ein unterirdisches Gerücht, wie eine Sache, von der man hört, ohne daß man weiter danach fragt. Was verlohnte es sich denn, sich um Leute zu bekümmern, die so offenbar verrückt waren, daß man höchstens darüber lachen konnte!
Eine religiöse Sekte – deren gab es ja in Rom genug. Natürlich aus Judäa, von wo alle diese Sekten kamen. Anfänglich hatte man denn auch geglaubt, es wären einfach Juden, bis daß die Juden auftraten und energisch erklärten, sie hätten mit den Christianern nichts gemein, nicht das Mindeste.
Gut also – keine Juden, Narren nach ihrer eigenen Art. Denn alles, was man von ihnen bisher gehört hatte, von ihrer Entstehung, ihrem Glauben, ihrer ganzen Art, war so drollig unsinnig, daß es vernünftigen Menschen wirklich nur harmlos erscheinen konnte.
Irgend ein Mensch aus ganz untergeordnetem Stand, aus einem Winkelnest in Judäa, Nazareth hieß es oder so ähnlich, war da in Jerusalem in den Judenschulen aufgetreten und hatte mit einem Male erklärt, die ganze Art, wie die Welt jetzt eingerichtet wäre, sei schlecht, und alles, was die Menschen von den Göttern glaubten, wäre falsch. Natürlich war er überall ausgelacht und hinausgeworfen worden.
Dann war er in die Wüste gegangen, wo es sich bequemer predigte, weil niemand widersprach. Tagediebe, Handwerker ohne Beschäftigung, Fischer ohne Angelgerät, Landstreicher waren hinter ihm drein gelaufen und hatten sich von ihm vorerzählen lassen, daß das Leben des Menschen eigentlich erst nach dem Tode anfinge, für die Reichen ein sehr ungemütliches, bei Feuer, Hunger und Durst, für alle bisherigen Hungerleider ein sehr angenehmes Leben, an beständig wohlbesetzten Tafeln. Endlich hatte dann der Präfekt der Provinz eingegriffen und den Unruhstifter festgesetzt. Obschon ihm der arme Kerl eigentlich leid that, weil er in ihm ganz unzweideutig einen Verrückten erkannte – unter anderem hatte er von sich behauptet, daß er von den ehemaligen Königen der Juden abstammte und berufen sei, ein neues großes Reich unter den Juden zu gründen – hatte er ihn doch, weil er immerhin einen nicht ungefährlichen Kern in all' dem Gerede wahrnahm und dem Grundsatz »principiis obsta« huldigte, hinrichten lassen, und zwar, um ein Exempel zu statuieren, in der denkbar schmählichsten Art, indem er ihn öffentlich geißeln und dann an der Hinrichtungsstätte für Mörder und Räuber, mitten unter solchen, ans Kreuz schlagen ließ.
Damit hatte er denn geglaubt, daß der Unfug begraben und tot sei; alle anderen hatten es mit ihm geglaubt – und mit einem Male stellte es sich heraus, daß dem nicht so war, daß es auch jetzt noch welche gab, die das abenteuerliche Zeug nachschwatzten und daran glaubten. Und nicht in Judäa allein, sondern hier, mitten unter den Römern, in Rom gab es solches Volk. Zu verwundern war es ja freilich nicht. Alles, was die Menschheit an Gedanken ausschwitzte, an gescheidten und verdrehten, schlug sich ja in Rom, wie auf dem Boden eines großen Kessels, eines Sammelbeckens nieder.
Darum hatte man auch der ganzen Geschichte keine Beachtung weiter geschenkt; man war von dem Grundsatz ausgegangen, daß jeder Unsinn schließlich an sich selbst stirbt; und das war der Fehler gewesen.
Man hatte gewußt, daß sie sich zu nächtlicher Stunde in Erdhöhlen und in leeren Grabgewölben versammelten, daß sie ihren Vorbetern gewisse Worte nachsprachen, Gesänge anstimmten und allerhand mystischen Hokuspokus trieben. Vernünftige hatten schon damals gewarnt: »Nehmt Euch in Acht; es sind Feinde des Menschengeschlechts, Maulwürfe, die darauf ausgehen, den Boden unter Euren Füßen zu untergraben« – aber man hatte die Schwarzseher verlacht. Man hatte gelacht, bis daß man schrecklich aufgewacht war, bis daß aus den Erdhöhlen und den Grabgewölben plötzlich die Faust des Verbrechens herausgefahren war, die schwarze, haarige Faust, und den Mordbrand in die Häuser der Menschen geschleudert hatte.
Jetzt wußte man, woran man war.
Und jetzt mit einem Mal wußte man auch eine Menge Dinge von ihnen, die man früher nicht gekannt hatte, wußte, daß es bei ihren nächtlichen Zusammenkünften durchaus nicht so harmlos zuging, wie man bisher angenommen hatte, sondern daß unerhörte Dinge vorgenommen wurden, Dinge, die man unter anständigen Menschen gar nicht laut besprechen durfte, die ganz unglaublich klangen.
Toll genug und ein Zeichen der moralischen Perversität dieser Sekte war es ja schon, daß sie das Instrument, an dem ihr Stifter gebüßt hatte, das Kreuz, zu ihrem Symbol erhoben hatten – das Kreuz! Für jeden anständigen Menschen war das Kreuz doch der Inbegriff alles Scheußlichen, Widerwärtigen, Ehrlosen! Nur für Übelthäter der schlimmsten Art wurde es gebraucht; wenn die verbrecherische That noch die Möglichkeit einer milderen Auffassung zuließ, ersparte man dem armen Sünder diesen letzten Schimpf und richtete ihn mit dem Schwert. Römische Bürger durften unter keinen Umständen an das Kreuz geschlagen werden. Und dieses Abzeichen des Abscheus der ganzen gebildeten Welt erklärten diese Christianer als ihr Heiligtum; davor knieten sie, das beteten sie an. Man hätte es für übertrieben halten sollen – aber es war wirklich so.
Gab es eine schnödere Verhöhnung aller sittlichen Überlieferung und eine dreistere Auflehnung gegen die bestehende Weltordnung ?
Jetzt wußte man, daß diese nächtlichen Zusammenkünfte nichts weiter waren, als Orgien der wüstesten Sinnlichkeit. Einer Sinnlichkeit, die sich bis zur Raserei steigerte. An dem hölzernen Kreuz, das in diesen Versammlungen aufgerichtet stand, wurde einer von den Versammelten angebunden, irgend ein schöner Jüngling, dem man die Kleider vom Leibe riß, so daß die enthüllte Gestalt nackt vor den Augen, von Männern und Weibern hing. Denn auch Frauen waren in diesen Versammlungen, Jungfrauen und Matronen – man hatte es erfahren. Man wußte sogar noch mehr; die Frauen spielten eine wichtige Rolle dabei, sie waren am allereifrigsten, die Lehre zu pflegen und zu verbreiten. Und während die Männer fast ausschließlich Angehörige der alleruntersten Stände waren, befanden sich unter den Frauen solche aus den besseren, ja aus den obersten Klassen. Man munkelte von vornehmen Patrizierfamilien, deren Töchter, angesteckt von dem neuen Geist, heimlich zur Nacht aus dem Hause entwichen, um mit ihren Glaubensgenossen zusammen zu kommen.
Von schauderhaften Auftritten erzählte man, die sich in diesen Patrizierhäusern zutrugen. Die Mütter hatten versucht, die Schande ihrer Töchter zu verheimlichen. Natürlich aber war der Vater dahintergekommen, und nun gab es wütende Zurechtweisungen, Stockschläge, Einsperrungen. Mancher von den fettglänzenden Herren, der bei Tage sein lächelndes Gesicht durch die Straßen spazieren führte, trug die Verzweiflung mit sich herum. Wenn man erfahren hätte, was für Geschichten sein Töchterchen trieb! Mit wem sie zusammenkam, und in welcher Art!
Denn was man alles von diesen Versammlungen erzählte, das war einfach unerhört.
Wenn die Raserei ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann erloschen plötzlich die Lichter, und im Dunkel fiel man sich wechselseitig in die Arme; man küßte sich, liebte sich, und es geschahen Dinge – Dinge – die ehrsamen Römer, die satt und vollgetrunken nach Hause schwankten, schüttelten sich, indem sie der Greuel gedachten, die von diesen Christianern verübt wurden.
Aber nun war mit ihnen aufgeräumt.
Heute endlich hatte die Faust des Nero hineingegriffen in ihre Schlupfwinkel und sie dem Volk vor Augen gestellt, daß jeder einmal hatte sehen können, wie sie eigentlich aussahen, diese Feinde der Menschen, dieser Abschaum. Sie hatten ihre Rolle gut durchgeführt bis zum Ende – das mußte man ihnen wirklich lassen.
Jeder Einzelne war gefragt worden, ob er sich als Christianer bekenne, und » Christianus sum« hatte jeder Einzelne geantwortet. Ob sie bekennten, daß sie das Feuer angelegt hätten, und jeder Einzelne hatte die Hand hochgehoben: »nein, es hat keiner von uns das Feuer angelegt«.
»Wie sie sich denn erlauben dürften, für alle anderen gut zu sagen,« waren sie gefragt worden: »ob sie sich denn alle untereinander kennten?« »Ja – sie kennten sich alle untereinander,« hatten sie geantwortet.
Und dann hatten sie sich an die Pfähle führen und anbinden lassen, ohne Widerstand zu leisten, obschon baumstarke Männer unter ihnen gewesen waren; ohne zu weinen oder zu klagen, obschon Frauen und Mädchen darunter gewesen. Natürlich hatte es, wie immer bei solchen Gelegenheiten, ein paar Dummköpfe unter den Zuschauern gegeben, die heimlich gemeint hatten, daß das eigentlich großartig, beinah wunderlich wäre, Man hatte sogar einige unter dem Publikum bemerkt, die plötzlich kreideweiß im Gesicht geworden und davon gelaufen wahren.
Aber das waren nur einige wenige – die Mehrzahl hatte das Schauspiel mit angesehen und genossen, vom ersten bis zum letzten Augenblick – und ein Schauspiel war es gewesen – ein Schauspiel –
Und nun war es zu Ende.
Die Grausamkeit, die sich wie ein Geier mit bluttriefenden Schwingen auf eine Schar von unglückseligen Menschen herabgestürzt hatte, war satt, die Mahlzeit beendet, die Opfer waren verschlungen.
Zu Ende nun das letzte schreckliche Winden der gemarterten Leiber am glühenden Pfahl; überstanden der Augenblick, da die Heldenkraft der Seele allem Opfermute zum Trotz unter den Qualen des Körpers zerbrach; verhallt das letzte ächzende Röcheln, in welches das »Hosiannah« übergegangen war, mit dem sie den Beginn des Sterbens begrüßt hatten.
Zu Ende die Schaulust, der Blutdurst, das Gebrüll und das Geheul.
Was sich noch auf den Füßen bewegen konnte, war nach Haus gewankt; was nicht mehr stehen und gehen konnte, war an der Stelle, wo es sich befand, zur Erde gesunken und lag da schnarchend in viehischem Schlaf, in dicken, übereinander gebündelten Menschenhaufen und Ballen, in schwärzlichen Klumpen, erkaltenden Lavamassen ähnlich, die der Krater Rom aus seinen Eingeweiden gespieen. Endlich war jeder Laut erstorben, die stille, süße Augustnacht breitete ihren duftenden Schleier über all' den Menschengreuel, und nun, im Schweigen des Dunkels, begann ein neues, lautloses, beinah gespenstisches Leben in den Gärten des Nero.
Vereinzelte Gestalten waren plötzlich da und huschten mit unhörbaren Schritten hierhin und dorthin. Man hätte kaum sagen können, von wo sie erschienen; ob sie vorher schon dagewesen waren, ob sie von fernher kamen – aber sie waren da.
Erst einzelne, dann mehr und immer mehr, die sich durch kaum wahrnehmbare Zeichen untereinander verständigten, sich zu einander fanden, um gemeinsam ans Werk zu gehen, vorsichtig auftretend, damit sie keinen der Schlafenden am Boden anstießen und aufweckten.
Es waren die Christianer, die heute unentdeckt geblieben und dem Gemetzel entgangen waren, und die nun kamen, um ihren getöteten Glaubensgenossen den letzten Dienst zu erweisen und ihre Reste zu bestatten.
Sie hatten nicht lange zu suchen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Claudia's Garten - Eine Legende