Zweiter Abschnitt. - Die markigen Fäuste der numidischen Fackelträger hatten die vier Schimmel ...

Die markigen Fäuste der numidischen Fackelträger hatten die vier Schimmel vorn wieder zur Ruhe gebracht; der Wagen setzte sich von neuem in Bewegung, und in stürmischer Eile verschwand er im Dunkel der Gassen, den Weg verfolgend, der zum Palatin führte.

Der Gastgeber zog sich vom Feste zurück; das Fest hatte offenbar seinen Höhepunkt überschritten, es neigte sich zum Ende.


Kaum daß der Wagen verschwunden war, erdröhnte das Pflaster der Brücke von taktmäßigen Schritten; abermals loderte Fackelglanz auf, und wieder bot sich ein wunderbares Bild; die Leibkohorte des Cäsar kam aus den Gärten hinter dem Gebieter her, um nach dem Palatin zu marschieren, wo ihre Kaserne sich befand, und wo sie im Palast des Kaisers und bei seiner Person den Leibwächterdienst versahen.

Diese Leibwächter waren Germanen.

Es war sicherer, von solchen Leuten umgeben zu sein, als von römischen Prätorianern. Unter den Prätorianern gab es viele Kinder der Stadt; sie ergänzten sich hauptsächlich aus der Bevölkerung von Rom. Rom aber war ein Meer, auf dem die Winde rasch wechselten. Heute liebte es, vergötterte und betete an – morgen stand es vielleicht anders. Hatte man das nicht vor kurzem erst erlebt? Als man in Rom geglaubt hatte, der Cäsar hätte ihnen die Häuser über dem Kopfe angezündet – welch' ein Geheul von Wut und Rache war da zum Palatin emporgestiegen – bis daß man dann erfuhr, wer eigentlich die Verruchten gewesen waren, die all' das Unheil angestiftet hatten, das namenlose!

Mit diesen Germanen war das eine andere Sache.

Bei denen gab es keine Launen, keine Stimmungen, kaum einen eigenen Willen. So wie die großen, langhaarigen Hunde, die sie von jenseits der Alpen mitgebracht hatten, zu ihnen aufschauten mit schweigenden, treuherzigen Augen, so blickten sie zu dem Cäsar auf, zu ihrem Herrn.

Nicht einen Schritt that der Cäsar aus seinem Palast, ohne daß sie mit ihm waren und um ihn her.

Was für ein wollüstiges Gefühl das für den Lüstling war, wenn er sich sagen konnte, daß seine Hand, die in jeder einzelnen von diesen Fäusten zermalmt worden wäre wie Glas, diese ganze Berserkerkraft, einer Maschine gleich, regierte; daß sie bewegungslos wurde, wenn er es befahl, und sich wie ein Bergstrom über die Römer ergossen haben würde, wenn er es befohlen hätte. Wie der feige, in Genüssen verzärtelte Leib aufschauerte, wenn die schweigenden Riesen sich um ihn scharten, um ihn zu beschützen.

Denn Riesen waren es; jeder einzelne der Kohorte sah aus wie ein Gigant, als sie jetzt, vom Fackellicht umsprüht, das ihre Erscheinung noch abenteuerlicher machte, stumm, kaum mit halbem Blick nach rechts und links sehend, wo der römische Pöbel sie mit offenen Mäulern und Augen wie Fabeltiere anstarrte, ihres Weges dahinschritten.

Zwei Häuptlinge gingen an ihrer Spitze; die großen, zottigen Hunde, die sie nie verließen, sprangen um sie her. Nicht die kurzen Schwerter, wie die Römer sie an ihren Soldaten gewöhnt waren, lange Waffen in schweren Scheiden hingen an ihren Lenden und begleiteten klirrend ihren wuchtigen Schritt. Auch die übrige Kleidung und Ausrüstung war phantastisch und ein buntes Durcheinander von römischer Bewaffnung und germanischer Nationaltracht. Alle trugen sie den römischen Waffenrock, aber, wie es sich für Leibwächter des Nero geziemte, mit bunten Farben und Steinen ausgenäht und ausgeschmückt; von den Häuptern aber nickten statt der einfachen römischen Helme Köpfe von Tieren, die man in Italien kaum mehr kannte und sah, von Bären, Wölfen, Auerochsen und Elentieren.

Hörner ragten in die Luft: in aufgerissene Tierrachen sah man hinein, mit furchtbaren Zähnen besetzt; dieser und jener trug Adlerfedern, so dicht in einander gefilzt, daß es aussah, wie ein wandelndes Gebüsch. Allen gemeinsam aber war das lange, blonde, beinah gelbe Haar, das unter der Kopfbedeckung in Zotten herniederhing bis ins Gesicht.

Wie die Römer es anstarrten, die krausköpfigen, schwarzen Römer, dieses unbegreifliche, fabelhafte Haar! Wenn man es doch einmal hätte anfassen, einmal daran hätte zupfen können, um sich zu überzeugen, ob das wirklich an menschlichen Schädeln fest angewachsenes Haar war!

Aber an Kerle, wie diese da, die Hand anlegen – der Gedanke allein jagte einem den Schauer über die Haut – an Menschen mit solchen Gesichtern! Denn wild sahen die Gesichter aus, wild und furchterregend.

Und so anders als die Römer-Gesichter, so ganz anders!

Was für Augen das waren! Ob blau? Ob grau oder grün? Es wäre kaum möglich gewesen, die Farbe zu bezeichnen – nur daß sie nicht dunkel waren, wie die Augen der Römer, das sah man. Und wenn diese Augen sich hier und da nach rechts oder links auf die Volksmenge richteten, dann war etwas Grasses in dem Blick, wie das kurze Aufleuchten einer Klinge, dann war es, als fühlte man ein kaltes Eisen zwischen den Rippen.

Und endlich die Bärte! Wie Wälder standen sie um die Wangen, und wie breite Wellen gingen sie unter dem Kinn hinunter bis tief auf die Brust. Bei den meisten wenigstens; denn einige wenige waren darunter, die keine Bärte trugen, offenbar noch ganz junge Männer.

Grade ein solcher schritt in der vordersten Reihe, dicht hinter den beiden Häuptlingen. Eine Erscheinung, an der die Augen der gaffenden Weiber hängen blieben, ein schöner Mensch. Der schlanke Leib war aufgeschossen wie ein Mastbaum, und die Schwermut, die auf all' diesen Germanengesichtern lag, war auf seinem Antlitz, das regelmäßige Züge zeigte, bis zur Düsterkeit gesteigert.

Er wandte das Haupt nicht nach rechts noch nach links; starr gradeaus ging sein Blick, ein traumverlorener, sinnender Blick. Als wenn seine Augen ein Bild festzuhalten trachteten, das weit von hier war, das nichts gemein hatte mit dem allen, was ihn hier umflitterte, umtobte und umdrängte. Ein fernes, wunderbares Bild – was mochte es sein?

Eine Erinnerung vielleicht an das Land da oben, jenseits der Alpen? An den rauschenden Wald? An die Menschen, die um ihn her gewesen waren? Blond wie er?

Blauäugig wie er? Die Sprache sprechend, die auch er sprach? Oder war es das nicht? Etwas Finsteres schien es zu sein, was die Gedanken hinter dieser weißen Stirn zusammenballte. Die Erinnerung vielleicht an das, was er dort eben erlebt hatte, bei dem Feste des Cäsar, dem er als Leibwächter des Cäsar hatte beiwohnen müssen? Ein Bild vielleicht, das er dort gesehen hatte? das er nicht wieder los wurde – von dem er fühlte, daß er es nicht wieder los werden würde, solange er lebte?

Die Kohorte hatte die Brücke überschritten; und so wie vorhin der Wagen des Kaisers, verschwand auch sie im Dunkel der Gassen, die zum Palatin führten.

Nun aber war kein Stillstand mehr; in Gruppen erst, dann in Haufen und endlich in Scharen kam es aus den Gärten des Nero daher, das Volk, das dem Feste zugeschaut hatte und sich jetzt nach dem Innern der Stadt zurückwälzte zu seinen Quartieren oder zu den Zelten und Baracken.

Es wälzte sich; denn die meisten gingen schwankend und taumelnd, einer auf den anderen gestützt, manche auch so, daß sie von Zweien oder Dreien geführt und geschoben werden mußten. Ein plärrendes Geräusch von tausenden und tausenden von schwatzenden Stimmen erfüllte die Luft; die Mehrzahl der Zungen bewegte sich in lallenden Tönen; Nero hatte mit dem Wein nicht gegeizt, und seine Gäste hatten dem Wirte Ehre angethan; das merkte man. Ganze Teiche waren mit Wein gefüllt gewesen, und ganze Teiche waren ausgetrunken worden. Aus allen Gesprächen tönte wieder und immer wieder ein Name hervor: »Nero«; in den umnebelten Köpfen war ein Gedanke noch lebendig: »Nero,« Nero, der Freund seiner Römer, der Bestrafer der Übelthäter, der Kaiser, der Künstler, Nero der Gott.

Ja, er hatte sie bestraft, die Übelthäter, die Urheber des großen Leids, die Mordbrenner, die verruchten! Gründlich, gehörig, so daß ein ehrlicher Mann seine Freude daran haben mußte, so hatte er sie bestraft. Wer Feuer anlegt, soll durch Feuer büßen, das war sein Grundsatz gewesen. Mochten auch einige verzärtelte Gemüter nachträglich behaupten, die Art der Strafe wäre zu furchtbar gewesen – als ob es eine zu furchtbare Strafe für solches Gesindel geben konnte! Mochten auch einige vor Entsetzen davon gelaufen sein – ja, man erzählte sogar von solchen, die in Ohnmacht gefallen wären – es war recht so gewesen, gut und ein herrliches Schauspiel. Nero war ein gerechter Mann und ein kluger dazu. Wo hatten sie denn gesteckt mit ihrer Weisheit, all' diese Weisheit kramenden Philosophen, als es galt, herauszukriegen, wer das Feuer angelegt haben mochte? Der große, dicke, faule Burrus, der Präfekt der Prätorianer, der doch für die Sicherheit der Stadt zu sorgen hatte – was hatte er denn gethan? Nichts. »In den Ölmagazinen ist es ausgekommen« – das war ihre ganze Weisheit gewesen. Eine schöne Weisheit! Seit wann entzündet sich denn Öl von selbst? Angelegt war es worden, das Feuer, das sah jedes Kind ein! Aber von wem? Etwa gar von dem Nero selbst? Solche Niedertracht! Von den Senatoren ging es aus, von den fettleibigen Schuften, das nichtswürdige Gerücht; natürlich; denn daß sie den Nero nicht leiden konnten, das wußte man ja. Aber sie würden es schon noch zu hören bekommen und zu fühlen! Und so hatte niemand aus noch ein gewußt, bis daß Nero selber sich der Sache annahm, und da war es mit einem Male heraus gewesen, und den Blinden war der Star gestochen – die Christianer waren es gewesen! Daß man daran auch nicht gleich gedacht hatte! Er war doch klüger als sie alle, der Nero!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Claudia's Garten - Eine Legende