An Wilhelm Petersen - Zürich, den 21. November 1882

Da es dieser Tage bei uns zu schneien begann, so werden Sie, bester Freund, in Ihrem Norden jetzt wohl mitten in dem ersehnten schön duftenden Schnee sitzen, wozu ich alles Vergnügen wünsche. Wenn er in der Landschaft ganz und nicht fleckweise liegen bleibt, wie es bei uns der Fall ist, sobald ein bißchen West- oder Südwind kommt, so ist es auch eine schöne Sache.

Die kleine Arche umgekehrter Art, welche Fische aufs Trockene bringt, ist auch dies Jahr mit ihrer Besatzung glänzender Sprotten glücklich angekommen und mit dankbarem Herzen von dem alten Geschwisterpaar beim Abendtee vertilgt worden, worüber Sie uns den angemessenen Gefühlsausdruck gestatten wollen. Wir wohnen jetzt in der dem ›Bürgli‹ gegenüberliegenden Gegend, Zeltweg-Hottingen, in einer bebauten Vorstadtstraße mit Vorgärtchen, so daß die Häuser nicht zusammenhängend gebaut sind. Allein Ausficht und Himmel sind dennoch flöten gegangen und ich bin gewärtig, ob ich noch ein Wohnsitzchen im Grünen erlangen kann. Etwas Landhausartiges war für das Geld, das ich verwenden kann, nicht zu kriegen; alles Neugebaute, das nicht eben für reiche Leute bestimmt ist, hat zu kleine Räume, und wo etwas gutes Älteres frei wird, kommt man immer zu spät, da unser Nest zu den langweiligen Vergrößerungspunkten gehört, wo von allen Seiten, trotz aller Krisen, stets neue Horden müßiger und unmüßiger Menschen zulaufen.


Der Umzug war eine große Peinlichkeit für mich, und ich verlor fast zwei Monate darüber. Zum Überfluß stürzte ich beim Einpacken von der Bücherleiter, aus der Nähe der Zimmerdecke, auf den Boden den Kopf aufschlagend, herunter, so daß mir leicht das Lichtlein hätte ausgeblasen werden können. Doch ging die Wunde zwar bis auf den Knochen, letzterer aber blieb ganz, und die Geschichte war in zehn Tagen zugeheilt ...

Meine Gedichte sind schon zu einem ansehnlichen Manuskript angewachsen, dessen Wachstum aber durch den Wohnungswechsel unterbrochen worden. Sie werden im Frühjahr, wahrscheinlich in Berlin, an den Tag kommen. Wenn Sie indessen etwas Schöneres lesen wollen, so lassen Sie sich die Gedichte meines Landsmannes Conrad Ferdinand Meyer (Leipzig bei Hässel) kommen; es ist seit Jahren nichts so Gutes in Lyrischem erschienen.

Leben Sie mit den Ihrigen glücklich den geliebten Weihnachtstagen entgegen. Ihrem guten Julbruder Storm will ich heute auch noch schreiben und Euch dann Euerer goldenen Kindheit überlassen.

Ihr schönstens grüßender
Gottfr. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe