An Adolf Exner - Zürich (Enge), 19. August 1876

Lieber Freund!

... Mit meiner Demokratenregierung bin ich leidlich auseinandergekommen oder vielmehr lustig, was ich Ihnen glaub ich noch nicht erzählt habe. Sie veranstalteten mir ein Abschiedsessen im Hotel Bellevue, an dem ausschließlich die Mitglieder der Regierung und ich waren, und überreichten mir einen silbernen Becher. Die Sache begann um sechs Uhr nachmittags. Um neun Uhr schien es mir einschlafen zu wollen, ich verfiel auf die verrückte Idee, ich müsse nun meinerseits etwas leisten und den Becher einweihen. Ich lief hinaus und machte ganz tolle Weinbestellungen in Bordeaux, Champagner und so fort in der Meinung, dieselben selbst zu bezahlen. Die Herren aber wußten, daß alles aus der Staatskasse bezahlt werden müsse, und um den Schaden wenigstens erträglich zu machen, fingen sie krampfhaft an mitzusaufen und soffen verzweifelt bis morgens um fünf Uhr, so daß wir am hellen Tage auseinandergehen mußten. Sieber wurde in einer Droschke nach Hause gebracht; ich wurde in einer Droschke nach dem Bürgli gefuhrwerkt: ich hatte drei Tage Kopfweh. Das Tollste ist, daß ich die Herren, je mehr wir soffen, um so reichlicher mit Offenherzigkeiten regaliert habe in diesem letzten Augenblick, mit meinen Ansichten über die Verdienstlichkeit ihres Regiments und dergleichen, was mich nachher geärgert hat, denn es war doch kommun undankbar. Sie machten jedoch geduldige Mienen dazu; ich glaube aber, sie gäben mir jetzt den Becher nicht mehr. Die bestellten Weine wollte ich am andern Tage oder vielmehr am Nachmittage desselben Tages bezahlen; es wurde mir aber richtig nichts abgenommen.


Alles wird sorgfältig verschwiegen; nur das Rechnungsbelege wird als stummer Zeuge in den Archiven liegen bleiben.

Besten Gruß

Ihr
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe