Frauenfeld, den 21. November 1842.

Liebe Mutter!

Endlich bin ich bis Frauenfeld gelangt, wo ich mich schon einen Tag aufhalte. Die 30 Gulden hatte ich in München richtig erhalten mit dem gehörigsten Danke; da ich aber damals noch nicht ganz zur Reise bereit war, so verzögerte sich dieselbe noch um acht Tage, wo denn ein Teil des Geldes wieder darauf ging, besonders, da ich allerlei kleine Schulden zahlte. Hegi half mir noch mit zwei Louisdor aus, und ich schob endlich ab; ich machte aber einen schlechten Reiseplan, indem ich, um wohlfeiler zu fahren, eine Retourgelegenheit nahm, die mich bis Kempten führte; dort aber fand sich keine weitere Gelegenheit, ich mußte einen Tag liegen bleiben und endlich einen Kutscher teuer bezahlen, um nur fortzukommen. So kam es, daß ich, als ich nach Konstanz kam, wieder auf dem Hund war. Ich schrieb Müller in Frauenfeld; er holte mich sogleich samt meiner Bagage mit einer Chaise ab und hat mich nun bei sich einquartiert. Obgleich ich mich sehr nach Euch sehne, da ich einmal so nahe bin, so will er mich doch nicht fortlassen, und ich muß schon noch ein paar Tage bleiben.


Du wirst wahrscheinlich von meinen Hausleuten in München einen Brief empfangen haben wegen 47 Gulden, die ich ihnen noch schuldig bin. Du mußt Dich das nicht anfechten lassen, denn es geht nur mich an, und die Leute werden bezahlt, wenn es mir besser geht, bis dahin müssen sie warten, wie andere Sterbliche auch. Ich werde überhaupt mündlich mit Dir über diese Sache sprechen. Nur schreibe ich dies, damit Du Dich etwa durch solche Sturmbriefe nicht erschrecken lassest; besonders schicke durchaus etwa kein Geld hin!

Mein Bild habe ich den letzten Tag vor meiner Abreise noch erhalten, aber in welchem Zustande! Der Rahmen ganz ruiniert. Es war lumpenmäßig eingepackt; es nimmt mich nur Wunder, daß sich die hochmütigen und vornehmen Herrn Kunstgönner in der Schweiz nicht schämen, einen jungen Kerl und armen Teufel so um seine Sache zu bringen. Doch mag ich mich jetzt nicht länger bei diesen Lumpereien aufhalten. - Nur noch etwas.

Es hat mir in Lindau, als ich ins Dampfschiff ging und fand, daß ich nicht mehr genug Geld hatte, ein Handlungsreisender, der mich näher gar nicht kannte, Geld angeboten, soviel ich wollte; ich nahm aber nur 3 Gulden, soviel ich bis Konstanz brauchte. Er sagte, er werde etwa in acht Tagen auch über Zürich kommen, wo er mir's vom ›Storchen‹ aus, wo er immer logiert, sagen lassen wolle. Wenn ich also in dieser Zeit etwa noch nicht dort bin, so sei doch so gut und schreibe ihm ein Billett, daß ich noch nicht angekommen sei, und wenn's möglich ist, so schick ihm die 3 Gulden! Er heißt Herr Altendorf aus Solingen. Doch muß ich enden, denn die Chaise steht vor dem Hause; Müller will mit mir ausfahren in Geschäften. Er ist sehr gut eingerichtet und führt ein beschauliches Leben. Ich lasse einstweilen alle meine Bekannten, Spinner besonders, grüßen ...

Unterdessen grüßt Euch tausendmal Euer Sohn und Bruder, sowie auch alle im Hause.

G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe