Zürich, den 16. September 1845.

Mein liebster Leemann!

Mit großer Überraschung und noch größerem Vergnügen erhielt ich Deinen Brief vom 2. Juli, und mein Erstes in der Beantwortung desselben sei die Versicherung, daß ich seit meinem Aufenthalt in der Schweiz vielleicht wöchentlich, ja täglich an Dich gedacht, und oft mit andern von Dir gesprochen habe. Dieses ist seit einiger Zeit um so angenehmer für mich geworden, als ich vernehme, daß Dir ebenfalls ein besserer Stern in- und auswendig aufgegangen ist. Möge es der Morgenstern sein, der einer schändlichen Regennacht freundlich zu Grabe leuchtet. Du bist in Deinem schwarzen Habit und mit Deinen schwarzen Haaren die dunkle Gestalt, an die sich meine meisten Erinnerungen an eine graue, kummervolle Zeit knüpfen, an eine Zeit, wo ich Jugend und Leben beinah für verloren hielt, und ich darf Dir jetzt schon sagen, daß ich damals, in meinem Zimmer an der Schützenstraße, manchmal trostlos auf meinem Bette herumgekugelt bin. Ich muß hier dankbarst den Witz und den Leichtsinn hochleben lassen, die uns durch diese greulichen Drangsale hindurchhalfen. Ein guter Witz geht immer für ein Stück Brot, und ein leichter Sinn ersetzt manchen Becher Wein.


Mich und meine Umsattlung anbetreffend, ist die Geschichte kürzlich folgende: Als ich vor nun bald drei Jahren in Zürich ankam, hoffte ich so viel Geld auftreiben zu können, als nötig sei, um wieder nach München zurückzukehren und meine Studien mit besserem Erfolge fortzusetzen. Aber alle Kräfte waren erschöpft. Ich vegetierte den Winter hindurch ziemlich langweilig und elend. Im Frühling 1843 wachte mein Schöpfungstrieb wieder auf; da ich aber im Malen keinen Trost und Erfolg empfand, verfiel ich unwillkürlich und unbewußt aufs Versmachen und entdeckte höchst verwundert, daß ich reimen könne! Ich machte Gedichte die schwere Menge und faßte den Entschluß, sie herauszugeben, damals nur, um eine Summe zu erschwingen, um nach München zu kehren, wohin alle meine Gedanken noch gerichtet waren. Es war aber dummes und schlechtes Zeug, das ich machte, das längst beiseite geworfen ist. Einzelnes davon verschaffte mir aber Aufmunterung, bis ich zuletzt eine Sammlung besserer Sachen beisammen hatte, welche ich kompetenten und einflußreichen Personen mitteilte. Sie wurde hin und her beguckt und geworfen; endlich hieß es, ich sei ein ›Dichter‹, und von da an kam ich in ausgezeichnete ehrenvolle Gesellschaft, und begann literarische Studien. Das Malen ist nun an den Nagel gehängt, wenigstens als Beruf. Was von mir gedruckt wurde, erschien nur als Beitrag in Zeitschriften und Taschenbüchern, und die Hauptexpedition, die Herausgabe eines Buches, wird erst nächsten Frühling stattfinden. Daneben habe ich dramatische und andere Spukereien die Menge im Kopf, und, falls es nicht ein Strohfeuer gewesen ist, eine schöne Zukunft. Diese wird auch teilweise von der Gestaltung der politischen Dinge abhängen, denn Du mußt wissen, daß ich ein erzradikaler Poet bin und Freud und Leid mit meiner Partei und meiner Zeit teile.

Wenn wir beide also nun anfangen, den äußersten Zipfel eines grünen Zweiges zu erhaschen, so muß ich Dir mit Wehmut melden, daß ein Dritter aus unserer Bekanntschaft beinahe im völligen Zugrundegehen begriffen ist. Müller, der Architekt von Frauenfeld, hat sein Vermögen in kurzer Zeit durch ungeschickte Praktik und Leichtsinn verloren, mußte alles verkaufen, trieb sich in Basel und nachher in Wien herum und ist nun in den elendesten Umständen. Ich kann nichts tun für ihn, obgleich ich es ihm schuldig wäre, denn ich habe zurzeit noch über kein oder nur sehr wenig Geld zu verfügen; Gott helfe ihm empor; denn er ist noch jung. Wenn das Luder nur selbst Hand anlegen wollte!...

Mit Irminger und Ruff bin ich oft am Abend zusammen. Wir lachen und reißen so schlechte Witze, daß sich die Stiefel unter den Tischen schämen. Ruff ist just auf meinem Zimmer, raucht aus einer schmählichen Hundepfeife, die er aus dem Freischarenfeldzug (d.h. als eidgenössischer Soldat) zurückgebracht hat, und läßt Dich grüßen. Ich muß plötzlich abbrechen.

Lebe wohl und schreibe bald wieder einmal!

Dein Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe