Abschnitt 1

Salzburg


Der Weg von München hieher ist sehr traurig. Er geht durch eine ungeheure Ebene, die nur hie und da von kleinen Anhöhen unterbrochen wird. Das viele Schwarzholz, die elenden, dünn zerstreuten Bauernhütten, der Mangel an Städten, die Unsicherheit vor Räubern, alles macht einen soviel als möglich aus Bayern hinauseilen. Auf dem langen Wege von siebzehn deutschen Meilen sieht man keinen nennenswürdigen Ort als das schwarze Wasserburg in seinem tiefen Loch zwischen öden Sandhügeln, wodurch sich der Inn krümmt und zwischen denen er eine Erdzunge bildet, worauf der Ort sehr seltsam sitzt.


An der salzburgischen Grenze wird es besser. Die Aussichten sind mannigfaltiger, die Wohnungen der Bauern reinlicher und lebhafter von Aussehn, und das Land ist viel besser gebaut. - Ohngefähr eine Stunde vor dieser Stadt stellte sich einer der schönsten Prospekte dar, die ich je gesehen. Er bildet ein ungeheures Amphitheater. Im Hintergrunde erheben nackte Felsen ihre trotzigen Häupter zum Himmel empor. Einige derselben, die etwas zur Seite stehn, haben die Gestalt von Pyramiden. Diese abenteuerliche Bergmasse verliert sich stufenweis in waldichte Berge und dann zu beiden Seiten her in schöne, zum Teil wohl angebaute Hügel. Mitten auf dem Grund dieser Bühne liegt die Stadt, über welche das Schloß auf einem hohen Felsen emporragt. Der Salzachfluß gibt der ohnehin so mannigfaltigen Landschaft noch mehr Leben. Hie und da breitet er sich ziemlich aus, und seine Ufer sind an manchen Orten mit schönen Partien Gehölze beschattet.

Mit der einförmigen und öden Gegend um München sticht die Lage dieser Stadt ungemein ab. Sie ist äußerst sonderbar und ein bewundernswürdiges Spiel der Natur und Kunst. Der Strom teilt sie in zwei ungleiche Teile. Auf der Westseite desselben, worauf der größere Teil der Stadt liegt, erhebt sich aus einer weiten Ebene ein hoher, runder, steiler und harter Fels, der das Schloß wie eine Krone trägt. Vom Fuß dieses Felsen zieht sich längst dem Strom herab, in einer geringen Entfernung von demselben, um diesen Teil der Stadt her ein langer Berg von festem Sandstein, der sowohl von innen als außen senkrecht wie eine Mauer abgehauen und mehrere hundert Fuß hoch ist. Auf diesem natürlichen Wall, der weit über die hohen Häuser der Stadt emporragt, steht ein starkes Gehölze, und es liegen verschiedene Landgüter darauf. Man hat an einem Ort, wo er gegen sechzig Schritte breit ist, ein schönes Tor durchgehauen. Auf der andern Seite des Flusses steht der abenteuerlichste Fels, den man sehen mag. Er kehrt gegen eine schöne Ebene abwärts des Stromes eine von der Natur abgehauene nackte Wand, die eine halbe Stunde lang und in der Mitte wohl fünfhundert Fuß hoch ist. Aufwärts des Stromes verliert sich sein behölzter Abhang sanft in eine andere schöne Ebene. Ich kann dir seine sonderbare Lage nicht besser geben, als wenn du die Stadt zum Mittelpunkt eines zwei Stunden langen Diameters Durchmesser, den der Fluß bildet, annimmst, einen halben Zirkel von schönen Bergen gegen Osten herumziehst und diesen Felsen dann als einen Radius in die Mitte setzest, so daß er zwischen der Stadt und dem Bogen der Berge wie eine Querscheidewand steht und die Fläche des Halbzirkels in zwei gleiche Teile schneidet. Da, wo er dem größern Teil der Stadt gegenüber an den Fluß stößt, liegt der kleinere Teil derselben, und von seiner gegen Norden zu senkrecht abgehauenen langen Wand ziehen sich die Festungswerke in einem Viertelzirkel bis an den Fluß herab. Eine einzige, sehr enge Straße geht zwischen dem Fluß und seinem Abhang gegen Süden hin.

Die Natur hat in einer wunderlichen Laune dem Strom seinen Weg durch die abgerissenen Felsen angewiesen. Zwischen dem sonderbaren Wall des größern Teils der Stadt und den nächsten Bergen gegen Westen ist eine ganz gleiche, zwei Stunden weite und tiefe Ebene, die sich weit über der Stadt hinauf längst dem Fluß hinzieht. Wenn man die Gegend beschaut, so sollte man meinen, er müßte seinen Weg durch diese Ebene nehmen, um sich in seinem wilden Lauf mehr ausbreiten zu können. Aber anstatt dessen drängt er sich ungestüm durch die Felsen durch, welche die Stadt umgeben und sich seinem Lauf entgegenzusetzen scheinen. Nur aus der erstaunlichen Wut und Gewalt, womit er hastig sein Bette gräbt, läßt sich dieser eigensinnige Lauf erklären. - Das Land umher sieht überhaupt sehr romantisch aus, und ich sehe wohl, ich werde mich länger hier aufhalten, als ich anfangs dachte.

Die Stadt ist auch innerlich sehr schön. Die Häuser sind hoch und durchaus von Stein gebaut. Die Mauern gehn nach italienischer Art über die flachen Dächer hinauf, so daß man auf denselben durch ganze lange Straßen gehen kann. Die Domkirche ist die schönste, die ich auf der ganzen Reise von Paris hieher gesehen, und nach dem verkleinerten und simplifizierten Riß der Peterskirche zu Rom von großen Quaderstücken gebaut. Das Portal ist von Marmor und das Ganze mit Kupfer gedeckt. Vor dem Portal ist ein großer viereckter Platz, mit Schwibbögen und Galerien eingefangen, und an denselben stoßen die fürstliche Residenz und die Abtei St. Peter. Mitten auf diesem Platz steht eine schöne Statue der Maria in Blei in übermenschlicher Größe. Zu beiden Seiten der Kirche sind große, mit schönen Gebäuden umgebne Plätze. Mitten auf dem zur Linken steht eine der prächtigsten Fontänen von Marmor, die ich je gesehen, mit einigen kostbaren Figuren in Riesengröße. Auf jenen zur Rechten ist seitwärts ein Brunnen angebracht, der sich mit dem ersten gar nicht vergleichen läßt und dessen Neptun eine sehr erbärmliche Figur macht. - Die Stadt hat noch mehrere vortreffliche Gebäude und Statuen, die einen erinnern, daß man nicht weit von den italienischen Grenzen entfernt ist.

Soweit ich die Einwohner bisher kenne, scheinen sie sehr gesellig, offen und munter und für die Fremden ungemein eingenommen zu sein. Indessen, bis ich dich genauer mit ihnen bekannt machen kann, muß ich dir von einigen Ausfällen Nachricht geben, die ich von München aus in verschiedene Gegenden Bayerns getan habe.

Die bischöfliche Residenz Freising ist eben kein schlecht gebautes, aber im Grunde doch ein sehr armseliges Städtchen, das bloß von Pfaffen, wohlfeilen Nymphen, einigen elenden Studenten und armen Handwerkern besteht. Das fürstliche Schloß hat eine angenehme Lage auf einem abgerissenen Berg, worauf es eine herrliche Aussicht über einen großen Teil von Bayern und auf das tirolische und salzburgische Gebirge beherrscht. Die Besitzungen des Bischofs liegen durch Bayern und Österreich zerstreut, und so gering sie auch alle sind, so hat er doch einen großen Kreuzgang damit ganz bemalen lassen. Seine Einkünfte belaufen sich auf ohngefähr 130.000 Gulden, und er hat seinen Obristhofmeister, seinen Oberjägermeister, seine Räte, seine Leibwache, seine Musik und seine Küchen- und Kellermeister, welche letztre ohne Zweifel das meiste zu tun haben.

Von Freising reiste ich weiter nach Regensburg, einer finstern, melancholischen und sehr großen Reichsstadt, die, wie du weißt, der Sitz des Reichstages ist und ohngefähr 22.000 Menschen enthält. Ich weiß dir wahrhaftig nichts Gutes und Schönes von ihr zu sagen, als daß die Brücke über die Donau sehr massiv ist und der Teufel sie gebaut hat und daß ich im Gasthaus „Zum weißen Lamm“ vortrefflich einquartiert war. Der Wirt ist der artigste und billigste, den ich noch in Deutschland gefunden. - Man sollte glauben, die vielen Gesandten müßten die Stadt sehr lebhaft machen. Aber du glaubst nicht, wie da alles tot ist. Wäre der Fürst von Thurn und Taxis, kaiserlicher Prinzipalkommissarius und Reichsobristpostmeister, nicht da, so wüßte man gar nicht, daß der Reichstag in der Stadt säße. Aber dieser Herr, dessen Einkünfte sich auf ohngefähr 400.000 Gulden belaufen, gibt Opern, Komödien, Hetzen, Bälle und Feuerwerke. Er ist ein herzguter Mann, der durch sein edles Betragen und seine Großmut seinem Stand, seinem Souverän und seinem Vaterland Ehre macht. Er macht im eigentlichsten Verstand die Honneurs des Reichstages; denn die übrigen Gesandten der Reichsstände müssen wegen ihres geringen Gehalts sehr eingezogen leben. Viele fahren in Mietkutschen, und die Handelsleute unter der Bürgerschaft beklagen sich sehr, daß sie ihnen das Brot nehmen. Da alles, was an die Gesandten kömmt, zollfrei ist, so machen viele oder doch ihre Bedienten, Kommissionärs und Kaufleute ihren Profit darunter; und es mag wirklich wahr sein, was mir ein angesehener Bürger sagte, daß Regensburg mehr Schaden als Vorteil von dem Reichstag habe. Auch die Gesandten der größern Häuser, deren einige ein ansehnliches Vermögen haben, leben sehr stille. Die fremden Minister regulieren sich nach diesen, und so kann man viele Wochen in dieser Stadt sein, ohne von der Versammlung des Reichstages etwas zu spüren. Unter den Fremden nimmt sich unser Gesandter durch seine Kenntnisse sehr aus. Nicht nur er, sondern besonders auch unser Legationssekretär, Herr Herissant, eines Pariser Buchhändlers Sohn, sind sowohl mit der Verfassung Deutschlands als auch mit der Literatur desselben sehr genau bekannt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.