Abschnitt 6

München


Die schädliche Größe vieler Bauergüter in Bayern brachte mich auf eine Betrachtung, die wohl verdiente, von einem größern Politiker, als ich bin, etwas genauer erwogen zu werden. - Ich teile die freien Bauern in drei Klassen: 1) in die, deren Güter zu klein sind, um davon leben zu können, und die noch andern dienen müssen, um ihren völligen Unterhalt zu gewinnen, 2) in solche, welche von ihrem Eigentum hinlänglich bestehen können, und 3) in die, welche mehr besitzen, als zum gemächlichen Unterhalt einer Familie nötig ist, und die man eigentlich mehr oder weniger reiche Bauern nennt. - Beim ersten Anblick scheint das Steuern der Güter nach der Schatzung einzelner Grundstücke und gewissen Prozenten sehr billig angelegt zu sein. Kauft der Bauer ein neues Grundstück, so steuert er nach der Schatzung desselben sein gewisses Prozent, und so steigen seine Abgaben verhältnismäßig mit der Zahl der Morgen Landes, die er besitzt. - Bei genauer Untersuchung finde ich aber, daß es ein großer statistischer Rechnungsfehler ist, wenn der Bauer, der zu seinem Unterhalt nicht genug besitzt, verhältnismäßig ebensoviel von seinem Gut zahlen soll als der, welcher von seinen Besitzungen sein gemächliches Auskommen hat, und wenn dieser jenem, der übermäßig reich ist, in den Prozenten von den Grundstücken gleich gehalten wird. - Es ist ein politisches Axiom, daß drei oder vier wohlhabende Bürger einem Staat viel schätzbarer sein müssen als ein reicher, wenn auch das Kapital des letztern das Vermögen der erstern weit überwiegen sollte. Eine ganz gleiche Verteilung der Güter und des Geldes in einem Staat, wenn sie möglich wäre, würde Raserei sein, aber in der Überzeugung, daß sie platterdings unmöglich ist, muß jeder kluge Regent doch immer so handeln, als wenn sie möglich wäre. Die unglücklichsten Staaten sind die, worin zu großer Reichtum mit zu tiefer Armut der einzeln Glieder zusammen absticht. Es kann nicht lange dauern, so muß ein Teil der Einwohner derselben Despoten und der andre Sklaven sein. Wahre freie Leute werden von einem solchen Staat wie von einer tobenden Gärung ausgeworfen oder verzehrt. - Ein übermäßig reicher Bauer verschlingt nach und nach alle Armen in seinem Bezirke. Er leiht Gelder auf die Grundstücke der Ärmern, benutzt die Mißjahre, um ein Gütchen vom Nachbar wohlfeil zu erschnappen, und wenn er kein ehrlicher Mann ist, so kann er sich noch durch unzählige Kniffe in Besitz eines für ihn wohlgelegenen Stück Landes setzen. In einigen republikanischen Staaten sah ich mit Entsetzen, wie einige reiche Bauern auf die Art eine ganze Gemeinde zugrunde richten und die Tyrannen ihrer Mitbürger werden können. In monarchischen Staaten ist das Übel so groß nicht, aber doch immer beträchtlich genug, um mit allen Kräften dagegen zu arbeiten.


Man erwäge die Vorteile, die ein reicher Bauer von einem und dem nämlichen Grundstücke im Vergleich mit einem mittelmäßigen oder armen ziehen kann. Der Arme muß den Ertrag desselben sobald als möglich und gemeiniglich unter dem Preis verkaufen, weil ihn seine Gläubiger drängen. Der Mittelmäßige kann auch nicht lange aufspeichern, weil er Gefahr liefe, Geld zu leihen und durch die Interessen das wieder verlieren zu müssen, was er durch das Aufspeichern vielleicht gewinnen könnte. Aber der Reiche macht seine Spekulationen, und selten schlägt er um den Preis los, worum die andern ihren Schweiß verkaufen müssen. Er kauft in der Gegend von den Kleinern das Getreide auf, oder er hat ihnen vor der Ernte Geld vorgeschossen, und sie müssen es ihm um den Preis lassen, den er selbst setzt, und so verteurt er selbst zu seinem Vorteil das Getreide in seinem Bezirke. Bei einer Überschwemmung, bei einem Hagelwetter bleibt dem geringern Bauern oft nicht die Saat auf das künftige Jahr übrig. Das Stück Landes liegt brach, und wenn es der Reiche besitzt, wird es nun mit zwei-, dreifachem Gewinn gebaut, und so wird dieser auf Kosten des Armen und auf Kosten des Staates immer reicher, bis endlich, nachdem er zum großen Nachteil der Bevölkerung ein Dutzend kleine Bauern verschlungen, sein Herr Sohn, der unterdessen studieren mußte, kein Bauer mehr sein will, sich in die Stadt setzt, sein Gut verpachtet und dem Staat einen Müßiggänger mehr liefert.

Sollte der Reiche nicht für alle diese Vorteile, die er von dem nämlichen Grundstücke zieht, das sein ärmerer Nachbar so gut als er besitzen kann, dem Staat etwas mehr entrichten? Kann der Staat gleichgültig dabei sein, wenn die zahlreichste und nützlichste Klasse des Volks sich zum Teil unter sich selbst aufreibt und ein reicher Bauer bei einer Vergrößerung seiner Ländereien einen Eigentumsherrn zu einem Taglöhner macht?

Ich finde es höchst billig, daß in der Anlage der Steuer auf die Verschiedenheit der Bauern Rücksicht genommen werde. Der Arme soll nach dem Verhältnis von einem Grundstück nicht so viel zahlen als der Wohlhabende und dieser nicht so viel als der Reiche. Der Staat muß es dem erstern zu erleichtern suchen, wohlhabend zu werden, und dem letztern wehren, sich zum Nachteil der Bevölkerung noch mehr zu vergrößern. Ich würde also in meiner Republik, die, noch ungebildet, als Chaos im unendlichen leeren Raum schwimmt, ungefähr ein Mittel bestimmen und in der Steueranlage die Prozente im Verhältnis so steigen lassen, je weiter das Vermögen an Grundstücken eines einzeln Bauers über dieses Mittel hinaufgeht oder unter dasselbe fällt; z. B. in meiner Republik wäre ein wohlhabender Bauer der, welcher dreißig bis fünfzig Morgen Landes oder, kürzer, für 4- bis 6.000 Gulden Güter besitzt. Nun sollte jeder, der unter 4.000 Gulden Vermögen hat, ein Prozent, der, welcher zwischen den Drei- und Fünf- bis Sechstausenden schwebt, zwei, jener, welcher mehr besitzt, drei, und, wer doppelt soviel besitzt, vier Prozent von dem bezahlen, was über das Mittel hinaufsteigt. Beim Ankauf eines Grundstückes hätte dann der Arme gegen den Wohlhabenden und dieser gegen den Reichen einen sehr billigen Vorteil. Es ist wahr, es gäbe meinen Beamten etwas mehr zu rechnen, und es müßte mit den Urbarien Grund-, Hypotheken und Grundsteuerbuch etwas seltsam umgesprungen werden; aber dafür laß mich nur sorgen, wenn ich erst einmal meinen Staat auf sicherm Grund und Boden habe.

Um also wieder auf unser Bayern zu kommen, so wirst du dir ziemlich deutlich vorstellen können, wie wenig es das noch ist, was es sein könnte. Wären die Schulden getilgt, so könnte der Kurfürst nach der Zahl seiner Untertanen und seinen Einkünften leicht 40- bis 45.000 Mann auf den Beinen halten, und wäre dieser Teil seiner Besitzungen so angebaut wie seine Rheinlande, so könnte er wohl eine Armee von 60.000 Mann unterhalten und sich von den mächtigsten Häusern sehr viel Hochachtung verschaffen. Wenn sein Nachfolger zur Regierung kömmt, so wird das Ganze durch das Herzogtum Zweibrücken um ein beträchtliches vermehrt, und vielleicht wird dann auch die Wirtschaft besser. Leb wohl.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.