Abschnitt 2

Salzburg


Die Geschäfte des Reichstages gehn sehr langsam. Die Parteien, die sich bei wichtigern Vorfällen bilden, und die Eifersucht der größern Häuser auf ihren gegenseitigen Einfluß sind hauptsächlich daran schuld, denn die Form des Reichstages selbst ist ziemlich einfach. Er besteht aus drei Kollegien, dem kurfürstlichen, fürstlichen und städtischen. Die beiden erstern werden die höhern genannt, ob sie schon vor dem letztern in den gemeinschaftlichen Reichstagssachen nichts Wesentliches voraushaben. Alle drei Kollegien versammeln sich in einem Saal, um den kaiserlichen Vortrag zu vernehmen. Hierauf verteilen sie sich in die drei Kammern, in deren jeder die Stimmen nach einer festgesetzten Ordnung gesammelt werden. Die Mehrheit entscheidet sowohl in den drei besondern Kollegien als auch in den Resultaten derselben. Sind alle drei Kammern einig, so wird ein Reichsschluß abgefaßt und dieser als ein Reichsgutachten dem Kaiser oder dessen Prinzipalkommissar vorgelegt. Wenn ein Kollegium den zwei andern widerspricht, so wird sein Schluß dem Gutachten der zwei andern in der Relation an den Kaiser beigeführt. Die Reichsschlüsse werden sogleich vollzogen und beim Ende eines Reichstages in den Reichsabschied gebracht.


Das Kurfürstenkollegium die zur Königswahl Berechtigten. Seit dem 13. Jahrhundert die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der böhmische König. Im 17. Jahrhundert kamen Bayern und Braunschweig-Lüneburg hinzu, das böhmische Kurrecht ruhte seit dem 15. Jahrhundert. hat in Betracht der geringen Anzahl von Stimmen, woraus es besteht und die jedem der zwei andern viel zahlreichern Kollegien das Gleichgewicht halten, besonders aber dadurch ein großes Übergewicht, daß die fünf weltlichen Glieder desselben auch in dem Fürstenkollegium gegen zwanzig Stimmen haben. Seit dem Tod des letztern Kurfürsten von Bayern besteht es nur aus acht Stimmen, worunter der Kurfürst und Erzbischof von Mainz als der erste aller Reichsstände das Direktorium führt. Es ist nicht entschieden, wer im Fall der Gleichheit der Stimmen den Ausschlag geben solle, und da dieser Fall bei einer so kleinen Anzahl doch oft zu erwarten ist, so hofft man die neunte Kurwürde in dem Haus Württemberg oder Hessen-Kassel wieder aufleben zu sehen. Nur die Eifersucht einiger Kurhäuser, daß Österreich nicht einen Kandidaten in Vorschlag bringen möchte, der sein unzertrennlicher Anhänger sein müßte, steht diesem Entwurf im Weg.

Soweit ich die Einwohner bisher kenne, scheinen sie sehr gesellig, offen und munter und für die Fremden ungemein eingenommen zu sein. Indessen, bis ich dich genauer mit ihnen bekannt machen kann, muß ich dir von einigen Ausfällen Nachricht geben, die ich von München aus in verschiedene Gegenden Bayerns getan habe.

Die bischöfliche Residenz Freising ist eben kein schlecht gebautes, aber im Grunde doch ein sehr armseliges Städtchen, das bloß von Pfaffen, wohlfeilen Nymphen, einigen elenden Studenten und armen Handwerkern besteht. Das fürstliche Schloß hat eine angenehme Lage auf einem abgerissenen Berg, worauf es eine herrliche Aussicht über einen großen Teil von Bayern und auf das tirolische und salzburgische Gebirge beherrscht. Die Besitzungen des Bischofs liegen durch Bayern und Österreich zerstreut, und so gering sie auch alle sind, so hat er doch einen großen Kreuzgang damit ganz bemalen lassen. Seine Einkünfte belaufen sich auf ohngefähr 130.000 Gulden, und er hat seinen Obristhofmeister, seinen Oberjägermeister, seine Räte, seine Leibwache, seine Musik und seine Küchen- und Kellermeister, welche letztre ohne Zweifel das meiste zu tun haben.

Von Freising reiste ich weiter nach Regensburg, einer finstern, melancholischen und sehr großen Reichsstadt, die, wie du weißt, der Sitz des Reichstages ist und ohngefähr 22.000 Menschen enthält. Ich weiß dir wahrhaftig nichts Gutes und Schönes von ihr zu sagen, als daß die Brücke über die Donau sehr massiv ist und der Teufel sie gebaut hat und daß ich im Gasthaus „Zum weißen Lamm“ vortrefflich einquartiert war. Der Wirt ist der artigste und billigste, den ich noch in Deutschland gefunden. - Man sollte glauben, die vielen Gesandten müßten die Stadt sehr lebhaft machen. Aber du glaubst nicht, wie da alles tot ist. Wäre der Fürst von Thurn und Taxis, kaiserlicher Prinzipalkommissarius und Reichsobristpostmeister, nicht da, so wüßte man gar nicht, daß der Reichstag in der Stadt säße. Aber dieser Herr, dessen Einkünfte sich auf ohngefähr 400.000 Gulden belaufen, gibt Opern, Komödien, Hetzen, Bälle und Feuerwerke. Er ist ein herzguter Mann, der durch sein edles Betragen und seine Großmut seinem Stand, seinem Souverän und seinem Vaterland Ehre macht. Er macht im eigentlichsten Verstand die Honneurs des Reichstages; denn die übrigen Gesandten der Reichsstände müssen wegen ihres geringen Gehalts sehr eingezogen leben. Viele fahren in Mietkutschen, und die Handelsleute unter der Bürgerschaft beklagen sich sehr, daß sie ihnen das Brot nehmen. Da alles, was an die Gesandten kömmt, zollfrei ist, so machen viele oder doch ihre Bedienten, Kommissionärs und Kaufleute ihren Profit darunter; und es mag wirklich wahr sein, was mir ein angesehener Bürger sagte, daß Regensburg mehr Schaden als Vorteil von dem Reichstag habe. Auch die Gesandten der größern Häuser, deren einige ein ansehnliches Vermögen haben, leben sehr stille. Die fremden Minister regulieren sich nach diesen, und so kann man viele Wochen in dieser Stadt sein, ohne von der Versammlung des Reichstages etwas zu spüren. Unter den Fremden nimmt sich unser Gesandter durch seine Kenntnisse sehr aus. Nicht nur er, sondern besonders auch unser Legationssekretär, Herr Herissant, eines Pariser Buchhändlers Sohn, sind sowohl mit der Verfassung Deutschlands als auch mit der Literatur desselben sehr genau bekannt.

Die Geschäfte des Reichstages gehn sehr langsam. Die Parteien, die sich bei wichtigern Vorfällen bilden, und die Eifersucht der größern Häuser auf ihren gegenseitigen Einfluß sind hauptsächlich daran schuld, denn die Form des Reichstages selbst ist ziemlich einfach. Er besteht aus drei Kollegien, dem kurfürstlichen, fürstlichen und städtischen. Die beiden erstern werden die höhern genannt, ob sie schon vor dem letztern in den gemeinschaftlichen Reichstagssachen nichts Wesentliches voraushaben. Alle drei Kollegien versammeln sich in einem Saal, um den kaiserlichen Vortrag zu vernehmen. Hierauf verteilen sie sich in die drei Kammern, in deren jeder die Stimmen nach einer festgesetzten Ordnung gesammelt werden. Die Mehrheit entscheidet sowohl in den drei besondern Kollegien als auch in den Resultaten derselben. Sind alle drei Kammern einig, so wird ein Reichsschluß abgefaßt und dieser als ein Reichsgutachten dem Kaiser oder dessen Prinzipalkommissar vorgelegt. Wenn ein Kollegium den zwei andern widerspricht, so wird sein Schluß dem Gutachten der zwei andern in der Relation an den Kaiser beigeführt. Die Reichsschlüsse werden sogleich vollzogen und beim Ende eines Reichstages in den Reichsabschied gebracht.

Das Kurfürstenkollegium die zur Königswahl Berechtigten. Seit dem 13. Jahrhundert die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der böhmische König. Im 17. Jahrhundert kamen Bayern und Braunschweig-Lüneburg hinzu, das böhmische Kurrecht ruhte seit dem 15. Jahrhundert. hat in Betracht der geringen Anzahl von Stimmen, woraus es besteht und die jedem der zwei andern viel zahlreichern Kollegien das Gleichgewicht halten, besonders aber dadurch ein großes Übergewicht, daß die fünf weltlichen Glieder desselben auch in dem Fürstenkollegium gegen zwanzig Stimmen haben. Seit dem Tod des letztern Kurfürsten von Bayern besteht es nur aus acht Stimmen, worunter der Kurf?rst und Erzbischof von Mainz als der erste aller Reichsstände das Direktorium führt. Es ist nicht entschieden, wer im Fall der Gleichheit der Stimmen den Ausschlag geben solle, und da dieser Fall bei einer so kleinen Anzahl doch oft zu erwarten ist, so hofft man die neunte Kurwürde in dem Haus Württemberg oder Hessen-Kassel wieder aufleben zu sehen. Nur die Eifersucht einiger Kurhäuser, daß Österreich nicht einen Kandidaten in Vorschlag bringen möchte, der sein unzertrennlicher Anhänger sein müßte, steht diesem Entwurf im Weg.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.