Abschnitt 4

München


Der übrige Teil der Einwohner lebt bloß, um zu schmausen und der zyprischen Göttin Aphrodite, die Göttin der Liebe zu opfern. Alle Abende ertönen die Straßen von dem Gesumse der Saufgelagen in den unzähligen Schenken, welches hie und da mit einem Hackbrett, einer Leier oder einer Harfe begleitet ist. - Wer nur ein wenig den Herrn machen kann, muß seine Mätresse haben; die übrigen tummeln sich um einen sehr wohlfeilen Preis auf den Gemeinplätzen herum. In diesem Punkt ist es auch auf dem Lande nicht besser. - Als im Bayrischen Krieg einige Rekruten zu einem französischen Korps kamen, welches in der Gegend von Augsburg stand, fragte ein Gascogner einen seiner Landsleute, der schon eine Kampagne in Bayern mitgemacht hatte, wie es daselbst um ein gewisses Bedürfnis stünde. „Oh!“ antwortete dieser, „in Bayern findest du das größte Bordell von der Welt. Da zu Augsburg ist der Eingang und zu Passau die Hintertüre.“ - Ich habe die Anekdote von einem alten Offizier, und wenn sie gleich von einem Gascogner ist, so ist es doch sicher keine Gaskonade Übertreibung.


Das Landvolk ist äußerst schmutzig. Wenn man sich einige Stunden weit von der Hauptstadt entfernt, sollte man die Höfe der meisten Bauern kaum für Menschenwohnungen halten. Viele haben die Mistpfützen vor den Fenstern ihrer Stuben und müssen auf Brettern über dieselbe in die Türe gehen. Viel lieber sehe ich die Strohdächer der Landleute in verschiedenen Gegenden Frankreichs als die elenden Hütten der bayrischen Bauern, deren Dächer mit groben Steinen belegt sind, damit die Schindeln nicht vom Wind weggetragen werden. So traurig das auch aussieht, so wohlfeil auch die Nägel im Lande sind und so oft auch von heftigen Sturmwinden halbe Dächer weggerissen werden, so läßt sich doch auch der reichere Bauer nicht bereden, seine Schindeln ordentlich nageln zu lassen. - Kurz, Liederlichkeit ist der Hauptzug des Bayern, vom Hofe an gerechnet bis in die kleinste Hütte.

Mit dieser großen Liederlichkeit kontrastiert ein ebenso hoher Grad von Bigotterie auf eine seltsame Art. - Ich komme in eine schwarze Bauernschenke, die in ein Gewölke von Tobakrauch eingehüllt ist und bei deren Eintritt ich von dem Gelärme der Säufer fast betäubt werde. Meine Augen dringen nach und nach durch den dicken Dampf, und da erblicke ich mitten unter fünfzehn bis zwanzig berauschten Kerlen den Pfarrer oder Kaplan des Orts, dessen schwarzer Rock ebenso beschmiert ist als die Kittel seiner geistlichen Kinder. Er hält gleich den übrigen einen Pack Karten in der linken Hand und schlägt sie mit der rechten einzeln ebenso gewaltig wie die andern auf den kotichten Tisch, daß die ganze Stube zittert. Ich höre sie die abscheulichsten Schimpfnamen einander beilegen und glaube, sie seien im heftigsten Streit begriffen. Endlich schließe ich aus dem Gelächter, welches das Schimpfen und Fluchen bisweilen unterbricht, daß alle die Sauschwänze, Hundsschwänze und dergleichen mehr eine Art von freundschaftlichen Begrüßungen unter ihnen sind. Nun hat jeder sechs bis acht Kannen Bier geleert, und sie fodern nacheinander vom Wirt einen Schluck Branntewein, um, wie sie sagen, den Magen zu schließen. Der gute Humor verläßt sie, und nun sehe ich auf allen Gesichtern und in den Gebärden ernstlichere Vorbereitungen zu einem Streit. Dieser fängt an auszubrechen. Der Pfarrer oder Kaplan gibt sich vergebens Mühe, ihn zu unterdrücken. Er flucht und wettert endlich so stark als die andern. Nun packt der eine einen Krug, um ihn seinem Gegner an den Kopf zu werfen; der andre lüftet die geballte Faust, und der dritte tritt die Beine aus einem Stuhl, um seinem Feind den Kopf zu zerschlagen. Alles schnaubt nach Blut und Tod. Auf einmal läutet die Abendglocke. „Ave Maria, ihr Sauschwänze“, schreit der Pfarrer oder Kaplan, und alle lassen die Werkzeuge des Mordes aus den Händen fallen, ziehen die Mützen vom Kopf, falten die Hände und beten ihr Ave Maria. Das erinnerte mich an den Auftritt von Don Quichotte, wo er in der großen Schlägerei wegen dem Helm Mambrins und dem Eselssattel durch die Vorstellung der Verwirrung im agramantischen Lager auf einmal Friede machte. - Sowie aber das Gebet zu Ende ist, werden sie alle von der vorigen Wut wieder ergriffen, die nun um so gewaltiger ist, da sie auf einen Augenblick aufgehalten worden. Die Krüge und Gläser fangen an zu fliegen; ich sehe den Pfarrer oder Kaplan zu seiner Sicherheit unter den Tisch kriechen, und ich ziehe mich in das Schlafzimmer des Wirts zurück.

Ähnliche Auftritte findest du auch in den Landstädten unter den Bürgern, Beamten, Geistlichen und Studenten. Alles begrüßt sich mit Schimpfnamen, alles wetteifert in Saufen, und überall steht neben der Kirche eine Schenke und ein Bordell. Ein braver Student auf der Universität zu Ingolstadt muß einen dicken Dornknippel und den Hut abgekrempt tragen, seine acht bis zehn Maß Bier in einem Sitz verschlucken können und immer bereit sein, sich wegen nichts auf das Blut herumzubalgen. Eine Gesellschaft solcher Braven kam daselbst auf eine Erfindung, die mit einem Zug den bayrischen Charakter in ein sehr helles Licht setzt. Sie fanden es sehr beschwerlich, bei ihren Saufgelagen vom Tische aufstehen zu müssen, um wieder von sich zu geben, was sie verschluckt hatten. Der Wirt mußte ihnen also einen Trog unter den langen Tisch anbringen lassen, worin jeder sein Wasser ließ, ohne sich von der Stelle zu regen. - Sehr seltsame moralische Karikaturen liefern die bayrischen Mädchen. Da wühlt ein Pfaff mit der Hand in einem schönen Busen, der zur Hälfte mit des Mädchens Skapulier bedeckt ist. Dort sitzt ein schönes Kind und hält in der einen Hand den Rosenkranz und in der andern einen Priap erektierter Penis aus Holz, Stein oder Leder. Die fragt dich, ob du von ihrer Religion seiest; denn mit einem Ketzer wolle sie nichts zu schaffen haben. Jene hörst du mitten in der Ausgelassenheit von ihren geistlichen Brüderschaften, ihren gewonnenen und noch zu gewinnenden Ablässen und ihren Wallfahrten mit der Miene der Frömmigkeit sprechen, daß du ihr ins Gesicht lachen mußt. - Der glänzendste Auftritt von der Art geschah in der berühmten Marienkirche zu Öttingen, wo ein reicher Pfaff vor dem Altar der wundertätigen Maria in der Nacht eine Jungferschaft eroberte, auf die er schon lange Zeit Jagd gemacht und die er nicht anders als auf der Wallfahrt erbeuten konnte.

Mit der Liederlichkeit und Andächtelei vereinigt das Landvolk eine gewisse wilde Tapferkeit, die oft sehr blutige Auftritte veranlaßt. Wenn sie eine Kirchweihe oder sonst eine öffentliche Lustfeier loben wollen, so sagen sie: „Da ging's lustig zu; es sind vier oder sechs tot- oder zu Krippel geschlagen worden“; und wenn es ohne Mord und Blut abläuft, so heißt das Fest eine Lumperei. - Im vorigen Jahrhundert und noch zu Anfang des jetzigen behaupteten die Bayern den Ruhm der besten deutschen Truppen. In der berühmten Schlacht bei Höchstädt 1704 standen sie noch und hielten sich für Sieger, als ihr Kurfürst, der an ihrer Spitze stand, die Nachricht bekam, daß die Franzosen auf dem andern Flügel geschlagen wären. Unter Tilly und Mercy Feldherren des Dreißigjährigen Krieges haben sie Wunder getan. Aber seitdem sich die Kriegszucht so sehr geändert hat, sind sie keine Soldaten mehr. Kein Volk kann mehr Abscheu gegen alles haben, was Zucht und Ordnung heißt, als die Bayern. Zu Parteigängern, denen das Rauben, Plündern und alle Ausschweifungen mehr erlaubt sind als den regulierten Truppen, mögen sie noch vortrefflich sein. Es ziehen wirklich gegen tausend Bursche in verschiedenen Räuberbanden im Lande herum, die ohne Zweifel im Krieg ein sehr gutes Streifkorps sein würden. Man hat Beispiele, daß sich einige mit ihren kühnen Anführern bis auf den letzten Mann gegen das Militär verteidigt haben. Aber auch der ärmste Bauersjunge hält es für eine große Strafe, wenn er unter die regulierten Truppen seines Fürsten gezogen wird.

Dagegen sind die Einwohner der Hauptstadt das weichste, furchtsamste und kriechendste Volk von der Welt, ohne alle Schnellkraft, und die oft ins Grobe fallende Freimütigkeit, welche noch der schönste Zug im Charakter des Landvolks ist, sucht man in der Stadt umsonst. Als die Münchner unter der vorigen Regierung zu den Füßen eines despotischen Ministers krochen und nur allenfalls im Dunkeln zu murren sich getrauten, äußerte das Landvolk sein Mißvergnügen mit einer Freiheit, die für den Despoten fast sehr schlimme Folgen gehabt hätte. Nur die unbegrenzte und unbeschreibliche Liebe der Bauern zu ihrem Fürsten konnte sie dazu bewegen, daß sie auf einen Befehl des Jägermeisters die Zäune ihrer Felder niederrissen, um das Wild darauf weiden zu lassen. Mit Entzücken sprachen sie von den guten Eigenschaften ihres Herrn, vergaßen aber seine Fehler nicht, sondern suchten sie zu entschuldigen und warfen ohne alle Zurückhaltung den schwersten Fluch auf die Bedienten desselben, und so gaben sie jedem Fremden ein treues Gemälde des Hofes, während daß die Tyrannen des Landes von den Einwohnern der Stadt in Zueignungsschriften von Büchern, in Gedichten und öffentlichen Unterredungen zum Himmel erhoben wurden. - Auch die jetzige Regierung und den Hof hörst du vom Landvolk viel richtiger beurteilen als von den Stadtleuten. Ich könnte weder vom Fürsten noch seinen Bedienten die geringste Nachricht einziehen, wenn ich nicht mit einigen fremden Künstlern bekannt wäre, die zum Hofe gehören und sich um den Zustand desselben mehr interessieren als die Eingebornen, die bei ihren Bierkrügen eilfe gerad sein lassen. In Paris kennt jeder Schuhputzer alle Großen des Hofes, interessiert sich um ihr Privatleben so gut als um ihr politisches und lobt oder tadelt sie nach seinen Einsichten. Aber hier kannst du zu sehr vielen Hofräten und Sekretären kommen, welche von den Großen ihres Hofes platterdings nichts als den Namen kennen. Leb wohl.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.