Abschnitt 3

München


Schon zu Straßburg hörte ich viel Gutes von Herrn Marchand Theaterdirektor in Mannheim und München, † 1800 und seiner Gesellschaft. Er hatte daselbst verschiedenemal gespielt, als er noch kein beständiges Engagement hatte. Der Kurfürst nahm schon zu Mannheim seine Gesellschaft zu Hofschauspieler an und machte ihn mit einem ansehnlichen Gehalt zum Direkteur des Hoftheaters. Es war mir sehr angenehm, ihn persönlich kennenzulernen. Er ist ein Mann von Welt, sehr lebhaft und witzig, der zugleich seine Wirtschaft so gut verstund, daß er in den Gegenden des Unterrheins ein Kapital von ohngefähr 100.000 Livres zusammengebracht hat. Er sagte mir, wie viele Mühe er sich beim Antritt seiner Prinzipalität Prinzipal: Theaterdirektor gegeben, um seine Gesellschaft auf einen andern Fuß zu setzen, als worauf die meisten deutschen Schauspielergesellschaften damals standen. Er wählte sich nur gutgezogene Leute, zahlte sie sehr richtig aus und dankte sie bei einer Ausgelassenheit ebenso richtig ab. Dadurch erwarb er sich und seinen Leuten die Achtung des Publikums, welches anfangs die Schauspieler noch als unehrliche Leute betrachtete. Auch auf den Geschmack des Publikums verschaffte er sich Einfluß. Er gab nichts als sehr wohlgewählte übersetzte französische und englische Stücke nebst den bessern Originalien und wechselte zur Unterhaltung des Publikums mit unsern Operetten ab, die außer Paris gewiß nicht besser als bei ihm aufgeführt wurden. Nun riß aber auf einmal die tragische Wut und das Riesenmäßige in die deutschen Bühnen ein. Er kämpfte lange dagegen, mußte aber doch endlich dem Strom nachgeben. Da die Lungen seiner Leute an gewöhnliche Menschentöne gewöhnt waren und die starken Erschütterungen nicht aushalten konnten, welche zu der neuen Riesensprache, zu den erschrecklichen Rasereien und all dem Geheule nötig waren, so mußte er sich bei seiner Ankunft zu München auf Verlangen des Publikums einige neue Subjekte beschreiben, die im stundenlangen Sterben und Heulen geübt sind und im Ausreißen ihrer eingesteckten falschen Haare, im unerträglichsten Gebrülle und Händeringen mehr beklatscht werden als die andern im feinsten Ausdruck ihres Gegenstandes. Doch vermutlich ist der jetzige Geschmack nur eine vorübergehende Fieberhitze, die der guten Sache, dem gesunden Menschenverstand mit der Zeit Platz machen muß. Lebe wohl.


Ein Gemälde von bayrischen Charakteren und Sitten von Hogarths engl. Maler und Kupferstecher, † 1764 Hand müßte äußerst interessant sein. In England sind die Extremen zwar auch nicht selten, aber Karikaturen, wie sie Bayern liefert, übertreffen alles, was man von der Art sehen kann. Du weißt, ich bin kein Maler, und wenn ich dir das Eigentümliche des Bayern in der Abstraktion gebe, so kann es natürlich das Leben nicht haben, welches ihm Hogarth in einer Gruppe oder Shakespeare in einem dramatischen Auftritt geben könnte. Doch ich will versuchen, was ich kann.

Um methodisch zu verfahren - denn du glaubst nicht, wie sich in allen Dingen eine verwünschte Methode an mich hängt, seitdem ich deutsche Luft atme - , so muß ich dir erst den Körper des Bayern voranatomisieren, ehe ich zur Zergliederung seines geistigen Wesens schreite. - Im ganzen ist der Bayer stark von Leib, nervicht und fleischicht. Man findet sehr viele schlanke und wohlgebaute Männer, die man in jedem Betracht schön heißen kann. Die roten Backen sind unter dem hiesigen Mannsvolk etwas seltener als in Schwaben, welchen Unterscheid vermutlich der Wein und das Bier verursachen.

Das Eigne eines Bayern ist ein sehr runder Kopf, nur das Kinn ein wenig zugespitzt, ein dicker Bauch und eine bleiche Gesichtsfarbe. Es gibt mitunter die drolligsten Figuren von der Welt, mit aufgedunsenen Wänsten, kurzen Stampffüßen und schmalen Schultern, worauf ein dicker, runder Kopf mit einem kurzen Hals sehr seltsam sitzt, und in diese Form pflegt gemeiniglich der Bayer zu fallen, wenn er mehr oder weniger Karikatur sein soll. Sie sind etwas schwerfällig und plump in ihren Gebärden, und ihre kleinen Augen verraten ziemlich viel Schalkheit. - Die Weibsleute gehören im Durchschnitt gewiß zu den schönsten in der Welt. Sie fallen zwar auch gerne etwas dick ins Fleisch, aber dieses Fleisch übertrifft alles, was je ein Maler im Inkarnat fleischfarbener Ton auf Gemälden geleistet hat. Das reinste Lilienweiß ist am gehörigen Ort, wie von den Grazien mit Purpur sanft angehaucht. Ich sah Bauernmädchen, so zart von Farbe und Fleisch, als wenn die Sonne durchschiene. Sie sind sehr wohlgebaut und in ihren Gebärden viel lebhafter und runder als die Mannsleute.

In der Hauptstadt kleidet man sich französisch oder glaubt wenigstens französisch gekleidet zu sein. Die Männer lieben noch das Gold und die bunten Farben zu viel. Die Kleidung des Landvolks ist abgeschmackt. Der Hauptschmuck der Männer ist ein langer, breiter, oft sehr seltsam gestickter Hosenträger, woran die Beinkleider sehr tief und nachlässig hangen, vermutlich um dem Bauch, welcher der Hauptteil eines Bayern ist, sein freies Spiel zu lassen. Die Weibsleute verunstalten sich mit ihren Schnürbrüsten, welche grade die Form eines Trichters haben, hoch über die Brust und Schultern heraufsteigen und oben ganz schnureben abgeschnitten sind, so daß man gar keine Wölbung der Achseln und des Halses sieht. Diese steife Schnürbrust ist vorne mit großen Silberstücken verblecht und mit dicken Silberketten überladen. Die Hausmütter oder die, welche dem Hauswesen vorstehn, tragen an vielen Orten ein dickes Gebund Schlüssel und ein Messer an einem Riemen, die fast bis zur Erde reichen.

Was den Charakter und die Sitten der Bayern betrifft, so können die Einwohner der Hauptstadt nicht anderst als sehr verschieden von dem Landvolk sein. Der Charakter der Münchner bliebe für mich ein Rätsel, und wenn ich auch noch viele Jahre hier wäre. Ich glaube mit allem Grund behaupten zu können, daß sie gar keinen Charakter haben. - Ihre Sitten sind so verdorben, als sie es in einem Gewirre von 40.000 Menschen sein müssen, die bloß vom Hofe leben und größtenteils auf Kosten desselben müßig gehn.

Unter dem großen Adel gibt es, wie überall, ausgebildete und sehr artige Leute; aber überhaupt genommen, ist er im ganzen Umfange des Wortes Pöbel, ohne alles Gefühl von Ehre, wenn nicht ein großer Titel und Bänder und Sterne ausschließlich Ehre heißen, ohne Erziehung und ohne Tätigkeit für den Staat, ohne alles Gefühl für sein Vaterland, ohne alle Empfindung von Großmut. Die meisten Häuser, von denen mehrere 15- bis 20- und einige auch wohl 30- bis 40.000 Gulden Einkünfte haben, wissen von gar keiner andern Verwendung ihres Geldes und von keinem andern Vergnügen, als welches Tisch, Keller, Spieltisch und Bette gewähren. Das Spiel hat schon viele gute Häuser hier zugrunde gerichtet. Das jetzt regierende Lieblingsspiel der Hofleute heißt Zwicken; seitdem aber der Finanzminister Hombesch die Besoldungen so erschrecklich zwickt, nennen sie es Hombeschen. - Viele Hofdamen kennen außer dem Bette keine andre Beschäftigung, als mit ihren Papageien, Hunden und Katzen zu spielen. Eine der vornehmsten Damen, die ich kenne, hält sich einen großen Saal voll Katzen und zur Bedienung derselben zwei bis drei Zofen. Sie bespricht sich halbe Tage lang mit denselben, bedient sie oft selbst mit Kaffee und Zuckerbrot und putzt sie nach ihrer Phantasie täglich anderst auf.

Der kleine Adel und die eigentlichen Hofbedienten schleppen sich mit einer erbärmlichen Titelsucht. Ehe der jetzige Kurfürst hieher kam, wimmelte es hier von Exzellenzen, gnädigen und gestrengen Herren. Das Lächerliche der Titulatur fiel dem jetzigen Hof auf, weil sie zu Mannheim nicht üblich war. Es erschien eine Verordnung, welche deutlich bestimmte, wer Exzellenz, Euer Gnaden und Euer Gestrengen heißen sollte. Die, welche durch diese Verordnung entexzellenzt und entgnädigt wurden, und besonders die Weiber derselben, wollten verzweifeln. Zum erstenmal hörte man nun hier über Tyrannei klagen, von der man zuvor gar keinen Begriff zu haben schien, und der Hof hätte den gnädigen Herren ihr Brot, ihre bürgerliche Ehre und ihr Leben nehmen können, ohne sich diesen Vorwurf zuzuziehn.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.