Abschnitt 5

München


Du hast recht, daß sich der hiesige Hof sehr wichtig machen könnte, wenn er von seinen Kräften Gebrauch zu machen wüßte. Er kann sich mit dem König von Dänemark messen, und Schwedens Macht ist nicht viel ansehnlicher als seine. Wenn man die Lappländer und die übrige fast ganz unbrauchbare Menschen von der Summe der Untertanen dieser nordischen Mächte abzieht, so werden sie an Mannschaft vor dem hiesigen Hof wenig voraushaben. Bayern hat 1.180.000, die Pfalz am Rhein 280.000, und die Herzogtümer Jülich und Berg zählen ohngefähr 260.000 Menschen. Die Zahl der sämtlichen Untertanen des hiesigen Hofes beträgt also ohngefähr 1.720.000. In einigen öffentlichen Blättern wird sie nur auf etliche und 1.400.000 angegeben, aber ohne Zweifel sind die Untertanen in den westfälischen Staaten des Kurfürsten in dieser Summe nicht mitbegriffen.


Über die Einkünfte des Hofes ist man weder hier noch in den öffentlichen Nachrichten einig. Der sehr fleißige und in den meisten Stücken sehr richtige Herr Büsching Geograph in Berlin, † 1793 sagt in der neuesten Ausgabe seiner vortrefflichen „Erdbeschreibung“, er habe von guter Hand, die Einkünfte aus Bayern beliefen sich auf acht Millionen rheinische Gulden. Dieses stimmt mit der mäßigsten Angabe der hiesigen Hofleute überein. Ich habe dir aber in meinem letzten Brief gesagt, daß sehr wenige derselben mit dem Zustand des Hofes bekannt sind. Ich bemerkte auch, daß alle aus einer dummen Prahlerei die Summe der Einkünfte zu vergrößern suchten. Leute, die allem Anschein nach die Sache genau wissen konnten, wollten mich bereden, der Hof habe zwölf bis sechzehn Millionen Gulden jährlicher Einkünfte. Ich sah, daß es unmöglich war, anders hinter die Wahrheit zu kommen, als wenn ich mich an den gehörigen Orten teilweise um den Zustand der Finanzen erkundigte, und so brachte ich nach langem Forschen mit ziemlich viel Gewißheit heraus, daß die sämtlichen Einkünfte aus den Steuern, Zöllen, Akzisen Luxussteuer, Domänen landwirtschaftliche Güter, die dem Fürsten oder dem Staat gehören, Forsten, Bergwerken usw. kaum fünf Millionen Gulden betrügen. In dieser Summe ist einer der wichtigsten Artikeln, der Handel mit dem salzburgischen und Reichenhaller Salz, nicht mitbegriffen. Dieser wird von einigen auf zwei Millionen gesetzt, aber höchstwahrscheinlich beläuft er sich nicht über eine Million Gulden. Man kann also die sämtlichen Einkünfte von Bayern am sichersten auf sechs Millionen Gulden setzen. - Die Einkünfte aus der Pfalz am Rhein belaufen sich ohngefähr auf 1.700.000, die aus den westfälischen Landen auf 1.500.000 Gulden, so daß der Hof in allem jährlich ohngefähr 9.200.000 Gulden oder 20 Millionen Livres aus seinen Staaten zieht. - Du siehst, daß die Einkünfte der Rheinlande des Kurfürsten etwas mehr als die Hälfte des Einkommens aus Bayern betragen, obschon die Zahl der Einwohner derselben nicht gar die Hälfte der Einwohner Bayerns ausmacht; aber sowohl dieser Unterschied als auch jener, den der einträgliche bayrische Salzhandel verursacht, wird durch die bessere Benutzung besagter Lande, durch den fleißigern Anbau, durch die größern Auflagen, durch das lebhaftere Gewerbe der Einwohner, besonders jener in den westfälischen Staaten, und durch die sehr einträglichen Wasser- und Landzölle überwiegend gehoben.

Wäre Bayern nach dem Verhältnis seiner Größe so gut bevölkert und gebaut als die mit ihm verknüpften Rheinlande, so müßte es drei bis vier Millionen Gulden mehr eintragen. Ich habe dir schon gesagt, daß es 729 Quadratmeilen enthält. Der Umfang der Rheinpfalz und der Herzogtümer Jülich und Berg zusammengenommen beträgt kaum 240 Quadratmeilen, und ob er gleich noch nicht den dritten Teil der Größe Bayerns ausmacht, so zählt er doch beinahe halb soviel Einwohner und wirft mehr dann halb soviel ab als Bayern.

Diesen Unterschied macht hauptsächlich das unselige Mönchswesen, welches der stärkern Bevölkerung und bessern Aufklärung, dem Kunstfleiß und dem Anbau der Ländereien in Bayern überall im Weg steht. Dieses Land mästet ohngefähr 5.000 Mönche in zweihundert Klöstern, deren verschiedene 30- bis 40.000 Gulden Einkünfte haben. Das Kloster Niederalteich soll jährlich über 100.000 Gulden verschlingen. Ohne zu übertreiben, kann man alle Einkünfte der Stifter und Klöster dieses Landes auf ohngefähr zwei Millionen Gulden schätzen, welches ein Dritteil von dem Einkommen des Hofes ist.

Der Schaden, welchen die Möncherei in dem Lande anrichtet, ist auf den größern Bauernhöfen, in den sogenannten Einöden, am sichtbarsten. Um die Söhne dieser großen Bauern bewerben sich die Klöster am meisten, weil sie mit jedem ein-, zwei-, drei- und mehrere tausend Gulden erhaschen. Dadurch wird zum großen Nachteil des Staates die Verteilung dieser weitläufigen Ländereien gehindert, die wegen ihrer Größe immer nur zur Hälfte recht gebaut werden. An den Söhnen der ärmern Landleute, welche in die Klöster gehn, verliert der Staat wohl auch etwas, aber bei der jetzigen Verfassung könnten diese armen Studenten doch weiter nichts als Soldaten, müßige Schreiber oder Komödianten werden. - Der Hang zum Müßiggehen, zum Schmausen und zur Bettelei, welcher durch ganz Bayern herrscht, wird durch das Beispiel der fetten Mönche erhalten und geheiligt. Das Volk beneidet sie durchaus um ihren seligen Müßiggang. - Die Gaukeleien, die Bruderschaften, Kirchenfeste und Winkelandachten dieser heiligen Marktschreier beschäftigen den großen Haufen so sehr, daß er den dritten Teil seiner Zeit an sie verschwendet. - Ihr Interesse rät ihnen, das Volk in dem Grad von Dummheit zu erhalten, der zu ihrem Gedeihen nötig ist, und deswegen liegen sie immer gegen alles, was gesunde Vernunft und Aufklärung heißt, mit unbeschreiblicher Wut zu Felde. Ihnen allein hat man die entsetzliche Verwilderung der Sitten in Bayern zu verdanken. Sie haben ihre Kapuzen zum Wesen des Christentums und der ganzen Moral gemacht. Sie predigen nichts als die ihnen sehr einträgliche Messe, den Rosenkranz, das Skapulier und die lächerlichen Leibskasteiungen, wodurch sich so mancher Dummkopf den Namen eines Heiligen erworben hat. Der betrogne Landmann glaubt mit der Beicht und einer Messe um dreißig Kreuzer die gröbste Sünde tilgen zu können und hält das sinnlose Beten des Rosenkranzes für seine wesentlichste Pflicht.

So beträchtlich die Anzahl der Mönche, so gering ist jene der Landpriester, die doch das meiste zur sittlichen Bildung des Volks beitragen könnten und sollten, und diese werden von dem großen Haufen in seinen Begriffen weit unter die Mönche gesetzt, weil ihre Kleidung und ihr Betragen nicht so seltsam ist als jenes der Mönche. Aber so, wie die Landpriester überhaupt in Bayern wirklich beschaffen sind, verdienen sie auch nicht mehr Achtung als die Mönche. Die meisten ehedem landesfürstliche Domänen waren, die in nichts als die schwarze Farbe ihrer Kleider, eine kostbarere Tafel und eine schönere und besser gekleidete Haushälterin. Im übrigen sind sie ebenso liederlich, ungezogen und unwissend. - Es gibt Pfarreien von drei bis vier Stunden in die Länge und Breite und von 4- bis 6.000 Gulden Einkünften. Wie nützlich wäre es dem Lande, wenn solche Pfarreien in fünf bis sechs kleinere zerstückt und mit einer bessern Zucht von geistlichen Hirten besetzt würden! Man müßte aber zugleich den Mönchen verbieten, sich in die Seelsorge einzumischen, oder, welches wohl das ratsamste wäre, aber unter der jetzigen Regierung nicht zu erwarten ist, man müßte sie mit Stumpf und Stiel zu vertilgen suchen.

Wenn man die Güter der Klöster einzöge, wie denn die meisten ehedem landesfürstliche Domänen waren, die in melancholischen Stunden, worin die Fürsten Vormünder nötig hatten, verschenkt wurden, und wenn man alle Fremde ohne Unterschied der Religion unter annehmlichen Bedingungen zum Kauf derselben zuließe, so könnten die Staatsschulden in sehr kurzer Zeit getilgt werden, und das Land würde gar bald eine ganz andre Gestalt gewinnen. Aber Karl Theodor ist von diesem Entschluß so weit entfernt und kennt sein eignes Interesse und das seiner Staaten so wohl, daß er in der Rheinpfalz ein neues Nonnenkloster stiftet und die Güter der Exjesuiten einer andern Art Mönche, den Malteserrittern, schenkt. Was sagte man von dem Privatmann, der voll Schulden wäre und noch Vermächtnisse in die Kirche machte? - Doch hier ist das Räsonieren sehr übel angebracht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.