Abschnitt 7

Hamburg (Mecklenburg)


Man lebt in Dänemark beständig wie auf einem Schiffe, das eine Reise um die Welt macht. Gesalzener Speck, Hülsenfrüchte und Branntewein sind die hauptsächlichsten Nahrungsmittel der groben und trägen Einwohner, die bei ihren Nachbarn auch als tückisch und betrügerisch verschrien sind. Der unmäßige Gebrauch des Brannteweins trägt ohne Zweifel viel zu ihrer Indolenz, ihrer Dummheit und Verwilderung bei. Wenigstens legte der König von Schweden in einer den Branntewein betreffenden Verordnung diese Wirkungen demselben zur Last. Die Verwilderung ist besonders auf dem Lande sichtbar. Sie schreckte mich ab, meine Reise bis nach Ålborg und von da zurück durch Seeland und die übrigen Provinzen des dänischen Reiches fortzusetzen, wie ich mir vorgenommen hatte und welche Tour man, wenn man auch hie und da die Winkel besichtigen will, in acht bis zehn Tagen gemächlich vollenden kann. Der Schlamm des Meeres und der Flüsse in ihrer Mündung, den die Frösche den Einwohnern beständig streitig machen und welcher durch das Salz bis zur Geilheit fruchtbar gemacht wird, ist noch ziemlich gut angebaut. Sobald man sich aber einige Schritte weit von den Ufern entfernt, gerät man in Wüsteneien. Zwischen Arhus und Ringkøbing, welche Städte an den beiden entgegengesetzten Ufern der Halbinsel Jütland vierzehn deutsche Meilen voneinander entfernt liegen und das Nonplusultra meiner dänischen Expedition waren, erstreckt sich auf viele Meilen in die Länge und Breite hin eine Wildnis, die den tatarischen Steppen nicht unähnlich sein mag. Dieser Boden ist nicht unfruchtbar, sondern besteht aus einer grauen, etwas schweren und hie und da mit Sand untermischten Erde, die für ein so enges Reich, als das dänische ist, unschätzbar sein sollte. In Preußen hat man Erdreich angebaut, das nicht halb soviel natürlichen Wert hat als dieses. Die Natur selbst macht durch die starken Gesträuche und die fetten Gras- und Kräuterarten, welche diese Wildnis bedecken, den fühllosen Einwohnern Vorwürfe wegen ihrer Trägheit. Die Regierung machte einige Versuche, ihre Untertanen zum Anbau dieser Wildnis aufzumuntern; allein es fehlt allen dänischen Regierungsanstalten an Nachdruck, und die Trägheit des Volks läßt sich auch nicht in einem einzigen Fall besiegen, wenn sie zur Natur geworden ist. Die benachbarten Gemeinden fanden es für ihre hottentottische Wirtschaft zu gemächlich, daß sie ihr Vieh auf dieser Steppe konnten weiden lassen, als daß sie nicht gegen die Vorkehrungen der Regierung hätten protestieren sollen. Unterdessen zeigten diese Versuche der Regierung, daß man aus diesem Erdreich alles machen könnte, was man wollte. In Jütland weiß man noch nichts von den glücklichen Entdeckungen, die man in England, Frankreich, Deutschland und Schweden zum Behuf der Landwirtschaft gemacht hat. Wenigstens haben sie auf dieses Land noch keinen Einfluß, wenn sie vielleicht auch in die Studierzimmer einiger Gelehrten gekrochen sind. Der dummstolze Adel des Landes verwendet lieber sein Geld auf prächtige Gebäude, französische und englische Möbeln und kostbare Kleider als auf den Anbau von Ländereien und lebt größtenteils in der Hauptstadt. Die Landpfarrer, unter denen man in Norddeutschland, besonders in den preußischen Staaten, so viele Kenner und Beförderer der Landwirtschaft findet, haben in Jütland mehr mit Moses' Anstalten in der Wüste, die in der Bibel berichteten Wunder Moses‘ in der Wüste Sinai mit Ägypten, mit dem Bach Cedron der Bach Kidron, der am Garten Gethsemane vorbeifließt und Bileams Esel ein sprechender Esel, der auch Gespenster sehen kann, vgl. 4. Moses, 22 als mit ihrem Vaterlande zu schaffen. Die Kronbedienten haben alle die Nachlässigkeit und die Begierde, ihren Eigennutz zu befriedigen, welche von einer despotischen und schwachen Regierung unzertrennlich sind. Und wer sollte dann das Übel heben? - Die gute Zucht der dänischen und holsteinischen Pferde, welche dem Land beträchtliche Summen einträgt, beruht zum Teil auf Vernachlässigung des Ackerbaues. Die Marschländer an der See und den Flüssen erfodern keine mühsame Bearbeitung und sind größtenteils zu Weiden angelegt. Die Bauern sind daher nicht, wie in den Ländern, wo man mehr Mühe auf den Feldbau verwendet, gezwungen, ihre Pferde sehr frühe zu den schwersten Arbeiten zu gebrauchen und sie in den kritischesten Jugendjahren zugrunde zu richten. Die höhern Gegenden sind beinahe durchaus ungebaut. In den Städten, wo sich Fremde wegen der vorteilhaften Lage niederlassen, sieht es besser aus als auf dem Lande, und in den meisten fand ich einige blühende Manufakturen


Die Regierung von Dänemark ist die despotischeste in Europa. Diese Regierungsart kann die beste und schlimmste sein, besonders für ein Reich, das wegen seiner Kleinheit so leicht zu übersehen ist wie das dänische, welches aber auch wegen seiner Kleinheit die Leidenschaften und Schwäche seiner Regenten um so härter empfindet. Dieses Reich ist wirklich das geringste unter allen europäischen Königreichen. Es hat, die Lappländer, Grönländer und Isländer mitgerechnet, kaum 1.800.000 Einwohner, und kaum machen die Holsteiner, die zu den Deutschen gehören, die Zahl von zwei Millionen dänischer Untertanen vollständig. Den Sund-Zoll, welchen die seefahrenden Nationen aus gutem Willen entrichten, mitgerechnet, betragen die sämtlichen Einkünfte des Königs von Dänemark nicht viel über neun Millionen rheinische Gulden oder ohngefähr zwanzig Millionen Livres. Er kann sich also mit dem Kurfürsten von Sachsen nicht messen, und der Kurfürst von Pfalzbayern ist ihm an Macht gleich. Ohne Subsidien hier: zusätzliche Einnahmen ist Seine dänische Majestät nicht imstand, eine Armee von 40.000 Mann oder eine Flotte von zwanzig Linienschiffen nur einige Jahre lang in Aktivität zu unterhalten. Die Auflagen sind ungeheuer, und einige sind von der Art, wie man sie in wenig andern Ländern findet. Hier muß man die Erlaubnis bezahlen, sich zu verheiraten. Unsere Regierung machte ehedem eine Auflage auf die Hagestolzen. Die dänischen und französischen Regierungsgrundsätze sind also sehr verschieden.

Diese Eingeschränktheit der Staatskasse ist die Ursache, daß in Dänemark mehr Projekte gemacht werden als in irgendeinem andern Lande, die aber größtenteils nur Luftschlösser sind und vom ersten Wind verweht werden. Gemeiniglich haben sie den Eigennutz des Projekteurs zum Hauptzweck, und zur Unterstützung von großen Entwürfen wahrer Patrioten fehlt es dem Hof an Kräften und auch an gutem Willen. Der König, welcher sich durch einen öffentlichen förmlichen Prozeßakt zur zahlreichen Brüderschaft gekrönter Ehemänner bekennt hat, muß den größten Teil der Regierung seinen Bedienten überlassen. Seine Stiefmutter soll viel Regierungs- und Hofkunst besitzen; allein den meisten Einfluß haben doch die Minister und Räte. Unter diesen herrschen immer Kabalen, Intrigen und Revolutionen, die man aus Struensees Geschichte, besonders aus seiner eigenen Rechtfertigung, am besten kann kennenlernen. Vor kurzem erst ist wieder ein Premier gesprengt worden.

Saint-Germain Saint-Germain, ungarischer Fürst, einflußreicher Freimaurer, Alchemist, Arzt, Musiker, Geheimdiplomat, Abenteurer, Weltreisender. Wirkte als Berater unter Ludwig XV., Ludwig XVI. und dem Schah von Persien. War am Sturz des russischen Zaren Peter III. beteiligt. (1698 - 1784) war in Kopenhagen sehr übel angebracht. Der verstorbene König berief ihn an seinen Hof, um die Armee auf einen bessern Fuß zu setzen, weil Seine dänische Majestät damals willens war, an gewissen Bewegungen in Norden teilzunehmen oder sich wenigstens fürchterlich zu machen. Man sagte ihm von 50- bis 60.000 Mann. Bei seiner Ankunft fand er aber außer den Garden gar keine eigentlichen Soldaten. Das übrige war teils eine wilde, undisziplinierte Miliz, teils ein Haufen hungriger Invaliden. An Kavallerie fehlte es gänzlich. Der gute König, welcher seine Armee nur auf dem Papier gesehen und sie vielleicht auch da nicht genau besichtigt hatte, denn Rechnen war seine Sache nicht, konnte nicht begreifen, wohin seine große Armee bei Saint-Germains Ankunft sollte verschwunden sein. Einige vom Ministerium, welche das papierne Kriegswesen verwalteten, machten sich Hoffnung, Saint-Germain würde mit ihnen unter der Decke spielen. Dazu war nun Saint-Germain der Mann nicht. Nachdem er entdeckt hatte, daß ein Teil des für die Truppen bestimmten Geldes in die Privatbörsen der Minister, Kommissärs und Offiziers floß, wollte er mit seiner gewöhnlichen Redlichkeit und Strenge Hand an die Reformation legen. Er sah aber bald, daß, wenn auch die Malversationen gehoben würden, eine dänische Armee, die in Norden Figur machen sollte, doch immer nur ein frommer Wunsch bleiben würde. Überzeugt, daß nichts zu reformieren sei, wo nichts ist, erklärte er mit der ihm eignen Freimütigkeit dem König, er sehe nicht, wozu er Seiner Majestät gut sein könnte, im Gegenteil müsse er derselben zur Last fallen, und seines Erachtens wäre es ratsamer, er ginge seines Weges wieder zurück. Die Minister waren froh, einen so strengen Aufseher vom Hals zu bekommen, den sie nicht leicht durch eine Kabale hätten stürzen können, weil ihn der König liebte und eine Kabale gegen entschlossene Gradheit, verbunden mit wahrer Menschen- und Hofkenntnis, nichts vermag, wenn der Regent, wie hier der Fall war, für die gute Sache ist, wenn sie ihm ins rechte Licht gestellt wird. Nach einigem Zaudern und mancherlei Unterhandlungen tat ihm endlich ein Minister den Vorschlag, er möchte sich anstatt der versprochenen Pension mit einer gewissen Summe baren Geldes für immer begnügen lassen. Kein Vorschlag konnte Saint-Germain willkommner sein, da er die Unzuverlässigkeit des dänischen Hofes kannte. Bekanntlich war er für sich kein vorsichtiger Ökonom, und er nahm ohne alles Bedenken einen Wechsel von 50- oder 60.000 Talern an, der auf einen Kaufmann zu Hamburg gestellt war. Bei seiner Ankunft in dieser Stadt hatte der Kaufmann soeben bankrutt gemacht und sich auf dänischen Grund und Boden geflüchtet. Saint-Germain behauptete bis an sein Ende, der Minister habe den Raub mit dem Kaufmann geteilt. Er mußte nun, wie bekannt, eine lange Zeit von einer Kollekte leben, welche die Offiziers unsrer deutschen Truppen aus ihrem eignen Antrieb für ihn subskribierten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.